Wie die Mafia

Dass Donald Trump beim Aufbau seines Immobilien-Imperiums auch Deals mit Mafiakreisen gemacht hat, ist derzeit wohl nicht zu beweisen. Dass er sich aber vor der Justiz so verhält, wie sich nach seiner eigenen Einschätzung nur Mafiosi verhalten, hat er nun selbst belegt.

Seit Jahren laufen Untersuchungen zu betrügerischen Geschäftspraktiken seiner Firmen. Die Frankfurter Rundschau schreibt dazu: „Nach Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft sollen der Milliardär und seine Helfer:innen über Jahre den Wert seiner Golfclubs, Hotels und sonstigen Besitztümer je nach Bedarf fälschlich klein- oder großgerechnet haben. Gegenüber dem Finanzamt wurden vor allem Verluste präsentiert. Bei Versicherungen und Banken aber sollen mit überzogenen Angaben günstige Kredite und Konditionen erschlichen worden sein.“ („Der Selbstdarsteller schweigt“, FR vom 12. August 2022)

Während einer vierstündigen Vernehmung unter Eid im Büro der New Yorker Generalstaatsanwältin Letitia James wegen dieser Vorwürfe nannte er nur seinen Namen und berief sich im übrigen mehr als 400-mal auf den fünften Verfassungszusatz. Dieser erlaubt es Beschuldigten, die Aussage zu verweigern, wenn sie sich ansonsten selbst belasten könnten. Trump hatte gute Gründe dafür. Allzu leicht hätte er sich in Widersprüche verwickeln können.

Als Hillary Clinton, seine Konkurrentin um den Präsidentenposten, vor ein paar Jahren das Gleiche tat, meinte er nur: „Warum beruft man sich auf den fünften Zusatzartikel, wenn man unschuldig ist?

Es versteht sich, dass Trump die Generalstaatsanwältin, eine Afroamerikanerin, nun vorab als Rassistin beschimpfte und die Untersuchung seiner Geschäfte als „die größte Hexenjagd der Geschichte“ bezeichnete.

Die FR kommentierte den Vorgang wie folgt: „Politisch und rechtlich könnte die Aussageverweigerung für den Mann jedoch zum Problem werden. Immerhin hatte er noch 2016 erklärt: ‘Nur die Mafia beruft sich auf den fünften Zusatz.’“

Eine neue Studie befeuert die Debatte um Übergewinnsteuern

Die aktuell massiven Preissteigerungen für Gas, Strom, Öl und Nahrungsmittel, ausgelöst vor allem durch den Krieg gegen die Ukraine, stürzen viele Menschen in finanzielle Not. Andererseits erzielen vor allem Mineralölkonzerne und Stromproduzenten (und Rüstungskonzerne) extrem hohe Extraprofite, ohne dass sich ihre Produktionskosten verteuert hätten. Europäische Nachbarländer aber zeigen, dass etwas gegen diesen Prozess der sozialen Polarisierung unternommen werden kann – beispielsweise durch die Einführung einer temporären Übergewinnsteuer auf Extraprofite. In Deutschland aber, so heißt es im Vorwort einer jüngst vorgelegten Studie des Netzwerks Steuergerechtigkeit, würde die Ampelkoalition vor allem auf Betreiben der FDP und durch das Stillhalten von Grünen und SPD diesen Weg blockieren. Als wenig stichhaltige Argumente werde etwa angeführt, dass eine Übergewinnsteuer rechtlich nicht möglich oder technisch nicht realisierbar sei oder zu wenig einbringe.

Zwei Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags würden dagegen das Gegenteil belegen: Eine Übergewinnsteuer in Deutschland ist juristisch machbar. Auch der Einwand von Bundesfinanzminister Lindner (FDP), Übergewinne ließen sich „amtlicherseits“ nicht feststellen, sei widerlegt. Ökonomisch und politisch gäbe es eine Reihe von Ansätzen, Übergewinne zu ermitteln und die Übergewinne der Mineralölkonzerne in Deutschland zu besteuern. Die Gegenargumente seien vor allem „eine ideologisch und verteilungspolitisch motivierte Verteidigung des Status Quo“. (Seite 6)

Die vorliegende Studie analysiert deshalb die Preisentwicklung und die Gewinne ausgewählter Mineralölkonzerne, belegt die Höhe der Kriegsgewinne in Deutschland und weltweit und zeigt, wo sie bisher versteuert werden.

Auf Seite 5 heißt es:

„Die sechs analysierten Mineralölkonzerne (Saudi Aramco, BP, Total, Shell, ExxonMobile und Wintershall Dea) haben ihre Gewinne im ersten Halbjahr 2022 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum trotz hoher Abschreibungen auf Nord Stream 2 und das russische Geschäft um rund 60 Milliarden US-Dollar erhöht. Auf den gesamten Mineralölmarkt hochgerechnet ergibt sich ein Übergewinn von rund 430 Milliarden US-Dollar; für das ganze Jahr wären es sogar rund 1.160 Milliarden US-Dollar. Aus dem Preisanstieg seit Kriegsbeginn (…) ergeben sich aus den deutschen Verbrauchswerten rechnerisch Übergewinne von 38 Milliarden Euro (Öl) beziehungsweise 25 Milliarden Euro (Gas) für ein Jahr. Bei den Produzenten von Strom aus Kernkraft und erneuerbaren Energien entstehen aus dem Preisanstieg um 140 Euro pro MWh zusätzliche Übergewinne von etwa 50 Milliarden Euro – ein großer Teil davon bei den vier großen Stromkonzernen. Weil aber BP und die anderen Mineralölkonzerne einen beträchtlichen Teil ihrer Gewinne in Steueroasen wie Singapur oder die Schweiz verschieben, und ein anderer großer Teil der Gewinne in den Produktionsländern verbucht wird, würde die nach traditioneller Methode berechnete Unternehmenssteuer nur einen kleinen Teil der Gewinne erfassen. Je nach Ausgestaltung und Steuersatz (25, 50 oder 90 Prozent) könnte eine Übergewinnsteuer trotzdem Einnahmen von rund 30 bis 100 Milliarden Euro pro Jahr generieren.“

Die EU-Kommission, so die Studie, erwäge eine europäische Übergewinnsteuer, einige europäische Länder, darunter Großbritannien, Italien, Spanien, Griechenland, Rumänien und Ungarn, hätten solche Steuern eingeführt, entwickelten sie gerade oder weiteten sie aus (etwa Spanien mit Blick auf die Banken). Auch Deutschland sollte deshalb kurzfristig eine Übergewinnsteuer für Mineralölkonzerne und Stromproduzenten einführen. Diese sollte nach dem Vorbild nationaler Digitalsteuern anderer Länder gestaltet werden, also die in Deutschland zu versteuernden Gewinne anhand des Umsatzes, der in Deutschland anfällt, ermittelt werden. Mittelfristig sollte die Bundesregierung auf eine allgemeingültige, international abgestimmte Steuer hinwirken.

Die linke Tageszeitung junge Welt kommentiert die Studie wie folgt:

„Fünf Monate sind vergangen, seit die EU-Kommission Leitlinien für Übergewinnsteuern veröffentlicht hat. In Italien gibt es sie inzwischen für Mineralöl- und Stromunternehmen, in Griechenland, Rumänien und Spanien für Stromerzeuger. Spanien hat zudem gerade die Sonderbesteuerung des Bankensektors angekündigt, Ungarn besteuert eine Vielzahl von Branchen, das aus der EU ausgetretene Großbritannien wenigstens die lokale Öl- und Gasförderung. EU-weit scheint wenig und in der BRD nichts zu machen.
Dafür steht Finanzminister Christian Lindner (FDP), der mit fadenscheinigen Argumenten nicht nur die Existenz von Übergewinnen in Abrede stellt, sondern auch die von Konzernen.“

Kathrin Witsch, Redakteurin des wirtschaftsliberalen Handelsblatt, zeigte sich Mitte Juni noch ablehnend gegenüber einer Besteuerung von Übergewinnen
(http://big.businesscrime.de/nachrichten/uebergewinnsteuern-gegen-missbrauchte-marktmacht/) Die vorliegende Studie scheint sie nun davon überzeugt zu haben:
„Länder wie Italien, Griechenland oder Großbrtitannien haben eine Form der Steuer auf Übergewinne längst eingeführt, die EU-Kommission hat dafür schon im Frühjahr grünes Licht gegeben. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) lehnen das Instrument bislang hartnäckig ab. Schließlich sei eine solche Steuer ‚technisch sehr herausfordernd‘. Dabei behauptet niemand, dass eine solche Übergewinnsteuer einfach umsetzbar wäre. Das ist die Gasumlage allerdings auch nicht. Aber siehe da – es geht. Darum sollte wenigstens eine Diskussion über eine solche Steuer geführt werden.
Vielleicht hilft ja etwas Motivation. Eine neue Studie des Netzwerks Steuergerechtigkeit für die Linken-nahe Rosa-Luxemburg-Stiftung kommt jetzt zu einem interessanten Ergebnis: Je nach Ausgestaltung und Steuersatz könnte eine Besteuerung der Öl-, Gas- und Stromkonzerne dem Staat ‚Einnahmen von rund 30 bis 100 Milliarden Euro pro Jahr generieren‘.“

Quellen:

Christoph Trautvetter/David Kern-Fehrenbach: „Kriegsgewinne besteuern: Ein Beitrag zur Debatte um Übergewinnsteuern“. Studie des Netzwerk Steuergerechtigkeit im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Berlin, August 2022
https://www.rosalux.de/publikation/id/46854/uebergewinnsteuer 

Alexander Reich: „Es wäre das mindeste“, junge Welt vom 17. August 2022
https://www.jungewelt.de/artikel/432727.energiekrise-es-w%C3%A4re-das-mindeste.html 

Kathrin Witsch: „RWE und Shell: Der Verzicht auf die Gas-Umlage ist alles andere als selbstlos“, Handelsblatt vom 16. August 2022

Das Versagen der Analysten

Im Juni 2020 kollabierte der börsennotierte deutsche Zahlungsabwickler und Finanzdienstleister Wirecard. Schon Jahre zuvor, 2015, hatte ein Journalist der Financial Times Hinweise über Unstimmigkeiten in den Bilanzen des Konzerns erhalten und in der Folge darüber berichtet. Auch der britische Shortseller Fraser Perring warf im Jahr 2016 Wirecard betrügerische Machenschaften und Bilanzfälschung vor. Dass viele Analystinnen und Analysten bis zuletzt auf Wirecard gesetzt hatten und damit kolossal versagten, ohne aber mit Konsequenzen rechnen zu müssen, beschreibt ein Artikel der WirtschaftsWoche vom 22. Juli 2022. Dort heißt es: „Die Worte und Reports von Analysten können Millionen und Milliarden bewegen, Kleinsparer wie Großinvestoren legen ihr Geld entsprechend den Empfehlungen an – solange die Börsenbeobachter glaubwürdig erscheinen.“ 

Der Wirecard-Skandal aber habe dem Ruf der Aktienanalysten einmal mehr schwer geschadet, denn schon nach dem Zusammenbruch des Neuen Markts um die Jahrtausendwende habe er schwer gelitten. So erhielt eine Analystin der Commerzbank Ende 2019 den „Schmäh-Preis“ einer Investmentfirma: Sie wurde „zur besten Analystin für die schlechteste Wertpapieranalyse“ ausgezeichnet. Selbst danach, noch einen Monat vor dem Kollaps von Wirecard, erwartete sie, deren Aktie könne auf 230 Euro steigen, damit einen Aufschlag von 173 Prozent auf den damaligen Aktienkurs erreichen. Die „Expertin“ war jedoch mit ihrer (Fehl-)Einschätzung nicht allein.

