Herber Rückschlag beim Kampf gegen Geldwäsche

Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom Ende November 2022 soll in EU-Mitgliedsstaaten nicht mehr für jedermann einsehbar sein, wer als Eigentümer hinter einer bestimmten Firma steht. Die EU muss nun ihre Geldwäsche-Richtlinie überarbeiten, um die Privatsphäre von Firmeneigentümern besser zu schützen. In der Folge haben bereits viele Länder ihre Transparenzregister geschlossen oder den Zugang eingeschränkt.

Die Wiener Tageszeitung DER STANDARD schrieb in seiner Onlineausgabe vom 10. Februar:

„Das Urteil war kaum publik, da ging das sogenannte Transparenzregister in Luxemburg bereits offline. Es folgten die entsprechenden Datenbanken in Deutschland, Österreich und den Niederlanden. Damit wurden mit einem Richterentscheid jahrelange, wenn nicht jahrzehntelange Anstrengungen zunichtegemacht. Von einem Tag auf den anderen war nicht mehr öffentlich einsehbar, wer sich hinter verworrenen Konstruktionen aus Briefkastenfirmen, Stiftungen und Trusts versteckt.

Es sei eine ‚perverse Entscheidung‘, kritisiert der Steueroasen-Experte Andres Knobel von der Nichtregierungsorganisation Tax Justice Network. Andere sprechen von einem ‚totalen Desaster‘. Ausgerechnet in einer Zeit, in der Ermittler, Journalisten und Aktivistinnen auf der ganzen Welt versuchen, Vermögen von sanktionierten Russen aufzuspüren und einzufrieren, wird eines der wichtigsten Werkzeuge für diese Detektivarbeit kaputt gemacht.“

Auch Deutschland zog entsprechende Konsequenzen: Derzeit müssen Personen, die einen Antrag auf Einsicht ins deutsche Transparenzregister stellen, ein sogenanntes berechtigtes Interesse nachweisen und zwar für jede einzelne zu recherchierende Firma, was sehr aufwändig ist. Auf den Antragsbescheid muss gegebenenfalls Wochen gewartet werden, was bei umfangreichen Recherchen eine massive Behinderung darstellt.

Weitere Reaktionen auf das Urteil:

Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin kritisiert genau diese Wirkung der Gerichtsentscheidung, da somit auch Ermittlungsbehörden begründete Anträge für eine Einsicht ins deutsche Transparenzregister stellen müssten – was die Nutzung umständlich mache. Ein Oberstaatsanwalt beklagt, dass gerade in größeren Wirtschaftsverfahren eine Vielzahl von Einzelfirmen und Firmenverbünden eine Rolle spielen würden, für die dann jeweils einzelne Anfragen mit jeweiligen Begründungen anfielen (vgl. tagesschau.de).

Die NGO Finanzwende stellt fest, dass „das Urteil ein herber Schlag ins Gesicht sei“ (Süddeutsche Zeitung). Bei Enthüllungen wie den Panama Papers  oder anderen Leaks sehe man, wie wichtig dieser Zugang zu den Transparenzregistern sei – auch für Privatpersonen, die wissen wollten, wem ihr Haus eigentlich gehöre. Viele große Immobilienunternehmen versteckten ihre wahren Eigentümer hinter anonymen Offshore-Konstruktionen (ebd.).

Eine Vertreterin von Transparency International kritisiert das Urteil, weil es die Möglichkeiten der Öffentlichkeit und der Zivilgesellschaft einschränke, Korruption, Geldwäsche, Umweltverbrechen und organisierte Kriminalität aufzudecken (ebd.). Auf ausländische Transparenz-Register hätten deutsche Ermittlungsbehörden jetzt auch keinen automatischen Zugriff mehr, erklärt Christoph Trautvetter vom Netzwerk Steuergerechtigkeit. Sie könnten zwar ein Rechtshilfeersuchen stellen, was aber vermutlich wieder zu mehr Bürokratie und Verzögerung bei den Ermittlungen führe (vgl. tagesschau.de).

Der Hintergrund der Entscheidung:

Vor dem EuGH geklagt hatte unter anderen Patrick Hansen, Chef der Luxemburger Firma Luxaviation. Vorgeblich, weil die EU-Gesetzgebung seine Privatsphäre und Sicherheit sowie den Schutz seiner persönlichen Daten verletzt hätte. Das EuGH-Urteil wird aktuell von den Medien aufgegriffen, weil internationale Recherchen, koordiniert vom Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP), nun nachweisen, dass Hansen in den vergangenen 15 Jahren Eigentümer, Direktor oder Verwaltungsratsvorsitzender von rund 100 Offshore-Firmen in einschlägig bekannten Steueroasen wie Luxemburg, den Britischen Jungferninseln oder Belize war (vgl. Süddeutsche Zeitung).

Offenbar war er auch in Geschäfte mit zwei russischen Milliardären aus dem Ölbusiness involviert. Vom Sohn eines dieser Milliardäre scheint Luxaviation auch Darlehen in Höhe vieler Millionen Dollar bekommen zu haben. Das, so zeigen die Recherchen, könnte den schnellen Aufstieg von Luxaviation zur Nummer Zwei im Privatjetgeschäft erklären.

Die Richtlinie, deren Regelung durch Hansens Klage außer Kraft gesetzt wurde, hatte die EU erst 2018 beschlossen – „eher zum Unmut jener Finanzplätze und EU-Länder, die häufig von nicht ganz sauberen Finanzpraktiken profitieren“ (DerStandard). Letztlich ausgelöst wurde die Richtlinie durch die Veröffentlichung der sogenannten Panama Papers, die den milliardenschweren Missbrauch anonymer Firmenkonstruktionen in Steueroasen offengelegt hatten.

Quellen:

Carina Huppertz/Frederik Obermaier/Michael Sauga/Jakob Pflügl: „Wie ein Luxemburger Geschäftsmann Europas Kampf gegen Geldwäsche ausbremste“, DerStandard (Online) vom 10. Februar 2023

https://www.derstandard.de/story/2000143404703/wie-ein-luxemburger-geschaeftsmann-europas-kampf-gegen-geldwaesche-ausbremste

Mauritius Much: „Dämpfer im Kampf gegen Geldwäsche“, Süddeutsche Zeitung vom 11./12. Februar 2023

Benedikt Strunz/Sebastian Pittelkow/Palina Milling/Petra Blum: „Weniger Transparenz nach EuGH-Urteil“, tagesschau.de, 10. Februar 2023

https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr/eugh-urteil-schliessung-register-klaeger-russland-101.html

 

Krisengewinner: Neues über die Corona-Profiteure

Maskendeals: Die bayerische CSU-Connection

Die PR-Unternehmerin Andrea Tandler, Tochter des ehemaligen CSU-Generalsekretärs Gerold Tandler, hatte zu Beginn der Corona-Pandemie Schutzmasken-Deals der Schweizer Firma Emix mit den Gesundheitsministerien in Bayern und NRW sowie dem Bundesgesundheitsministerium vermittelt (zum stolzen Preis von 8,90 Euro pro Maske) – dabei CSU-Kanäle genutzt und insgesamt 48 Millionen Euro an Provisionen kassiert. Seit 24. Januar 2023 sitzt sie in München wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung in zweistelliger Millionenhöhe im Zusammenhang mit den Maskengeschäften in Untersuchungshaft. Zudem ermittelt die dortige Staatsanwaltschaft gegen sie nun auch wegen Subventionsbetrug bei den staatlichen Corona-Hilfen. Im Mai 2020 hatte Tandler für ihre Münchner PR-Agentur 9.000 Euro Staatshilfe in Anspruch genommen – nachdem sie mit den Maskendeals bereits steinreich geworden war. Gemäß einer Richtlinie des bayerischen Wirtschaftsministeriums war die Corona-Soforthilfe als Höchstsumme für in Not geratene Kleinunternehmen mit bis zu fünf Beschäftigten gedacht. Im Mai 2020 wurde die Summe ausbezahlt, erst ein Jahr später zahlte Tandler die Corona-Hilfe zurück. Die Staatsanwaltschaft in München geht jetzt von Subventionsbetrug aus und wirft Tandler vor, dem Staat ihre Masken-Provisionen bewusst verschwiegen zu haben (vgl. Süddeutsche Zeitung vom 2. Februar 2023).

Quellen:

Klaus Ott: „Justiz sieht Fluchtgefahr bei Andrea Tandler“, Süddeutsche Zeitung vom 26. Januar 2023

ders.: „Verdacht auf Subventionsbetrug“, Süddeutsche Zeitung vom 2. Februar 2023

 

Überhöhte Preise für PCR-Tests

Im Januar 2023 berichtete ein Rechercheverbund von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung (SZ) von einer Milliardenverschwendung bei PCR-Tests. Hersteller und Labore konnten demnach während der Pandemie mit den Krankenkassen stark überhöhte Preise für die Corona-Tests vereinbaren. Ende Januar 2020 schrieb die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) eine Mail an den Verband der Krankenkassen und das Gesundheitsministerium. „Darin schlagen die Ärztevertreter vor, die Kosten für PCR-Tests auf das neue Coronavirus auf 59 Euro festzulegen. Damit orientierten sie sich am Preis für einen vergleichsweise seltenen Hepatitis-Test – und nicht etwa an PCR-Tests für Influenza- oder RS-Viren. Letztere werden mit 19,90 Euro vergütet. Nur zwei Tage später, vom 1. Februar an, zahlten die Kassen den Laboren dann die 59 Euro pro Test.“ (Süddeutsche Zeitung vom 9. Januar 2023) Offensichtlich hatte das Bundesgesundheitsministerium unter Jens Spahn (CDU) darauf gedrängt, die 59 Euro zu akzeptieren.

Laut SZ brachten selbst Warnungen von Herstellern und Experten das Ministerium und die Krankenkassen nicht davon ab, die überteuerten Preise zu bezahlen und dafür bis heute etwa sechs Milliarden Euro auszugeben. So hatte der Chef des Berliner Testherstellers TIB Molbiol seit Januar 2020 gegenüber Medien wiederholt bestätigt, dass PCR-Tests einschließlich Auswertung für zehn Euro zu machen seien. Heute erhalten die Labore nach Angaben der SZ noch 27,30 Euro plus Transportkosten für die Tests.

Die SZ schrieb weiter: „Dass Tests deutlich billiger zu haben waren, zeigt das Beispiel Wien. Dort wurde gepoolt, um die Kosten niedrig zu halten. Beim Poolen werden Tests von zum Beispiel zehn Personen zu einer Probe vermischt. Ist die gemischte Probe negativ, kann eine Infektion für alle zehn Personen ausgeschlossen werden. Nur wenn eine der Personen positiv ist, müssen alle Personen noch mal getestet werden, um herauszufinden, wer positiv war. So konnte Wien allen Einwohnern PCR-Tests anbieten und zahlte sechs Euro pro Test.“

Einer der Profiteure der Milliarden-Verschwendung in Deutschland ist die Laborfirma Sonic Healthcare. Ende Juli des vergangenen Jahres teilte das Unternehmen mit, dass ihr Gewinn „förmlich explodiert“ sei, von 82 auf 274 Millionen Euro.

