Was hilft gegen Rechtspopulismus? Ein Diskussionsbeitrag
In der Matinee „Was hilft gegen Rechtspopulismus?“ am 19. Januar 2025 im Club Voltaire in Frankfurt am Main haben Herbert Storn und Reiner Diederich Thesen zum Thema referiert und mit dem Publikum diskutiert. Die von ihnen zugrunde gelegten Texte / Materialien sind hier dokumentiert:
Angesichts des Veranstaltungstitels könnte man ja gegenfragen: Ist etwa âLinkspopulismusâ eine Alternative? Und sollte nicht ĂŒberhaupt die vox populi in einer Demokratie einen besseren Klang haben als es sie derzeit hat? Oder ist vielmehr der Begriff âPopulismusâ nicht ohnehin eine IrrefĂŒhrung? Ich meine: Ja.
Praktisch keine Aussage von Politikerinnen und Politikern kommt heute ohne Dechiffrierung aus.
Meine Kernthese: Ein GroĂteil der kritischen Ăffentlichkeit verengt den âKampf gegen Rechtsâ auf die AfD â wĂ€hrend es in Wirklichkeit um eine Systemfrage geht, um grundlegende WidersprĂŒche und die damit verbundene VerschĂ€rfung der Auseinandersetzungen zwischen Klassen.
Und: GefĂŒhle zu mobilisieren reicht nicht. Ohne Problemerfassung ist keine Problemlösung zu erwarten. Und selbst dann wird es schwierig.
Also: Wir haben eine eklatante Schieflage bei Vermögen, Macht, Einfluss und ReprÀsentanz der Bevölkerung.
ZunÀchst die Fakten:
Reiner Diederich hat bereits die Zahlen genannt.
Was es bedeutet, wenn sich ĂŒber 400 Milliarden Dollar bei 1 Person konzenrtrieren, kann gegenwĂ€rtig an Elon Musk studiert werden. Bisher konnten sich die Gates, Zuckerbergs, Bezos oder Larry Fink von BlackRock einigermaĂen gut verstecken. Das ist seit Trumps zweitem Wahlsieg anders geworden. Sie wollen sich gar nicht mehr verstecken.
In Deutschland ist es noch etwas anders: Vermögen und Einfluss wurden bisher möglichst nicht zur Schau gestellt. Ganz anders in den USA, wie im US-Wahlkampf und danach vor Augen gefĂŒhrt, wie gesagt.
Und das wenige Gute an Trump/Musk ist: Die Katze ist aus dem Sack oder Der Kaiser ist nackt.
Jens Berger, Chefredakteur der Nachdenkseiten, liefert in der Neuauflage seines Buchs âWem gehört Deutschland?â folgende Zahlen:
1,5 % der Bevölkerung (enthalten in den obersten 25 %) kommen auf 45 % des Vermögens.
Die obersten 25 % der Bevölkerung kommen auf: 88.9 % des Vermögens
Mittlere 25 % der Bevölkerung kommen auf 11 % des Vermögens
Unterste 50 % der Bevölkerung kommen auf 1,1 % des Vermögens
Unterste 20 % der Bevölkerung: 0 % Anteil am Vermögen
Die soziale Spaltung nimmt fortlaufend zu, begĂŒnstigt durch eine Steuerpolitik, welche die Umverteilung von unten nach oben begĂŒnstigt. Das alles ist unbestritten.
Soziale Spaltung bedeutet sowohl Privilegierung als auch Diskriminierung oder bei Mayer-Ahuja (aus der Rede beim DGB-FFM-Neujahrsempfang am11. Januar 2025):
zwei Prinzipen herrschen vor: âUnterschiedlichkeit und Konkurrenzâ
An dieser Stelle ist es interessant, auf die Frage einzugehen, wer eigentlich die AfD bzw. die Rechten wĂ€hlt bzw. wer ĂŒberhaupt (noch) wĂ€hlt.
Aus Untersuchungen wissen wir, dass der Anteil der WÀhlerinnen und WÀhler mit dem Einkommen und formaler Bildung wÀchst.
Wir haben auch eine Untersuchung zum Wahlverhalten von Gewerkschaftsmitgliedern, die nĂ€mlich bei der Landtagswahl 2023 in Hessen ĂŒberdurchschnittlich AfD gewĂ€hlt haben.