„Besonders kurios wirken etwa die Empfehlungen der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW). Noch 2017 riet deren Analyst zum Verkauf der Aktie, 2018 wechselte er zu einem ‚Halten‘-Votum. Erst nachdem in der ‚Financial Times‘ zwei Berichte zu Bilanzfälschungsvorwürfen erschienen waren und der Kurs eingebrochen war, empfahl er die Aktie zum Kauf. Dieses ‚Kaufen-Rating‘ behielt der Analyst der LBBW sogar noch bei, als im April 2020 der KPMG-Bericht zu Wirecard erschien. Der Bericht offenbarte schwere Mängel: Die KPMG-Leute konnten eine Milliarde Euro Bankguthaben und entsprechende Umsätze nicht aufspüren.“

Auch andere Banken (wie die Warburg-Bank) präsentierten Wirecard-freundliche Analysen. Zum Beispiel die Münchner Baader-Bank, die die Aktie zwischen dem „erschreckenden KPMG-Bericht“ im April 2020 bis zur Pleite Mitte des Jahres sieben Mal empfahl. Offensichtlich arbeitet der Analyst weiterhin bei Baader. Auch ein Analyst der Privatbank Hauck Aufhäuser, der dem Betrug Wirecards ebenfalls auf den Leim ging, arbeitet weiter für die Bank, „beobachtet derzeit etwa die SDax-Titel 1&1 und Hypoport. Zu seinen vier ‚Kaufen‘-Empfehlungen zählt unter anderem die Wallstreet Online AG, die durch Verbindungen zu einem verurteilten Anlagebetrüger auffiel“.

Quelle:

Georg Buschmann/Lukas Zdrzalek: „Gezielte Desinformation“, WirtschaftsWoche vom 22. Juli 2022, Seite 78-80 (Printausgabe)

Kontrolleure mit (etwas mehr) Biss

Als weithin skandalös gilt, dass Unstimmigkeiten in den Bilanzen großer Konzerne in der Vergangenheit eher von Shortsellern als von der Finanzaufsicht BaFin entdeckt und veröffentlicht wurden.

In einem Report aus dem Herbst 2019 schrieb die Bürgerbewegung Finanzwende:

„Die BaFin bleibt in vielen Aufgabenbereichen deutlich hinter ihren Möglichkeiten zurück. Häufig fehlt es ihr an Tatkraft oder dem Willen einzugreifen. Oder wie es ein genervter Rechtsanwalt kürzlich ausdrückte: Die Finanzaufsicht sei zu oft ‚schuldig durch Nichtstun‘. Als harte Truppe sind die Aufseher der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) unter Verbraucherschützern und Anlegeranwälten nicht gerade bekannt. Im Gegenteil: Ihnen agiert die Aufsicht oft nicht energisch genug, vielen gilt sie als ‚zahnloser Tiger‘.“

Nach dem Versagen der Behörde im Wirecard-Skandal des Jahres 2020, welcher gravierende Mängel bei den Kontrollmechanismen offenlegte, kündigte der Bundesfinanzminister deshalb eine Reform der BaFin an. Mitte des letzten Jahres beschloss der Bundestag ein entsprechendes Gesetz. Unter anderem wurde die Zahl der Mitarbeiter um etwa 150 aufgestockt, so dass die BaFin aktuell rund 2.800 Personen beschäftigt.

„Die reformierte Finanzaufsicht will härter, schneller und risikobereiter werden“, heißt es auf tagesschau.de. Die BaFin wirke entschlossener als bisher, so eine Expertin von Finanzwende gegenüber dem ARD-Nachrichtenportal; eine härtere Gangart sei schon sichtbar.

Das Wirtschaftsmagazin Finance weist in seiner aktuellen Ausgabe darauf hin, dass die Bilanzen deutscher Unternehmen 17 Jahre lang von der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) unter die Lupe genommen worden seien. Nicht zuletzt im Zusammenhang mit Wirecard habe die Institution aber wegen einer zu schlechten Ausstattung ihre Unfähigkeit gezeigt, Bilanzmanipulationen großen Ausmaßes zu erkennen. Seit Januar 2022 ist nun die BaFin für die Bilanzkontrolle zuständig. Finance beschreibt das bisherige, unbefriedigende Prozedere:

„An die Kontrolle durch die DPR hatten sich Konzerne, ihre CFOs und Abschlussprüfer über die Jahre hinweg gewöhnt. Das Vorgehen: Die Prüfstelle wurde per Stichprobe oder auf einen Anlass hin aktiv, der Prüfung musste das Unternehmen dann erst einmal zustimmen, danach lief eine ausreichend lange Frist, um die angeforderten Dokumente vorzulegen. (…) Waren die Geprüften mit dem Urteil der DPR nicht einverstanden, folgte noch ein langes Ringen, und erst in einem finalen Schritt wurde die Bafin eingeschaltet. Fand die DPR einen Fehler, wurde dieser im Bundesanzeiger veröffentlicht – für die Öffentlichkeit kaum wahrnehmbar und in einer derart kryptischen Formulierung, dass die meisten Anleger damit ohnehin nichts anfangen konnten. Vor allem aber dauerten die Untersuchungen meist so lange, dass der Fehler am Ende eine Bilanz betraf, die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung schon mehrere Jahre alt war. Die Folge: Kaum ein Investor interessierte sich noch dafür, den Unternehmen drohte nur in den seltensten Fällen wirkliches Ungemach.“

Die BaFin forciert jetzt offensichtlich den Druck. So sollen Bilanzmanipulationen möglichst früh identifiziert und strafrechtlich relevante Sachverhalte gemeinsam mit der Staatsanwaltschaft aufgeklärt werden. Auch kann die BaFin bereits mit Beginn der Prüfung sowohl den Namen des Unternehmens als auch den Grund für die Untersuchung bekannt geben. Prüfungen sollen in drei bis sechs Monaten abgeschlossen sein und sich nicht mehr über Jahre hinziehen. Außerdem hat die BaFin nun ein Vorlade- und Vernehmungsrecht gegenüber Organmitgliedern, Mitarbeitern und Abschlussprüfern, so das Magazin Finance.

Die „neue Kampfeslust der Bafin-Beamten“ (Süddeutsche Zeitung vom 3. August 2022) zeigt sich offenbar in der Konfrontation mit einem Immobilienriesen, der Adler Group. Der Konzern, so der Vorwurf, habe sich ein großes Entwicklungsprojekt in Düsseldorfer Stadtteil Gerresheim schöngerechnet, das heißt, es sei um eine Viertelmilliarde Euro zu hoch bewertet worden (vgl. Artikel zur Adler Group vom 4. Juli 2022;  http://big.businesscrime.de/category/artikel/). Nach Angaben der BaFin, so berichtet die Süddeutsche Zeitung, veröffentliche die Behörde zum ersten Mal „eine solche Teil-Fehlerfeststellung“. Die Behörde untersuche also nicht mehr im Stillen so lange vor sich hin, bis es zu spät sei und Anleger alles verloren hätten. Allerdings – so die Einschränkung – stammten die Vorwürfe rund um Adler aus dem vergangenen Herbst und die Aktie hätte seitdem mehr als drei Viertel an Wert verloren.

Die Süddeutsche Zeitung kommentiert:

„Für ein Lob der neuen Bafin ist es noch zu früh; die Adler-Bilanzkontrolle ist ein erster Test, den die Behörde noch nicht bestanden hat. (…) Es waren stets andere, die zuerst auf Missstände hinwiesen. Die Finanzaufsicht deckt selten etwas auf. Immerhin verspricht sie jetzt, allen Hinweisen konsequent nachzugehen. (…) Bis die Bafin gefürchtet sein wird wie die US-Börsenaufsicht SEC mit ihren Megabußgeldern, ist es aber noch ein weiter Weg.“ (Süddeutsche Zeitung vom 4. August)

Quellen:

Bürgerbewegung Finanzwende e. V (Hg.):  „Die Akte BaFin. Zu mutlos, zu langsam, zu formal – wie die deutsche Finanzaufsicht besser werden kann“, Oktober 2019.

https://www.finanzwende.de/themen/finanzaufsicht-bafin/finanzwende-report-die-akte-bafin/

Ursula Mayer (HR): „Finanzaufsicht nach Reform: Der Riese BaFin erwacht allmählich“, tagesschau.de vom 3.Mai 2022

https://www.tagesschau.de/wirtschaft/finanzen/bafin-119.html

Julia Schmitt: „Das Ende des zahnlosen Tigers“, Finance vom Juli/August 2022, Seite 64-65 (Printausgabe)

Jan Diesteldorf/Stephan Radomsky: „Die Kontrolleure beißen zu“, Süddeutsche Zeitung vom 3. August 2022 (Online)

https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/adler-immobilien-bafin-1.5633156

Jan Diesteldorf: „Jetzt wir kontrolliert“, Süddeutsche Zeitung vom 4. August 2022 (Online)

https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/bafin-kommentar-adler-wirecard-1.5633893

 

 

Private Fluchtprogramme der Superreichen

„Galoppierende Preise. Der Zusammenbruch des Finanzsystems. Das nächste Virus. Vielleicht sogar ein Atomkrieg. Alles möglich. Und jeder reagiert auf die Unsicherheit, auf seine Weise (…) Und die Superreichen?“

Das Wochenmagazin Wirtschaftswoche (WiWo) beschreibt in seiner Ausgabe vom 15. Juli 2022 die Vorsorgestrategie Superreicher gegen „die Bedrohungen unserer Zeit: Kriege, Killerviren und Klimakatastrophen“. Nach einer Erhebung der Beratungsfirma Capgemini, so die WiWo, gab es 2021 weltweit 22,5 Millionen Dollar-Millionäre, acht Prozent mehr als im Vorjahr. Die meisten davon leben in den USA (7,46 Millionen), 1,63 Millionen in Deutschland.

Offensichtlich strebt die Geldelite danach, sich verschiedene Aufenthaltsrechte zu sichern. So vermittelt ein Züricher Geschäftsmann Staatsbürgerschaften und Aufenthaltstitel – mit 300 Mitarbeitern und in 35 Büros weltweit. Seine Firma ließ die Fluchtbewegungen der Reichen untersuchen. Danach werden in diesem Jahr rund 88.000 Millionäre in andere Staaten auswandern – darunter mehr als 15.000 Superreiche aus Russland,  10.000 aus China und etwa 8.000 aus Indien.