Quellen:

Daniel Drepper/Markus Grill/Sarah Wippermann: „Mit 59 Euro fing alles an“, Süddeutsche Zeitung vom 9. Januar 2023

David Maiwald: „Milliarden im Teströhrchen“, junge Welt vom 13. Januar 2023

 

Enorme Preissteigerungen für Impfstoffe mitten in der Pandemie

Die Pharmafirmen Biontech, Pfizer und Moderna haben den Preis für ihre Corona-Impfstoffe während der Pandemie um mehr als 50 Prozent erhöht. Das, so die SZ in ihrer Ausgabe vom 27. Januar 2023, gehe aus bisher geheim gehaltenen Zahlen hervor, die dem Rechercheverbund aus NDR, WDR und SZ vorliegen. Beim US-Konzern Moderna bestellte Deutschland im Dezember 2020 rund 15 Millionen Impfdosen für je 19,50 Euro. Drei Monate später lagen die Kosten für weitere 38 Millionen Dosen bereits bei 29,70 Euro pro Dosis. Die Kooperationspartner Biontech und Pfizer kassierten 15,50 Euro pro Impfdose, als Deutschland Ende 2020 eine Bestellung von 39 Millionen Dosen aufgab. Im September 2021 wurden 168 Millionen Dosen zu einem Preis von je 23,20 Euro geordert. Insgesamt hat der deutsche Staat inzwischen Vakzine für 13,1 Milliarden Euro bestellt, das heißt acht Dosen pro Einwohner. Nach Expertenmeinung ist diese Menge jedoch viel zu hoch. Ein Großteil der Lieferungen muss voraussichtlich wegen Überschreiten des Verfallsdatums vernichtet werden.

Diese Entwicklung führte dazu, dass die Corona-Pandemie der Pharmabranche in den vergangenen beiden Jahren den stärksten Umsatzschub seit Jahrzehnten bescherte. Wie das Handelsblatt Anfang des Jahres in einem Branchenbericht feststellte. muss sich die Branche jedoch für das Jahr 2023 auf eine „Wachstumsdelle“ einstellen. Insbesondere die Umsätze mit Impfstoffen und Medikamenten gegen Covid dürften sich nach bisherigen Schätzungen von Analysten etwa halbieren – nachdem sie im vergangenen Jahr noch sehr deutlich auf etwa 100 Milliarden Dollar gestiegen waren (Handelsblatt vom 4. Januar 2023). Dennoch erwartet der Chef des US-Unternehmens Pfizer, das 2022 den bisher höchsten Umsatz und Gewinn in der Geschichte der Pharmaindustrie verzeichnen konnte, dass das Covidgeschäft trotz des Einbruchs im laufenden Jahr längerfristig eine milliardenschwere Einnahmequelle bleiben wird. 2023 werde wohl bereits der Tiefpunkt des Geschäfts erreicht sein; in den nächsten Jahren seien wieder höhere Erlöse zu erwarten. Pfizer geht davon aus, dass die staatlichen Vorratsbestände an Impfstoffen im Verlauf des Jahres 2023 aufgebraucht sein werden (Handelsblatt vom 31. Januar 2023).

Quellen:

Markus Grill/Klaus Ott: „Geschwärzte Verträge und Milliardenprofite“, Süddeutsche Zeitung vom 27. Januar 2023

Siegfried Hofmann: „Pfizers Covid-Umsatz schrumpft stark, bleibt aber ein Milliardengeschäft“, Handelsblatt (Online) vom 31. Januar 2023

ders.: „Die Pharmaindustrie steht nach dem Corona-Boom vor einer Wachstumsdelle“, Handelsblatt (Online) vom 4. Januar 2023

 

Beschäftigte zweiter und dritter Klasse: Zur Arbeitssituation von Saisonarbeitskräften in Deutschland

Anfang Februar 2023 legten die Gewerkschaft IG Bau und der Deutsche Gewerkschaftsbund den seit 2018 regelmäßig erscheinenden Jahresbericht „Saisonarbeit in der Landwirtschaft“ der Initiative Faire Landarbeit vor. Die Initiative ist nach eigener Darstellung ein Bündnis gewerkschaftsnaher Beratungsstellen, der IG BAU, kirchlicher Beratungsstellen und weiterer Organisationen.

Danach kamen etwa 60 Prozent der insgesamt knapp über 135.000 Beschäftigten (Stand 30. Juni 2021), wie in den Vorjahren, aus Rumänien. Als weitere Herkunftsländer gibt der Bericht Polen, Ungarn und Bulgarien an. Saisonarbeiter:innen reisten aber auch vermehrt aus der Ukraine, aus Kirgisistan und Usbekistan an.

In einer Pressemitteilung vom 3. Februar 2023 heißt es:

„In vielen Betrieben stellt nicht die Arbeitszeit, sondern die Dokumentation der geernteten Menge die Grundlage für die Lohnabrechnung dar. Arbeitsstunden werden oftmals von Hand von der Betriebsleitung aufgeschrieben. So lässt sich nur schwer nachvollziehen, wie sich das Entgelt zusammensetzt und ob der gesetzliche Mindestlohn eingehalten wird. Hinzu kommt, dass Überstunden nicht bezahlt werden und hohe Mieten sowie ‚Arbeitsmaterialien‘ vom Lohn abgezogen werden. Da die Löhne meistens erst kurz vor der Abreise ausbezahlt werden, ist eine erfolgreiche Reklamation schwierig. Nötig wäre eine transparente digitale Zeiterfassung.“

Infolge des Klimawandels sind Saisonbeschäftigte immer stärker von Hitzestress und UV-Strahlung betroffen. „Zwar waren die damit einhergehenden Risiken in unserer Beratungsarbeit in diesem Jahr kein Schwerpunkt“, heißt es in dem Bericht, „aufgrund der Hitze waren sie jedoch sehr präsent in unseren Gesprächen bei Feldbesuchen“. Wichtige Schutzmaßnahmen seien auf vielen Feldern noch nicht umgesetzt worden. So fehlten Schattenplätze zum Abkühlen und Trinkwasser sowie Schutzmittel wie Sonnencreme und Kopfbedeckungen. „Wir gehen zudem davon aus, dass die Bezahlung nach Akkord Beschäftigte unter Druck setzt, auf gesundheitlich relevante Pausen in den heißen Phasen des Tages zu verzichten.“

Die Statistiken des Zolls zeigten für die Landwirtschaft zudem eine äußerst geringe Dichte an Mindestlohnkontrollen. So wurden im Jahr 2021 nur 1,1 Prozent der Betriebe mit abhängig Beschäftigten kontrolliert, in der ersten Hälfte 2022 noch weniger. In 8,6 Prozent aller Kontrollen in der Landwirtschaft führten diese 2021 zu einem Verfahren wegen Mindestlohnverstoß –  im Baugewerbe oder im Bereich Spedition und Logistik war die Quote geringer. Auch die Dichte der Arbeitsschutzkontrollen in der Landwirtschaft hält die Initiative für nicht ausreichend. Sie liege branchenübergreifend in Deutschland bei lediglich 40 Prozent der von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) geforderten Dichte. 

Die Initiative stellt in ihrem Bericht folgende Forderungen an die Bundesregierung auf:

1) Kurzfristig Beschäftigte in der Landwirtschaft müssen in Deutschland Anspruch auf den vollen, gesetzlichen Krankenversicherungsschutz haben.

2) Die Kontrollen zur Einhaltung des Mindestlohns und zum Arbeitsschutz müssen deutlich ausgeweitet werden.

3) Die verpflichtende Einführung eines manipulationssicheren, digitalen Arbeitszeiterfassungssystems muss sichergestellt werden.

4) Die Kosten für Unterkünfte müssen vom Arbeitgeber getragen werden.

5) Der Arbeits- und Gesundheitsschutz auf den Feldern der Landwirtschaft muss konsequent umgesetzt und verstärkt werden.

6) Die reguläre Beschäftigung für ukrainische Geflüchtete und die Einhaltung der Standards der EU-Saisonarbeiterrichtlinie für alle Saisonbeschäftigten aus Drittstaaten müssen sichergestellt werden.

Quellen:

„Keine ausreichende Krankenversicherung und undurchsichtige Lohnzahlungen“, Medieninfo der IG Bau-Agrar-Umwelt vom 3. Februar 2023

https://igbau.de/Binaries/Binary18587/2023-PM-02-Jahresbericht-Saisonarbeit-2022.pdf

„Saisonarbeit in der Landwirtschaft. Bericht 2022“, hrsg. von der Initiative Faire Landarbeit (Autor: Benjamin Luig), Februar 2023

https://igbau.de/Binaries/Binary18586/InitiativeFaireLandarbeit-Saisonbericht2022-A4-web.pdf

 

 

 

 

 

Fehlende Aufarbeitung von Cum-Ex wegen Personalmangel

Die schwarz-grüne Regierung in NRW verspricht in ihrem Koalitionsvertrag vom Juni 2022, dass sie Delikte wie Cum-Ex „entschlossen bekämpfen und aufarbeiten“ und die Rolle der früheren WestLB dabei aufklären werde. „Die Ermittlungen in Sachen West-LB laufen allerdings schleppend, sieben Jahre nach deren Beginn scheint eine Anklage nicht in Sicht zu sein“, schreibt die Süddeutsche Zeitung (SZ) in ihrer Ausgabe vom 23. Januar 2023.

Gemeinsame Recherchen der SZ mit dem WDR ergaben, dass für den komplexen Fall nur zwei Beamte der Steuerfahndung Düsseldorf eingeteilt sind. Der frühere NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) kritisiert die inaktive Rolle der Staatsanwaltschaft Köln in Personalfragen. Schon zu seiner Zeit als Minister habe sich der leitende Oberstaatsanwalt in Köln kaum aktiv um mehr Personal bemüht. Im Interview mit dem WDR-Magazin Westpol stellt er fest, dass die Ermittlungen viel weiter sein könnten. Er habe im Grunde seinerzeit der Staatsanwaltschaft in Köln Stellen „aufzwingen“ müssen. Sein Eindruck sei, dass sowohl der Leiter der Kölner Staatsanwaltschaft wie auch sein Vertreter kein großes Interesse an diesem Verfahren hätten. Biesenbach: „Es fehlen deutlich Kräfte für Cum-Ex-Verfahren.“ Die Aufklärung in Sachen Cum-Ex drohe deshalb „zu versanden“. Dem widerspricht Biesenbachs Nachfolger Benjamin Limbach (Bündnis 90/Die Grünen). Er sieht kein Stocken der Ermittlungen, weil immer wieder Stellen besetzt würden. Die Justiz bemühe sich, die Arbeit der Staatsanwält:innen nach Kräften zu unterstützen.