Das könnte darauf hindeuten, dass es weniger die prekĂ€r BeschĂ€ftigten oder die Ărmeren der Gesellschaft sind, die ĂŒberhaupt wĂ€hlen oder AfD wĂ€hlen, sondern eher die Mittelschicht, die den Abstieg fĂŒrchtet.
Bei den Gewerkschaftsmitgliedern sind es vermutlich die gegenĂŒber prekĂ€r BeschĂ€ftigten besser abgesicherten Facharbeiterinnen und Facharbeiter oder entsprechende Angestellte.
Weitere Zahlenbeispiele:
Bsp.: USA 2024
Trump wurde von 77,3 Millionen zum US-PrÀsidenten gewÀhlt. An der Wahl haben sich 88,6 Millionen gar nicht beteiligt.
Trump stĂŒtzt sich also auf knapp 32 % der Wahlberechtigten.
Beispiel Landtagswahl 8.10.2023 in Hessen
Die Regierungskoalition in Wiesbaden wurde von 1,397 463 Millionen Stimmen gewÀhlt, an der Wahl haben sich 1,446 527 Millionen gar nicht beteiligt.
Die Landesregierung stĂŒtzt sich also auf knapp 33 % der Wahlberechtigten.
Wir sehen: in beiden FĂ€llen kann sich die jeweilige Regierung nicht mehr auf eine Mehrheit der wahlberechtigten Bevölkerung berufen. Das gilt inzwischen fĂŒr die Mehrzahl der westlichen Demokratien.
Die Klassengesellschaft hat also – wie oben gezeigt – durchaus eine statistische und ökonomische Basis.
Was wir gegenwĂ€rtig feststellen mĂŒssen, ist ein verschĂ€rfter Klassenkampf dafĂŒr, dass das so bleibt.
Erinnert sei an die Worte des heute 94-jĂ€hrigen Warren Edward Buffett â mit geschĂ€tzten 141 Milliarden US-$ Privatvermögen (Forbes 2025) einer der erfolgreichsten Vermögensvermehrer der Welt:
âThere’s class warfare, all right, but it’s my class, the rich class, that’s making war, and we’re winning.â â Ben Stein: Interview New York Times, November 26, 2006. (Es herrscht Klassenkrieg, verstanden, aber es ist meine Klasse, die reiche Klasse, die den Krieg fĂŒhrt, und wir gewinnen.)
Die gegenwÀrtigen Auseinandersetzungen bei VW können das ganz gut illustrieren:
Wie verrĂŒckt ist das denn? Zu VW
Ein paar Zahlen zum Vergleich
1 Milliarde Euro soll durch Gehaltsverzicht bei den regulĂ€r BeschĂ€ftigten eingespart werden, âum ArbeitsplĂ€tze zu rettenâ
1,2 Milliarden Euro musste VW bislang an BuĂgeld in Deutschland zahlen
40 Milliarden Euro musste VW an BuĂgeld in den USA zahlen
1,58 Milliarden Euro betrug der Gewinn nach Steuern bei VW im 3. Quartal 2024
4.5 Milliarden Euro schĂŒttete die Volkswagen AG am 4. Juni 2024 fĂŒr das GeschĂ€ftsjahr 2023 insgesamt an seine AktionĂ€re aus
Die Dividendenrendite liegt aktuell bei 11,05%, die AusschĂŒttungen haben sich in den letzten 3 Jahren um 78,88% erhöht
40 Millionen Euro verdienten die zehn Mitglieder des VW-Vorstands 2023, davon VW-Vorstandsvorsitzender Oliver Blume 9,7 Millionen
Solche VerhÀltnisse können durchaus in Wut und Gegenwehr umschlagen.
Um allen Gefahren vorzubeugen, hat die âpostfaschistischeâ Partei der MinisterprĂ€sidentin Meloni in Italien jetzt eine Gesetzesvorlage eingebracht, die dazu dient, alle möglichen Protestformen gegen Sozialabbau rechtlich zu sanktionieren. Es gab Proteste von Hunderttausenden dagegen.