„Amazon-Gründer Jeff Bezos, laut ‚Forbes‘ 135 Milliarden Dollar schwer, hat ein Refugium auf Hawaii. PayPal-Gründer Peter Thiel (4,8 Milliarden) ist Staatsbürger Neuseelands, Google-Gründer Larry Page (98 Milliarden) hat dort einen ständigen Wohnsitz. Für Thiel ist Neuseeland ‚die Zukunft‘, also der Ort, an den er wohl fliehen wird, wenn es soweit ist.“ (WiWo vom 15. Juli 2022)

Ein weiteres Beispiel für einen „Flüchtling de Luxe“ ist der Multimilliardär Roman Abramovich. Neben der russischen Staatsbürgerschaft verfügt er auch über einen Aufenthaltstitel in Großbritannien, eine israelische und eine portugiesische Staatsbürgerschaft, die ihm Freizügigkeit im gesamten Schengen-Raum ermöglicht (WiWo Online vom 18. Juli 2022).

„Die Zahlen spiegeln auch die zunehmende Ungleichheit wider: Wenn’s ums Geld der Menschen geht, ist Mobilität über Grenzen hinweg willkommen. Wenn’s ums Überleben der Menschen geht, dann werden Grenzen immer strikter geschlossen“, stellt der Soziolge Steffen Mau im Interview mit der WiWo fest (ebd.).

Von den weltweit reichsten Menschen haben nach Angaben von Mau rund 30 bis 40 Prozent mindestens einen zweiten Pass. „Seit Jahren hat sich über diese goldenen Pässe ein globaler Mobilitätsadel entwickelt, für den Grenzen keine Bedeutung mehr haben. Diese Personen schweben quasi im Privatjet über Grenzen hinweg, sie bilden damit eine eigenständige, sehr privilegierte Kaste, zugleich gibt es auch Personen aus der gehobenen Mittelschicht, die so versuchen, politische und wirtschaftliche Risiken zu minimieren. (…) Wer verschiedene Aufenthaltsrechte hat, kann damit sein gesamtes Portfolio optimieren, also gewissermaßen Ortsrenditen so generieren, wie sie gebraucht werden. Etwa, indem dort Steuern gezahlt werden, wo es günstiger ist. Oder jemand lässt sich dort nieder, wo er mehr Rechte und Freiheiten bekommt und sich nicht der Willkür ausgesetzt sieht. Im Idealfall gibt es beides auf einmal.“ (ebd.)

Durch die „goldenen Pässe“ werde, so Mau, die Staatsbürgerschaft kommerzialisiert und tendenziell entwertet. Dass, was eigentlich eine Loyalitätsbeziehung sei, werde jetzt zu einem handelbaren Gut – das sich allerdings sich nur einige wenige Menschen leisten können. So werde eine extreme Ungleichheit produziert zwischen denjenigen, die sich eine Staatsbürgerschaft kaufen können, und den Menschen, die mühsam an einer Einbürgerung arbeiten müssen (Nachweis festes Einkommen, Sprach- und Integrationstests).

Quellen:

Volker Ter Haseborg u. a.: „Flüchtlinge De Luxe: Geldwerter Vorsprung“, Wirtschaftswoche vom 15. Juli 2022 (Print), Seite 16-21

„Der Mobilitätsadel schwebt im Privatjet über Grenzen hinweg“, Interview von Sonja Álvarez mit Steffen Mau, Wirtschaftswoche (Online) vom 18. Juli 2022

https://www.wiwo.de/politik/deutschland/millionaere-kaufen-goldene-paesse-der-mobilitaetsadel-schwebt-im-privatjet-ueber-grenzen-hinweg/28507518.html

 

„Skandal im Skandal“: Cum-Ex und die Landesbanken

„Der sichtbare Teil des ‚Cum-Ex‘-Sumpfs wird umso größer, je länger die juristische Aufarbeitung des größten Steuerraubs in der Geschichte Europas andauert. Immer wieder geraten neue kriminelle Substrukturen in den Fokus der Ermittler, immer wieder bringen Razzien in dubiosen Geldhäusern neue Details ans Licht.“ Das schreibt die junge Welt in ihrer Ausgabe vom 23. Juli 2022. In der Tat kann nicht bestritten werden, dass die kriminellen Finanzgeschäfte seit geraumer Zeit öffentlich diskutiert werden. Immerhin werden mehr als 100 Banken und mindestens 1.500 Personen verdächtigt, den Staat ausgeplündert zu haben. Auch haben mittlerweile sowohl der Bundesfinanzhof, der Bundesgerichtshof und das Bundesverfassungsgericht die Cum-Ex-Geschäfte als illegal und strafbar eingestuft.

Einen bislang jedoch unterbelichteten Aspekt rekonstruiert das Handelsblatt in seiner Online-Ausgabe vom 20. Juli 2022: den Stand der Ermittlungen gegen die an Cum-Ex-Geschäften beteiligten Landesbanken. „Das Ergebnis ist ein Skandal im Skandal“, konstatiert die Wirtschaftszeitung und fragt, ob die Justiz schlicht mit zweierlei Maß misst.

„Der Cum-Ex-Steuerschaden, den deutsche Landesbanken schon zugegeben haben, kratzt an der Milliardengrenze. Doch die juristische Aufarbeitung kriecht. Kein einziger Landesbanker wurde bislang wegen Cum-Ex-Geschäften verurteilt, kein einziger angeklagt. ‚Ausgerechnet bei den Banken in öffentlicher Hand wird sehr nachlässig aufgeklärt. Offensichtlich geht der Staat gegen Landesbanken weniger entschlossen vor als gegen Privatbanken‘, sagt Christoph Spengel, Steuerprofessor an der Universität Mannheim.“ (ebd.)

Allein die ehemalige Landesbank WestLB, so die Zeitung, habe im Zuge von Cum-Ex-Geschäften mutmaßlich 600 Millionen Euro an Steuern hinterzogen, ein Vielfaches mehr als die in der öffentlichen Aufmerksamkeit stehenden Hamburger Warburg Bank. Ähnliche Geschäfte liefen offenkundig auch bei anderen Landesbanken: In Hessen geht es um 22 Millionen Euro (Landesbank Hessen-Thüringen: Helaba), in Hamburg um 112 Millionen (HSH Nordbank, heute Hamburg Commercial Bank), in Baden-Württemberg (LBBW) um 166 Millionen. Die Ursache für die offensichtlich fehlende Motivation der Staatsanwälte, aktiv zu werden, ist für viele Insider des Cum-Ex-Komplexes klar: Bei den Landesbanken sitzen und saßen so manche noch aktive und ehemalige Politiker im Aufsichtsrat.

Das Handelsblatt schließt seinen detailreichen Artikel wie folgt:

„Jahrelange Steuerhinterziehung mit anschließend bestenfalls behäbiger Strafverfolgung ist ein öffentliches Ärgernis. Kenner der Vergangenheit freilich ärgern sich gleich doppelt: Die Landesbanken, die den Steuerzahler schädigten, ließen sich zuvor vom Steuerzahler retten.

Die HSH Nordbank beantragte 2008 in der Finanzkrise Staatsgarantien in Höhe von 30 Milliarden Euro. Später wurde bekannt, dass die Führung Risiken in eine Tochtergesellschaft auf den kanarischen Inseln ausgelagert hatte, um ihre Bilanz aufzuhübschen. Die Rettung der HSH kostete den Steuerzahler drei Milliarden Euro. Das hielt die Bank nicht davon ab, mit ihren Cum-Ex-Aktiengeschäften Steuern in dreistelliger Millionenhöhe zu hinterziehen.

Ähnliche Geschichten gibt es aus anderen Bundesländern. In Berlin kostete die Rettung der Landesbank rund zwei Milliarden Euro; dort sorgten unter anderem üppige Abfindungen an gescheiterte Vorstände für Unmut.

Alles in den Schatten stellte die Rettung der WestLB. Auf bis zu 18 Milliarden Euro bezifferte Finanzminister Walter Borjans 2018 die möglichen Belastungen für den Fiskus durch die Skandalbank.

Die Führung der WestLB dankte dem Steuerzahler die Rettung, indem sie ihn anschließend auch noch betrog: Laut Staatsanwaltschaft liefen die Cum-Ex-Geschäfte der Landesbank zwischen 2007 und 2011. Wenn die mehrheitlich staatseigene Nachfolgegesellschaft Portigon nun Rückstellungen für die Rückzahlung bildet, landet die Rechnung dort, wo sie immer landete: beim Steuerzahler.“

 

Quellen:

Sebastian Edinger: „Aufarbeitung des Steuerraubs“, junge Welt vom 23. Juli 2022

https://www.jungewelt.de/artikel/431035.finanzwirtschaft-aufarbeitung-des-steuerraubs.html?sstr=cumex

Sönke Iwersen/Volker Votsmeier: „Schäden in Milliardenhöhe: Landesbanken versinken in Cum-Ex-Affäre“,  Handelsblatt (Online) vom 20. Juli 2022

https://www.handelsblatt.com/finanzen/banken-versicherungen/cum-ex/steuerskandal-schaeden-in-milliardenhoehe-landesbanken-versinken-in-cum-ex-affaere/28521106.html?

Sönke Iwersen: „Cum-Ex-Skandal: Landesbanken und ihre Kontrolleure in der Politik verraten die Steuerzahler“ (Kommentar), Handelsblatt (Online) vom 21. Juli 2022

https://www.handelsblatt.com/meinung/kommentare/kommentar-cum-ex-skandal-landesbanken-und-ihre-kontrolleure-in-der-politik-verraten-die-steuerzahler-/28537822.html

 

 

Übergewinnsteuern gegen missbrauchte Marktmacht

Am 8. Juli 2022 stimmte der Bundesrat gegen den Antrag der Länder Bremen, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen auf die befristete Einführung einer Übergewinnsteuer. Dabei handelt es sich um eine Sondersteuer auf hohe Zusatzgewinne von Unternehmen durch den Ukraine-Krieg (Kriegsprofiteure, vor allem im Energiesektor). Diese Übergewinnsteuer sollte zur Finanzierung staatlicher Entlastungsmaßnahmen dienen. Die Bundesländer, in denen die CDU/CSU oder die FDP an der Regierung beteiligt sind, stimmten gegen den Entschließungsantrag. Damit muss die Bundesregierung keinen Vorschlag für die Erhebung der Steuer für das laufende Jahr vorlegen. In der Frage zeigt sich auch die Bundesregierung gespalten: SPD und Grüne unterstützen die Idee, die FDP und Finanzminister Christian Lindner positionieren sich klar gegen eine derartige Steuer.

„Der Bürgermeister der Hansestadt, Andreas Bovenschulte, sieht vor allem im Energiesektor Handlungsbedarf: ‚Allein im ersten Quartal dieses Jahres konnten die vier Ölriesen Shell, BP, Exxon und Total ihren Nettogewinn gegenüber dem Vorjahr von etwa 15 Milliarden auf rund 34 Milliarden US-Dollar mehr als verdoppeln‘, sagte der SPD-Politiker. ‚Nach Berechnungen der Internationalen Energieagentur dürften die gestiegenen Energiepreise den Konzernen in diesem Jahr 200 Milliarden Euro zusätzlich in die Kassen spülen.‘“ (tagesschau.de vom 10. Juni 2022)

Auch die EU-Kommission prüft mehrere Optionen zur Einführung einer Übergewinnsteuer. Die sogenannte „Windfall Profits Tax“, schreibt die taz am 7. Juli 2022, werde von der EU-Kommission auf ihre Machbarkeit geprüft. Es gehe um eine koordinierte Herangehensweise in den 27 EU-Staaten. Denn für die Steuerpolitik seien die Mitgliedsländer zuständig. Brüssel wolle laut EU-Kommissarin Věra Jourová verhindern, dass es zu nationalen Alleingängen oder Marktverzerrungen komme. Italien und Rumänien hätten die Übergewinnsteuer bereits eingeführt, bald werde Spanien folgen.