Die SZ fasst den letzten Stand der Personalausstattung der Staatsanwaltschaft Köln zusammen:

„Offiziell zählt die eigens für Cum-Ex-Fälle zuständige Abteilung H bei der Staatsanwaltschaft Köln zwar 36 Stellen. Drei davon sind momentan aber nicht besetzt. Drei weitere Kräfte fallen derzeit wegen Elternzeit und Mutterschutz aus. Neun von zuletzt 16 neu geschaffene Stellen wurden dem Justizministerium zufolge mit Mitarbeitern besetzt, die noch ‚sehr dienstjung‘ seien. Bis auf zwei Ausnahmen verfügten sie ‚weder über Erfahrungen in Bearbeitung umfangreicher Wirtschaftsstrafsachen noch über steuer-und bankenrechtliche Vorkenntnisse‘.“

Die Cum-Ex-Verfahren werden am Landgericht Bonn verhandelt. Doch dort, so berichtet der WDR, lässt die angekündigte Prozessflut bislang auf sich warten. Dabei wurden Gerichtssäle für 600.000 Euro modernisiert und neue geplant. Stefan Weismann (Präsident Landgericht Bonn) meinte dazu: „Es war ein anderes Tempo angekündigt.“

Quellen:

„Schleppende Ermittlungen zur WestLB“, Westpol (TV-Magazin des WDR) vom 22. Januar 2023
https://www.ardmediathek.de/video/westpol/westpol/wdr/Y3JpZDovL3dkci5kZS9CZWl0cmFnLTdjYjE2NjhhLTU3ZGQtNGUyNy1hY2Y0LTJmMTYyOTg0NDgwYg

Jan Diesteldorf/Nils Wischmeyer: „Personalmangel bremst Cum-Ex-Aufklärung“,
Süddeutsche Zeitung vom 23. Januar 2023

Knast für Umweltverbrecher in Belgien

Die belgische Regierungskoalition hat einen Beschluss gefasst, der für die ganze Welt Vorbildcharakter haben soll. Danach soll Ökozid (Mord an der Umwelt) als Verbrechen geahndet werden, zu sanktionieren mit Haftstrafen von zehn bis 20 Jahren. Definiert wird er als „vorsätzliche Handlung, die einen schweren, weitreichenden und langfristigen Schaden für die Umwelt verursacht – begangen in dem Wissen, dass diese Handlung einen solchen Schaden verursacht“. (Süddeutsche Zeitung)

Die belgische Umweltministerin Zakia Khattabi von den Grünen möchte ein Bewusstsein schaffen für die Dimension von Umweltzerstörung und Klimakatastrophe. Dieser Beschluss soll Bewegung in die internationale Debatte bringen. Das Europaparlament hatte sich schon seit geraumer Zeit dafür eingesetzt, den Ökozid im europäischen Recht als kriminellen Tatbestand juristisch zu verankern, fand aber bislang keine Unterstützung bei der Kommission und bei den Mitgliedsländern.

Die Süddeutsche Zeitung schreibt:

„Internationale Juristen drängen darauf, den Tatbestand des Ökozids, in einer ganz ähnlichen Formulierung wie in Belgien, in das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag aufzunehmen – neben Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Verbrechen des Angriffskrieges. (…) Kritische Völkerrechtler warnen andererseits davor, den Ökozid mit dem Genozid gleichzusetzen. Der Völkermord habe zum Ziel, eine bestimmte Gruppe von Menschen zu vernichten, Umweltverbrechen aber würden meist aus Profitgier begangen. Letztlich werde der Begriff des Völkermords dadurch entwertet.
Möglicherweise wird die belgische Justiz vorexerzieren müssen, ob sich der Ökozid trotz der vagen Kriterien tatsächlich strafrechtlich anwenden lässt. Verfolgt werden können laut dem vorliegenden Gesetzestext keine Staaten, sondern nur Einzelpersonen. Oppositionspolitiker ließen schon polemisch anklingen, auch die belgischen Grünen könnten wegen Ökozids verfolgt werden, schließlich würden sie ja in der Regierung umweltfreundliche Kernkraftwerke schließen und stattdessen Gaskraftwerke bauen lassen.“

Quelle:

Josef Kelnberger: „Umweltverbrecher sollen ins Gefängnis“, Süddeutsche Zeitung (Online) vom 10. November 2022
https://www.sueddeutsche.de/politik/belgien-oekozid-straftat-gefaengnis-1.5691603

siehe auch:

„Belgien: Ökozid, ein internationales Verbrechen“, eine Reportage (Arte-Video) von Frank Dürr et al., 2021
https://www.arte.tv/de/videos/106897-000-A/belgien-oekozid-ein-internationales-verbrechen/

 

Tödliche Arbeitsunfälle in Deutschland

Die Online-Plattform Statista, nach eigenen Angaben führender Anbieter für Markt- und Konsumentendaten in Deutschland, berichtet, dass für das Jahr 2021 bundesweit 510 Arbeitsunfälle mit Todesfolge registriert wurden. Gegenüber dem Rekord-Unfalljahr 1993 mit 1.543 tödlichen Unfällen habe sich danach die Zahl um mehr als 66 Prozent reduziert. Die Quote tödlicher Arbeitsunfälle würde sich auf dem historischen Tiefstand von 0,01 je 1.000 Vollarbeiter halten.

Die Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) referiert die Fakten weniger optimistisch. Im Bereich der Unfallversicherung von gewerblicher Wirtschaft und öffentlicher Hand ereigneten sich danach im Jahr 2021 insgesamt 806.217 meldepflichtige Arbeitsunfälle, die eine Arbeitsunfähigkeit von mehr als drei Tagen oder den Tod zur Folge hatten, das heißt 6 % mehr als im Vorjahr. „Bei den tödlichen Arbeitsunfällen ist gegenüber dem Vorjahr ein Anstieg um 111 Fälle auf 510 Todesfälle zu verzeichnen.“

Renate Dillmann, Dozentin und freie Journalistin, kommentiert auf den Nachdenkseiten:

„Tragische Einzelfälle? Gehört die Gefahr eines eventuell sogar tödlichen Arbeitsunfalls schlicht zum ‚normalen Lebensrisiko‘? Oder ist mehr zu den Ursachen zu sagen? (…)

Arbeitsschutz ist in der kapitalistischen Produktion nichts, worauf ein Unternehmen von sich aus Wert legt. Schutzvorrichtungen bei der Bedienung von Maschinen, Lärmschutz, die Verwendung nicht schädlicher Stoffe, stabil gebaute Arbeitshallen, die nicht einsturzgefährdet sind und in denen der Brandschutz gewährleistet ist – all das verursacht Kosten und wird deshalb, wenn es allein nach dem Willen der Unternehmen geht, nur gemacht, wenn die entsprechenden Schutzmaßnahmen im Verhältnis zu den anfallenden Kosten und den zu erwartenden ‚Betriebsausfällen durch Unfall‘ sich lohnen. (…)

Die rücksichtslose Praxis seiner Unternehmer hat der deutsche Sozialstaat im Interesse an einer nachhaltigen Benutzbarkeit seiner Arbeitsbevölkerung nach und nach durch Arbeitsschutzgesetze eingeschränkt. Heute gehören zum Arbeitsschutz diverse Rechtsverordnungen (…).

Dass dermaßen viele staatliche Verordnungen nötig sind, um den modernen Arbeitsprozess für die Arbeitnehmer wenigstens so aushaltbar zu machen, dass sie – zumindest als statistisches Kollektiv – ein Arbeitsleben durchstehen, ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert.

Erstens stellt es dem Zweck, um den es in den gesetzlich regulierten Fabriken, Baustellen und Büros geht, kein gutes Zeugnis aus – so etwas Unschuldiges wie ‚Versorgung der Menschen mit Konsumgütern‘ wird es wohl kaum sein. Denn wenn es um diesen Zweck ginge, würde niemand die dafür fällige Arbeit so gefährlich und schädlich organisieren, dass bei der Produktion Physis und Psyche schon so in Mitleidenschaft gezogen werden, dass der Genuss der produzierten Güter gar nicht mehr sorglos zustande kommt.

Wenn zweitens per Rechtsverordnung einige (bisher erlaubte) Praktiken verboten werden – etwa die Überschreitung eines bestimmten Tageslärmpegels oder einer Hand-Arm-Vibration, dann sind damit alle Schädigungen an Ohren, Bandscheiben und Leber unterhalb der gezogenen Grenze bzw. Durchschnittswerte (!) erlaubt. Ganz im Gegensatz zur üblichen Vorstellung vom ‚Schutz‘, legen die staatlich definierten Grenzwerte (das gilt übrigens auch für Lebensmittel u.a.) mit ihrem Verbot eines Übermaßes also fest, in welchem Maß die Gesundheit der Betroffenen staatlich erlaubtermaßen angegriffen und verschlissen werden darf. (…)

Mit seiner Gesetzgebung zum Arbeitsschutz legt der moderne Sozialstaat die Bedingungen dafür fest, wie Benutzung und Verschleiß der Arbeitskräfte so vonstatten gehen, dass das Ganze gewissermaßen ‚nachhaltig‘ passieren kann. Das schließt offenbar – siehe die Statistik der Gesetzlichen Unfallversicherung – nach wie vor eine erkleckliche Zahl an Arbeitsunfällen mit gesundheitlichen Folgen ein und auch ein paar hundert Tote pro Jahr.

Das ist auch kein Wunder, denn am Zweck der Arbeitsplätze in seiner Wirtschaft ändert ein solches Gesetz ja erklärtermaßen nichts: Mit der Arbeit der Leute soll Gewinn erwirtschaftet werden – und das bedeutet unter den Bedingungen der globalen Standortkonkurrenz nichts Gutes für die Beschäftigten. Die wiederum müssen sich angesichts des brutalen Unterbietungswettbewerbs, in dem sie ‚normal‘ und erst recht als migrantische Wanderarbeiter stehen, auf alle Bedingungen einlassen und schauen, wie sie damit klarkommen.“

Quellen:

Renate Dillmann: „Arbeitsunfälle in Deutschland: Mehr als ein Toter pro Tag“, Nachdenkseiten, 11. November 2022

https://www.nachdenkseiten.de/?p=90247

Rainer Radke: „Tödliche Arbeitsunfälle in Deutschland bis 2021“, Statista, 26. Oktober 2022

https://de.statista.com/statistik/daten/studie/276002/umfrage/gemeldete-toedliche-arbeitsunfaelle-in-deutschland-seit-1986/

„Arbeits- und Wegeunfallgeschehen“, DGUV (Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung)

https://www.dguv.de/de/zahlen-fakten/au-wu-geschehen/index.jsp

 

Superreiche sparen Geld in deutschen Gewerbesteueroasen

Recherchen des ARD-Magazins „Plusminus“ und der Süddeutschen Zeitung (SZ) belegen, dass deutsche Großunternehmen und Milliardäre zuhauf in deutsche Gewerbesteueroasen flüchten, um Steuern auf ihre Gewinne zu sparen. Zugleich kämpfen Kommunen mit leeren Kassen, müssen Schwimmbäder schließen und in öffentlichen Gebäuden die Heizungen herunterdrehen. 

Berichte über dieses Thema gab es bereits in den vergangenen Jahren. Die aktuellen Untersuchungen führten die Journalist*innen nun vor allem in die brandenburgische Gemeinde Schönefeld. Die Gemeinde gilt als Gewerbesteueroase, heißt es im TV-Beitrag und dem Artikel der SZ. Sie hat eine der niedrigsten Gewerbesteuersätze in Deutschland. Viele reiche Großunternehmer nutzen das aus und haben hier einen Firmensitz angemeldet, um weniger Gewerbesteuer bezahlen zu müssen. Bundesweit gibt es demnach mindestens neun solcher Steueroasen. In Schönefeld zahlt ein Unternehmen nur rund acht Prozent auf Gewinne, in Wuppertal dagegen etwa 17 Prozent. Wuppertals Stadtkämmerer hält deshalb das, was die Steueroasen treiben, eindeutig für Steuerdumping.

