„Im Rheinischen Revier und in der Lausitz kratzen die größten Bagger der Welt 24 Stunden am Tag an 365 Tagen im Jahr gigantische Mengen an Braunkohle aus der Erde.
Das rheinische Braunkohlerevier ist damit die größte CO2-Quelle Europas. Jede Tonne Braunkohle, die RWE und Vattenfall aus der Erde holen und verbrennen, schmilzt fast zwei Tonnen Gletscher. Und zwar Jahr für Jahr. Das haben die Klima-Fachleute von Climate Analytics für Campact ausgerechnet.
• Jede Sekunde holen die größten Bagger der Welt in Deutschland fast 6 Tonnen Braunkohle aus der Erde.
• Die schmelzen 11 Tonnen Gletscher – Sekunde für Sekunde.
• Jede Minute sind es 660 Tonnen, jede Stunde fast 40.000 Tonnen, jeden Tag 950.000 Tonnen Gletscher.
Alles durch deutsche Braunkohle. Der komplette Irrsinn – Klimazerstörung mit deutscher Effizienz und Gründlichkeit.“

Dies steht seit 2015 auf der Homepage der Kampagnen-Plattform Campact. Es ist das Kurzprotokoll eines Umweltverbrechens, für das es bisher keine Paragraphen gibt. Alles geschah und geschieht legal, unter den Augen der Öffentlichkeit, die lieber wegschaute oder sich damit tröstete, dass später immer noch genug Zeit ist, das Schlimmste zu verhindern.

Damit ist es jetzt vorbei. Die Protestbewegung gegen die vom Energiekonzern RWE geplante Abholzung der letzten Reste des Hambacher Forstes zugunsten der weiteren Braunkohleförderung entwickelte sich so rasant und so erfolgreich, dass die Medien in großer Aufmachung darüber berichten. Es gelang der nordrhein-westfälischen Regierung nicht, diese Bewegung durch Polizeieinsätze gegen friedliche Baumbesetzer und Demonstrationsverbote in ein kriminelles Licht zu rücken. Die Mehrheit der Bevölkerung in NRW hat genug von den Waldrodungen und Landschaftszerstörungen für den Tagebau.

Nach einer Umfrage sind 75 Prozent der Bundesbürger gegen die Pläne von RWE und 73 Prozent für einen Kohleausstieg bis spätestens 2030 (ZEIT online, 19. September 2018).

Immer mehr setzt sich die Erkenntnis durch, dass ein schneller Ausstieg aus der Braunkohle als dem schmutzigsten aller Energielieferanten notwendig ist. Zwar hat die Große Koalition „realistischerweise“ erklärt, dass das für Deutschland angestrebte Ziel der Reduktion des CO2-Ausstoßes in den nächsten Jahren nicht mehr erreichbar ist. Aber immerhin wurde eine Kommission eingerichtet, die ein Datum für das Ende der extrem klimaschädlichen Kohleverstromung und Konzepte für einen sozialverträglichen Strukturwandel in den drei Braunkohle-Revieren in der Lausitz, in Mitteldeutschland sowie im Rheinland vorschlagen soll.

Dabei ist höchste Eile geboten, wie die „Heißzeit“ in diesem Sommer gezeigt hat. Von den deutschen Parteien leugnet nur die AfD, dass die gegenwärtige Erderwärmung menschengemacht ist. Aber selbst AfD-Wählern müsste allmählich dämmern, dass diese Erwärmung und ihre katastrophalen Folgen keine Erfindungen sind, um die Deutschen von ihrem angeblich eigentlichen Problem – den Flüchtlingen – abzulenken. Sie werden sich auf die Dauer nicht um die Erkenntnis herummogeln können, dass der Klimawandel – verbunden mit der grotesken Ungleichverteilung der Lebenschancen weltweit – selbst eine Ursache von Flucht und Migration darstellt.

Als die neurechte Wochenzeitung „Junge Freiheit“ am 17. August 2018 einen Aufmacher unter dem Titel brachte: „Darauf ein kühles Blondes! Die grünen Panikmacher: Waldsterben und Ozonloch kamen und gingen – nun also eine neue ‘Heißzeit’“, erhob sich in ihren Leserbriefspalten immerhin einiger Protest gegen „postfaktische“ Klimaleugner à la Trump und Co. Schließlich nehmen auch die Rechten den „Natur- und Heimatschutz“ für sich in Anspruch.