Nach Berechnungen der Entwicklungsorganisation Oxfam würde eine einmalige Sondersteuer von 90 Prozent auf Extraprofite allein bei den größten Unternehmen der G7-Länder über 430 Milliarden US-Dollar einbringen. „Das ist genug Geld,“ so Oxfam, „um die Finanzierungslücken aller humanitären Hilfsaufrufe der Vereinten Nationen zu schließen, einen 10-Jahres-Plan zur Beendigung des Hungers zu finanzieren und den ärmsten zehn Prozent der Bevölkerungen der G7-Staaten einen einmaligen Zuschuss von über 3.000 US-Dollar zu zahlen, um die steigenden Lebenshaltungskosten zu decken.“ Laut einer aktuellen von Oxfam beauftragten Umfrage sind drei Viertel der Bundesbürger:innen dafür, Extraprofite von Unternehmen stärker zu besteuern.

Auch Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel hält eine Übergewinnsteuer für machbar:

„Die EU empfiehlt sie. Etliche Länder in Europa trauen sie sich zu. In den USA ist sie von Renommierten der Wirtschaftswissenschaft durchdekliniert worden. Historische Erfahrungen mit ihr liegen in den USA und Großbritannien vor. Sie, das ist die zeitlich befristete Sondersteuer auf Übergewinne, zielgenauer auf Extraprofite vor allem in den Kassen der Mineralölkonzerne. Diese Steuer richtet sich gegen die missbrauchte Marktmacht von der Ölquelle über die Raffinerien und Transporte bis zur Tankstelle. (…) Die am Markt monopolistisch auftretenden Big Five-Mineralölkonzerne haben jüngst selbst gezeigt, wie sie ihre Übergewinne staatlich subventioniert steigern. Es handelt sich um die Tankrabatte, die großteils mit preispolitischen Tricks in die Konzernkassen gelenkt wurden. Auch das Ifo-Institut irrt mit seiner zweifelhaften Vergleichsstudie, die die nahezu komplette Weitergabe der Rabatte auf Kraftstoffe behauptet. (…) Deshalb ist klar: Da die CDU zusammen mit der FDP die Sondersteuer auf Extraprofite abgelehnt hat, sollten diese staatlichen Subventionen per missbrauchter Tankrabatte unverzüglich abgeschafft werden. Natürlich wäre es am besten, statt die Übergewinne zusätzlich zu besteuern, deren Ursachen zu beseitigen. Sie sind das Ergebnis monopolistisch eingesetzter Marktmacht durch die Konzerne.“ (taz vom 10. Juli 2022)

Das Handelsblatt versucht, der Initiative den Wind aus den Segeln zu nehmen:

„In Berlin“, kommentiert Redakteurin Kathrin Witsch, „diskutiert man jetzt öffentlich über die Zerschlagung der Ölmultis und die Besteuerung von Übergewinnen. Doch das scheint schon juristisch schwer durchsetzbar, schnelle Preissenkungen durch diese Initiativen gegen die international agierenden Milliardenkonzerne sind darum nicht zu erwarten. Vielmehr sollte sich die Politik darum darauf konzentrieren, weitere steuerliche Erleichterungen für diejenigen zu schaffen, die sie bei den hohen Spritpreisen wirklich brauchen – wie Pendler und Gewerbetreibende“.

Eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Thema bietet das Magazin für Wirtschaftpolitik Makroskop:

Gerd Grötzinger: „Übergewinnsteuer? Ja, bitte!“ vom 6. Juli 2022
https://makroskop.eu/spotlight/versailles-durch-die-hintertur/ubergewinnsteuer-ja-bitte/

Quellen:

Eric Bonse: „Brüssel für Steuer auf Extragewinne“, taz vom 7. Juli 2022
https://taz.de/Hohe-Profite-hohe-Energiepreise/!5862682/

„Bundesrat befasst sich mit Übergewinnsteuer“, Tagesschau vom 10. Juni 2022
https://www.tagesschau.de/inland/bundesrat-uebergewinnsteuer-101.html

Rudolf Hickel: „Subventionierte Extraprofite“, taz vom 10. Juli 2022
https://taz.de/Sondersteuer-auf-Uebergewinne/!5866498/

„Oxfam fordert Übergewinnsteuer, um Hunger- und Klimakrise zu bekämpfen“, Pressemitteilung von Oxfam vom 24. Juni 2022
https://www.oxfam.de/presse/pressemitteilungen/2022-06-24-oxfam-fordert-uebergewinnsteuer-um-hunger-klimakrise-bekaempfen

Kathrin Witsch: „Aktionismus zwecklos: Benzin und Diesel bleiben teurer“, Handelsblatt vom 14. Juni 2022
https://www.handelsblatt.com/meinung/kommentare/kommentar-aktionismus-zwecklos-benzin-und-diesel-bleiben-teurer/28423526.html

Finanzkriminalität auf dem deutschen Immobilienmarkt

Vom 27. bis 29. Mai 2022 fand an der TU Berlin eine Konferenz zum Thema Enteignung  und Vergesellschaftung von Immobilienkonzernen statt. Organisator war die Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ in Kooperation mit dem Asta der TU Berlin und der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Im Rahmen der Veranstaltung „Follow the money – Der deutsche Immobilienmarkt als Tummelplatz für Oligarchen, Kriminelle und Steuerhinterzieher“ sprachen am 28. Mai Christoph Trautvetter (Netzwerk Steuergerechtigkeit e.V.; externer Projektleiter „Wem gehört die Stadt?“ bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung) und Gabriela Keller (Investigativreporterin bei Correctiv). Moderiert wurde die Veranstaltung von Katalin Gennburg (MdA DIE LINKE Berlin).

In der Ankündigung hieß es:

„In Reaktion auf den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine wurden zahlreiche ‚Oligarchen‘ durch die EU und andere Staaten sanktioniert. Ihre Geschäftsaktivitäten sollten unterbunden und ihre Vermögenswerte eingefroren werden. Doch insbesondere bei Immobilien verschleiern verschachtelte Firmen- und Beteiligungskonstrukte, die bis in das außereuropäische Ausland reichen, oft die tatsächlichen wirtschaftlich Berechtigen und ermöglichen so die Umgehung von Sanktionen, aber auch ganz allgemein Steuerhinterziehung und Geldwäsche. So ist der Immobilienmarkt Tummelplatz für organisierte Kriminalität und dubiose Kapitalflüsse aus autoritären Regimen – nicht nur aus Russland.“

So verwies Trautvetter auf den neuen „Schattenfinanzindex“ des Tax Justice Network. Danach stellen nicht die bekannten Steueroasen in der Karibik das Hauptproblem dar. Vielmehr seien in den G7-Staaten geschätzt zehn Billionen US-Dollar in Finanzkonstrukten versteckt – und keiner wisse, woher die Gelder stammten. Die Hälfte der Schattenfinanzplätze würde sich in den G7-Staaten finden (USA, Großbritannien, Kanada, Deutschland, Frankreich, Italien, Japan). Deutschland sei der siebtgrößte Schattenfinanzplatz der Welt. Das Vermögen weltweit würde unterschiedliche Formen annehmen und nur zu einem ganz kleinen Teil in Form von Villen und Jachten auftreten. Wegen der fehlenden Transparenz sei insbesondere der Immobilienmarkt außer Kontrolle.

Die bestehende Intransparenz, so Trautvetter, müsse abgeschafft werden. Auch um in Berlin die Enteignungsfrage zu klären und „im gleichen Schritt die russischen Oligarchen, die Steuerhinterzieher und die anderen Kriminellen auszugraben“. So wisse der Berliner Senat derzeit nicht, wer die Besitzer von mehr als 3.000 Wohnungen in der Hauptstadt seien (Anmerkung der Redaktion: Private profitorientierte Immobiliengesellschaften mit mehr als 3.000 Wohnungen in Berlin sollen gemäß des Volksentscheids vom Herbst 2021 nach Artikel 15 GG enteignet werden, um ihre Bestände in Gemeineigentum zu überführen).

Trautvetter äußerte sich verhalten optimistisch zum zweiten Sanktionsdurchsetzungsgesetz, das die Bundesregierung für den Herbst 2022 plant und die Rechtsgrundlage für eine neu zu schaffende Behörde bietet soll. Deren Aufgabe bestehe darin, systematisch nach verdächtigen Vermögen zu suchen und komplexe Eigentümerstrukturen zu ermitteln. Die Behörde solle dafür den Zugriff auf alle notwendigen Register und Steuerdaten erhalten. Mit dem Sanktionsdurchsetzungsgesetz könne ein Beitrag zur Kriminalitätsbekämpfung geleistet werden – über die anti-russischen Sanktionen hinaus. Mit dem Fortschritt auf Bundesebene könne dann hoffentlich bald auch die Frage nach den Eigentümern der mehr als 3.000 Wohnungen in Berlin beantwortet werden. „Im Prinzip“, so Trautvetter, „haben die russischen Oligarchen das Volksbegehren rechts überholt“.

Quellen:

„Enteignungskonferenz: Tag 2 (Follow the Money + Abendpodium)“, live übertragen am 28. Mai 2022

https://www.youtube.com/watch?v=k1z4xoVpCaQ

Pressemitteilung vom Netzwerk Steuergerechtigkeit e.V. vom 17. Mai 2022 zum Schattenfinanzindex 2022:
„Der Schattenfinanzmarkt torpediert Sanktionen und Rechtsstaat“

https://www.netzwerk-steuergerechtigkeit.de/infothek/pressemitteilung-zum-schattenfinanzindex-2022-schattenfinanz-torpediert-sanktionen-und-rechtsstaat/

Putschpräsidentin verurteilt

Evo Morales, gewählter Präsident der Republik Boliviens, wurde am 10. November 2019 von der Militärführung seines Landes zum Rücktritt gezwungen. Dem Umsturz vorausgegangen waren massive Proteste des städtischen Bürgertums. Morales, der als Interessenvertreter der indigenen Agrarbevölkerung gilt, hatte zuvor einen Joint-Venture-Vertrag mit einem  deutschen Bergbauunternehmen annulliert. BIG Business Crime berichtete in der Beilage 1/2020 zu Stichwort BAYER ausführlich über den „Putsch für mehr Elektronikschrott“.