„Wie das vor Ort ausschaut, wenn Superreiche ihre Lager aufschlagen, lässt sich in der Gemeinde Brandenburg bestens erkunden. Dort findet sich beispielsweise ein verlassenes Ladenbüro, in dessen Schaufenster eine Liste mit Firmen hängt, die hier ihren Sitz haben. Gleich zwei Mal taucht dort der Name Burlington auf, eine Marke, die zum Falke-Imperium gehört. Die Firma aus Nordrhein-Westfalen ist für Strümpfe in der oberen Preisklasse bekannt.“ (SZ)

Gegenüber „Panorama“ nimmt die Unternehmensleitung von Falke schriftlich Stellung: „Wie begrüßen als erfolgreiches Wirtschaftsunternehmen den politisch gewollten Wettbewerb unter Kommunen (…).“

Auch der Unternehmenskomplex von Milliardär Ludwig Merckle hat in Schönefeld Teile des Familienimperiums angemeldet. An die hundert Firmen der Familie Merckle sollen hier ihren Geschäftssitz in einem der Büros haben. Zu einem Interview mit den Journalist*innen war Merckle nicht bereit, auch beantwortete er keine schriftlichen Fragen. Recherchen zeigen, dass  er offenbar Steueroasenhopping betreibt. Sein Firmengeflecht war zuerst in der Steueroase Zossen in Brandenburg angemeldet. Nachdem die Gemeinde die Gewerbesteuer leicht erhöht hatte, zog er mit seinen Firmen knapp 30 Kilometer weiter nach Schönefeld.

„4,5 Milliarden Euro soll Ludwig Merckle besitzen, den das Handelsblatt im Jahr 2011 zum ‚Familienunternehmer des Jahres‘ kürte. In der dazugehörenden Laudatio hob Günther Oettinger unter anderem seine ‚ausgesprochene Bodenhaftung und ungewöhnliche Bescheidenheit‘ hervor.“ (SZ)

Um den unhaltbaren Zustand zu beenden, bedarf es einer bundesweiten Lösung. „Das Bundesfinanzministerium“, schreibt die SZ, „spricht zwar von einer ‚bundesweiten Bedeutung‘ der Thematik und dass es aktuell ‚Erörterungen‘ dazu gebe. Eine Gewerbesteuerreform sei aber nicht geplant, heißt es auf Anfrage.“

Als Politiker, die sich aktiv gegen den Missstand wenden, kommen in den Beiträgen von ARD und SZ der Stadtkämmerer Wuppertals, Johannes Slawik, sowie Berlins Finanzsenator Daniel Wesener (Die Grünen) zu Wort. Christoph Trautvetter vom Netzwerk Steuergerechtigkeit betont unter anderem die Bedeutung eines kritischen Engagements der lokalen Steuerbehörden vor Ort.

 

Quellen:

„Steueroasen: Wie Superreiche bei der Gewerbesteuer tricksen“, Beitrag des ARTD-Magazins Plusminus vom 2. November 2022

https://www.ardmediathek.de/video/plusminus/steueroasen-wie-superreiche-bei-der-gewerbesteuer-tricksen/das-erste/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL3BsdXNtaW51cy8zNzI5OWNmYi00ODkwLTRmMmItYTg0MC03N2QwYjFjZGYwNjI

Katrin Kampling/Caroline Walter/Nils Wischmeyer: „Das Versteckspiel der Superreichen“, Süddeutsche Zeitung vom 3. November 2022

Weitere Informationen auch hier:

Jahrbuch Steuergerechtigkeit 2021  (Autoren: Christoph Trautvetter, Yannick Schwarz), Herausgeber Netzwerk Steuergerechtigkeit e.V., Stand: August 2021, Seite 22ff.

https://www.netzwerk-steuergerechtigkeit.de/wp-content/uploads/2021/11/210922_JahrbuchSteuergerechtigkeit2021_credits.pdf

Greenwashing: Deutsche Vermögensverwalter fördern Klimakrise

Die wichtigsten deutschen Fondsgesellschaften, vor allem die Deutsche Bank-Tochter DWS, treiben den Ausbau fossiler Brennstoffe voran – obwohl sie sich öffentlich zum Klimaschutz bekennen. Dies belegt eine von Greenpeace, urgewald und Reclaim Finance vorgelegte gemeinsame Studie vom Oktober 2022. Dort heißt es, dass das Pariser Klimaschutzabkommen die Verantwortung des Finanzsektors für die Bewältigung der Klimakrise herausstelle. Danach sollen die globalen Finanzströme so gestaltet werden, dass sie im Einklang mit den Pariser Klimazielen stehen. Die Studie stellt dagegen den vier größten deutschen Vermögensverwaltern ein verheerendes Zeugnis aus. Folgende Gesellschaften stehen im Mittelpunkt der Analyse:

– DWS Group (Tochter der Deutschen Bank: verwaltetes Vermögen etwa 833 Milliarden Euro)

– Allianz Global Investors (Tochter der Allianz Versicherung: verwaltetes Vermögen etwa 578 Milliarden Euro)

– Union Investment (im Verbund der Volks- und Raiffeisenbanken, Tochter der DZ Bank: verwaltetes Vermögen etwa 415 Milliarden Euro)

– Deka Investments (in der Sparkassen-Finanzgruppe, Tochter der DekaBank: verwaltetes Vermögen etwa 290 Milliarden Euro).

Alle vier Investmentgesellschaften unterstützen offiziell das Pariser 1,5-Grad-Ziel, unterlaufen nach ihren Anlagerichtlinien jedoch aktiv das Klimaversprechen. Insgesamt pumpen sie 13 Milliarden Euro in fossile Energieunternehmen, die DWS Group mit etwa 7,8 Milliarden Euro mit Abstand am meisten (Stand September 2022).

Ein Auszug aus der Studie:

„Während sich AGI, Deka Investments und Union Investment moderate generelle Beschränkungen für Investitionen in Kohleunternehmen gegeben haben, finden sich bei der DWS keine allgemeingültigen Auflagen. Keiner der vier Asset Manager besitzt eine Strategie zur Beschränkung der Investitionen in expandierendes Öl- und Gasgeschäft. (…) Die vier größten deutschen Asset Manager AGI, Deka, DWS und Union verwalten gemeinsam ein Wertpapiervermögen von rund 2,3 Billionen Euro [Stand September 2022]. Aufgrund der unzureichenden Klimastrategien sind klimaschädliche Investitionen weit über die nötige Begrenzung für ein 1,5-Grad-Ziel hinaus an der Tagesordnung: Alle vier Asset Manager investieren in Kohle-, Öl- und Gasunternehmen, die weiterhin die Ausweitung ihrer fossilen Geschäftstätigkeiten planen.“

Eine glaubwürdige Umsetzung der 1,5-Grad-Versprechen, so die Studie, würde jedoch bedeuten, diese Investments auf Null zu senken.

Greenpeace, Reclaim Finance und urgewald stellen abschließend zwei Forderungen auf:

„1. Die Vermögensverwalter brauchen einen verbindlichen Plan für den sofortigen Stopp aller neuen Investitionen in Unternehmen, die an der Expansion von Kohle-, Öl- und Gasprojekten beteiligt sind. Der Plan muss den sofortigen Verkauf der aktuell gehaltenen Aktien und Anleihen von Unternehmen beinhalten, die eine Expansion ihres Kohlegeschäfts planen, und eine zeitnahe Frist für Papiere von Unternehmen, die eine Expansion von Öl- und Gasprojekten vorantreiben.

2. Für das Engagement mit den verbleibenden Energieunternehmen mit schrumpfenden fossilen Geschäften müssen die Vermögensverwalter eine klare und glaubwürdige Strategie zur Emissionsreduktion entwickeln, die bei Verfehlung durch die Unternehmen auch deren Veräußerung als Option beinhaltet.“

Quelle:

„Die deutschen Vermögensverwalter und ihr Umgang mit Unternehmen mit expandierendem Kohle-, Öl- und Gasgeschäft“, Deutsche Zusammenfassung eines Reports von Greenpeace, urgewald und Reclaim Finance, 18.Oktober 2022
https://www.greenpeace.de/publikationen/Zusammenfassung_Report_deutsche_Asset_Manager.pdf

vgl. auch:

Yasmin Osman: „Greenpeace stellt DWS besonders schlechtes Zeugnis aus“, Handelsblatt (Online) vom 18. Oktober 2022
https://www.handelsblatt.com/finanzen/banken-versicherungen/banken/nachhaltigkeit-greenpeace-stellt-dws-besonders-schlechtes-zeugnis-aus/28751126.html

David Maiwald: „Wieder nur Maskerade“, junge Welt (Online) vom 19. Oktober 2022
https://www.jungewelt.de/artikel/436959.grüner-kapitalismus-wieder-nur-maskerade.html

Pandemie-Profiteure: Steuergeld-Verschwendung als Systemzwang?

Nach Recherchen von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung (SZ) ermittelt zurzeit die Staatsanwaltschaft Berlin gegen einen hohen Beamten im Gesundheitsministerium wegen überzogen teurer Maskenbestellungen bei der Schweizer Handelsfirma Emix. Der Beamte wird verdächtigt, im April 2020 mit dem Kauf von 100 Millionen Corona-Schutzmasken zum Preis von 540 Millionen Euro Steuergeld veruntreut zu haben. Es handelt sich um eine Führungskraft, die offensichtlich zu den Vertrauten von Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zählte „und dem auch der neue Minister Karl Lauterbach (SPD) vertraut“, so die SZ. 

Bereits drei Wochen zuvor, im März 2020, hatte der Beamte laut tagesschau.de unter anderem 32 Millionen Masken zum Stückpreis von 5,95 Euro bei Emix gekauft. Emix selbst soll nach Schätzungen der ebenfalls ermittelnden Staatsanwaltschaft München mit den Lieferungen nach Deutschland insgesamt 300 Millionen Euro Gewinn gemacht haben. Vermittelt wurden die Geschäfte von Andrea Tandler, Tochter des ehemaligen CSU-Generalsekretärs Georg Tandler sowie Monika Hohlmeier, Tochter des ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß (CSU). Tandler und einer ihrer Partner sollen dafür von Emix 48 Millionen Euro Provision erhalten haben: „Die Provision war wegen der hohen Maskenpreise und großen Liefermengen so üppig ausgefallen.“ (SZ) Nach Auffassung des Beamten im Gesundheitsministerium waren die Deals in Ordnung. Das Ministerium habe in der damaligen Notlage, beim Kampf gegen das Virus in Altenheimen und Kliniken, gar nicht anders handeln können.