Die Propaganda der Unternehmerseite ist schwerer zu durchschauen und zu widerlegen. So nannte der RWE-Vorstandschef Schmitz die Abholzung des Hambacher Forsts „’zwingend erforderlich’, um die Stromproduktion in den angeschlossenen Kraftwerken ohne Stillstand aufrechtzuerhalten. RWE sehe sich auch nicht in der Lage, der Forderung von Umweltverbänden nachzukommen und die Rodungen so lange auszusetzen, bis die Kohlekommission ihre Arbeit abgeschlossen hat. Alle notwendigen Genehmigungen für die Rodungen seien erteilt“ („RWE will Fakten schaffen“, Frankurter Rundschau vom 21. August 2018).

Argumentiert wird, wie immer in solchen Fällen, mit der Sicherung von Arbeitsplätzen. So seien im Tagebau Hambach, in den dazu gehörenden Kraftwerken und Verdelungsbetrieben (wie etwa Koks- und Brikettproduktion) rund 4.600 Menschen beschäftigt. Sollen denn deren Arbeitsplätze durch ökologische Bedenken gefährdet werden?

Leider lassen sich auch Gewerkschaften auf diese Argumentation ein – Belegschaften werden immer wieder mit ihr mobilisiert. Als Beispiel sei eine Demonstration am 24. Oktober 2018 genannt, in der RWE-Beschäftigte sich gegen einen schnellen Kohleausstieg positionierten. 30 000 Menschen nahmen daran teil.

Dabei könnten „freigesetzte“ Arbeitskräfte, die bisher beim Raubbau an der Natur halfen, zum Beispiel in sinnvollerer Weise beim Umweltschutz eingesetzt werden. Aber das würde ja nicht nur die Unternehmerfreiheit einschränken, sondern auch Umschulungskosten mit sich bringen. Wer soll das bezahlen, wer hat soviel Geld? Das würde ja eine Wirtschaft bedeuten, die langfristig gesehen dem Wohl des ganzen Volkes dient, wie es auch in der Landesverfassung von Nordrhein-Westfalen niedergelegt ist. Wo kämen wir denn da hin?

Schnell wird klar, dass es hier um Verteilungs- und Machtfragen geht. Die gesundheits- und sozialschädlichen Folgen einer am Gewinn orientierten Produktion sollen auf die Allgemeinheit abgewälzt werden. In seinem gerade im S. Fischer-Verlag erschienenen Buch „Die Diktatur der Konzerne“ legt Thilo Bode, Gründer der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch dar, dass das Verursacher-Prinzip nicht mehr gilt, wenn Gesundheit und Leben der Bürger durch die kapitalistische Produktionsweise bedroht sind. Vielmehr habe sich „ein industriell-politischer Komplex herausgebildet, in dem Konzerne und Politik zum gegenseitigen Nutzen eine Zweckgemeinschaft bilden, die keine Entscheidungen mehr gegen Konzerne trifft.“

Am Beispiel des „Dieselgate“ zeigt Bode, dass VW inmitten des Betrugsskandals seinen Nettogewinn 2017 auf 11.4 Milliarden Euro verdoppeln konnte: „VW & Co. sind sakrosankt, unangreifbar, so wie die Waffenbranche in den USA. Ihr Schicksal wird zum Schicksal des ganzen Landes erklärt. Das Wohlergehen der Konzerne ist Staatsräson.“ Das Angebot von Bundeskanzlerin Merkel, lieber die Abgasnormen herabzusetzen, als die Autoindustrie zu einer Nachrüstung ihrer umweltschädlichen und gesundheitsgefährdenden Produkte zu bewegen, ist nur ein weiterer Beleg dafür.

Ob das im Fall RWE auch so sein wird, wird sich herausstellen. Immerhin hat ein Gericht die Abholzung des Hambacher Forsts erst einmal gestoppt. Der Kampf zur seiner Erhaltung entwickelt sich zu einer Auseinandersetzung wie es sie um die atomare Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf und das Endlager für Atommüll in Gorleben gegeben hat. Die massiven – und im Fall Wackersdorf erfolgreichen – Proteste waren seinerzeit wichtige Schritte hin zum deutschen Ausstieg aus der Atomenergie. Der Ausstieg aus der Kohle ist ebenso unabdingbar, um die Lebensbedingungen der Menschen im Land und der künftigen Generationen zu sichern.

