Zerschlagung von BlackRock gefordert

Gerhard Schick, Geschäftsführer der Organisation Finanzwende und ehemals finanzpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, stellte Anfang Juni in einem Gastkommentar für das Handelsblatt fest, dass der weltweit mächtigste Finanzdienstleister in mehrere Einzelteile aufgeteilt werden solle, um nicht noch mehr Einfluss zu erhalten. Wie Schick anmerkt, verwaltet BlackRock derzeit etwa neun Billionen US-Dollar – mehr als das Doppelte des jährlichen Bruttoinlandsprodukts Deutschlands. Sein starkes Wachstum verdankt der Konzern besonders seinem Geschäft mit passiven Exchange Traded Funds (ETF)*, aber auch den aktiv gemanagten Fonds in Höhe von fast zwei Billionen US-Dollar. Daneben ist BlackRock der größte Anteilseigner zahlreicher Aktiengesellschaften. Als Hauptaktionär übt er weltweit einen entscheidenden Einfluss auf deren Geschäftspolitik aus.

„An die Stelle der Marktwirtschaft tritt Machtwirtschaft“, bringt es Schick auf den Punkt. Das zeige sich darin, dass bei gleichzeitigem Besitz von Anteilen eigentlich konkurrierender Unternehmen der Wettbewerb leide, wie es seit langem von Wissenschaftler*innen und Kartellbehörden kritisieren würde. Aber es komme noch schlimmer: „Nehmen wir beispielsweise Blackrocks Datenanalysesystem Aladdin. Das System kommt bei zahlreichen Unternehmen und Zentralbanken zum Einsatz; es hilft bei der Verwaltung von gut zehn Prozent der globalen Vermögenswerte, das sind mehr als 20 Billionen Dollar. Hier trifft also ein relevanter Anteil der weltweiten Investoren seine Entscheidungen mithilfe eines gemeinsamen Systems. Tendenziell begünstigt diese Verflechtung riskantes Herdenverhalten – und erhöht damit Risiken, die die Finanzstabilität gefährden. Außerdem steigert Aladdin nach dem Motto ‚Wissen ist Macht‘ Blackrocks Position in der weltweiten Finanzwirtschaft.“

Auch erwähnt Schick BlackRocks enge Kontakte in die Politik. So beabsichtige etwa Friedrich Merz (CDU), „langjähriger Deutschland-Statthalter des Konzerns“, in der nächsten Bundesregierung „Superminister für Wirtschaft und Finanzen“ zu werden. Obwohl BlackRock eine Marktmacht erzeuge, die kein Staat mehr kontrollieren könne, werde, so Schick, selten von dem Konzern gesprochen, wenn im politischen Raum von der Macht der US-Konzerne die Rede sei.

Was soll seiner Meinung nach „zur Stärkung der Marktwirtschaft und zur Schwächung der Machtwirtschaft“ geschehen? „Es geht nicht ohne eine Aufteilung, sprich Zerschlagung des Konzerns in mehrere Teilbereiche. Nur so können Interessenkonflikte vermieden und Macht beschränkt werden. (…) Außerdem braucht es mehr Transparenz bei der Ausübung von Stimmrechten und der Einflussnahme bei Unternehmen. Generell benötigen wir bei Schattenbanken, zu denen Blackrock zählt, endlich eine der Bankenregulierung vergleichbare Begrenzung der Kreditfinanzierung (Leverage), Mindestvorgaben für die Liquidität und einen von den Unternehmen zu finanzierenden Notfallfonds, damit nicht wieder der Staat mit Milliardenspritzen als Retter einspringen muss.“

Überdies sollten Interessenkonflikte unterbunden werden: Die öffentliche Hand dürfe nicht länger BlackRock als Berater bei Aufträgen engagieren, an denen der Konzern wie im Fall Griechenland eigene Interessen habe. Bei den Großbanken hätte man gesehen, zu welchen Kosten es für die Gesellschaft kommt, wenn Marktmacht und Erpressungspotenzial erst in einer Finanzkrise zum Thema werden. Denn für Bankenrettungen mussten in der Weltfinanzkrise Milliarden an Steuergeldern ausgegeben werden, weil versäumt worden sei, den Aufstieg von Lehman Brothers und Co. zu systemrelevanten Megainstituten mit Bilanzsummen in Billionenhöhe rechtzeitig zu verhindern. „Daraus“, so Schick, „müssen wir beim Aufstieg von Blackrock Konsequenzen ziehen – und die wirtschaftliche Macht des Konzerns rechtzeitig brechen“.

Schicks Beschreibung der Bedeutung von BlackRock ist jedoch nicht ganz neu. Dass von BlackRock nur selten die Rede sei, wenn es über die Macht von US-Konzernen im politischen Bereich geht, darf bezweifelt werden. So fand im September 2020 an der Freien Universität Berlin ein „BlackRock-Tribunal“ statt, bei dem der Konzern öffentlichkeitswirksam „an den Pranger“ gestellt wurde. Folgendes symbolisches Urteil wurde gefällt: „Das Unternehmen Blackrock mit dem juristischen Sitz in der US-amerikanischen Finanzoase Wilmington/Delaware und dem operativen Hauptsitz in New York wird aufgelöst. Das betrifft auch alle Tochtergesellschaften in den USA und im Ausland.“ (vgl. „BIG-Nachricht“ vom 4. Oktober 2020)

In jüngster Vergangenheit wurde immer wieder über die Rolle der neuen, weltweit agierenden Kapitalakteure berichtet, sowohl in politisch links orientierten Medien wie auch in der bürgerlichen Presse. Deshalb folgen am Schluss einige Lektüreempfehlungen.

* Ein ETF („Exchange Traded Fund”) ist ein börsengehandelter Indexfonds, der die Wertentwicklung eines Index, zum Beispiel des Dax, abbildet.

Quelle:

Gerhard Schick: „Die Macht brechen: Blackrock muss zerschlagen werden“ (Gastkommentar), Handelsblatt (Online) vom 1. Juni 2021

https://www.handelsblatt.com/meinung/gastbeitraege/gastkommentar-die-macht-brechen-blackrock-muss-zerschlagen-werden/27242516.html?nlayer=Aktuelle%20Gastbeitr%C3%A4ge_26175654

 

Empfohlene Lektüre für den Einstieg in das Thema:

Werner Rügemer: „BlackRock-Kapitalismus. Das neue transatlantische Finanzkapital“, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 10/2016, Seite 70-83

https://www.blaetter.de/ausgabe/2016/oktober/blackrock-kapitalismus

Harald Schumann/Elisa Simantke: „BlackRock – Ein Geldkonzern auf dem Weg zur globalen Weltherrschaft“, in: Tagesspiegel vom 8. Mai 2018

https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/blackrock-ein-geldkonzern-auf-dem-weg-zur-globalen-vorherrschaft/21246966.html

Über den Einfluss BlackRocks auf den deutschen Wohnungsmarkt:

Arbeitsausschuss Immobilien-Aktiengesellschaften der Berliner MieterGemeinschaft (Hg.), „Den Aktionären verpflichtet. Immobilien-AGs – Umverteilungsmaschinerie und neue Macht auf den Wohnungsmärkten“, Berlin, Januar 2019 (Kapitel V: „Wem gehören eigentlich die börsennotierten Immo-AGs?“), Seite 16-19

https://www.bmgev.de/

Dr. Oetker – Stütze des NS-Staats

In einer Artikelserie widmet sich der Blog „The Lower Class Magazine“, betrieben von einem unabhängigen Medienkollektiv, traditionsreichen deutschen Familienunternehmen: „Ihre Anführer scheuen oft das Licht der Öffentlichkeit, doch sie besitzen immense Macht. Konten gefüllt mit Milliarden aus Geschäften, die in aller Herren Länder verrichtet werden; tausende Untergebene, die auf Gedeih und Verderb dem Richterspruch der Männer und Frauen an der Spitze ausgeliefert sind; sie blicken oft auf eine mehr als hundertjährige Geschichte krimineller Machenschaften zurück, sind für Millionen Tote mitverantwortlich: Deutsche Kapitalisten-Clans.“