Die SZ misst dem Verfahren grundsätzliche Bedeutung bei mit weitreichende Folgen:

„Erstmals untersucht eine Staatsanwaltschaft in einem großen Corona-Fall, wie weit der Staat in einer großen Krise seine Kasse öffnen darf. Wo endet die staatliche Notwehr? Und wo beginnt eine gesetzeswidrige Steuergeldverschwendung, weil Behörden und Ministerien das Geld der Bürgerinnen und Bürger Geschäftemachern gleichsam hinterherwerfen oder anderweitig mehr als leichtfertig ausgeben?“

Zur Zeit des Vertragsabschlusses im April 2020, glaubt die Staatsanwaltschaft Berlin, war jedenfalls die Notlage bei den Masken längst nicht mehr so groß gewesen wie in den Wochen zuvor, kurz nach Beginn der Pandemie. So stellt ein Corona-Lagebericht des bayerischen Gesundheitsministeriums vom 9. April 2020 fest, dass die Preise für persönliche Schutzausrüstung wieder fallen würden, da das Marktgeschehen wieder in Gang komme. Deshalb müsse wieder mehr auf Qualität und Preis geachtet werden. Nichtdestotrotz, so SZ und tagesschau.de, habe das Gesundheitsministerium zwei Wochen später bei Emix 100 Millionen Masken für 540 Millionen Euro geordert. Mittels eines Vertrages, den der damalige Minister Spahn selbst genehmigte.

Die aktuelle juristische Aufarbeitung von Makendeals verdient auch Aufmerksamkeit, da rechtliche Bewertungen in der jüngsten Vergangenheit negativ überraschten. So sah der Bundesgerichtshof (BGH) im Juli 2022 in einer Maskenaffäre den Vorwurf der Bestechlichkeit gegen zwei ehemalige CSU-Abgeordnete als nicht erfüllt an. Der langjährige Landtagsabgeordnete Alfred Sauter und Georg Nüßlein, der für die CSU im Bundestag saß, hatten üppige Provisionen für die Vermittlung von Masken erhalten. Dass sich Mandatsträger bei außerparlamentarischen Betätigungen auf ihren Status berufen, um im Interesse eines Privatunternehmers Behördenentscheidungen zu beeinflussen, erfülle den Tatbestand der Bestechlichkeit nicht, hatte der BGH entschieden (vgl. Handelsblatt).

Quellen:

Markus Grill (WDR/NDR): „Ermittlungen im Gesundheitsministerium“, 14. Oktober 2022

tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr/corona-masken-emix-101.html

Markus Grill/Klaus Ott: „Tatverdacht Verschwendung“, Süddeutsche Zeitung vom 15./16. Oktober 2022

„Maskendeals der CSU-Politiker – laut BGH nicht illegal“ , Handelsblatt (Online) vom 12. Juli 2022

Ausgebeutete Arbeiter und Fußballmillionäre – über die WM in Katar

Vom 21. November bis zum 18. Dezember 2022 findet die Fußball-WM in Katar statt. Die Kritik an der Vergabe dieses Turniers war nie so laut wie in diesem Fall.

Unter dem Titel „Reclaim the Game“ führte in den letzten Wochen eine von der Rosa-Luxemburg-Stiftung organisierte Veranstaltungsreihe mehrere Gäste aus Nepal und Kenia in neun deutsche Städte, um dort von ihren Erfahrungen als migrantische Arbeiter in dem Emirat zu berichten. Die Tour wurde am 29. September in Berlin abgeschlossen. Das Neue Deutschland (ND) gibt die Eindrücke eines Kenianers wieder, der mehrere Jahre als Wachmann in Katar gearbeitet hat:

„‚Als migrantischer Arbeiter in Katar hast du selbst keinen Einfluss darauf, ob du Überstunden machst, ob die überhaupt bezahlt werden, ob du den vertraglich zugesicherten freien Tag in der Woche nehmen kannst oder nicht. Du wohnst in einem Zimmer mit sechs, acht, zehn, manchmal zwölf anderen zusammen. Die Wände sind feucht, in den Betten haust Ungeziefer. Raus kannst du kaum. Und sich zu erholen, ist schwer, wenn der eine gerade Musik aus seinen Boxen hört, der nächste telefoniert und ein anderer Fernsehen guckt‘. (…) Am schlimmsten aber seien die juristischen Auswirkungen des Kafala-Arbeitssystems, das trotz zweier größerer Reformansätze 2015 und 2020 noch immer herrsche. ‚Du hast keine Freiheit, dir einen anderen Job zu suchen, du hast keine Bewegungsfreiheit, denn dein Arbeitgeber schreibt dir vor, wo du wohnst. Es gibt keine Redefreiheit und du hast nicht einmal das Recht, dich zu organisieren‘, kritisiert er.“

Ein nepalesischer Arbeiter, Krishna Shrestha, einer der Gründer der Gewerkschaftsorganisation Migrant Workers Network, bestätigt nach Angaben des ND die Probleme:

„Er erkennt aber auch an, dass sich aufgrund des internationalen Drucks seit Vergabe der WM an Katar einiges geändert hat. ‚Die Reform 2015 führte dazu, dass man keine Ausreisevisa vom Arbeitgeber mehr braucht, um das Land zu verlassen. Die von 2020 führte einen Mindestlohn ein. Das hilft vielen Arbeitern‘, sagte er. Zugleich kritisierte er, dass viele Gesetze nicht umfassend oder sogar überhaupt nicht umgesetzt würden: ‚Wenn sich Arbeiter über ausbleibende Löhne beschweren, haben sie nur selten Erfolg. Zuletzt wurden sogar 60 in ihre Heimatländer Nepal und Bangladesch deportiert, weil sie öffentlich ihre Löhne eingefordert hatten.‘“

Shrestha erwartet, dass die an der WM teilnehmenden Profifußballer und deren Fans weiter Druck ausüben: Auf die Regierungen, die Verbände und auch die Klubs, damit die sich ihrerseits für die Verbesserung der Lage der Arbeitenden in Katar einsetzen. Auch fordert er einen Entschädigungsfonds des Fußballweltverbands Fifa zugunsten der Angehörigen von auf den Baustellen umgekommenen Arbeitern.

Sportredakteur Thomas Kistner schreibt in der Süddeutschen Zeitung:

„Seit dem WM-Zuschlag 2010 wird das Emirat – unter anderem – der Ausbeutung seiner Migranten bezichtigt. Fast 90 Prozent der 2,5 Millionen Einwohner sind Ausländer, meist aus ärmeren Ländern wie Nepal, Indien, Bangladesch. Die Hälfte schuftet auf hitzeflirrenden Baustellen, viele im Kontext der WM, nicht selten unter eher sklavenartigen Bedingungen. Offiziell abgeschafft wurde das Beschäftigungssystem Kafala, das Arbeitgeber entscheiden ließ, ob Bedienstete das Land verlassen durften. Und eingeführt wurde ein monatlicher Mindestlohn, 275 Euro. Dass dieser nicht reibungslos umgesetzt ist, zeigen aber die jüngsten Unruhen.“ (Vgl. die Aussage des Gewerkschafters Krishna Shrestha)

Ungeachtet dessen werben unter anderem ehemalige Fußballstars wie Lothar Matthäus oder der Brite David Beckham für den Austragungsort in der Wüste. Noch einmal Thomas Kistner:

„Beckham besingt Katar in einem aufwändigen Werbefilm sogar als den Ort der ‚Perfektion‘, wo ein Mix ‚aus Moderne und Tradition‘ einfach Großartiges erschaffen habe. Er könne es kaum erwarten, ‚meine Kinder dorthin zu bringen‘ (…) Wie man auf die Idee kommt, ausgerechnet dieser WM als globales Werbegesicht zu dienen, unter Ausblendung fast aller Realitäten? Nun, der oberste Katar-Fan Beckham soll für ein Zehnjahres-Engagement laut Medienberichten in England bis zu 180 Millionen Euro kassieren.“

Quellen:

Tom Mustroph: „Macht weiter Druck!“, Neues Deutschland vom 30. September 2022
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1167341.fussball-wm-in-katar-macht-weiter-druck.html?sstr=katar

Thomas Kistner: „Frohe Botschafter“, Süddeutsche Zeitung vom 21. September 2021
https://www.sueddeutsche.de/sport/fussball-wm-katar-beckham-matthaeus-werbung-kritik-1.5660766?reduced=true

Tipps:

„Foulspiel mit System. Was wir von der umstrittenen WM in Katar lernen können“, hrsg. von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, November 2021
https://www.rosalux.de/publikation/id/45369/foulspiel-mit-system

Webseite der Aktion „Boycott Quatar“:
https://www.boycott-qatar.de/

Cum-Ex: Neue Ausführungen des Kronzeugen

Im November 2019 berichtete BIG Business Crime schon einmal anhand eines Artikels des Handelsblatts über die Aussage des Kronzeugen Benjamin Frey (Name geändert) vor dem Landgericht Bonn – in einem Prozess zum größten Steuerbetrug der deutschen Geschichte. Frey war einer der ersten Insider, die über Cum-Ex-Geschäfte umfassend auspackten. Er trat damals vor dem Bonner Landgericht als Kronzeuge gegen zwei britische Aktienhändler auf.

Mitte September 2022 wurde Frey erneut vor dem Landgericht in Bonn vernommen. Diesmal als Zeuge im Prozess gegen Hanno Berger, Ex-Star-Anwalt, Unternehmensberater und Strippenzieher in Sachen Cum-Ex. Diesem drohen bis zu 15 Jahren Haft wegen Betrug und Steuerhinterziehung in Höhe von 278 Millionen Euro. Seit Anfang April sitzt Berger in Bonn auf der Anklagebank. Auch an den Cum-Ex-Geschäften der Hamburger Privatbank M.M. Warburg war er beteiligt. Der Kronzeuge Frey ist ebenfalls ein Beschuldigter und soll nach eigener Aussage genauso viel Geld wie Berger durch Cum-Ex-Geschäfte ergaunert haben: insgesamt rund 50 Millionen Euro.

„Nun fordert der Staat das Geld zurück“, schreibt das Handelsblatt am 12. September in einem Bericht über das aktuelle Verfahren am Landgericht Bonn. „Berger windet sich. Sein Anwalt erklärte kürzlich vor Gericht, Berger habe kaum mehr Aktivvermögen. Seine Tochter sei zwar bereit, ihren Vater zu unterstützen, doch ihre Mittel seien begrenzt. Berger habe sein Geld unglücklich ausgegeben. Als Beispiel nannte er ein Grundstück in Schlüchtern-Elm in Osthessen. ‚Sicherlich gut über 20 Millionen Euro‘ habe Berger in seinen dortigen Holzhof investiert, ohne dass dies zu einer gleichrangigen objektiven Wertsteigerung‘ geführt habe. In den ersten beiden Verhandlungsstunden kommt noch nicht zur Sprache, was Frey mit seinen Cum-Ex-Millionen anstellte.“

Am Tag darauf berichtet die Zeitung, dass das erbeutete Geld gut versteckt worden sei. In der Strafakte gegen Berger befände sich ein Organigramm, das die vielen Verschachtelungen zeige, mit denen Berger und Frey glaubten, ihre „Tatbeute“ (Staatsanwaltschaft) in Sicherheit zu bringen. Eine der dazu gegründeten Gesellschaften sei „Stonewall Securities“ genannt worden. „Berger und Frey wollten eine Steinmauer zwischen ihr Geld und die Finanzbehörden bauen. Außerdem fanden sie es laut Frey witzig, damit auch auf den früheren Finanzminister Steinbrück hinzudeuten.“

Auch der Kronzeuge Frey befindet sich in einem Dilemma. Vom ihm fordert das Landgericht Bonn rund 13 Millionen Euro. Aber das ist nicht alles.