Kleiner Exkurs über Widersprüche

Dass auch Kohle-Kumpels nicht einseitig nur ihre Arbeitsplatz-Interessen sehen und verteidigen müssen, zeigt das Beispiel des Baggerfahrers und Liedermachers Gerhard Gundermann, der zu Zeiten der DDR und auch noch danach im Lausitzer Tagebau gearbeitet hat. Über sein Leben ist Ende August dieses Jahres ein vielbeachteter Film in die Kinos gekommen. In einem wieder aufgelegten Buch, das Gespräche mit ihm aus den Jahren 1995 und 1997 enthält, ist zu lesen, wie er sich mit den ökonomischen und ökologischen Fragen der Kohleproduktion auseinandergesetzt hat.

“Gerhard Gundermann: Wenn von Braunkohle die Rede ist, dann auch gleich von Schadstoffemissionen und weggebaggerten Dörfern. Das ist auch alles richtig. Aber in dieser Diskussion wird meist vergessen, daß hier nur ein gut sichtbarer, extrem schmerzhafter Modellfall vorliegt – für eine Konfliktsituation, die auf die Gesellschaft insgesamt zutrifft: Die Menschen, die von der Industrie leben, können nicht mit der Industrie leben. Schmerzhaft im Bergbau ist besonders: Alles, was wir verbrauchen, wie es so schön heißt, ist auch verloren. Wenn wir traditionell Energie gewinnen, indem wir Heimat verheizen, ist Wärme gewonnen, aber Heimat verloren. Es tut so weh, weil der Konflikt hier in der Lausitz Mann gegen Mann abläuft: Bergleute, die für ihre Arbeitsplätze demonstrieren, stehen gegen Dörfler, die ihre Lebensplätze verteidigen… Dieser Konflikt ist unsere einzige Chance, zu begreifen, daß wir nur das verbrauchen sollten, was wieder nachwächst, und auch davon nur so viel, daß es wieder nachwächst. Es ist wie mit der Kuh, die man melken oder fressen kann – aber wenn man sie gefressen hat, kann man sie nicht mehr melken…

So wie es einen Generationenvertrag gibt, müßte es auch so eine Art Technologievertrag geben. Ich weiß, daß Braunkohleförderung eine erd- und menschenschädigende Arbeit ist, zugunsten eines aktuellen menschlichen Nutzens… Um auf den Technologievertrag zu kommen: Nun mache ich also Energie, die gebe ich Leuten, die in ihrem Büro unter ihrer Lampe sitzen, und die sollen nachdenken und zeichnen und Lösungen finden, wie man den Strom auf bessere Weise kriegen kann. Ich fahre also nur so lange Bagger, bis der Technologe unter seiner Schreibtischlampe fertig ist mit seinen Forschungen und Entwicklungsangeboten. Das wäre für mich der Punkt. Aber nichts da. Die Gesellschaft sagt nur, Gundermann, du Barbar, mach unsere Dörfer nicht kaputt! Sie sagt aber nicht, Wissenschaftler, beeil dich mal, entwirf Zukunftstechnologien, der Gundermann will endlich runter vom Bagger!” (Hans Dieter Schütt: Tankstelle für Verlierer. Gespräche mit Gerhard Gundermann. Eine Erinnerung, Dietz Verlag, Berlin 2018, S. 29 ff.)