Am 9. März schrieb die Autorin Nelli Tügel darüber, wie die Bielefelder Unternehmerfamilie Oetker, deren Firma heute als eines der größten deutschen Traditionsunternehmen gilt, vom Nationalsozialismus profitierte. August Oetker gründete das Pudding-Imperium im Jahr 1891. Auf ihn folgte sein Sohn Rudolf an der Spitze des Konzerns. Nach dessen Tod im Jahr 1916 wurde Richard Kaselowsky, den Rudolf Oetkers Witwe Ida Oetker nach dessen Tod geheiratet hatte, Geschäftsführer. Er war ein glühender Nazi, ebenso wie seine Ehefrau Mitglied der NSDAP und gehörte ab 1941 der Waffen-SS an.

Kaselowskys Stiefsohn Rudolf-August Oetker übernahm 1944 die Konzernleitung – und verhinderte fortan jede Aufklärung über die Verstrickungen des Oetker-Clans in den deutschen Faschismus. Auch er, Jahrgang 1916, war ein überzeugter Nazi, Mitglied der NSDAP und ab 1942 der Waffen-SS. Nach einer kurzzeitigen Internierung nach Kriegsende konnte er im Jahr 1947 seine Tätigkeit fortsetzen. Erst 2009, sieben Jahre nach dessen Tod, beauftragte die Oetker-Familie den Direktor des Instituts für Zeitgeschichte in München, den Historiker Andreas Wirsching, mit einer Studie zu diesem Thema. Im Jahr 2013 wurden die Ergebnisse publiziert.

In einem Interview anlässlich der Veröffentlichung der Studie stellte Wirsching fest, dass zwischen Oetker und dem NS-Regime kein Blatt Papier gepasst hätte. Es habe keinen einzigen Beleg für eine Abgrenzung gegeben. „Bemerkenswert ist dabei“, schreibt Nelli Tügel, „dass die Oetkers in der Studie als in keiner Weise außergewöhnlich beschrieben werden: Kaselowsky sei zwar kein reiner Opportunist, sondern überzeugter Nazi gewesen, doch sei er damit laut Wirsching ‚ein typisches Beispiel für den fließenden Übergang von national-liberalem Bürgertum zu den Nationalsozialisten‘. Wie viele andere habe er sich ‚von einem eher nationalliberalen Standpunkt aus nach rechts orientiert (…), die nationalsozialistische Alternative erschien als Chance‘.“

So profitierte Oetker ab 1933 mehrfach von sogenannten Arisierungen, war daneben an verschiedenen Firmen beteiligt, die Zwangsarbeiter*innen und KZ-Häftlinge ausbeuteten. Im Jahr 1937 wurde Oetker als eines der ersten Unternehmen als „Nationalsozialistischer Musterbetrieb“ ausgezeichnet.

Wie Tügel feststellt, gab die Familie die Studie des Historikers Wirsching erst in Auftrag, als es für ernsthafte Entschädigungszahlungen längst zu spät war. Am Schluss ihres Artikels resümiert die Journalistin: „Den Oetkers geht es heute wirtschaftlich sehr gut – und ihre ‚Aufarbeitung‘ wurde in der Tat vielfach anerkennend rezipiert. In verschiedenen Rankings der reichsten Deutschen landet die Oetker-Familie mit einem Vermögen von geschätzten sieben Milliarden Euro stets auf einem der vorderen Plätze. Die Oetker-Gruppe erzielt Unternehmensangaben zufolge zudem einen Jahresumsatz von 7,4 Milliarden Euro, 34.000 Menschen arbeiten für den Konzern. Dass dieser wirtschaftliche Erfolg nicht zuletzt auf der engen Zusammenarbeit mit dem NS aufbaut, gerät vor lauter Pudding und Verklärung zum Traditionsunternehmen allzu oft in Vergessenheit.“

Anmerkung: In weiteren Teilen der Serie geht es um die Familie Quandt/Klatten, das Schaeffler-Imperium, die Brose Fahrzeugteile SE & Co. KG und die Unternehmerfamilie Reimann. 

 

Quelle:

Nelli Tügel: „[Deutschlands brutalste Familienclans V]: Oetker: Backpulver, Pudding, Waffen-SS und Zwangsarbeit“, The Lower Class Magazine, 9. März 2021

https://lowerclassmag.com/2021/03/09/deutschlands-brutalste-familienclans-v-oetker-backpulver-pudding-waffen-ss-und-zwangsarbeit/

Aggressive Steuerparadiese mitten in Deutschland

Das ARD-Magazin „Panorama“ berichtete am 20. Mai 2021 über einen ganz legalen Steuerwettbewerb zwischen deutschen Kommunen. Denn die können die Höhe der Gewerbesteuer frei festlegen. In Deutschland gibt es mindestens elf Kommunen, die Firmen mit besonders niedrigen Steuersätzen anlocken. Die Reportage verdeutlicht das am Beispiel der Kleinstadt Zossen in Brandenburg. Während in Berlin rund 14 Prozent Gewerbesteuern auf Gewinne fällig werden, fordert Zossen nur rund 9 Prozent. Bis Anfang des Jahres galt dort sogar nur der gesetzliche Mindestsatz von 7 Prozent. Firmen nutzen das Steuergefälle offenbar im großen Stil aus. Christoph Trautvetter vom „Netzwerk Steuergerechtigkeit“ bezeichnet den etwa 20 Kilometer südlich der Berliner Stadtgrenze gelegenen Ort als eine „typische und aggressive Gewerbesteueroase“. Unternehmen, die von der Geschäftstätigkeit eher nach Berlin gehörten, würden in Zossen ihre Gewerbesteuer zahlen.

Laut Panorama haben etwa 2.500 Firmen in der Kleinstadt ihren Firmensitz angemeldet. Andere Kommunen klagen dagegen über sinkende Einnahmen und den Wegzug von Firmen. Vor allem wenn die nicht wirklich weg sind, sondern weiterhin die öffentliche Infrastruktur nutzen, Steuern aber eben woanders zahlen.

Die zuständigen Finanzämter scheinen jedoch kein Interesse daran zu haben, gegen dieses Modell vorzugehen. So zeigen die Recherchen des Fernsehteams in Zossen, dass bisher offensichtlich keine Prüfung des Finanzamts vor Ort stattgefunden hat. Weil ansonsten wohl der Kommune und dem Land Steuereinnahmen verloren gehen würden. Auf Nachfrage von Panorama sieht das Bundesfinanzministerium keinen Handlungsbedarf, denn Kommunen könnten mit Gewerbesteuer Standortnachteile ausgleichen. Ein Steuerrechtsexperte erklärte dagegen gegenüber dem TV-Magazin, dass die Vorspiegelung einer Betriebsstätte, die es tatsächlich nicht gibt, in den Bereich der Steuerhinterziehung führt.