„Vom Finanzgericht Frankfurt habe er schon 2019 einen Haftungsbescheid über 22 Millionen Euro erhalten. Außerdem hat das Bundeszentralamt für Steuern vor wenigen Wochen einen Bescheid über 60 Millionen Euro verschickt. Glaubt man der Aussage des Kronzeugen sind das nur kleine Bruchteile. (…) Es liegt in der Natur von Cum-Ex-Geschäften, dass viele verschiedene Parteien daran beteiligt sind. Banken, Depotbanken, Investoren, Anwälte, Steuerexperten und diverse Berater. Oft wurden extra Gesellschaften gegründet, teils in Luxemburg und der Karibik, um die ‚Beute‘ zu verteilen, wie Frey das Geld aus der Steuerkasse bezeichnet. Frey ist einer von ganz wenigen Beteiligten, die nicht nur eine Schuld zugegeben haben, sondern auch Zahlen nennen. Das macht ihn zum Adressaten von Forderungen. Juristisch ist es möglich, jeden einzelnen Beteiligten einer Straftat zur Wiedergutmachung des Gesamtschadens heranzuziehen. Diese ‚gesamtschuldnerische Haftung‘ führt in Freys Fall dazu, dass er viele Millionen Euro mehr zurückzahlen soll, als er mit Cum-Ex-Geschäften verdiente.“ (Handelsblatt vom 13. September 2022)

So hat etwa die Warburg Bank Frey auf 300 Millionen Euro Schadenersatz verklagt. Denn Frey, so die Bank, habe sie bei ihren Cum-Ex-Deals anwaltlich beraten und sei deshalb verantwortlich für den entstandenen Schaden. In München wiederum läuft ein Verfahren, das die Caceis Bank wegen eines schiefgelaufenen Cum-Ex-Fonds gegen Frey angestrengt hat. Auch diese Bank hat Frey und andere Akteure auf 300 Millionen Euro verklagt. Frey wiederum behauptet, so das Handelsblatt, die Klage enthalte unwahre Tatsachenbehauptungen, weshalb er die Verantwortlichen der Bank wegen Prozessbetrug angezeigt habe.

Ergo: Staatsanwaltschaften klagen mutmaßliche Cum-Ex-Betrüger an. Die Täter verklagen sich gegenseitig. Es wird auch in Zukunft weiter über Cum-Ex zu berichten sein.

Quellen:

René Bender/Sönke Iwersen/Volker Votsmeier: „Wir waren gierig, wir wollten immer mehr Geld“ – Kronzeuge packt gegen Hanno Berger aus“, Handelsblatt vom 12. September 2022
https://www.handelsblatt.com/finanzen/banken-versicherungen/cum-ex/cum-ex-skandal-wir-waren-gierig-wir-wollten-immer-mehr-geld-kronzeuge-packt-gegen-hanno-berger-aus/28675072.html 

Sönke Iwersen/Volker Votsmeier: „Kronzeuge vor Gericht den Tränen nahe: Brisantes Wiedersehen mit „Cum-Ex-Mastermind“ Berger“, Handelsblatt vom 13. September 2022
https://www.handelsblatt.com/finanzen/banken-versicherungen/cum-ex/cum-ex-prozess-kronzeuge-vor-gericht-den-traenen-nahe-brisantes-wiedersehen-mit-cum-ex-mastermind-berger/28677730.html 

Strengere Regulierung der Wirtschaftsprüfer

Die EU-Kommission möchte im nächsten Jahr einen Gesetzesvorschlag zur strengeren Regulierung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaften vorlegen. Das berichtet die Süddeutsche Zeitung (SZ) am 16. September 2022. Der politische Vorstoß reagiert damit auf ein Problem, dass die SZ wie folgt beschreibt:

„Die Experten der vier großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften EY, KPMG, PwC und Deloitte (Big Four) nehmen nicht nur die Bücher der Konzerne unter die Lupe, sie beraten auch. Und die Beratung ist sehr lukrativ, was folgende Frage aufwirft: Möchte man profitable Beratungsmandate bei einem Konzern gefährden, indem man die Bilanzen dieses Kunden sehr streng prüft? Dieser Interessenkonflikt ist seit Jahrzehnten ein politisches Streitthema, bereits nach der Finanzkrise 2008 war geplant, die Bereiche Beratung und Prüfung abzutrennen. Doch die Lobby der anderen Seite war zu stark.“

Das Jacques Delors Centre in Berlin schlägt deshalb in einem „Policy Paper“ (Strategiepapier) vor:

„Der europäische Markt für Abschlussprüfungen ist schon viel zu lange kaputt. Nach mehreren massiven Bilanzskandalen stehen die Rechtsvorschriften erneut auf dem Prüfstand. Um die anhaltenden Mängel zu beheben, sind tiefgreifende Reformen in drei Bereichen erforderlich. Um den Wettbewerb zu stärken und die beherrschende Stellung der Big Four Wirtschaftsprüfungsgesellschaften einzudämmen, sollten Joint Audits mit mindestens einer kleineren Prüfungsgesellschaft verpflichtend werden. Um Interessenkonflikte zu vermeiden, sollte es Abschlussprüfern untersagt werden, für ihre Prüfungsmandanten zugleich auch Beratungsleistungen zu erbringen. Und die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) sollte die größten Prüfungsgesellschaften direkt überwachen, um eine wirksame Aufsicht zu gewährleisten.“

Die Forderung – Wirtschaftsprüfer sollten zukünftig bei ihren großen Prüfungsmandanten keine Beratungsdienstleistungen mehr anbieten dürfen – erfolgt just zu dem Zeitpunkt, an dem die Prüfungsgesellschaft EY anstrebt, ihr Beratungsgeschäft vom Prüfgeschäft abzuspalten. Diesen strategischen Plan will EY insbesondere deshalb umsetzen, weil die Abschlussprüferaufsichtsstelle (Apas) seit mehr als zwei Jahre gegen EY wegen Verletzung von Berufspflichten bei ihrer Arbeit für den ehemaligen Dax-Konzern Wirecard ermittelt – und mögliche Strafen auf das Unternehmen warten (vgl. Handelsblatt vom 26. August 2022).

„Auch wenn es jenseits der Ankündigung noch wenig Konkretes gibt, allein der Wille, eine Trennung von Prüfung und Beratung zu vollziehen, wird die Zukunft der Wirtschaftsprüferbranche neu definieren“, kommentiert das Handelsblatt am 9. September. „Stimmen die Partner dem Vorhaben zu, hat EY die Chance, die Spielregeln in der Branche neu zu bestimmen und sich als modern zu präsentieren. Denn letztlich setzt die Gesellschaft das um, was nach den zahlreichen Bilanzskandalen der vergangenen Jahre vielen in Öffentlichkeit, Politik und Regulierungsbehörden notwendig erscheint: In ihrer Wahrnehmung passt es nicht zusammen, dass Wirtschaftsprüfer im großen Stil zugleich Berater sind.“

Die drei anderen Konzerne der „Big Four“ ziehen jedoch nicht mit und halten an der Mischstruktur fest. „Diese ermöglicht Ihnen“, so das Handelsblatt weiter, „hohe Kapazitäten an Mitarbeitenden und Kompetenzen vorzuhalten und dort einzusetzen, wo sie gerade gebraucht werden. Motto: Wer das ausgeklügelte Steuersparmodell eines Prüfungsmandanten versteht und prüft, der kann seine Kompetenz bei anderen Kunden in der Beratung einbringen. Mit der Verzahnung bietet das Mischmodell jungen Wirtschaftsprüfern Karriereoptionen in der quirligen Beratung, wenn denen das Testat von Bilanzen zu öde wird. EY als ‚Pure Play‘ wird dies nicht anbieten können. Die Gefahr ist groß, dass die auf Prüfung gestutzte EY auf junge wie ältere Talente wenig attraktiv wirkt und somit der benötigte Strom an neuen Mitarbeitenden abreißt.“

Verlöre EY aber stark an Bedeutung, resümiert das Handelsblatt, wenn also aus den vier nur noch drei global tätige Firmen würden, dann hätten große internationale Kunden noch weniger Auswahl bei der Suche nach einem Abschlussprüfer: „Prüfung und Beratung ziehen sich magisch an.“ (Handelsblatt vom 9. September 2022)

Quellen:

René Bender/Bert Fröndhoff/Volker Votsmeier: „Aufsicht findet Pflichtverletzungen bei EY-Mitarbeitern – harte Strafen drohen“, Handelsblatt (Online) vom 26. August 2022
https://www.handelsblatt.com/unternehmen/wirecard-skandal-aufsicht-findet-pflichtverletzungen-bei-ey-mitarbeitern-harte-strafen-drohen/28618976.html 

Bert Fröndhoff: „EY wagt die Revolution – und das ist trotz aller Risiken richtig“, Handelsblatt (Online) vom 9. September 2022
https://www.handelsblatt.com/meinung/kommentare/kommentar-ey-wagt-die-revolution-und-das-ist-trotz-aller-risiken-richtig/28670558.html 

Sebastian Mack: „Den Auftrag zu Ende bringen: Wie Europa den kaputten Markt für Abschlussprüfungen reparieren kann“, Jacques Delors Centre, 16. September 2022
https://www.delorscentre.eu/de/publikationen/eu-audit-market 

Markus Zydra: „Mehr Aufsicht, weniger Skandale?“, Süddeutsche Zeitung (Online) vom 16. September 2022
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/wirtschaftspruefer-wirecard-kontrolle-1.5657862 

Deutlicher Anstieg bei Korruptionsstraftaten

Laut Bundeskriminalamt (BKA) definiert die kriminologische Forschung den Begriff „Korruption“ als „Missbrauch eines öffentlichen Amtes, einer Funktion in der Wirtschaft oder eines politischen Mandats zugunsten eines anderen, auf dessen Veranlassung oder Eigeninitiative, zur Erlangung eines Vorteils für sich oder einen Dritten, mit Eintritt oder in Erwartung des Eintritts eines Schadens oder Nachteils für die Allgemeinheit (in amtlicher oder politischer Funktion) oder für ein Unternehmen (betreffend Täter als Funktionsträger in der Wirtschaft)“. (Bundeslagebild, Seite 6)

Nach Angaben des BKA sind derartige „Missbrauchsfälle“, also Korruptionsstraftaten, in Deutschland im vergangenen Jahr im Vergleich zum Vorjahr deutlich angestiegen. Die Polizei registrierte eine Zunahme der Delikte von fast 35 Prozent auf insgesamt 7.433. Auch die Anzahl der damit unmittelbar zusammenhängenden Begleitdelikte wie Betrug, Urkundenfälschungen, wettbewerbsbeschränkende Absprachen bei Ausschreibungen und Verletzungen des Dienstgeheimnisses nahm um über 10 Prozent zu.

Die Gesamtzahl der ermittelten Tatverdächtigen lag 2021 bei 2.457 und stieg damit im Vergleich zum Jahr 2020 (2.171 Tatverdächtige) um rund 13 Prozent. Die Summe des durch Korruption entstandenen Schadens ist dagegen um fast 25 Prozent gesunken und lag 2021 bei 61 Millionen Euro (2020: 81 Millionen Euro).