In den Medien scheint es hauptsĂ€chlich um eine Verwilderung von Moral und Diskurs zu gehen. Das stimmt, aber es reicht fĂŒr eine Analyse nicht aus:
Meines Erachtens haben wir es mit einer besonderen Politik-Variante der verschÀrften Auseinandersetzung um Macht und Gestaltung zu tun!
Stephan Hebel beispielsweise, der regelmĂ€Ăig in der FR seine Analyse veröffentlicht, meint: Die Mitte-Parteien machen âerhebliche Anleihen beim Neoliberalismusâ. Das ist viel zu zurĂŒckhaltend ausgedrĂŒckt!
Maier-Ahuja sieht âzwei Prinzipien, die nicht zueinander passen: Demokratie und Kapitalismusâ.
Deshalb spreche ich von der âFiktion Demokratieâ (wenn nĂ€mlich Demokratie mit prinzipiell gleichen Einflussmöglichkeiten gleichgesetzt wird – statt nur mit âInstitutionenâ oder Prinzipien wie Gewaltenteilung).
Konrad Ege sagt im Freitag (2/25) ĂŒber Trump: âDa braucht es keinen âFaschismusâ im traditionellen Sinn. Das BĂŒndnis mit der Oligarchie reicht.â
In Frankreich sagte der ehemalige VizeprĂ€sident des französischen Unternehmerverbandes Medef, Denis Kessler schon vor 18 Jahren: âEs geht darum, die zwischen 1944 und 1952 formulierten âReformenâ zu verlassen und mit Methode das gesamte Programm des Conseil nationale de la RĂ©sistance auseinanderzunehmen (âŠ); ohne Ausnahme.â
Auf Deutschland ĂŒbertragen hieĂe das, alle Fundamente des Sozialstaats, die als Antwort auf den Hitler-Faschismus und seine Kollaboration mit dem Kapital nach dem Ende des 2. Weltkriegs erfolgten, zu schleifen.
Manche kennen noch das âAhlener Programmâ der CDU von 1947, das mit den Worten beginnt:
Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden. Nach dem furchtbaren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruch als Folge einer verbrecherischen Machtpolitik kann nur eine Neuordnung von Grund aus erfolgen. Inhalt und Ziel dieser sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung kann nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben, sondern nur das Wohlergehen unseres Volkes sein. Durch eine gemeinwirtschaftliche Ordnung soll das deutsche Volk eine Wirtschafts- und Sozialverfassung erhalten, die dem Recht und der WĂŒrde des Menschen entspricht, dem geistigen und materiellen Aufbau unseres Volkes dient und den inneren und Ă€uĂeren Frieden sichert.
Mein Fazit: Darum geht es gegenwĂ€rtig â und die AfD ist nur eine Schraube, die das wieder zurĂŒckdrehen soll.
Hebel sagt: Eine wirkliche Reformpolitik, wie er sie versteht, sei bei den Parteien der vermutlich nĂ€chsten Bundesregierung kaum vertreten. Er meint damit eine Reformpolitik, wie sie in Meinungsumfragen immer wieder mehrheitlich geĂ€uĂert wird.
Der Bevölkerung bleibt nicht mehr viel Spielraum.
FĂŒr die demokratische Einflussnahme bleiben nur noch drei Möglichkeiten:
- entweder einer nachteiligen Politik entgegentreten oder
- sie als âalternativlosâ akzeptieren, oder:
- sie achselzuckend ĂŒber sich ergehen lassen, weil man sich nicht in der Lage sieht, daran etwas zu Ă€ndern.
Aber was heiĂt entgegentreten?
Hier kommt die Systemfrage wieder ins Spiel – ohne die wir bei der Beantwortung der Frage der Veranstaltung nicht auskommen.
Es geht nĂ€mlich nicht nur â und nicht einmal vorrangig nur â um Privatpersonen (wie es gegenwĂ€rtig den Anschein hat), sondern mehr noch um juristische Personen, um Unternehmen und ihre Antriebsmechanismen, die Kapitalrendite.
