Firmenzusammenbrüche sind im Kapitalismus durchaus nichts Besonderes. Und dass in diesem Zusammenhang ausgesprochen kriminelle Aktivitäten von ins Schleudern geratenen Unternehmen ans Licht der Öffentlichkeit kommen, geschieht auch nicht gerade selten. Der plötzliche Absturz und die nachfolgende Insolvenz des Finanzdienstleisters Wirecard gestaltete sich aber doch schon ungewöhnlich. Hatte das aus der halbkriminellen Schmuddelbranche stammende Unternehmen doch gerade zwei Jahre vorher den Aufstieg in die obersten Gefilde der börsennotierten Großunternehmen geschafft.

Es ist daher verdienstlich, dass zwei Journalist*innen die bisher bekannten Fakten zu einem der bekanntesten Betrugsskandale der jüngeren Vergangenheit in Buchform herausgebracht haben – Teile des Buches sind allerdings zuvor schon in verschiedenen Ausgaben der „Wirtschaftswoche“ erschienen. Dass die Darstellung – vor endgültigem Abschluss der Ermittlungen und juristischer Aufarbeitung – nicht vollständig sein kann, liegt in der Natur der Sache und kann den Autor*innen nicht angelastet werden. Eher schon, dass die systemischen Ursachen, die diesen Skandal überhaupt erst ermöglichten, im Buch eher flüchtig Erwähnung finden.

Der Fall „Wirecard“ erscheint bei oberflächlicher Lektüre des Werkes lediglich als ungewöhnlich dreistes Bubenstück, begünstigt durch ein permanentes Wegschauen von Institutionen, die dem kriminellen Unternehmensmanagement schon in der Anfangsphase das Handwerk hätten legen müssen. Und durch die Verantwortungslosigkeit von Mitarbeitern, die angesichts der vielen Merkwürdigkeiten des Unternehmens ihre Augen schlossen, solange jeden Monat regelmäßig das Geld aufs Konto kam.

Aber schon diese angebliche Verantwortungslosigkeit war strukturell bedingt, wie man verschiedenen Kapiteln entnehmen kann: „Einen Betriebsrat? Braucht Wirecard nicht. Tarifverträge? Gibt es nicht. Wirecard zahlt gut. Alle sind Gewinner.“ (Seite 155) An anderer Stelle zitieren die Autor*innen einen der Hauptaktionäre aus der Frühphase des Unternehmens: „Erotik und Glücksspiel waren nun mal die Bereiche, wo es die höchsten Margen gab, mit 3,4 Prozent von der Abrechnungssumme (…) Nein, das hat uns überhaupt nicht gestört. Irgendeiner macht das eben. Wir haben die Zahlen gesehen und gesagt: ‚Boah, toll, passt.‘“ (Seite 42)

Auch enthält das Buch eine ausführliche Chronologie der Entwicklung des Unternehmens Wirecard AG sowie biographische Angaben leitender Mitarbeiter*innen. Und man findet nicht wenige Fakten, die in der medialen Berichterstattung kaum vorkommen. So zum Beispiel, dass Wirecard schon sehr früh begonnen hatte, besonders brisante Geschäftszweige aus dem Unternehmen auszugliedern und in dubiose Steuerparadiese mit laxer Gesetzgebung zu verlagern. Schon im Jahre 2017 wurde laut offizieller Bilanz des Unternehmens der größte Teil der Gewinne im Ausland erzielt.

Faktisch wurde bei der geschilderten Auslagerung von Unternehmensteilen die juristische Verantwortlichkeit zur Handelsware. Nicht wenige Leute, die gegen Bezahlung ihren Namen als Firmeninhaber eintragen ließen, hatten mit den in ihrem Namen getätigten Geschäften dann gar nichts zu tun. Oder sie behaupteten wenigstens hinterher, von nichts gewusst zu haben. Über solche in Dubai, Singapur und auf den Philippinen ansässige Ausgründungen und deren bilanziertes, aber nicht vorhandenes Milliardenvermögen sollte Wirecard schließlich ins Stolpern geraten.

Aber wer stand in dem stellenweise recht spannend geschriebenen Wirtschaftskrimi eigentlich auf der Gegenseite? Die Autor*innen nennen einen einsamen Analysten und Wirtschaftsprüfer, der schon früh auf die Unstimmigkeit des von der Firma Wircard offiziell angegebenen Zahlenwerkes stieß, einfach, indem er die Angaben des Bilanzprogramms in eine simple Excel-Tabelle übertrug. Der gute Mann erntete dann Hohn und nicht wenige Anfeindungen. Kaum jemand konnte sich damals vorstellen, dass der allseits gefeierte Kaiser in Wirklichkeit nackt war.

Bei anderen Gegnern von Wirecard handelte es sich allerdings um dubiose Hedgefonds, die gewerbsmäßig auf den Börsenabsturz dieser und anderer Unternehmensgruppen wetteten. Deren Aktivitäten machten es dem Management von Wirecard leicht, jeden Kritiker erst einmal als angeblich betrügerischen Manipulator von Börsenkursen zu verklagen – manchmal sogar mit Erfolg.

Die Schlusskapitel des Buches sind eine Beschreibung des Unterganges im Stundentakt. Zitiert wird schließlich der Insolvenzverwalter Michael Jaffé: „Mit einem normalen DAX-Konzern hat Wirecard nicht viel gemeinsam. Die Strukturen der Firma? ‚Völlig intransparent‘“ (Seite 249) Das Buch endet mit den Worten „Game over“. Dem muss man allerdings widersprechen. Das nächste kriminelle Bubenstück kommt ganz bestimmt. Die Frage ist nur, wann es passiert und welche Größenordnung es annimmt.

 

Volker ter Haseborg und Melanie Bergermann: „Die Wirecard Story. Die Geschichte einer Milliarden-Lüge“,
FinanzBuch Verlag, München 2020, 272 Seiten, 19,99 Euro, ISBN 978-3-95972-415-9