Nach einem erneuten Wahlsieg der Linkspartei MAS im Oktober 2020 konnte Morales aus dem Exil heimkehren. Nachdem eine ehemalige MAS-Abgeordnete gegen den „Staatsstreich“ vor Gericht gezogen war, wurden Angehörige der selbsternannten „Übergangsregierung“ im März 2021 in Untersuchungshaft genommen. Die stockkonservativ-bürgerliche „Übergangspräsidentin“ Jeanine Áñez ist nun von einem Gericht wegen „ Pflichtverletzungen“ und „verfassungswidriger Beschlüsse“ in ihrer Amtszeit zu 10 Jahren Haft verurteilt worden. Áñez hatte zuvor der MAS-Regierung wegen ihrer Festnahme „politische Verfolgung“ vorgeworfen. Die Urteile zu weiteren ihr vorgeworfenen Anklagepunkten stehen noch aus.

Quellen:

Thomas Milz in der Neuen Züricher Zeitung vom 14. Juni 2022

https://www.nzz.ch/international/bolivien-proteste-gegen-verurteilung-von-ex-praesidentin-anez-ld.1688717

Kommentar Euronews vom 11. Juni 2022

https://de.euronews.com/2022/06/11/bolivien-ex-interimsprasidentin-anez-zu-10-jahren-haft-verurteilt

 

Zur Verflechtung von organisiertem Verbrechen und Politik

Der britisch-irische Journalist und Autor Misha Glenny hat als Journalist unter anderem für die BBC gearbeitet und lehrte als Experte für den Balkan, organisiertes Verbrechen und Cyberkriminalität an der Columbia University in New York sowie am University College in London. Seit Anfang Mai 2022 ist er Rektor des sozialwissenschaftlichen Instituts für die Wissenschaften vom Menschen (IWM) in Wien Sein Buch „McMafia“, seit 2008 auch auf Deutsch erhältlich, diente als Vorlage für eine Krimiserie, deren 2. Staffel bald anlaufen soll. In einem Interview mit der österreichischen Zeitung „der Standard“ äußerte er sich zu der Frage, ob im Ukrainekrieg Korruption und mafiose Strukturen eine Rolle spielen: „Ich habe keine speziellen Recherchen mit Blick auf den Krieg in der Ukraine angestellt. Was ich aber über die letzten dreißig Jahre, als Fazit meiner Arbeit am Buch ‚McMafia‘ sagen kann, ist, dass die Verflechtung von organisiertem Verbrechen und Politik stetig zugenommen hat. Trump hat nachgewiesene Verbindungen zur Mafia in New Jersey; die Konservative Partei im Vereinigten Königreich hat beträchtliche Summen aus russischen Quellen erhalten, die von den Geheimdiensten als dubios eingestuft wurden. In Russland hat dieses Zusammenwirken seit 1989 tiefe Wurzeln geschlagen und ist für Putins Regime nach wie vor eines der wichtigsten Instrumente der Machterhaltung.“ (der Standard, 21. Mai 2022)

Kriminelle Machenschaften von Oligarchen und ihr Einfluss auf die Politik waren auch in der Ukraine vor Kriegsbeginn immer beträchtlich. Präsident Selenskyj wurde mit großer Mehrheit gewählt, weil er versprach, dagegen vorzugehen. Bei der Veröffentlichung der „Pandora Papers“ im letzten Jahr kam allerdings heraus, dass auch er Konten in Steuerparadiesen besitzt. Im Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International belegte die Ukraine im Jahr 2020 Platz 117 (von 179 Ländern). Russland kam auf Platz 129.

Zeitungsbeilage des „Bündnisses Bahn für Alle“ erschienen

Beim „Bündnis Bahn für Alle“ handelt es sich um einen 2006 gegründeten Zusammenhang von globalisierungskritischen Gruppen, Gewerkschaften und Umweltschutzverbänden. Erklärtes Ziel des Bündnisses ist es, die geplante Privatisierung des deutschen Eisenbahnnetzes zu verhindern und dessen Verbleib im Besitz der öffentlichen Hand sicherzustellen. Die formelle Trägerschaft des Bündnisses hat der Verein „Gemeingut in Bürgerinnenhand“. Die Publikationen des Bündnisses können gegen Spende bezogen werden.

In der am 12. Mai 2022 als Beilage zur Tageszeitung taz erschienenen neuen Publikation setzen sich Pascal Zern und Katrin Kusche kritisch mit der Bahnpolitik der derzeitigen Bundesregierung auseinander. Diese habe sich im Koalitionsvertrag für mehr Elektromobilität auf der Straße ausgesprochen – als Ergebnis erhielte die Autoindustrie weitere großzügige Förderungen. Wie die Autor:innen meinen, könne von einer Verkehrsvermeidung oder wenigstens von „einer Verkehrsverlagerung von der Straße und aus der Luft auf den öffentlichen Verkehr plus Fahrrad- und Fußverkehr“ derzeit keine Rede sein. Die privatwirtschaftlich organisierte DB AG kranke „seit ihrer Gründung an dem Zielkonflikt zwischen der Gewinnerzielung einerseits und dem Wunsch nach einem attraktiven, zuverlässigen und bezahlbaren Bahnverkehr für alle Menschen und Güter“. Dieser Konflikt könne nur aufgehoben werden, wenn „die Regierung die DB vom Ziel der Gewinnorientierung befreien und ganz auf einen guten Bahnverkehr ausrichten“ würde.

Weitere Beiträge informieren über den neuesten Stand der beabsichtigten Zerschlagung des Berliner S-Bahn-Netzes sowie über die per Ausschreibung erzielte Beteiligung der DB AG an der Modernisierung des Nahverkehrsnetzes der kanadischen Millionenstadt Toronto. Zu letztgenanntem Milliardenprojekt meint der Autor Carl Waßmuth, dass die versprochenen Gewinne bei den beteiligten Banken anfallen werden, aber „sicher nicht dem Schienenverkehr zugutekommen – nicht in Deutschland und auch nicht in Kanada“.

Quelle:
Bündnis Bahn für Alle, Ausgabe Frühjahr/Sommer 2022
https://bahn-fuer-alle.de

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Jurist will „Miethaie“ vom Berliner Wohnungsmarkt ausschließen

Vor über einem Jahr kassierte das Bundesverfassungsgericht den sogenannten Berliner Mietendeckel. Nun eröffnet ein Jurist in der Hauptstadt eine neue Diskussion. Stefan Klinski, Professor für Wirtschaftsrecht an der dortigen Hochschule für Wirtschaft und Recht, schlägt dem Land Berlin in einem auf eigene Initiative entstandenen 52-seitigen Rechtsgutachten vor, alle Unternehmen vom Immobilienmarkt auszuschließen, „von denen in besonderer Weise Druck auf den Wohnungsmarkt ausgeht“. Die bisher im Eigentum solcher Unternehmen stehenden Mietwohnungen müssten, so die Idee, innerhalb eines bestimmten Zeitraumes an Dritte (Private oder Unternehmen in anderen Rechtsformen) veräußert werden. Ziel sei es, „den durch einen ausgeprägten Mangel an preiswertem Wohnraum extrem belasteten Berliner Wohnungsmarkt zu entspannen“.

Klinski denkt bei seiner Initiative insbesondere an „Unternehmen, deren eigene Anteile an einem Kapitalmarkt gehandelt werden (typischerweise börsennotierte Aktiengesellschaften, Hedgefonds, Immobilienfonds) sowie Unternehmen verschiedener Rechtsformen mit intransparenten Eigentumsverhältnissen und/oder Gewinnverlagerung in Steueroasen“. Gesetzliche Marktzugangsbeschränkungen, so der Jurist, würde es in anderen Rechtsbereichen – etwa der Energiewirtschaft oder des Personennahverkehrs – schon seit langem geben. Für seinen Vorschlag sehe er weder verfassungsrechtlich noch EU-rechtlich ernstliche Bedenken. Vielmehr erfülle das Konzept die im Artikel 28 der Berliner Verfassung verankerte öffentliche Aufgabe, „die Schaffung und Erhaltung von angemessenem Wohnraum auch für Menschen mit geringem Einkommen“ zu fördern. Bei einer Marktzugangsbeschränkung und der Pflicht, sich innerhalb des Übergangszeitraums von den Immobilien zu trennen, handelt es sich laut Klinski zwar um einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff der betroffenen Unternehmen, keineswegs jedoch um eine Enteignung nach Art. 14 Grundgesetz (Eigentumsgarantie). Deshalb müsse der Staat auch keine Entschädigungen aufbringen wie im Rahmen einer Vergesellschaftung von Wohnungsbeständen (vgl. Berliner Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co enteignen“).

Der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU), der auch die Interessen von börsennotierten Konzernen wie Vonovia vertritt, lehnt den Vorschlag erwartungsgemäß ab. Der Berliner Mieterverein hingegen spricht sich für diese Idee aus: „Neben dem Volksentscheid zur Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen sei dies ‚nun ein weiterer interessanter Vorschlag, um kapitalmarktgetriebene Wohnungsunternehmen in die Schranken zu verweisen und deren Expansionsgelüste zu stoppen‘, sagt BMV-Geschäftsführer Reiner Wild.“ (Berliner Zeitung vom 9. Mai 2022).


Quellen:

Stefan Klinski: „Zur Zulässigkeit eines Landesgesetzes zur sozialverträglichen Ordnung des Berliner Wohnungsmarkts, durch das bestimmte Unternehmen vom Mietwohnungsmarkt ausgeschlossen werden“, Rechtsgutachten, Berlin, Februar 2022

https://gesellschaftfuernachhaltigkeit.de/wp-content/uploads/2022/03/Klinski-Gutachten-Wohnungsmarkt-2022-02-11.pdf

ders.: „Wohnungsmarkt ohne Börsendruck. Zur rechtlichen Machbarkeit von Zugangsbeschränkungen für den Wohnungsmarkt“, 25. April 2022, verfassungsblog.de

https://verfassungsblog.de/wohnungsmarkt-ohne-borsendruck/

Ulrich Paul: „Ein Vorschlag, Miethaie vom Berliner Wohnungsmarkt zu vertreiben“, Berliner Zeitung vom 9. Mai 2022

https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/kein-platz-mehr-fuer-deutsche-wohnen-und-co-in-berlin-li.226905

Erik Peter: „Vermieter richtig deckeln“, taz vom 9. Mai 2022

https://taz.de/Neue-Idee-fuer-Berliner-Mietenmarkt/!5850965&s=klinski/

Nicolas Šustr: „Vonovia einfach vom Markt ausschließen“, Neues Deutschland vom 9. Mai 2022

https://www.nd-aktuell.de/artikel/1163620.mietenwahnsinn-vonovia-einfach-vom-markt-ausschliessen.html

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Schmähpreis „Goldene Abrissbirne“ verliehen

Die seit längerer Zeit laufende Demontage medizinischer Infrastruktur wurde seit Ausbruch der Pandemie kaum gebrochen fortgesetzt – wir haben in BIG Business Crime darüber berichtet.

Das „Bündnis Klinikrettung“ nahm den diesjährigen Weltgesundheitstag (7. April 2022) zum Anlass, dem baden-württembergischen Minister für Soziales, Gesundheit und Integration Manfred Lucha (Bündnis90/Die Grünen) den Schmähpreis „Goldene Abrissbirne“ zu verleihen. Die Aktivist:innen begründen die Preisverleihung damit, dass die Schließung von Krankenhausstandorten „an vielen Orten Deutschlands gefährliche Löcher in die Versorgung reißen“ und dass „in Baden-Württemberg besonders forsch und rücksichtslos vorgegangen“ würde.