Damit wird der politische Spielraum noch mehr eingeschrĂ€nkt, insbesondere dann, wenn der Eindruck entsteht, dass die deutsche Wirtschaft von auslĂ€ndischen Unternehmen dominiert wird. (Statt Erdgas aus Russland: Frackinggas aus den USA; Nordstream 2 ist nur ein Haufen Schrott auf dem Meeresgrund â so Victoria Nuland, damals US-AuĂenministerium, aber auch der Einfluss von BlackRock, den IT-Unternehmen usw. Vgl. dazu etwa das Buch von Dohnanyi, Nationale Interessen)
Das ist kein Wunder, denn die wahren Entscheider sind lĂ€ngst die groĂen multinationalen Player und die Regierungen, die sie stĂŒtzen.
âDie fĂŒhrenden multinationalen Konzerne sind lĂ€ngst politische Akteure und nicht bloĂ ZaungĂ€ste in globalen Angelegenheiten.â (Makronom 2018)
Wenn die EinkĂŒnfte von Unternehmen mit denen von Staaten verglichen werden, lĂ€sst sich feststellen:
69 der reichsten Einheiten des Planeten seien Unternehmen und nicht Regierungen.
(Global Justice Now, 2018 mit Zahlen zu 2017)
Das hat auch etwas zu tun mit der âSystemrelevanzâ unserer Unternehmen und demzufolge mit ihrem tatsĂ€chlichen Einfluss jenseits der ĂŒblichen Demokratiemodelle mit ihrer âGewaltenteilungâ.
Weiterer Baustein fĂŒr die Beantwortung der Frage âWas hilft âŠâ :
Parallel zur Machtzunahme der Unternehmen schrumpft der Spielraum fĂŒr gewĂ€hlte Politik. Erfahrung von Ohnmacht oder Einflussverlust begĂŒnstigt aber die AfD.
Der verstorbene Soziologe Ulrich Beck beschrieb in seinen BĂŒchern (âRiskiogesellschaftâ und âGegengifte – Die organisierte Unverantwortlichkeitâ) eine Situation, die eigentlich eine politische Methode ist: âEin weitverzweigtes Labyrinth-System, dessen Konstruktionsplan nicht etwa UnzustĂ€ndigkeit oder Verantwortungslosigkeit ist, sondern die Gleichzeitigkeit von ZustĂ€ndigkeit und Unzurechenbarkeit, genauer: ZustĂ€ndigkeit als Unzurechenbarkeit oder: organisierte Unverantwortlichkeit.â (Herbert Storn in: Makroskop 31/24)
Die Folgen Ă€uĂern sich oft in der Zunahme von Krisensituationen
Am 8. Dezember 2023 gab die Gesellschaft fĂŒr deutsche Sprache (GfdS) in Wiesbaden das von ihr ausgewĂ€hlte Wort des Jahres 2023 bekannt: Krisenmodus.
Ulrich Beck schlug deshalb vor: âDie zentrale Frage, auf die die politische Entwicklung in der Gefahrenzivilisation sich zuspitzt, ist die Neuverteilung und demokratische Gestaltung der Definitionsmacht (âŠ) andere Kontroll- und SteuerungsverhĂ€ltnisse, andere MitbestimmungsverhĂ€ltnisseâ seien nötig.
Damit bin ich bei der Beantwortung der Frage Was hilft gegen Rechtspopulismus?
- Ich halte es fĂŒr hilfreicher, unscharfe Begriffe gegen klare Begriff auszutauschen, in diesem Fall Links/Rechts gegen Kapital/Arbeit.
Das wĂŒrde den Blick neu ausrichten und ungeeignete BĂŒndnispartner gegen geeignete austauschen.
- Wer Demokratie realisieren will, muss die MachtverhÀltnisse in den Blick nehmen und Macht einhegen.
DafĂŒr gibt es viele Wege:
- ZusammenschlĂŒsse statt Individualisierung, Gewerkschaften, SolidaritĂ€t statt Konkurrenz.
- Erhalt der GemeingĂŒter, Kampf gegen Privatisierung, weil Privatisierung den gesellschaftlichen Einfluss entzieht und den Antriebsmechanismus verĂ€ndert.
- Engagement in gemeinschaftlichen Initiativen.
- Interesse fĂŒr gesellschaftliche Fragen statt nur fĂŒr private Kreise
- Mitbestimmen wollen statt auf Anweisungen zu warten.
- Aber auch Lust auf Widerspruch.
- Verzicht auf Etikettierungen.
Das sollte erst mal reichen.