Quellen:

Annette Kammerer/Caroline Walter: „Steueroasen in Deutschland: Scheinbüros fürs Finanzamt“, ARD-Magazin „Panorama“ vom 20. Mai 2021

https://daserste.ndr.de/panorama/archiv/2021/Panorama-vom-20-Mai-2021,panorama11584.html

Bernd Müller: „Im Offshoreparadies“, junge Welt vom 25. Mai 2021

https://www.jungewelt.de/artikel/402963.spekulantenparadies-brd-im-offshoreparadies.html

 

Die Krisengewinner und ihr Geld

Dass die Covid-19-Pandemie von einer ungewöhnlich heftigen Wirtschaftskrise flankiert wird, deren Höhepunkt noch längst nicht erreich ist, pfeifen mittlerweile sämtliche Spatzen von den Dächern. Und bekanntlich gibt es in jeder Krise Gewinner und Verlierer.

Das in den USA ansässige Wirtschaftsmagazin Forbes erstellt regelmäßig Listen der reichsten Menschen der Welt. Mit knapp 190 Milliarden US-Dollar reichster Mensch ist nach der aktuellen Liste derzeit wieder Jeff Bezos, Gründer und Inhaber des Internetkonzerns Amazon. Wegen seiner gewerkschaftsfeindlichen Politik, wegen Lohndumpings und miserabler Arbeitsbedingungen in seinen Unternehmen steht Bezos seit Jahren heftig in der Kritik. Im Verlauf der Krise konnte er sein Vermögen deutlich vergrößern, allein seit Januar dieses Jahres um 10 Milliarden USA-Dollar.

Das nicht gerade als linkes Kampfblatt bekannte Manager Magazin hat kürzlich den Krisengewinnern einen Artikel gewidmet. Insgesamt hätten, schreibt die Zeitschrift, „die Vermögen in Milliardärskreisen rund um den Globus“ ungeachtet der Krise „tendenziell sogar noch zugelegt, und zwar enorm“. Zuletzt seien „weltweit insgesamt 2755 Milliardäre“ gezählt worden, „660 mehr als noch vor einem Jahr“. Das Gesamtvermögen dieser Superreichen belaufe sich „inzwischen auf 13,1 Billionen Dollar. Ein Jahr zuvor waren es noch acht Billionen Dollar.“

Was aber macht diese Kaste der Superreichen mit ihrem Geld? Wie die Zeitschrift meint, boome gegenwärtig der Markt für Luxus-Jachten. Was sogar eine Logik hat: Ist man als Milliardär doch auf hoher See erstens vor dem Virus geschützt und muss sich zweitens nicht mit lästigen Anti-Pandemie-Verordnungen staatlicher Behörden herumärgern. Die größte Jacht der Welt, so heißt es im Manager Magazin weiter, lasse jetzt ausgerechnet Jeff Bezos bauen, geschätzter Kostenpunkt 500 Millionen US-Dollar.

Quellen:

Imöhl, Sören: „Forbes-Liste: Die zehn reichsten Menschen der Welt“ vom 21.05.2021, abgerufen am 25.05.2021, 12.00 Uhr

https://www.msn.com/de-de/finanzen/top-stories/forbes-liste-die-zehn-reichsten-menschen-der-welt/ar-BB1gUrNu

„Superreiche im Yachten-Kaufrausch“, Manager Magazin vom 20.05.2021, abgerufen am 20.05.2021, 17.20 Uhr

https://www.manager-magazin.de/lifestyle/yachten-fuer-superreiche-jeff-bezos-und-co-im-kaufrausch-a-84d41891-5cc6-47c5-a540-7f1ab3b6c74c

Krisengewinnler: Neues von Amazon und Vonovia

Wie die aktuellen Quartalszahlen belegen, gehören zu den Gewinnern der Coronakrise Tech-Unternehmen und Wohnimmobilienkonzerne.

Vonovia als Klimaretter

Am 4. Mai 2021 stellte Deutschlands größter Wohnungskonzern Vonovia in Bochum seinen neuesten Quartalsbericht vor. Die junge Welt kommentierte diesen am Tag darauf:

„Gute Nachrichten für Aktionäre: Der Gesamtumsatz stieg im Vorjahresvergleich um fast 15 Prozent auf 1,15 Milliarden Euro. Kurzum: Der Konzern bleibt Krisengewinnler und kassiert weiter bei Mietern ab. Die politisch Verantwortlichen hierzulande haben bisher wenig unternommen, Mieterrechte zu stärken. Was soll da auch schiefgehen? Um den Profit bei Vonovia zu maximieren, braucht es wenig Talent, selbst schlechte Manager schaffen das. Oder wie es der Konzernchef Rolf Buch am Dienstag ausdrückte: Man verfüge über ein ‚stabiles, langweiliges Geschäftsmodell‘“.

Das Handelsblatt unterstreicht, dass Vonovia seine Bemühungen zum Klimaschutz vorantreiben würde. Im vergangenen Jahr habe der Konzern verkündet, bis 2050 einen klimaneutralen Gebäudebestand anzustreben. Dafür sollen unter anderem durchschnittlich rund drei Prozent des Bestandes pro Jahr energetisch saniert werden. Der Titel des Quartalsberichts lautet denn auch „Klimastrategie und soziale Verantwortung“.

Die junge Welt dazu:

„(..) ‚sozial‘ war Vonovia zuletzt nie: Mieterhöhungen, falsche Abrechnungen, Union Busting – das volle Programm. Auch der ‚Klimaschutz‘ ist pure Augenwischerei. Es geht darum, mit Modernisierungen Mieten zu erhöhen. Wenn diese als Klimaschutz ausgewiesen werden, können staatliche Fördertöpfe angezapft werden. Unterm Strich geht es um das Wohl der Aktionäre, nicht um Klima- oder Gerechtigkeitsfragen.“

Quellen:

Philipp Metzger: „„Wohnkonzern als PR-Abteilung“, junge Welt vom 5. Mai 2021

https://www.jungewelt.de/artikel/401820.immobilienwirtschaft-wohnkonzern-als-pr-abteilung.html

Kerstin Leitel: „Vonovia startet mit Gewinnplus ins Jahr – Kein Ende des Booms am Immobilienmarkt in Sicht“, Handelsblatt vom 4. Mai 2021

https://www.handelsblatt.com/finanzen/immobilien/quartalszahlen-vonovia-startet-mit-gewinnplus-ins-jahr-kein-ende-des-booms-am-immobilienmarkt-in-sicht/27156590.html

 

Amazon – hohe Umsätze, keine Körperschaftssteuern

Auch im ersten Quartal 2021 profitierte der weltweit größte Versandhändler davon, dass die Konsumenten in der Corona-Pandemie so viel wie nie zuvor auf der Plattform des Versandhändlers einkaufen. Zwischen Januar und März konnte deshalb Amazon seinen Umsatz um 44 Prozent gegenüber dem Vorjahr auf 108,5 Milliarden Dollar steigern. Der Gewinn kletterte in dieser Zeit auf 8,1 Milliarden Dollar – um mehr als das Doppelte im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. (vgl. Handelsblatt vom 29. April 2021)

Inzwischen beschäftigt das Unternehmen weltweit etwa 1,3 Millionen Mitarbeiter*innen. Seine Personalpolitik steht dabei immer wieder in der Kritik. Die Gewerkschaft Verdi fordert etwa in Deutschland seit Jahren die Einführung eines Tarifvertrags – „Amazon hält dagegen und rechnet vor, mit Stundenlöhnen von mindestens 11,30 Euro und Zusatzleistungen ohnehin branchenüblich zu zahlen“ (Börsenblatt vom 30. April 2021).