In der Begründung heißt es weiter, dass der Minister seit seinem Amtsantritt „im Schnitt 4,3 Kliniken jährlich dichtmachen“ ließ. „Während von Lucha sage und schreibe 3,5 Milliarden Euro für neue Zentralkliniken eingeplant sind, wird kleineren Krankenhäusern die notwendige Finanzierung versagt. Neben der Versorgung fallen dadurch medizinische Ausbildungsstätten, Arbeitsplätze und funktionierende Infrastrukturen weg, von den Umweltschäden durch die Bauwut ganz zu schweigen.“

Abschließend kündigen die Aktivist:innen weitere Aktionen an: „Solange die Schließungen im Krankenhaussektor derart dicht aufeinander erfolgen wie im Moment, behalten wir uns vor, weitere Schmähpreisverleihungen ebenfalls in kurzen Abständen folgen zu lassen.“

Quellen:

Jorinde Schulz „Erster Schmähpreis für Klinikschließer, die ‚Goldene Abrissbirne‘ geht an Baden-Württembergs Gesundheitsminister Manfred Lucha“
https://www.gemeingut.org/erster-schmaehpreis-fuer-klinikschliesser-die-goldene-abrissbirne-geht-an-baden-wuerttembergs-gesundheitsminister-manfred-lucha 

Wegen Klinikschließungen: Lucha erhält die „Goldene Abrissbirne“
https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/schmaehpreis-goldene-abrissbirne-fuer-bw-gesundheitsminister-lucha-100.html 

 

 

 

Die dubiosen Stiftungen des umstrittenen Immobilienkonzerns Akelius

Im vergangenen Jahr verkaufte der schwedische Wohnimmobilienkonzern Akelius für etwa 9,1 Milliarden Euro fast 29.000 Wohnungen an seinen skandinavischen Konkurrenten Heimstaden – allein rund 14.000 davon in Berlin und etwa 3.600 in Hamburg. Wer aber ist Akelius? Das börsennotierte Unternehmen galt seit den ersten Akquisitionen in Berlin im Jahr 2006 als einer der größten Mietpreistreiber in der Hauptstadt und betrieb eine aggressive Aufwertungsstrategie. So mussten für Wohnungen nach Luxussanierungen oft bis zu 40 Euro pro Quadratmeter bezahlt werden.

Laut Information der „Vernetzung der Akelius-Mieter*innen Berlin“ werden rund sechs Milliarden Euro der aus dem Megadeal stammenden Einnahmen an drei vermeintlich gemeinnützige Akelius-Stiftungen auf den Bahamas weitergereicht – in Form einer Dividendenausschüttung, wie auf der jährlichen Hauptversammlung des Konzerns am 8. April 2022 in Stockholm bekanntgegeben wurde.

Die Initiative der Mieter:innen von Akelius veröffentlichte deshalb im April 2022 eine umfangreiche Recherche – unter anderem zur Frage nach der Funktion der Stiftungen im Rahmen der Konzernstruktur. Der Konzern ist im Besitz von drei Privatstiftungen auf den Bahamas, die sämtliche Stimmrechte und etwa 94 Prozent der Aktien halten. Vor allem wird in dem Bericht die Behauptung des Akelius-Konzerns überprüft, seine Hauptanteilseignerin, die Akelius Foundation, sei eine gemeinnützige Stiftung. Die Eigentümerstruktur, so ein Fazit der Analyse, diene „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ der Steuervermeidung.

Es folgt ein längerer Auszug aus dem Bericht: „Die Akelius Foundation ist die größte und wichtigste der drei Stiftungen. Sie hält rund 80 Prozent der Anteile an Akelius Residential (der zentralen schwedischen Aktiengesellschaft – die Redaktion), was einem Wert von rund 12 Milliarden Euro entspricht. (…) Über den Aktienanteil (…) hält die Stiftung eine deutliche Mehrheit der Stimmrechte. Sie fungiert damit als die maßgebliche Kontroll- und Weisungsinstanz. Durch die Mitglieder des Stiftungsrats und die beiden Kontrolleure (…) ist die Akelius Foundation schon allein personell eng mit dem Akelius-Konzern verbunden. Darüber hinaus ist die Akelius Foundation alleinige Inhaberin der beiden Firmen Akelius Invest Ltd. und Akeliusfonder Ltd., beide mit Sitz auf den Bahamas. Beide Firmen ermöglichen Finanzanlagen, die über Anleihen und Kredite ausschließlich in den Akelius-Konzern investiert werden. Es ist unklar, ob die Stiftung dies auch nutzt, um eigenes Geld zu reinvestieren. Es handelt sich dabei um ein steueroptimiertes Wachstumsmodell. Das heißt zum Beispiel: Akelius Invest gibt Kredite an die jeweiligen nationalen Akelius-Bestandshalter, wodurch diese ihre Gewinne kleinrechnen können (in Deutschland die Akelius GmbH).

Roger Akelius (der Firmengründer – die Redaktion) und der Akelius-Konzern formulieren für die Akelius-Stiftung einen Anspruch auf ‚Gemeinnützigkeit‘. Dieser Anspruch ist aufgrund der hier vorgestellten Analyse zurückzuweisen – sowohl mit Blick auf die engere Verwendung des Begriffs im Sinne der steuerlich anerkannten Gemeinnützigkeit als auch mit Blick auf das allgemeine Verständnis einer Gemeinwohlorientierung. Eine wohltätige Stiftung ist sie nur in einem Sinn, nach der eine Person oder Firma wohltätig ist, die ohne jede Verpflichtung einen selbst bestimmten Teil ihres Einkommens oder ihrer Gewinne einem guten Zweck spendet. Der Aufsichtsrat der Akelius Foundation besteht nahezu ausschließlich aus Personen, die im Akelius-Konzern wichtige Funktionen übernehmen. Die Stiftung agiert weitgehend intransparent und veröffentlicht selbst keine oder nur minimale Berichte zur eigenen Tätigkeit oder zu den ausgezahlten Fördergeldern. Im Vergleich mit anderen Stiftungen ist der Anteil an den ausgeschütteten Gewinn, den die Akelius Foundation für wohltätige Zwecke ausgibt, gering.

Die Akelius Foundation muss auf Grundlage der hier zusammengetragenen Informationen als Privatstiftung betrachtet werden. Ihre Hauptfunktion ist nicht Wohltätigkeit, sondern Gewinnoptimierung, was in der Außendarstellung der Stiftung nicht transparent gemacht wird.“ (Seite 3f.)

Zur Frage des Verkaufs der Akelius-Bestände an den Konzern Heimstaden im Herbst des letzten Jahres bemerkt der Bericht: „Was passiert mit dem ganzen Geld? Auf der jährlichen Hauptversammlung am 8.4.2022 soll eine Dividendenausschüttung an die drei Akelius-Privatstiftungen in Höhe von rund 6 Milliarden Euro beschlossen werden. Damit wird ein großer Teil der durch den Verkauf erzielten Summe ins Steuerparadies Bahamas verschoben. Die Gewinne werden vermutlich steuerfrei ausgeschüttet – die sonst übliche Kapitalertragssteuer (in Schweden 30 %) wird durch die Finanzkonstruktion des Konzerns vermieden. Ebenfalls auf der Tagesordnung der Hauptversammlung steht eine Kapitalerhöhung. Damit sollen rund 4 Milliarden Euro von den Stiftungen wieder in den Konzern reinvestiert werden.“ (Seite 5)

Mittels der Investitionen soll der Bestand offenbar wieder auf 50.000 Wohnungen ausgebaut werden. Keine guten Aussichten für die neuen Mieter:innen des Konzerns. Auch sie müssen mit der berüchtigten Mieterhöhungs- und Aufwertungsstrategie des Konzerns rechnen.

Anmerkung:
Akelius ist nicht nur wegen seiner Steuervermeidungsstrategien bekannt. Der Konzern stand vor allem in Berlin auch in der Kritik, weil er mittels sogenannter Share Deals die Grunderwerbssteuer umging. Die SPD-Politikerin und heutige Staatssekretärin im Bundesbauministerium, Cansel Kiziltepe, hatte Akelius bereits im Jahr 2020 wegen „fragwürdiger Share Deals“ im Berliner Bezirk Neukölln angezeigt und die Steuerfahndung alarmiert (Der Spiegel vom 4. September 2020).

Quellen:

Vernetzung der Akelius-Mieter*innen Berlin: „Bluewashing und Steuervermeidung: Die Akelius Foundation im Akelius-Konzern“, Oktober 2021 (mit Aktualisierungen im März 2022)
https://www.akelius-vernetzung.de/wp-content/uploads/2022/04/Bluewashing_Steuervermeidung_Akelius_Foundation.pdf

Gareth Joswig: „6 Milliarden für die Bahamas“, taz vom 8. April 2022
https://taz.de/Akelius-schuettet-Dividende-aus/!5843609&s=akelius/

Nicolas Šustr: „Konzentration auf Berliner Wohnungsmarkt“, Neues Deutschland vom 28. September 2021
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1157086.betongold-konzentration-auf-berliner-wohnungsmarkt.html?sstr=akelius

David Böcking: „Bundestagsabgeordnete zeigt Wohnungskonzern Akelius an“, Der Spiegel vom 4. September 2020
https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/cansel-kiziltepe-spd-abgeordnete-zeigt-berliner-immobilieninvestor-an-a-b32e9fd4-cce3-4f29-b63a-69fb94f9592a

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Nachhaltigkeit in der Finanzbranche: Druck von links und rechts

Mitte März 2023 stellte der im Regierungsauftrag tätige Expertenrat für Klimafragen in einem Bericht zur Emissionsbilanz des Bundes fest, Deutschland werde – bleibe es beim bisherigen Tempo im Klimaschutz – seine Klimaziele bis 2030 um etwa 40 Prozent verfehlen. Diese Feststellung sei eine „schallende Ohrfeige“ für die Klimapolitik der Bundesregierung, ließ der Chef von Greenpeace daraufhin wissen (Süddeutsche Zeitung vom 14. April 2023). Um die politisch Verantwortlichen endlich zu mehr Klimaschutz zu bewegen, kündigten Aktivisten der „Letzten Generation“ an, ab dem 19. April die Bundeshauptstadt mittels Protestveranstaltungen, Klebeaktionen und weiteren Blockaden teilweise lahmzulegen.

Vertreter:innen der politischen Klasse zeigen sich über den „zivilen Ungehorsam“ von  Akteuren, wie denen der „Letzten Generation“, regelmäßig empört und lassen durchblicken, dass sie für Rechtsbrüche jeglicher Art kein Verständnis aufbringen würden. „Gar nicht zum Lachen ist dem Justizminister. Marco Buschmann sieht einmal mehr das Abendland untergehen, denn die Kleber erinnern ihn an die Weimarer Zeit, als sich ‚Menschen am linken und rechten politischen Rand selbst ermächtigt fühlten, sich über die Rechtsordnung zu stellen‘.“ (junge Welt vom 22. April 2023)

Starke Worte angesichts der sehr gemäßigten Forderungen und des alles andere als militante Auftretens der Aktivisten. Von einer angeblichen Demokratiefeindlichkeit findet sich bei ihnen keine Spur. So heißt es auch auf der Webseite der „Letzten Generation“: „Rasend eskaliert die Klimakrise und an so vielen Tagen bleibt nichts als dieses Gefühl der Hilflosigkeit, wenn man die Zerstörung sieht und dazu das Nichtstun unserer Regierung. (…) Sie schützt Wirtschaftsprofite statt unserer Lebensgrundlagen, bricht ihre eigenen Versprechen und unsere demokratische Verfassung.“ Und in einem „Brief an die Bundesregierung“ vom April 2023 unterstreichen die Aktivisten, dass es „beim Abwenden einer Klimakatastrophe auch um den Erhalt unserer Demokratie, unseres Rechtsstaats und den Erhalt der freiheitlich demokratischen Grundordnung“ gehe.