Vom Ende des „Fossilismus“

Das Ende der „fossilistischen Produktionsweise“, die auf der Nutzung fossiler Energieträger wie Kohle, Erdöl und Erdgas basiert, ist auch wegen der begrenzten Ressourcen absehbar, aber weltweit noch nicht in Sicht. Die Umstellung auf erneuerbare Energien kostet Zeit und Geld. Solange umweltschädliche Energieformen noch preiswert verfügbar und durch Gesetze in der Nutzung nicht eingeschränkt oder untersagt sind, werden sie genutzt. Nimmt man als Beispiel China, das wegen seiner forcierten industriellen Entwicklung mit rund 28 Prozent der globalen Treibhausgas-Emissionen vor den USA mit 16 Prozent den größten Anteil hat, so lässt sich feststellen: „China ist zwar inzwischen unangefochten weltweit Anführer beim Ausbau der erneuerbaren Energien. So sollen bis 2030 rund 20 Prozent der Energieerzeugung nicht-fossil erfolgen. Doch die neue Entwicklung zeigt: Die Kohle ist noch längst nicht abgemeldet – im Inland genauso wenig wie im Ausland, wo chinesische Konzerne vor allem auch in Entwicklungsländern viele Kraftwerke bauen.“ (Joachim Wille: „China heizt wieder ein“, Frankfurter Rundschau vom 21. August 2018)

Der Preis dafür ist hoch. Der infolge der Klimaerwärmung steigende Pegel des Meeres bedroht die küstennahen Lebensräume von Millionen von Menschen. Am Beispiel der indonesischen Metropole Jakarta lässt sich das zeigen:
„Während Indonesiens Hauptstadt im Norden, in dem viele Angehörige der chinesischen Minderheit und Slumbewohner leben, in zunehmend rasanterem Tempo im Sumpf des Deltagebiets mit 13 Flüssen versinkt, steigt das Meer jährlich aufgrund der Klimaerwärmung um drei Millimeter an. 40 Milliarden US-Dollar soll Jakartas gigantischer Wall zum Schutz gegen das steigende Wasser kosten.

Doch die ursprüngliche Idee, das sündhaft teure Vorhaben mit den Steuern der milliardenschweren Bauunternehmer zu finanzieren, die vor der Küste nach dem Vorbild Dubais eine Luxusenklave auf künstlich geschaffenem Land planten, scheint mittlerweile begraben zu sein. Hinzu kam die Erkenntnis, dass der Große Garuda nicht nur Meerwasser fernhalten würde. Der Damm könnte auch endgültig den Abfluss des Drecks verhindern, der jetzt schon Jakartas Wasserläufe verstopft.

Da die privaten Wasserversorger der Hauptstadt lediglich 40 Prozent der benötigten Menge liefern, greifen die Besitzer auf das Prinzip zurück, das in der ganzen Hauptstadt angewandt wird. Sie pumpen Grundwasser in ihre Wassertanks. In den Kumpang, wie die Slums der Hauptstadt heißen, wird die Methode ebenso angewandt wie in Eigenheimen oder Apartmentblocks mit günstigen Ein-Zimmer-Studios. Die Folge: Die Bodenschichten fallen wegen des Grundwassermangels in sich zusammen. Die Stadt versinkt.

Experten sind überzeugt, dass 90 Prozent der so entstehenden Probleme mit der Stabilisierung des Grundwassers entschärft werden könnten. Gerettet würde Jakarta dennoch nicht. Denn der steigende Meeresspiegel bedroht angesichts mangelnder internationaler Bemühungen, das Abschmelzen der Pole zu verlangsamen oder gar zu stoppen, selbst die Viertel Jakartas, die bisher noch nicht im Erdboden versinken.“ (Willi Germund: „Stadt unter dem Meer“, Frankfurter Rundschau vom 22. August 2018)

Klar wird an diesem Beispiel, welche Rolle die gesellschaftlichen Besitz- und Machtverhältnisse spielen, wenn es um den Klimawandel, seine Folgen und den Umgang mit ihnen geht. Die „fossilistische Produktionsweise“ war und ist eng verbunden mit der kapitalistischen Form des Wirtschaftens, von der schon Marx sagte, dass sie mit wachsender Produktion „zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter“. „Fossilistisch“ kann in einem übertragenen Sinn also auch noch anders verstanden werden: Als Hinweis auf überkommene, feudale, fossile Machtstrukturen, die mit dem Eigentum an Produktionsmitteln zusammenhängen und mit einer modernen Demokratie und den wohlverstandenen Lebensinteressen der Menschen eigentlich nicht vereinbar sind. Das Ende des Fossilismus wäre in diesem Sinne erst mit dem Ende der Kapitalherrschaft erreicht.

 

Der Autor
Reiner Diederich war bis 2006 Professor für Soziologie und Politische Ökonomie an der FH Frankfurt a. M.