Amazon erzielt also Rekordumsätze, zahlt aber an seinem europäischen Sitz in Luxemburg keine Körperschaftssteuer. Simon Zeise bemerkte dazu in der jungen Welt vom 5. Mai 2021 sarkastisch:

„In der EU hat der Onlineriese im vergangenen Jahr einen Rekordumsatz in Höhe von 44 Milliarden Euro erzielt – und dafür am Firmensitz in Luxemburg nicht einen Cent Steuern abdrücken müssen. (…) Weil das arme Unternehmen 2020 einen Verlust in der Luxemburger Filiale von 1,2 Milliarden Euro ausgewiesen hat, stellt ihm das Herzogtum eine Steuergutschrift von 56 Millionen Euro zur Verfügung. Die kann Amazon verrechnen, wenn mal wieder bessere Zeiten kommen und auch in Luxemburg Profite erzielt werden.“

Diese Informationen beruhen auf einem Bericht der britischen Tageszeitung The Guardian. Danach betonte ein Sprecher von Amazon, dass der Konzern „alle verlangten Steuern in allen Ländern, in denen wir agieren“ bezahle. Die Körperschaftsteuer basiere nicht auf Umsätzen sondern auf Gewinnen, und die seien aufgrund großer Investitionen und niedriger Gewinnspannen im Einzelhandel gering ausgefallen.

Das Bundeskabinett beschloss übrigens Ende März den Entwurf eines sogenanntes „Steueroasen-Abwehrgesetz“. Dieses soll nicht kooperative Staaten dazu anhalten, gezielten Abwehrmaßnahmen gegen Steuervermeidung treffen und dadurch internationale Standards im Steuerbereich umzusetzen. Grundlage für das Gesetzesvorhaben ist die Schwarze Liste der EU zu Steueroasen. Auf eine entscheidende Schwachstelle weist ein Kommentar des Neuen Deutschland hin:

„Zwölf Länder stehen drauf, doch bis auf Panama ist keins davon eine relevante Steueroase. Stattdessen fehlen wichtige Standorte für Briefkastenfirmen und Schwarzgeld, etwa die britischen Überseegebiete. So wird das Gesetz kaum einen Steuersünder kratzen, weil er sein Geld nicht im falschen Land parkt. Schon gar nicht tauchen auf der Liste innereuropäische Steueroasen wie Luxemburg oder Irland auf. Solche Länder spielen aber eine entscheidende Rolle bei der Steuervermeidung durch große Konzerne. Sonderlich viel wird der Vorstoß von Scholz also nicht bringen, vielmehr wird er sich als sozialdemokratischer Papiertiger erweisen.“

Das Vermögen von Amazon-Gründer Jeff Bezos konnte derweil die Marke von 200 Milliarden Dollar knacken. Vor rund einem Jahr waren es noch etwa 140 Milliarden Dollar (Manager-Magazin vom 3. Mai 2021).

Quellen:

Simon Zeise: „Gewinneverschieber des Tages: Amazon“, junge Welt vom 5. Mai 2021

https://www.jungewelt.de/artikel/401834.gewinneverschieber-des-tages-amazon.html

Marie-Astrid Langer: „Amazon wächst dank Online-Shopping und Cloud-Computing“, Handelsblatt vom 29. April 2021 (Online)

https://www.handelsblatt.com/technik/it-internet/quartalszahlen-amazon-waechst-dank-online-shopping-und-cloud-computing-/27146416.html?ticket=ST-240727-aQrOQ7FDCp4kbAn7z0W0-ap6

„Corona sorgt für Rekorde bei Amazon“, Börsenblatt vom 30. April 2020 (Online)

https://www.boersenblatt.net/news/corona-sorgt-fuer-rekorde-bei-amazon-175381

„Milliardäre und Großverdiener: Das sind die (Tech-)Gewinner der Corona-Krise“, Manager-Magazin vom 3. Mai 2021 (Online)

https://www.manager-magazin.de/unternehmen/tech/jeff-bezos-colin-huang-ma-huateng-das-sind-die-tech-gewinner-der-corona-krise-a-7b24049b-b6e9-43c1-b676-49cc56366f77

Rupert Neate: „Amazon had sales income of €44bn in Europe in 2020 but paid no corporation tax“, The Guardian vom 4. Mai 2021 (Online)

https://www.theguardian.com/technology/2021/may/04/amazon-sales-income-europe-corporation-tax-luxembourg

Simon Poelchau: „Sozialdemokratischer Papiertiger“, Neues Deutschland vom 31. März 2021

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1150305.steueroasen-sozialdemokratischer-papiertiger.html

Kaum Einwände bei „Entscheidern“ gegen Kanzlerkandidatin von Bündnis 90/Die Grünen

Nach einer vom Magazin WirtschaftsWoche in Auftrag gegebenen repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey würde sich mehr als ein Viertel der befragten 1.500 Führungskräfte (aus Wirtschaft und öffentlicher Verwaltung) und Selbstständigen (mit mehr als zehn Mitarbeiter*innen) für Annalena Baerbock von der Partei Bündnis 90/Die Grünen entscheiden – wenn denn eine Kanzlerin oder ein Kanzler direkt gewählt werden könnte. Mit 26,5 Prozent der Umfragestimmen lässt sie Christian Lindner (FDP/16,2 Prozent), Armin Laschet (CDU/14,3 Prozent) und Olaf Scholz (SPD/10,5 Prozent) klar hinter sich. Ein Drittel der Befragten beantwortete die Frage mit „Weiß nicht“ (WirtschaftsWoche vom 25. April 2021).

Die WirtschaftsWoche kommentiert:

„Das Ergebnis beweist erstens, dass die Grünen zumindest nicht mehr zum Schreckgespenst derer taugen, die die ‚ökonomische Vernunft‘ jederzeit auf ihrer Seite wähnen. Das hat viel mit der empirischen Widerlegung dieses Selbstbildes, also mit Finanzkrisen und Steueroasen, Plattformmonopolen und Bonobankern, auch mit unverdientem Erbschaftsreichtum, Ungleichheit und steigenden Wohneigentums- und Mietpreisen in Großstädten, ironischerweise aber vor allem mit einer weiteren Landnahme des Kapitalismus und mit der Entgrenzung der Geldregentschaft zu tun: Investoren, Banken und Hedgefonds bewirtschaften, politisch befeuert von billionenschweren Green-New-Deals, inzwischen sehr erfolgreich das schlechte Gewissen der globalen Komfortzonenbewohner – und pumpen Billionen in E-Autos, saubere Energien, eine ‚klimaneutrale‘ Zukunft. Die vergangene Woche – Joe Biden ruft die Welt zum Klimagipfel, die EU vereinbart verbindliche Klimaziele – hat es einmal mehr gezeigt: Grüne Investitionen sind der neue Goldstandard in der Wirtschaft: green backs the economy.“

Der Journalist kann sich bei seiner Analyse auch auf das aktuelle Grundsatzprogramm der Partei berufen. Dort heißt es unter anderem:

„Den Weg zur sozialökologischen Marktwirtschaft bereitet ein Green New Deal. Er schafft den neuen Ordnungsrahmen für faires, ökologisches und nachhaltiges Wirtschaften, indem er auf ein Bündnis aus Arbeit und Umwelt baut. Er investiert mutig in die Zukunft. Er setzt neue Kräfte für Kreativität und Innovationen frei. Er sorgt für sozialen Ausgleich und fördert eine geschlechtergerechte Gesellschaft.“

Der 2018 verstorbene Politikwissenschaftler Elmar Altvater erklärte schon vor über zehn Jahren, warum sich deshalb auch die deutsche Wirtschaftselite mit Bündnis 90/Die Grünen anfreunden kann:

„Der grüne ‚New Deal‘ spiegelt eine ‚win-win‘-Situation vor, er präsentiert sich als ein sozioökonomisches Projekt, das schwarz-grüne ebenso wie rot-grüne politische Koalitionen begründen kann. Es ist also, weil politisch wenig profiliert, gewissermaßen beliebig.“ (Altvater, Seite 233)

 

Quellen:

Dieter Schnaas: „Drei Gründe, warum bei dieser Wahl noch alles offen ist“, WirtschaftsWoche (Online) vom 25. April 2021

https://www.wiwo.de/politik/deutschland/tauchsieder-drei-gruende-warum-bei-dieser-wahl-noch-alles-offen-ist/27128412.html

Max Haerder: „Deutschlands Entscheider wollen Annalena Baerbock“, WirtschaftsWoche (Online) vom 22. April 2021

https://www.wiwo.de/politik/deutschland/exklusive-umfrage-deutschlands-entscheider-wollen-annalena-baerbock/27120196.html

Bündnis 90/Die Grünen: Grundsatzprogramm vom 22. November 2020 („zu achten und zu schützen – Veränderung schafft Halt“)

https://cms.gruene.de/uploads/documents/20200125_Grundsatzprogramm.pdf

Elmer Altvater: Der große Krach. Oder die Jahrhundertkrise von Wirtschaft und Finanzen, von Politik und Natur, Münster, 2010

 

Keine Gewerkschaftsvertretung bei Amazon in den USA

Beschäftigte des Online-Versandhändlers Amazon haben sich in einer mit Spannung erwarteten Abstimmung mehrheitlich gegen die Einführung einer Gewerkschaftsvertretung ausgesprochen. Abgestimmt wurde unter den Angestellten eines Logistikzentrums in Bessemer im US-Bundesstaat Alabama. Es hätte die erste Arbeitnehmervertretung in der mittlerweile 26-jährigen Unternehmensgeschichte werden können. Die Handelsgewerkschaft RWDSU (Retail, Wholesale and Department Store Union) kündigte an, das Ergebnis anzufechten. Amazon ist weltweit wegen schlechter Arbeitsbedingungen und der Verhinderung der gewerkschaftlichen Organisierung von Mitarbeiter*innen in der Kritik. In den USA beschäftigt der Konzern etwa 950.000 Menschen, weltweit fast 1,3 Millionen Voll- und Teilzeitkräfte. Nach Medienberichten sprachen sich 738 Beschäftigte für die Gewerkschaftsvertretung aus, 1.798 stimmten dagegen. Etwas mehr als 55 Prozent der rund 6.000 Angestellten des Logistikzentrums hatten sich an der Briefwahl beteiligt. (Neues Deutschland vom 11. April 2021)

Das Neue Deutschland kritisiert die Gewerkschaftsstrategie:

„Der Kampf der mit 100.000 Mitgliedern vergleichsweise kleinen Handelsgewerkschaft RWDSU für das Recht auf gewerkschaftliche Vertretung beim zweitgrößten Arbeitgeber der USA hatte nicht nur ein enormes landesweites Medieninteresse ausgelöst. Er hat auch Hoffnungen befeuert, die über 25 Jahre andauernde gewerkschaftliche Bedeutungslosigkeit bei Amazon beenden zu können. (…) Dass Amazon Millionen in eine Anti-Gewerkschaftskampagne investiert hat, steht außer Frage. Ebenso bekannt ist, dass Beschäftigte mit allerlei Methoden direkt und indirekt unter Druck gesetzt wurden. Doch mit dem alleinigen Verweis auf das sogenannte Union-Busting macht es sich die Gewerkschaft zu einfach. Nicht nur, weil viele von Amazons Maßnahmen in den USA weder verboten sind noch unerwartet waren. Vor allem verstellt die Kritik den Blick auf die strategischen Fehler der Gewerkschaft.“

Die RWDSU, so setzt das Neue Deutschland fort, hätte von Beginn an auf eine klassische Top-down-Kampagne gesetzt. Die Kommunikation mit den Beschäftigten sei vor allem vor dem Logistikzentrum oder über die Medien gelaufen. Entschieden worden sei die Angelegenheit aber unmittelbar im Logistikzentrum, wo Amazon das Kommando habe. Amazon zahle derzeit einen Stundenlohn von 15,30 US-Dollar – mehr als das Doppelte des in Alabama gültigen nationalen Mindestlohns von 7,25 US-Dollar. „Natürlich ist die Arbeit bei Amazon anstrengend, es fehlen Pausenzeiten, um auf die Toilette zu gehen und der Druck, die durch Algorithmen kontrollierten Leistungsvorgaben zu erfüllen, ist enorm. Doch dass die Stimme für die Gewerkschaft daran etwas ändert, ist zunächst nur ein Versprechen. Gerade um Beschäftigte ohne Bezug zu Gewerkschaften zu überzeugen, reicht es nicht, sie am Autofenster vor oder nach der Arbeit anzusprechen. (…) Dass sich lediglich 16 Prozent der 6000 Beschäftigten in Bessemer für die Gewerkschaft ausgesprochen haben, sollte anregen, die Bedeutung von PR-Kampagnen und gewerkschaftsfreundlicher Medienberichterstattung nicht zu überschätzen. Gewerkschaften müssen wieder stärker in die Lebensrealität jener Menschen eintauchen, die sie vertreten wollen.“ (Neues Deutschland vom 11. April 2021)

Die Kritik wird in einem weiteren Kommentar der Zeitung fortgesetzt:

„Die Gewerkschaft selbst hat Fehler gemacht. Man versuchte die anfängliche Empörung über fehlenden Arbeitsschutz in der Corona-Pandemie zu nutzen, um innerhalb nur eines Jahres ‚schnell‘ die Gewerkschaft zu etablieren. Das Abstimmungsergebnis zeigt: Die Gewerkschaft ist vor Ort und bei den Beschäftigten nicht genug sozial verankert, ihr wurde nicht vertraut oder zugetraut, Verbesserungen zu bringen. Sie hat zudem handwerkliche Fehler gemacht, etwa den Verzicht auf persönliche Haustürbesuche bei Arbeitern trotz Pandemie – die sind möglich und nötig. Vertrauen lässt sich nicht mit einem kurzen Flyer-Zustecken von hauptamtlichen Gewerkschaftsmitarbeitern vor dem Werkstor unter den Augen der Überwachungskameras von Amazon oder hastig in Autofenster hinein gesprochene Kurzansprachen aufbauen.“ (Neues Deutschland vom 12. April 2021)

Das wirtschaftsliberale Handelsblatt nimmt das Vorgehen Amazons aufs Korn:

„Die Gewerkschaft beschuldigte Amazon bereits, ‚illegal‘ Einfluss auf die Abstimmung genommen zu haben und kündigte energischen Widerstand an. Beobachter halten ein langwieriges rechtliches Nachspiel für möglich. Amazon hatte schon vor der Wahl mit aller Kraft versucht, das Votum zu verzögern, war jedoch mit einem Einspruch bei der Arbeitnehmerschutzbehörde NLRB gescheitert. (…) Auch wenn Amazon sich gegen die RWDSU zunächst durchsetzen konnte, verlief der Wahlkampf in vielerlei Hinsicht peinlich für den Konzern. So musste Amazon nach einer hitzigen Twitter-Auseinandersetzung mit einem US-Abgeordneten zugeben, dass Lieferfahrer mitunter keine Toiletten fänden und somit erstmals Berichte bestätigen, wonach Mitarbeiter unter hohem Zeitdruck und Arbeitsstress in Flaschen urinieren. Dass dies zunächst über einen offiziellen Twitter-Account abgestritten wurde, sei ein ‚Eigentor‘ gewesen, räumte Amazon ein.“

Quellen:

Jörn Böwe/Johannes Schulten: „Amazon in den USA: Promi-Beifall reicht nicht“, Neues Deutschland (Online vom 11. April 2021)

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1150608.bessemer-in-alabama-amazon-in-den-usa-promi-beifall-reicht-nicht.html

Moritz Wichmann: „Eine Schlacht verloren“, Neues Deutschland vom 12. April 2021 (Online vom 10. April 2021)

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1150599.amazon-eine-schlacht-verloren.html?sstr=Schlacht

„Amazon-Mitarbeiter in den USA stimmen gegen Gewerkschaftsgründung“, Handelsblatt vom 9. April 2021

https://www.handelsblatt.com/unternehmen/handel-konsumgueter/arbeitsbedingungen-amazon-mitarbeiter-in-den-usa-stimmen-gegen-gewerkschaftsgruendung/27082670.html&ticket=ST-278989-ezonPMgSiTG2JN4vIhOy-ap1?ticket=ST-279082-YbHFqDefdwtXWAKzfgkX-ap1

 

Jens Spahn und die Amigo-Wirtschaft

„Die Corona-Krise ist ein Eldorado für die klassische Klüngel- oder Amigo-Wirtschaft“, stellte jüngst der Journalist Wolfgang Michal in der Wochenzeitung der Freitag fest. Eine wichtige Voraussetzung dafür sieht er darin, dass die Erteilung von öffentlichen Aufträgen bei Ereignissen, die der Staat nicht voraussehen kann, laut Vergabeverordnung völlig intransparent ablaufen darf – etwa bei einer pandemiebedingten Beschaffung von Masken, Schutzkleidung und Beatmungsgeräten. „Mit diesem Freibrief genehmigt sich der Staat die Erlaubnis, alle bis dahin hochgehaltenen Wettbewerbsregeln außer Kraft zu setzen und Leistungen völlig unkontrolliert zu jeder Bedingung und zu jedem Preis einkaufen zu können.“ (Freitag vom 4. März 2021)

In den letzten Wochen geriet vor allem Jens Spahn (CDU) in die öffentliche Kritik – zum einen, weil er in seiner Funktion als Gesundheitsminister die Notlage der Pandemie zu umstrittenen Deals genutzt hat. Und zum anderen wurden private Immobiliengeschäfte bekannt, die den Verdacht nahelegten, er könne Berufliches und Privates vermischt haben. So soll der Medienkonzern Burda einen Direktauftrag zur Lieferung von Masken erhalten haben. Bemerkenswert ist dabei, dass der Ehemann von Spahn, Daniel Funke, als Lobbyist für Burda in Berlin arbeitet. Der Schauspieler Marcus Mittermeier frotzelte auf Twitter:„Deutschland hat einfach Pech, dass Spahn nicht jemand von Biontech* geheiratet hat.“ (Frankfurter Rundschau vom 23. März 2021)

Der Leitartikler der Frankfurter Rundschau nimmt die „Wirtschaftsnähe“ von Unionspolitikern generell aufs Korn:

„Bundesgesundheitsminister Jens Spahn war vielfach überfordert damit, die Maßnahmen in der Corona-Pandemie aus eigener Kraft zu organisieren. In der Not gibt sich der Charakter eine Blöße. Heißt bei Jens Spahn: Er vertraute nicht seinem Ministerium oder den zugeordneten Instituten und ihren Fachleuten. Er dachte zuerst an die Kumpels in Konzernen. Automatisch fließt damit auch Geld in die freie Wirtschaft und nicht in bundeseigene Institutionen. (…) Diese Vorgehensweise selbst ist das Problem, und sie hat leider System bei Unionspolitikern – sie verhindert Kontrolle und lädt zur Korruption ein. Schon bei der Corona-App hat Jens Spahn nach langem Zögern sehr viele Millionen aufgewendet und führende deutsche IT-Unternehmen damit beauftragt. Nie zu sehen war ein oberster IT-Experte des Gesundheitsministeriums – weil es ihn schlicht nicht gibt, weil es bis heute versäumt wird, eine von der Wirtschaft unabhängige, vielleicht sogar unangenehm widersprechende Kompetenz analog zum Robert-Koch-Institut aufzubauen. (…) Apropos Unabhängigkeit. Wer wurde Chef des Unternehmens, das für die Sicherheit aller Patientendaten zuständig ist? Jener Manager, der Jens Spahn zwei Jahre zuvor eine Wohnung in Berlin verkauft hat.“

Jens Spahn soll tatsächlich im Jahre 2017 von dem Pharmamanager Markus Leyck Dieken eine Wohnung in Berlin Schöneberg für rund eine Million Euro gekauft haben. Im Sommer 2019 übernahm dann Leyck Dieken die Aufgabe eines Chef-Digitalisierers im deutschen Gesundheitswesen und damit die Geschäftsführung der mehrheitlich bundeseigenen Gematik GmbH bei einem deutlich höheren Gehalt als sein Vorgänger. Öffentlich kritisiert wurde, dass Spahn damit „einen alten Freund in einen Top-Job holte“, wie der Berliner Tagesspiegel schrieb. (Tagesspiegel vom 22. Dezember 2020)

* Seit März 2020 entwickelt das Biotechnologie-Unternehmen Biontech in Kooperation mit dem US-amerikanischen Pharmakonzern Pfizer einen Covid-19 Impfstoff.

Detaillierte Informationen über den Aufstieg von Jens Spahn und den Verbindungen zwischen seinen privaten Geschäften und seiner politischen Karriere finden sich unter anderem im Nachrichtenportal t-online und bei Lobbypedia:

Jonas Mueller-Töwe: „Politisches Kapital: Wie Jens Spahn mit Politik Millionen machte“, t-online vom 29. März 2021

https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/parteien/id_89687398/wie-gesundheitsminister-jens-spahn-mit-politik-millionen-machte.html

https://lobbypedia.de/wiki/Jens_Spahn

 

Weitere Quellen:

Thomas Kaspar: „Union in der Corona-Krise: Überforderte Egomanen statt Expertenmeinungen“, Frankfurter Rundschau vom 22. März 2021

https://www.fr.de/meinung/kommentare/cdu-csu-andreas-scheuer-jens-spahn-corona-krise-impfstab-skandale-masken-90256889.html

Wolfgang Michal: „Jens Spahn genießt das“, der Freitag vom 4. März 2021

https://www.freitag.de/autoren/wolfgang-michal/jens-spahn-geniesst-das

Jost Mülller-Neuhof: „Wie Jens Spahn einen alten Freund in einen Top-Job holte“, Tagesspiegel vom 22. Dezember 2020

https://www.tagesspiegel.de/politik/nach-wohnungskauf-fuer-980-000-euro-wie-jens-spahn-einen-alten-freund-in-einen-top-job-holte/26737118.html

Mirko Schmid: „Jens Spahn: Gesundheitsministerium soll Masken bei Firma gekauft haben, bei der sein Ehemann angestellt ist“, Frankfurter Rundschau vom 23. März 2021

https://www.fr.de/politik/jens-spahn-ehemann-daniel-funke-masken-gesundheitsministerium-burda-nuesslein-loebel-sauter-cdu-csu-90255762.html

Cum-Ex-Prozess in Wiesbaden hat begonnen

Die Verfolgung der organisierten Finanzmarktkriminalität ist weiter in Bewegung. Am 25. März 2021 wurde vor dem Landgericht Wiesbaden der Strafprozess gegen einen Steueranwalt und vier ehemalige Banker der Hypo-Vereinsbank eröffnet. Dabei wird über einen der größten Steuerskandale der deutschen Nachkriegsgeschichte verhandelt. Die mutmaßlichen Täter sind angeklagt, zwischen 2006 und 2008 für einen Berliner Immobilieninvestor ein Cum-Ex-Produkt entwickelt und umgesetzt zu haben. Der Schaden für den Steuerzahler beträgt 113 Millionen Euro. Diese Summe hatte sich die Firma des Investors in Form der Kapitalertragsteuer vom Staat „erstatten“ lassen (ohne sie zuvor gezahlt zu haben). Der angeklagte Rechtsanwalt Hanno Berger war zu Prozessbeginn jedoch abwesend – hatte sich bereits vor Jahren in die Schweiz abgesetzt, im Vertrauen darauf, nicht ausgeliefert zu werden. Der Hauptangeklagte wird in der Anklageschrift als „Spiritus Rector“ der betrügerischen Geschäfte bezeichnet.