Darüber, wie der Rechtsstaat mit „zivilem Ungehorsam“ umzugehen hat, wird derzeit auch einmal mehr im juristischen Fachdiskurs verhandelt. So pocht Kyrill-Alexander Schwarz, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Würzburg, auf den Rechts- und Gesetzesgehorsam der Staatsbürger:innen. Die „Letzte Generation“ stellt für ihn eine Protestbewegung dar, „die letzten Ende keine Rücksicht auf gerichtliche Entscheidungen zu nehmen bereit ist, die auch Ausdruck einer Negation des Rechtsstaats zur Durchsetzung partikularer Interessen unter dem Mantel vorgeblich grundrechtlich geschützter Freiheit ist“. (Schwarz, Seite 275) Beim „zivilen Ungehorsam“ gehe es in Wahrheit gerade nicht um die Beseitigung etwaiger Mängel, sondern um die „undemokratische, weil nicht im Parlament beschlossene Durchsetzung individueller Vorstellungen“. (Schwarz, Seite 279f.) Er warnt gar vor der „Kapitulation des Rechtsstaats vor der Macht der Straße“. (Seite 276)

In Erwiderung dazu stellt dagegen Lorenz Leitmeier, Dozent an der Hochschule für den öffentlichen Dienst in Bayern, fest:

„Tatsächlich wird die existenzielle Dimension der Klimakrise verschleiert oder gar geleugnet, wenn man plump die Mehrheit-ist-Mehrheit-Regel bemüht, um die Spannung zwischen Rechtsstaat und zivilem Ungehorsam einseitig aufzulösen. Die ‚bestimmten Ziele‘, von denen Schwarz spricht, sind nämlich keine Privatinteressen einer Minderheit mit ‚Verhinderungsstrategie‘ – es sind rechtlich verbindliche Ziele: Bekanntlich wurde in Paris am 12.12.2015 im Rahmen der United Nations Framework Convention on Climate Change (UNFCCC) ein Abkommen geschlossen (Pariser Abkommen), das die EU am 5.10.2016 mit dem Beschluss (EU) 2016/18414 umsetzte, woraufhin es am 4.11.2016 in Kraft trat.“ (Leitmeier, Seite 71)

Auch die Bundesrepublik habe das Pariser Abkommen unterzeichnet und ratifiziert, so dass eine rechtlich verbindliche Verpflichtung zu einem gewissen Verhalten vorliege. Der Jurist und Journalist Ronen Steinke betont in einem Artikel für die Süddeutsche Zeitung ebenfalls, dass die Bundesregierung selbst gegen verbindliches Recht verstoße – was nicht wegzudiskutieren sei. Das Klima-Abkommen von Paris, wonach die Erderwärmung möglichst auf 1,5 Grad begrenzt werden soll, sei nach seiner Ratifizierung durch den Bundestag unmittelbar geltendes Bundesrecht. „Und die Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgericht“, konstatiert Steinke bissig, „haben der Regierung, die dies nicht ganz ernst zu nehmen schien, in ihrem Klimabeschluss vom März 2021 die Lage noch einmal deutlich auseinandergesetzt – Verfassungsrecht für Dummies, quasi: Das Abkommen ist verbindlich, dagegen zu verstoßen, ist verboten. Die Bundesregierung, die sogar laut ihrem eigenen Expertenrat für Klimafragen ihre bescheidenen, selbstgesteckten Ziele laufend verfehlt, bricht Recht.“

In dieser Situation würden die Klima-Aktivisten sich entscheiden, ihrerseits Recht zu brechen. „Sie tun das mit einer, rechtlich betrachtet, eigentlich ungewöhnlich bescheidenen Forderung. Sie wollen nur, dass sich die mächtigsten Menschen im Staatsapparat an die rechtlichen Pflichten halten, die für diese gelten.“ Die Täter verlangten nichts, was die Regierung nicht ohnehin längst zu tun verpflichtet wäre. „Rein rechtlich ist es hier so, als zwänge jemand den Bundeskanzler bloß dazu, an eine Fußgängerampel nicht mehr über Rot zu gehen.“

Steinke verweist zum Schluss seines Artikels auf den dynamischen Charakter der Rechtsentwicklung. Wenn die Bürger keine Hoffnung mehr haben könnten, dass der Staat ein Unrecht stoppe, habe das rechtliche Folgen. Bei einer Aussichtslosigkeit behördlichen Einschreitens könne ausnahmsweise doch einmal ein rechtfertigender Notstand nach Paragraf 34 StGB denkbar sein, so habe es zum Beispiel das Oberlandesgericht Naumburg vor einer Weile festgestellt. „Mit dieser Begründung hat es Tierschützer freigesprochen, die mit ‚zivilem Ungehorsam‘ auf illegale Zustände in der Massentierhaltung hingewiesen hatten, die den Behörden seit Jahren egal waren. Und das heißt: Je länger die Klima-Aktivisten mit ihrer Verzweiflung tatsächlich recht behalten, desto eher erwächst für ihren ‚zivilen Ungehorsam‘ irgendwann doch eine auch rechtliche Legitimation.“

Quellen:

Felix Bartels: „Döpfner des Tages: Marco Buschmann“, junge Welt (Online) vom 22. April 2023

https://www.jungewelt.de/artikel/449346.döpfner-des-tages-marco-buschmann.html?sstr=letzte%7Cgeneration

Michael Bauchmüller: „Klima-Experten warnen Regierung“, Süddeutsche Zeitung vom 18. April 2023 (Printausgabe)

„Brief an die Bundesregierung, April 2023“, verfasst von „Die Bürger:innen der Letzten Generation“

https://letztegeneration.de/brief-an-die-bundesregierung/

 

Dr. Lorenz Leitmeier: „Ziviler Ungehorsam und autoritärer Legalismus?“, in: HRRS – Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht, März 2023, Seite 70-73 (PDF-Ausgabe)

https://www.hrr-strafrecht.de/hrr/archiv/23-03/index.php?sz=6

Prof. Dr. Kyrill-Alexander Schwarz: „Rechtsstaat und ziviler Ungehorsam“, in: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), 5/2023, Seite 275-280

https://www.jura.uni-wuerzburg.de/fileadmin/02160031/2023/NJW_2023_05_Forum_Schwarz.pdf

Ronen Steinke: „Alles, was Recht ist“, Süddeutsche Zeitung vom 21. April 2023 (Printausgabe)

Bandenherrschaft: Politik und Kriminalität

 

Der Schwerpunkt der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift iz3w („Informationszentrum 3. Welt“) widmet sich dem Thema „Banden und Rackets“, also der Schnittstelle von Politik und Kriminalität. Nachfolgend ein Auszug aus dem Einleitungstext des Hefts: „Die basale Bedeutung von Racket ist Gewaltkriminalität wie zum Beispiel Schutzgelderpressung. In der Racket-Theorie meint es den Umbau des Staates zum Anhängsel einer Clique oder einer völkisch-faschistischen Gruppe, wie es die NSDAP war. Der Racket entsteht innerhalb der liberalen Ordnung und kann diese ergänzen, beseitigen oder ersetzen. Die Konkurrenz der Kapitale führt zu einer Konzentration von Reichtum; und auch kriminelle oder rechtsextreme Netzwerke kämpfen dabei um die Vorherrschaft. Dabei kann sich die liberale, konkurrenzbasierte und rechtlich vermittelte Gesellschaftsordnung aufheben. Das Kapital bildet Banden.“ (Seite 17)

Der Themenschwerpunkt umfasst acht Beiträge: Der Autor Thorsten Fuchshuber analysiert den Racket-Begriff in der Kritischen Theorie bei Max Horkheimer (vgl. auch die Rezension seines Buches zum Thema unter http://big.businesscrime.de/rezensionen/kampf-um-die-beute/). In weiteren Beiträgen werden aktualisierte Formen einer Racket-Herrschaft anhand der „postsozialistischen Korruptionsgesellschaft im Kosovo“ und von Viktor Orbáns „Staat der Seilschaften“ beschrieben.

Weiterhin schildern zwei Anthropologen, wie Justiz, Wirtschaft und Verwaltung im Norden Malis zum Teil von islamistischen, teilweise aber auch von lokal agierenden Stammesmilizen dominiert werden. Ein Afrikanist beleuchtet unter anderem die Rolle islamistischer Gruppen in Nigeria. Eine Mitarbeiterin von medico international geht auf den Zusammenhang von Hilfsgeldern und Korruption in Haiti ein. Und schließlich berichtet eine Politologin in einem Interview über ihre Forschungen zu neuen Formen der organisierten Kriminalität in Mexiko.

Für Winfried Rust, Mitarbeiter im iz3w, entstehen kriminelle Banden „im Vakuum der krisenhaften ökonomischen Umbrüche“ (Seite 18). Wir zitieren nachfolgend Auszüge aus seinem Artikel „Bildet keine Banden!“:

„Das Thema Banden ist relevant, weil es die bürgerliche Gesellschaft wie ein Schatten verfolgt und Leid und Tod mit sich bringt. Weltweit zeigt sich ein Machtzugewinn bandenartiger Strukturen innerhalb und jenseits der staatlichen Gewaltmonopole. Gerade in Ländern des Globalen Südens wird heute in ganzen Regionen Herrschaft von Banden ausgeübt, oft durch brutale Gewalt. (…) Das 21. Jahrhundert ist eine Zeit krisenhafter Ökonomie, Staatlichkeit und Gesellschaftlichkeit. Dabei versuchen Kriminelle und Banden, jedes sich öffnende Vakuum von Herrschaft und Gelderwerb zu füllen. Das 21. Jahrhundert ist außerdem von einer Krise der liberalen Demokratie und der Moderne geprägt. Die Krise gebiert die konformistische Revolte. Der antimoderne Reflex reicht von den neurechten und rechtspopulistischen Bewegungen in Europa oder den USA bis hin zu der islamistischen Bewegung oder anderen fundamentalistischen und autoritären Strömungen weltweit. Die entsprechende Organisationsform ist nicht selten die Bande oder der Racket, die versuchen, ins Vakuum der Transformationen vorzustoßen.“ (Seite 18ff.)