Daneben, so das BKA, seien auch kaum quantifizierbare immaterielle Schäden aus korruptiven Handlungen nicht zu vernachlässigen: „So kann Korruption das Grundvertrauen der Bevölkerung in die Unabhängigkeit,
Unbestechlichkeit und Handlungsfähigkeit des Staates bzw. die Integrität der Wirtschaft erheblich beeinträchtigen.“ (Bundeslagebild, Seite 19)

Wie es weiter heißt, könne das tatsächliche Ausmaß der Korruption jedoch nur eingeschränkt wiedergeben werden. Denn bei Korruptionstaten handele es sich in der Regel um so genannte Täter-Täter-Delikte, bei denen keine Seite Interesse an einer Anzeige habe, so dass in diesem Bereich von einem großen Dunkelfeld auszugehen sei.

Quellen:

„Zahl der in Deutschland registrierten Korruptionsstraftaten erneut gestiegen“, Pressemitteilung des Bundeskriminalamts vom 15. September 2022
https://www.bka.de/DE/Presse/Listenseite_Pressemitteilungen/2022/Presse2022/220915_PM_BLB_Korruption.html;jsessionid=7C3947D6A0851A4E69DC3D779574D788.live612 

„Korruption: Bundeslagebild 2021“, hrsg. vom Bundeskriminalamt (Stand: August 2022)

„Frühgeburten bringen Geld!“ – Krankenhausökonomie versus medizinische Vernunft

Deutschland hat eine der höchsten Raten an zu früh Geborenen in Europa. Fast neun Prozent aller Neugeborenen (rund 70.000) kommen hier jedes Jahr zu früh auf die Welt. Neben medizinischen, psychischen und sozialen Faktoren gibt es einen Grund dafür, der nichts mit Medizin zu tun hat – das Abrechnungssystem der Krankenhäuser. Denn für Kliniken lohnt es sich nicht, Frühgeburten zu verhindern. „Frühchen sind äußerst lukrative Patienten“, heißt es denn auch in einem Film, der am 5. September 2022 in der ARD lief.

„Je kleiner und leichter ein Frühchen zur Welt kommt, umso mehr Geld überweist die Krankenkasse. Für die Behandlung eines Frühgeborenen, das (…) mit rund 2.400 Gramm geboren wird, erhält die Klinik pauschal rund 11.000 Euro. Viel mehr wäre es, wenn die Ärzte die Geburt früher eingeleitet hätten. Bei einem Frühchen unter 1.000 Gramm sind es rund 150.000 Euro und für die ganz Kleinen unter 600 Gramm fast 200.000. Komplikationen und Eingriffe können den Betrag deutlich erhöhen.“ (Süddeutsche Zeitung vom 5. September 2022)

Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, Anton Scharl stellt klar: „Wenn Sie das medizinisch Richtige tun und eine Frühgeburt verhindern, werden Sie ökonomisch bestraft.“ (ebd.) Der Grund dafür liegt im Finanzierungssystem der Krankenhäuser, dem System von Fallpauschalen. Dieses wurde im Jahr 2004 eingeführt und führt dazu, dass Kliniken in Deutschland nur dann Umsatz machen, wenn sie Patienten behandeln. Sie werden also nicht einfach dafür bezahlt, dass sie Leistungen vorhalten, einfach da sind. Letztlich zwingen die Fallpauschalen Kliniken dazu, mehr als nötig zu behandeln. Klaus-Peter Zimmer, ehemaliger Leiter der Abteilung für Kinder- und Jugendmedizin an der Uniklinik Gießen (der einzigen privatisierten Uniklinik Deutschlands), geht davon aus, dass die Erlöse der jeweiligen Frühchenstation oft andere Bereiche der Kliniken mitfinanzieren müssen.   

Doch offensichtlich ist nicht feststellbar, wie viele Frühchen aus rein ökonomischen Gründen auf die Welt geholt werden, denn fast immer mischen sich medizinische und wirtschaftliche Erwägungen. Die Fehlanreize bei der Versorgung von Frühgeborenen, so das Fazit der TV-Reportage, würden auf besonders drastische Weise zeigen, dass das Fallpauschalensystem dringend reformiert werden müsse.

Quellen:

„Wieviel Geld bringt ein Frühchen?  Warum Kliniken in Deutschland Gewinne machen (müssen)“. Ein Film von Claudia Ruby, ARD am 5. September 2022

https://www.ardmediathek.de/video/dokus-im-ersten/die-story-im-ersten-wie-viel-geld-bringt-ein-fruehchen/das-erste/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL3JlcG9ydGFnZSBfIGRva3VtZW50YXRpb24gaW0gZXJzdGVuLzAxNDAxYWU4LTQ1NWMtNDRjNC1iMzZhLWJiMTg4MzNhODc1OA

Claudia Ruby: „Profite an der Grenze des Lebens“, Süddeutsche Zeitung vom 5. September 2022

(der Text des Artikels basiert auf Recherchen für den ARD-Film der Autorin vom 5. September) https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/fruehgeburten-fallpauschalen-deutschland-1.5650092?reduced=true

 

Der Finanzmarkt muss schrumpfen

In einem Artikel in der Septemberausgabe der Blätter für deutsche und internationale Politik betont Gerhard Schick von der Bürgerbewegung Finanzwende mit Nachdruck die Notwendigkeit einer „sozialökologischen Transformation“, um der Klimakrise begegnen zu können.

Er stützt sich auf zwei Thesen: Zum einen sei das Geld für die notwendigen Investitionen da, zum anderen fehle bisher ein radikales Schrumpfungs- und Umbauprogramm für den Finanzsektor. Statt die erforderlichen klimafreundlichen Investitionen vorzunehmen, lenke der Finanzsektor das Kapital zu häufig in klimaschädliche Bereiche oder in die Taschen reicher Vermögender. Dabei wären die meisten großen Unternehmen in der Lage, die im Kampf gegen den Klimawandel erforderlichen Investitionen aus ihren Gewinnen zu decken. Das aber geschehe nicht, weil Sinn und Zweck von Unternehmen in den vergangenen Jahren zunehmend auf die Befriedigung von kurzfristigen Aktionärsinteressen reduziert worden sei.

Mit dem heutigen Finanzsektor könne die sozialökologische Transformation nicht gelingen. Der Finanzsektor sei zu groß und beschäftige sich zu sehr mit sich selbst. Über 70 Prozent ihrer Aktivitäten gingen nicht auf die Kreditvergabe an die Haushalte und die Realwirtschaft zurück. Viele Finanzgeschäfte fänden ausschließlich innerhalb des Finanzsektors statt. Dessen Wachstum habe sich in großen Teilen von der realen Wirtschaft abgekoppelt. Zugleich orientierten sich Unternehmen der Realwirtschaft immer stärker an kurzfristigen Finanzkennzahlen statt an langfristigen Geschäftsmodellen. Dringend benötigte Investitionen in neue klimaneutrale Technologien stellten deshalb oftmals ein wirtschaftlich hohes Risiko dar, da sie kurzfristig keinen Profit abwerfen würden.

„Sie sind daher in der finanzialisierten Logik noch schwieriger zu rechtfertigen – mehr noch: Etliche große Banken haben ihre Investitionen in fossile Energien seit dem Pariser Klimaabkommen sogar noch ausgeweitet. Finanzakteure befeuern derzeit also die Klimakrise, zumal die Investitionen von heute die Wirtschaft der nächsten Jahre prägen.“ (Seite 31)

Aber auch die Rolle der Finanzakteure bei der „Umgehung von Regeln“ stehe einer Transformation entgegen:

„Die ist alles andere als eine Petitesse: Große Teile der Finanzmarktaktivitäten dienen der legalen Steuervermeidung sowie der kriminellen Steuerhinterziehung und Geldwäsche. Das Geschäftsmodell heutiger Großbanken ist ohne den Bezug zur organisierten Kriminalität kaum denkbar, sind sie doch in den Schattenfinanzzentren dieser Welt präsent, in denen Kriminelle ihr Geld über Briefkastenfirmen legalisieren können. (…) Stattdessen muss der Finanzsektor geschrumpft und wieder auf die Realwirtschaft ausgerichtet werden. Das würde auch dazu beitragen, die schädliche Umverteilung von unten nach oben zu bremsen und kriminelle Machenschaften zu bändigen. Nur so kann der Finanzsektor zur überfälligen Transformation beitragen, statt selbst ständiger Krisenherd zu sein.“ (Seite 32)

Quelle:

Gerhard Schick: „Finanzmarkt schrumpfen, Klima retten“, Blätter für deutsche und internationale Politik, 9/2022, Seite 29-32 https://www.blaetter.de/ausgabe/2022/september/finanzmarkt-schrumpfen-klima-retten

Übergewinnsteuern gegen missbrauchte Marktmacht

Am 8. Juli 2022 stimmte der Bundesrat gegen den Antrag von Bremen, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen auf die befristete Einführung einer Übergewinnsteuer. Dabei handelt es sich um eine Sondersteuer auf hohe Zusatzgewinne von Unternehmen durch den Ukraine-Krieg (Kriegsprofiteure, vor allem im Energiesektor). Diese sollte zur Finanzierung staatlicher Entlastungsmaßnahmen dienen. Die Bundesländer, in denen die CDU/CSU-Union oder die FDP an der Regierung beteiligt sind, stimmten gegen den Entschließungsantrag. Damit muss die Bundesregierung keinen Vorschlag für die Erhebung der Steuer für das laufende Jahr vorlegen. In der Frage zeigt sich auch die Bundesregierung gespalten: SPD und Grüne unterstützen die Idee, die FDP und Finanzminister Christian Lindner positionierten sich klar gegen eine derartige Steuer.

„Der Bürgermeister der Hansestadt, Andreas Bovenschulte, sieht vor allem im Energiesektor Handlungsbedarf: ‚Allein im ersten Quartal dieses Jahres konnten die vier Ölriesen Shell, BP, Exxon und Total ihren Nettogewinn gegenüber dem Vorjahr von etwa 15 Milliarden auf rund 34 Milliarden US-Dollar mehr als verdoppeln‘, sagte der SPD-Politiker. ‚Nach Berechnungen der Internationalen Energieagentur dürften die gestiegenen Energiepreise den Konzernen in diesem Jahr 200 Milliarden Euro zusätzlich in die Kassen spülen.‘“ (tagesschau.de vom 10. Juni 2022)

Auch die EU-Kommission prüft mehrere Optionen zur Einführung einer Übergewinnsteuer. Die sogenannte „Windfall Profits Tax“, schreibt die taz am 7. Juli 2022, werde von der EU-Kommission auf ihre Machbarkeit geprüft. Es gehe um eine koordinierte Herangehensweise in den 27 EU-Staaten. Denn für die Steuerpolitik seien die Mitgliedsländer zuständig. Brüssel wolle laut EU-Kommissarin Věra Jourová verhindern, dass es zu nationalen Alleingängen und damit zu Marktverzerrungen komme. Italien und Rumänien hätten die Übergewinnsteuer bereits eingeführt, bald werde Spanien folgen.