Die Taten der Angeklagten werden nicht mehr nur als Steuerhinterziehung, sondern auch als gewerbsmäßiger Bandenbetrug gewertet. Dadurch drohen bis zu zehn Jahren Haft. Auch ist jetzt eine Auslieferung von Hanno Berger durch die Schweizer Behörden möglich. Der Angeklagte steht auch in Bonn vor einem Strafprozess. Dort wird er sich wegen seines Vorgehens im Zusammenhang mit den Cum-Ex-Geschäften der Hamburger Bank M.M. Warburg verantworten müssen.

Der Cum-Ex-Skandal wird seit Jahren von mehreren Staatsanwaltschaften und Gerichten aufgearbeitet. So wurden zwei britische Aktienhändler bereits im März 2020 vom Landgericht Bonn zu Bewährungsstrafen verurteilt – damals wurden zum ersten Mal Cum-Ex-Deals als Straftat gewertet. Die Ermittlungen zu Cum-Ex werden fortgesetzt. Am 25. März 2021 ließ beispielsweise die Staatsanwaltschaft Frankfurt bei einer Razzia mehrere Wohnungen und Geschäftsräume durchsuchen.

Quellen:

René Bender/Sönke Iwersen/Volker Votsmeier: „Cum-Ex-Prozessauftakt ohne Hauptangeklagten: ‚Hanno Berger kann und wird nicht erscheinen‘“, Handelsblatt vom 25. März 2021

https://www.handelsblatt.com/finanzen/banken-versicherungen/cum-ex/steuerskandal-cum-ex-prozessauftakt-ohne-hauptangeklagten-hanno-berger-kann-und-wird-nicht-erscheinen/27039416.html

Dies.: „Oberlandesgericht Frankfurt macht Weg für Hanno Bergers Auslieferung frei“, Handelsblatt vom 12. März 2021

https://www.handelsblatt.com/finanzen/banken-versicherungen/cum-ex/cum-ex-skandal-oberlandesgericht-frankfurt-macht-weg-fuer-hanno-bergers-auslieferung-frei/27000838.html

„Prozess um Cum-Ex-Deals: Schlüsselfigur Berger bleibt fern“, Süddeutsche Zeitung vom 25. März 2021

https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/finanzen-wiesbaden-prozess-um-cum-ex-deals-schluesselfigur-berger-bleibt-fern-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-210324-99-956068

Bernd Müller: „Bandenmäßiger Betrug“, junge Welt vom 16. März 2021

https://www.jungewelt.de/artikel/398685.kapitalverbrechen-bandenm%C3%A4%C3%9Figer-betrug.html?sstr=cum%7Cex

Wie funktionieren Cum-Ex-Geschäfte? Der Deutschlandfunk und der Verein „Bürgerbewegung Finanzwende“ bieten jeweils einen kleinen Überblick:

https://www.deutschlandfunk.de/cum-ex-geschaefte-wie-das-verwirrspiel-mit-aktien.2897.de.html?dram:article_id=494671

https://www.finanzwende.de/themen/cumex/

Eine Chronik zu Cum-Ex findet sich auf der Webseite der „Bürgerbewegung Finanzwende“:

https://www.finanzwende.de/themen/cumex/chronik-von-cumex/

 

Schattenbanken im Finanzsystem: Der Kollaps der Greensill Bank

Die Pleite der Greensill Bank ist nach Wirecard der nächste große Fintech-Skandal in Deutschland. Ebenso wie vordem Wirecard hatte das Finanzinstitut aus Bremen bislang als ein Vorzeigeunternehmen gegolten. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) stoppte jedoch im März dieses Jahres den Geschäftsbetrieb der Tochter des britisch-australischen Finanzkonglomerats Greensill Capital wegen drohender Überschuldung und stellte beim Amtsgericht Bremen einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens. Seit einer Strafanzeige der Bafin wegen mutmaßlicher Bilanzmanipulation ermittelt nun auch noch die Staatsanwaltschaft.

Das Geschäftsmodell des Unternehmens bestand darin, Lieferantenrechnungen für Unternehmen zu bezahlen. Für die sofortige Zahlung erhielt Greensill vom jeweiligen Lieferanten einen Rabatt. Die Gesellschaft forderte dann später den vollen Rechnungsbetrag vom Kunden zurück und kassierte den Gewinn. Zur Vorfinanzierung seiner riskanten Geschäfte benötigte Greensill aber selbst verlässliche Geldquellen. Zum einen wurden erworbene Forderungen zu weltweit handelbaren Wertpapieren verpackt – also zu genau solchen Instrumenten, die auch die Finanzkrise 2008 auslösten. Zum anderen sammelte die Schattenbank* im Umfeld der Nullzinspolitik gegen einen kleinen Zins Einlagen von deutschen Sparern und Kommunen.

Auffällig erscheint Experten das Tempo von Greensills Aufstieg und Fall. Noch im Jahr 2017 war die Bank in Sachen Bilanzsumme „kleiner als die kleinste Sparkasse“ (Finanzszene, 7. März 2021). Dann aber verzehnfachte sich die Bilanzsumme binnen zwei Jahre auf 3,8 Milliarden Euro im Jahre 2019. Offensichtlich kam es zu hohen Konzentrationsrisiken bei den Forderungen (Fokussierung auf bestimmte Kunden, Branchen und Länder). Im Sommer 2020 verlor Greensill daher den Warenkreditversicherungsschutz eines wichtigen japanischen Versicherers, der bis dahin das Finanzinstitut gegen mögliche Ausfälle abgesichert und eine hohe Bedeutung für dessen Bonität hatte (ohne Versicherungsschutz versiegen die Finanzierungsquellen).

 Von der Bankenpleite sind neben Kleinanlegern auch etwa 50 Städte, Gemeinden und Bundesländer in Deutschland betroffen. So sind zum Beispiel beim Land Thüringen 50 Millionen Euro gefährdet, die Stadt Monheim (NRW) kann gegebenenfalls 38 Millionen Euro abschreiben. Insgesamt stehen Einlagen von rund 500 Millionen Euro auf dem Spiel. Anders als die Privatanleger sind die öffentlichen Investoren jedoch nicht durch die Einlagensicherung der Banken geschützt.