Quelle:

„Verbrechen lohnt sich – Rackets & Bandenherrschaft“, iz3W, Ausgabe 389, März/April 2022
https://www.iz3w.org/zeitschrift/ausgaben/389_rackets

 

 

 

 

Schatzkammer von Kriminellen in der Schweiz offenbart

Nach Mitteilung der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ) wurden ihr vor etwa einem Jahr von einem anonymen Informanten geheime Unterlagen zu etwa 18.000 Konten der zweitgrößten Schweizer Bank „Credit Suisse“ (CS) mit einem Umfang von etwa 100 Milliarden Dollar zugespielt. Wie die Autoren der SZ nach erfolgter Sichtung schreiben, „konnte die Öffentlichkeit (noch nie) einen so tiefen Einblick in das Innerste der Schweizer Finanzwelt nehmen“. Die Auswertung des Datenleaks habe ergeben, dass sich unter den insgesamt 30.000 Konteninhabern kriminelle Personen befänden.

In der den Daten beigefügten und von der SZ nur auszugsweise dokumentierten Erklärung des oder der anonymen Lieferant*innen heißt es: „Ich glaube, dass das Schweizer Bankgeheimnis unmoralisch ist. Der Vorwand, die finanzielle Privatsphäre zu schützen, ist lediglich ein Feigenblatt, um die schändliche Rolle der Schweizer Banken als Kollaborateure von Steuerhinterziehern zu verschleiern. (…) Ich bin sicher, dass einige der Konten (…) aus legitimen Gründen existieren oder den Steuerbehörden im Einklang mit der relevanten Gesetzgebung angezeigt wurden. Dennoch ist es wahrscheinlich, dass eine signifikante Zahl dieser Konten mit der einzigen Absicht gegründet wurden, das Vermögen der Kontoinhaber vor Steuerbehörden zu verstecken und/oder Steuern auf Kapitalerträge zu vermeiden.“

Die SZ schreibt: „Zu den Kontoinhabern, die durch diese Recherche bestätigt werden konnten, zählen etliche ehemalige Staats- und Regierungschefs, zahlreiche Minister und andere hochrangige Politiker sowie deren nahe Verwandte, dazu Kardinäle, Menschenhändler, Oligarchen, wegen Korruption verurteilte Manager, prominente Superreiche, Sportstars und mehrere Monarchen. (…) Unter den Staats- und Regierungschefs, die in den Daten zu finden sind, sind der amtierende jordanische König Abdullah II., der 2021 gestorbene algerische Autokrat Abdelaziz Bouteflika sowie der armenische Ex-Präsident Armen Sarkissian. Eine von Abdullah II. beauftragte Anwaltskanzlei bestätigte die Existenz von Konten bei der Credit Suisse.“

In dem Artikel heißt es weiter: „Ein auf den Philippinen verurteilter Menschenhändler und ein ägyptischer Mörder finden sich ebenso in den Daten wie mutmaßlich in krumme Geschäfte verwickelte Kardinäle und der 2008 wegen Bestechung verurteilte frühere Siemens-Manager Eduard Seidel.“

Gemäß Mitteilung auf der Homepage www.finanzen.ch wies die CS in einer ersten Stellungnahme alle Vorwürfe über „angebliche Geschäftspraktiken der Bank entschieden zurück“. Die Sachverhalte würden auf veralteten, unvollständigen, selektiven und aus dem Zusammenhang gerissenen Informationen beruhen.

Die SZ hat nach eigenen Angaben die Credit-Suisse-Daten zusammen mit dem „Organized Crime and Corruption Reporting Project“ (OCCRP) sowie 46 Medienpartnern aus aller Welt ausgewertet. In der Schweiz registrierte Medien hatten gemäß www.finanzen.ch auf eine Teilnahme verzichtet. Nach der aktuellen Schweizer Gesetzeslage droht Journalist*innen eine Haftstrafe, wenn sie über geleakte Bankdaten berichten.

Quellen:

Johannen Korsch, Vinzent-Vitus Leitgeb und Carolin Lenk: „Suissse Secrets“, Stand vom 20. Februar 2022, 18.00 Uhr
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/suisse-secrets-podcast-leak-credit-suisse-1.5532656 

„‘CS-Leaks‘ belastet CS-Aktie: Credit Suisse soll Kriminelle als Kunden akzeptiert haben – Bank im Visier der Finma“, Stand vom 21. Februar 2022, 12.58 Uhr
https://www.finanzen.ch/nachrichten/aktien/cs-leaks-belastet-cs-aktie-credit-suisse-soll-kriminelle-als-kunden-akzeptiert-haben-bank-im-visier-der-finma-1031210733 

Konzerne, Pandemie, Profite

Über die Entwicklung des Reichtums in Zeiten des grassierenden Coronavirus berichtete BIG zuletzt am 25. Januar 2022 („Goldrausch für Superreiche“). Am 12. Februar stellte die junge Welt fest, dass die Pandemie auch „das Gewinnstreben der größten französischen Unternehmen im vergangenen Jahr erfolgreich angeheizt zu haben“ scheint.

Die Profite der 40 wichtigsten an der Pariser Börse notierten französischen Aktiengesellschaften bewegten sich Ende des letzten Jahres mit 137 Milliarden Euro auf Rekordniveau. Rund die Hälfte des Profits, so die junge Welt mit Bezug auf eine Pariser Wirtschaftsagentur, fließt als Dividenden an die jeweiligen Großaktionäre. Die andere Hälfte wird vor allem in Aktienrückkäufe investiert. Ermöglicht wird diese Unternehmensstrategie offensichtlich durch die Covid-Politik der Regierung Macron. Rund 80 Milliarden Euro pumpte diese laut junge Welt zur Finanzierung pandemiebedingter Teilzeitarbeit und Kreditsicherung in die Wirtschaft des Landes.

Hauptprofiteur war der Erdölgigant Total Energies. Dieser konnte im Jahr 2021 den Gewinn des Vorjahres von 7,3 auf 15 Milliarden Euro mehr als verdoppeln. Das Handelsblatt bestätigt, dass mit Ausnahme von Exxon Mobil und BP „alle Supermajors“ ihre Dividende deutlich erhöhen konnten. Seit einem Jahr stiegen die Kurse der Ölkonzerne kräftig. Fast alle Unternehmen hätten den massiven Kursabsturz bei Ausbruch der Coronapandemie mittlerweile kompensieren können. Der Grund läge vor allem „an der neu entdeckten Ausgabendisziplin“:

„2020 verbrachten die Unternehmen mit aggressiven Kostensenkungen, kündigten Zehntausende Entlassungen an und kürzten in einigen Fällen ihre Dividenden. Damit waren sie gut für 2021 gerüstet, als sich der Einbruch in eine bemerkenswerte Rallye verwandelte.“ (Handelsblatt vom 11. Februar 2022)

Nach Einschätzung des Chefs von Total Energies würden die Ölpreise hoch bleiben, wie das Handelblatt berichtet. Die Situation in Frankreich sei so angespannt, dass der Ölkonzern am 10. Februar ankündigte, Kunden einen Gutschein über je 100 Dollar auszuzahlen, um bei der Bewältigung hoher Energierechnungen zu helfen. Ein Kostenfaktor in Höhe von 50 Millionen Euro, „also mickrige 0,4 Prozent des Nettogewinns“, wie die junge Welt kommentierte.

Ein Zitat aus der jungen Welt zur Gewinnverteilung (die eine Hälfte des Profits wird als Dividenden an die Aktionäre ausgeschüttet, die andere in den Aktienkauf investiert):

„Bereits 2009 hatte der damalige, rechtskonservative Präsident Nicolas Sarkozy – heute einer der Berater Macrons und von französischen Medien zur ‚grauen Eminenz‘ hinter dem aktuellen Staatschef erklärt – eine andere Verteilung der Gewinne angemahnt: Seiner Meinung nach sollten sie ‚gedrittelt‘ werden – ein Drittel für das Unternehmen, eines für die Beschäftigten, eines für die Aktionäre. Jean-Luc Mélenchon, Führer der parlamentarischen Linken und Präsidentschaftskandidat für die Wahl am 10. April, sieht das pragmatischer: Auf Wahlkampfreise im westfranzösischen Tours kündigte er in der vergangenen Woche drastische Maßnahmen für den Fall seines Einzugs in den Élysée-Palast an: ‚Total hat die größten jemals von einem französischen Unternehmen gemachten Gewinne kassiert – wir brauchen sie ihnen nur wegzunehmen.‘

Mélenchons Generalangriff auf die Steuerpolitik Macrons, der den großen Konzernen zu Beginn seiner Regierungszeit als Unternehmenssteuer eine ‚Flat-Tax‘ von lediglich 30 Prozent gönnte, unterstützt auch der kommunistische Kandidat Fabien Roussel in einer Mitteilung: ‚Die Unternehmer müssen gezwungen werden, mit dem Geld Ausbildung und Weiterentwicklung zu fördern und auf umweltfreundliche Produktion umzustellen.‘“

Auch die größten börsennotierten Konzerne Deutschlands wollen laut Handelsblatt für den Rückkauf eigener Aktien so viel Geld ausgeben wie nie zuvor. Darunter auch solche, die bis vor kurzem noch Coronahilfen kassierten (vgl. Handelsblatt vom 14. Januar 2022). Zur Erklärung: Der Rückkauf von Aktien verknappt das Angebot und pusht deshalb den Kurs. Selbst das wirtschaftsliberale Handelsblatt kommentierte kritisch:

„Die Bundesagentur für Arbeit (BA) hat seit Ausbruch der Pandemie im Frühjahr 2020 insgesamt 52 Milliarden Euro für zusätzliche Leistungen infolge der Coronakrise ausgegeben. Allein für Kurzarbeit stellte sie 42 Milliarden Euro bereit, wie eine Auswertung der BA zum Jahreswechsel zeigt. Hohe Dividenden von Unternehmen, die Coronahilfen in Anspruch genommen haben, stoßen vielfach auf Kritik – erst recht gilt das für Aktienrückkäufe. Sie zeigen schließlich, dass ein Unternehmen zu viel Geld hat und nicht zu wenig. Rechtlich ist Adidas Wechselstrategie – Aktienrückkäufe, dann Staatshilfen, dann wieder Rückkäufe – aber nicht zu beanstanden. Gelder für Kurzarbeit sind keine Steuermittel, sondern fließen aus den BA-Kassen, in die das Unternehmen und die Mitarbeiter jeden Monat einzahlen.“ (Handelsblatt vom 14. Januar 2022)

Quellen:

Hansgeorg Hermann: „Konzerne im Profitrausch“, junge Welt vom 12. Februar 2022

https://www.jungewelt.de/artikel/420525.krisengewinnler-konzerne-im-profitrausch.html

Ulf Sommer: „Neuer Rekord: Dax-Konzerne kaufen für fast 18 Milliarden Euro eigene Aktien zurück“, Handelsblatt vom 14. Januar 2022

https://www.handelsblatt.com/unternehmen/management/adidas-sap-und-andere-neuer-rekord-dax-konzerne-kaufen-fuer-fast-18-milliarden-euro-eigene-aktien-zurueck/27968326.html

Kathrin Witsch: „Big Oil schreibt Milliardengewinne – eine schlechte Nachricht für Verbraucher“, Handelsblatt vom 11. Februar 2022

https://www.handelsblatt.com/unternehmen/energie/oel-und-gas-big-oil-schreibt-milliardengewinne-eine-schlechte-nachricht-fuer-verbraucher/28060918.html