Nach Berechnungen der Entwicklungsorganisation Oxfam würde eine einmalige Sondersteuer von 90 Prozent auf Extraprofite allein bei den größten Unternehmen der G7-Länder über 430 Milliarden US-Dollar einbringen. „Das ist genug Geld,“ so Oxfam, „um die Finanzierungslücken aller humanitären Hilfsaufrufe der Vereinten Nationen zu schließen, einen 10-Jahres-Plan zur Beendigung des Hungers zu finanzieren und den ärmsten zehn Prozent der Bevölkerungen der G7-Staaten einen einmaligen Zuschuss von über 3.000 US-Dollar zu zahlen, um die steigenden Lebenshaltungskosten zu decken.“ Laut einer aktuellen von Oxfam beauftragten Umfrage sind drei Viertel der Bundesbürger:innen dafür, Extraprofite von Unternehmen stärker zu besteuern.

Auch der Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel hält eine Übergewinnsteuer für machbar:

„Die EU empfiehlt sie. Etliche Länder in Europa trauen sie sich zu. In den USA ist sie von Renommierten der Wirtschaftswissenschaft durchdekliniert worden. Historische Erfahrungen mit ihr liegen in den USA und Großbritannien vor. Sie, das ist die zeitlich befristete Sondersteuer auf Übergewinne, zielgenauer auf Extraprofite vor allem in den Kassen der Mineralölkonzerne. Diese Steuer richtet sich gegen die missbrauchte Marktmacht von der Ölquelle über die Raffinerien und Transporte bis zur Tankstelle. (…) Die am Markt monopolistisch auftretenden Big Five-Mineralölkonzerne haben jüngst selbst gezeigt, wie sie ihre Übergewinne staatlich subventioniert steigern. Es handelt sich um die Tankrabatte, die großteils mit preispolitischen Tricks in die Konzernkassen gelenkt wurden. Auch das Ifo-Institut irrt mit seiner zweifelhaften Vergleichsstudie, die die nahezu komplette Weitergabe der Rabatte auf Kraftstoffe behauptet. (…) Deshalb ist klar: Da die CDU zusammen mit der FDP die Sondersteuer auf Extraprofite abgelehnt hat, sollten diese staatlichen Subventionen per missbrauchter Tankrabatte unverzüglich abgeschafft werden. Natürlich wäre es am besten, statt die Übergewinne zusätzlich zu besteuern, deren Ursachen zu beseitigen. Sie sind das Ergebnis monopolistisch eingesetzter Marktmacht durch die Konzerne.“ (taz vom 10. Juli 2022)

Das Handelsblatt versucht, der Initiative den Wind aus den Segeln zu nehmen:

„In Berlin“, kommentiert Redakteurin Kathrin Witsch, „diskutiert man jetzt öffentlich über die Zerschlagung der Ölmultis und die Besteuerung von Übergewinnen. Doch das scheint schon juristisch schwer durchsetzbar, schnelle Preissenkungen durch diese Initiativen gegen die international agierenden Milliardenkonzerne sind darum nicht zu erwarten. Vielmehr sollte sich die Politik darum darauf konzentrieren, weitere steuerliche Erleichterungen für diejenigen zu schaffen, die sie bei den hohen Spritpreisen wirklich brauchen – wie Pendler und Gewerbetreibende“.

Eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Thema bietet das Magazin für Wirtschaftspolitik Makroskop:

Gerd Grötzinger: „Übergewinnsteuer? Ja, bitte!“ vom 6. Juli 2022
https://makroskop.eu/spotlight/versailles-durch-die-hintertur/ubergewinnsteuer-ja-bitte/ 

Quellen:

Eric Bonse: Brüssel für Steuer auf Extragewinne , taz vom 7. Juli 2022
https://taz.de/Hohe-Profite-hohe-Energiepreise/!5862682/ 

„Bundesrat befasst sich mit Übergewinnsteuer“, Tagesschau vom 10. Juni 2022
https://www.tagesschau.de/inland/bundesrat-uebergewinnsteuer-101.html 

Rudolf Hickel: „Subventionierte Extraprofite“, taz vom 10. Juli 2022
https://taz.de/Sondersteuer-auf-Uebergewinne/!5866498/ 

„Oxfam fordert Übergewinnsteuer, um Hunger- und Klimakrise zu bekämpfen“, Pressemitteilung von Oxfam vom 24. Juni 2022
https://www.oxfam.de/presse/pressemitteilungen/2022-06-24-oxfam-fordert-uebergewinnsteuer-um-hunger-klimakrise-bekaempfen 

Kathrin Witsch: „Aktionismus zwecklos: Benzin und Diesel bleiben teurer“, Handelsblatt vom 14. Juni 2022
https://www.handelsblatt.com/meinung/kommentare/kommentar-aktionismus-zwecklos-benzin-und-diesel-bleiben-teurer/28423526.html 

 

Deutschland: Weiterhin ein sicherer Hafen für schmutziges Geld

Kriminologen können lediglich vermuten, wieviel Geld jährlich in Deutschland gewaschen wird. Nach seriösen Schätzungen handelt es sich dabei in Deutschland jedes Jahr um bis zu 100 Milliarden Euro. Am 25. August 2022 veröffentlichte die bei der OECD angesiedelte Financial Action Task Force (FATF) einen 320-seitigen Prüfbericht, der Deutschland weiterhin einen großen Nachholbedarf beim Kampf gegen die Finanzkriminalität bescheinigt. Die FATF gilt als das wichtigste internationale Gremium zur Bekämpfung und Verhinderung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung.

„Die Experten“, schreibt die Süddeutsche Zeitung (SZ) am 26. August, „bemängeln das Kompetenzwirrwarr von über 300 Behörden, sehen Defizite bei der Überwachung des Bargeldschmuggels und beklagen insgesamt, dass Deutschlands zuständige Behörden viel zu wenig tun, um die Finanztransaktionen großer Verbrechersyndikate zu ermitteln und gerichtlich zu verurteilen.“

Der Bericht kritisiert vor allem die personelle Ausstattung sowie den fehlenden effizienten Austausch zwischen den Behörden. Das Ergebnis seien zu wenige Ermittlungen und Verurteilungen. Die SZ schlussfolgert: „Geldwäscher müssen bislang kaum Angst vor dem Rechtsstaat haben: Die wenigsten der vielen tausend Verdachtsmeldungen, die die Sammelstelle Financial Intelligence Unit (FIU) jedes Jahr an die Behörden weiterleitet, führen zu knallharten Ermittlungsverfahren, Von den rund 36.000 Geldwäscheverfahren des Jahres 2020 mündeten nur 629 in eine Anklage und 773 in einen Strafbefehl.“

Das Strafmaß für Geldwäsche in Deutschland, berichtet die Zeitung weiter, reiche von einer Geldstrafe bis hin zu Freiheitsstrafen zwischen drei Monaten und 15 Jahren. Im Falle von Verurteilungen erhielten 78 Prozent eine Geldstrafe und 13 Prozent eine Freiheitsstrafe von weniger als einem Jahr. Lediglich drei Personen wurden zu Freiheitsstrafen zwischen fünf und zehn Jahren verurteilt.

Am Tag vor Veröffentlichung des Berichts legte Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) seine Ideen für eine große Reform der Geldwäsche-Bekämpfung vor. Zum einen soll ein mit echten Ermittlungsbefugnissen ausgestattetes Bundesfinanzkriminalamt geschaffen werden. Die zweite Säule bildet weiterhin die Anti-Geldwäsche-Einheit FIU, die künftig in die neue Bundesbehörde integriert werden könnte. Als drittes Standbein soll eine koordinierende Zentralstelle für Geldwäscheaufsicht arbeiten, die den Nichtfinanzsektor, wie etwa die Immobilien- und Glücksspielbranche, zu beaufsichtigen hätte (vgl. Handelsblatt vom 23. August 2022).

Sebastian Fiedler, SPD-Innenpolitiker und ehemaliger Vorsitzender des Bundes deutscher Kriminalbeamter, sprach sich im Deutschlandfunk jedoch gegen die Einrichtung einer weiteren zusätzlichen Behörde aus. Er forderte, den Zoll und die polizeilichen Teile des Zolls, die ja schon existieren würden, besser zu organisieren (vgl. junge Welt vom 26. August 2022). Die SZ dringt in ihrer Ausgabe vom 25. August auf die Einführung einer sogenannten Beweislastumkehr. „Diese bedeutet: Bei Verdacht auf kriminelle Herkunft konfiszieren die Behörden das infrage stehende Geld oder andere Vermögensgegenstände wie eine Immobilie. Sollte das beschlagnahmte Vermögen einem rechtschaffenen Bürger gehören, wird er leicht belegen können, wie er es verdient und wo er es versteuert hat. Ansonsten geht das Geld an den Staat.“ Italien habe mit dieser Methode seit den 1980er-Jahren Milliarden Euro an Mafiavermögen konfisziert.

Quellen:

Martin Greive/Jan Hildebrand: „Wie Lindner mit einer neuen Behörde große Geldwäscher fassen will“, Handelblatt (Online) vom 23. August 2022

Susanne Knütter: „Sicherer Hafen für Geldwäscher“, junge Welt vom 26. August 2022

Meike Schreiber/Markus Zydra: „Deutschland, Paradies für Geldwäscher“, Süddeutsche Zeitung vom 26. August 2022

Markus Zydra: „Das reicht nicht, Herr Lindner!“, Süddeutsche Zeitung vom 25. August 2022

Wie die Mafia

Dass Donald Trump beim Aufbau seines Immobilien-Imperiums auch Deals mit Mafiakreisen gemacht hat, ist derzeit wohl nicht zu beweisen. Dass er sich aber vor der Justiz so verhält, wie sich nach seiner eigenen Einschätzung nur Mafiosi verhalten, hat er nun selbst belegt.

Seit Jahren laufen Untersuchungen zu betrügerischen Geschäftspraktiken seiner Firmen. Die Frankfurter Rundschau schreibt dazu: „Nach Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft sollen der Milliardär und seine Helfer:innen über Jahre den Wert seiner Golfclubs, Hotels und sonstigen Besitztümer je nach Bedarf fälschlich klein- oder großgerechnet haben. Gegenüber dem Finanzamt wurden vor allem Verluste präsentiert. Bei Versicherungen und Banken aber sollen mit überzogenen Angaben günstige Kredite und Konditionen erschlichen worden sein.“ („Der Selbstdarsteller schweigt“, FR vom 12. August 2022)

Während einer vierstündigen Vernehmung unter Eid im Büro der New Yorker Generalstaatsanwältin Letitia James wegen dieser Vorwürfe nannte er nur seinen Namen und berief sich im übrigen mehr als 400-mal auf den fünften Verfassungszusatz. Dieser erlaubt es Beschuldigten, die Aussage zu verweigern, wenn sie sich ansonsten selbst belasten könnten. Trump hatte gute Gründe dafür. Allzu leicht hätte er sich in Widersprüche verwickeln können.

Als Hillary Clinton, seine Konkurrentin um den Präsidentenposten, vor ein paar Jahren das Gleiche tat, meinte er nur: „Warum beruft man sich auf den fünften Zusatzartikel, wenn man unschuldig ist?

Es versteht sich, dass Trump die Generalstaatsanwältin, eine Afroamerikanerin, nun vorab als Rassistin beschimpfte und die Untersuchung seiner Geschäfte als „die größte Hexenjagd der Geschichte“ bezeichnete.

Die FR kommentierte den Vorgang wie folgt: „Politisch und rechtlich könnte die Aussageverweigerung für den Mann jedoch zum Problem werden. Immerhin hatte er noch 2016 erklärt: ‘Nur die Mafia beruft sich auf den fünften Zusatz.’“