Der Deutschlandfunk kommentierte:

„Jeder Gemeinderat muss sich also fragen, warum die Verwaltung trotzdem zum Teil Millionen Euro als Festgeld bei der Bremer Greensill Bank deponiert hat, einer so kleinen Bank, dass deren Namen bis vor kurzem nur wenigen Finanzspezialisten geläufig gewesen sein dürfte. Eine Unvorsichtigkeit, die ihre Einwohner viel Geld kosten wird. Nur mit Glück werden sie einen Teil wiedersehen, wenn denn nach einer wahrscheinlichen Insolvenz der Bank noch etwas übrigbleiben sollte. Die Kämmerer müssen sich nun fragen lassen, warum sie ein solches Risiko eingegangen sind – für 0,3 Prozent Zins, die sie dafür einstrichen? Denn es ist ein veritables Risiko in Zeiten, in denen man für Einlagen in Millionenhöhe bei seriösen Banken auf jeden Fall Negativzinsen zahlen muss.“ (Deutschlandfunk vom 13. März 2021)

Kritiker*innen sehen in den Schattenbanken, die unter dem Radar der Aufsichtsbehörden agieren, das eigentliche Großrisko des Finanzsystems. Deshalb wird nach dem Fall Wirecard einmal mehr die Finanzaufsicht in Deutschland attackiert (vgl. u. a. die Pressemitteilung der Bürgerbewegung Finanzwende e. V. vom 16. März 2021).

* „Schattenbanken“ gewannen seit Ausbruch der Finanzkrise 2007 stetig an Bedeutung. Es handelt sich um Unternehmen, die ähnliche Geschäfte wie die klassischen Banken abwickeln, ohne aber den gleichen strengen Vorgaben und Kontrollen zu unterliegen. Dazu gehören Hedgefonds, Vermögensverwalter, Verbriefungsgesellschaften, zunehmend auch Technologiefirmen.

 

Quellen:

Jakob Blume/Andreas Kröner/Carsten Volkery: „Greensill-Rettung ist gescheitert – Aufstieg und Fall eines Fintech-Stars“, Handelsblatt Online vom 14. März 2021

https://www.handelsblatt.com/finanzen/banken-versicherungen/banken/finanzskandal-greensill-rettung-ist-gescheitert-aufstieg-und-fall-eines-fintech-stars/27002790.html

„Greensill-Pleite trifft Arbeitnehmer und Steuerzahler“, ein Kommentar von Brigitte Scholtes im Deutschlandfunk vom 13. März 2021

https://www.deutschlandfunk.de/schattenbanken-im-finanzsystem-greensill-pleite-trifft.720.de.html?dram:article_id=494034

„Statement zur Einleitung des Insolvenzverfahrens bei der Greensill Bank“: Pressemitteilung von Finanzwende e. V. vom 16. März 2021

https://www.finanzwende.de/presse/statement-zur-einleitung-des-insolvenzverfahrens-bei-der-greensill-bank/

Detaillierte Informationen zum Fall Greensill finden sich hier:

Christian Kirchner: „Vom Untergang einer deutschen Bank. Das Greensill-Protokoll“, finanzszene.de, 18. März 2021

https://finanz-szene.de/banking/vom-untergang-einer-deutschen-bank-das-greensill-protokoll/

Finanz-Szene – Der Podcast. Zu Gast: Thomas Borgwerth (vom 7. März 2021)

https://finanz-szene-podcast.podigee.io/8-neue-episode

 

 

Gigantischer Anlagebetrug mit Immobilien

Die im niedersächsischen Langenhagen ansässige German Property Group (GPG), die früher unter den Namen Dolphin Trust und Dolphin Capital auftrat, versprach Anlegern in Großbritannien, Irland, Südkorea, Singapur, Israel und Russland ungewöhnlich hohe Renditen von 10 bis 15 Prozent für Anlagen auf zwei bis fünf Jahre. Das Geschäftsmodell bestand darin, denkmalgeschützte Gebäude in Deutschland zu sanieren und zu vermieten:

„Die im Jahr 2008 gegründete GPG war auf Geschäfte mit den Ersparnissen von Rentnern spezialisiert. Das funktionierte ungefähr so: Der Immobilienmarkt gilt vielen Menschen als sichere Anlagemöglichkeit. Im Ausland kommt noch hinzu, dass der Bundesrepublik das Vorurteil vorauseilt, besonders stabil und vertrauenswürdig zu sein. Die GPG schnürte daraus ein attraktiv erscheinendes Anlagekonzept. Den Kunden versprach die GPG: ‚Leihe uns für fünf Jahre einen Teil deiner Rente, dafür sanieren wir von uns erstandene Häuser in Deutschland und beteiligen dich am Gewinn der Vermietung.‘“ (junge Welt vom 13. März 2021)

In den ersten Jahren schienen die Geschäfte auch gut zu laufen: Die Anleger kassierten die versprochenen hohen Zinsen und einige Liegenschaften wurden tatsächlich entwickelt. Dann wurde aber klar, dass es viel zu wenige Projekte gab und in zahlreichen Immobilien nicht investiert wurde. Im 2018 fielen dann die Zahlungen an die Anleger aus. Im Juli 2020 erfolgte die Insolvenz des Unternehmens. Der entstandene Schaden wird auf über eine Milliarde Euro geschätzt, wobei der aktuelle Wert der zumeist nicht sanierten und zum Teil verfallenen Immobilien nur etwa 150 Millionen Euro beträgt. Offensichtlich handelt es sich bei der Betrugsmasche um ein Schneeballsystem. Um die Renditeversprechen der ersten Investoren einzulösen, wurden die Einlagen neuer Anleger genutzt, bis das System letztlich kollabierte (vgl. Handelsblatt vom 17. September 2020).

Da die GPG keine deutschen Kunden hatte und auch die Investoren im Ausland angeworben wurden, gibt es somit keine Kläger in Deutschland selbst, was die rechtliche Aufarbeitung erschwert. Mittlerweile ermittelt die Staatsanwaltschaft Hannover aber gegen den Geschäftsführer von GPG und weitere Akteuren wegen des Verdachts auf Anlagebetrug, Untreue und des illegalen Betreibens eines Bankengeschäfts (vgl. Business Insider vom 26. Januar 2021).

Etwa 2.000 britische Anleger schlossen sich zusammen und fordern nun von der Bundesregierung in einem Brief, als Opfer eines Anlagebetrugs entschädigt zu werden, sofern sie ihr Geld vom insolventen Unternehmen nicht mehr zurückbekommen. Politiker und Justiz hätten bislang nur spärlich reagiert, heißt es in dem Brief, aber langsam würde einigen deutschen Behörden klar werden, dass dieser massive Betrug sich zu einem der größten Finanzskandale Deutschlands entwickelt habe. Wobei auch die deutschen Aufsichtsbehörden völlig gescheitert seien. Der Rechtsstaat Deutschland sei offenbar mit wenigen Kniffen ausgehebelt worden. Um die Aufsichtsbehörde loszuwerden, habe das Unternehmen einfach nur im Ausland Geld einzusammeln brauchen (vgl. Business Insider vom 14. März 2021).

Die internationalen Investoren (darunter viele Kleinanleger) setzten also auf das attraktive Geschäftsmodell, das auf der Wohnungsnot und dem hohen Wert des Denkmalschutzes in Deutschland basierte – und ließen sich von den unseriös hohen Zinsversprechen locken. Jetzt erwarten viele der über den Tisch gezogenen Anleger, dass der deutsche Staat ihre fehlgeschlagene Renditeerwartung kompensiert.

 

Quellen:

 

Marta Orosz: „Milliardenbetrug German Property Group: 2.000 britische Rentner fordern in Brief Entschädigung von Kanzlerin Merkel“, Business Insider (Nachrichten-Webseite) vom 14. März 2021

https://www.businessinsider.de/wirtschaft/milliardenbetrug-german-property-group-2-000-betrogene-britische-rentner-fordern-in-einem-brief-entschaedigung-von-kanzlerin-merkel-a/

dies./Kayhan Özgenc: „Betrug in Milliardenhöhe: Chef der German Property Group räumt erstmals ein, Anleger getäuscht zu haben“, Business Insider (Nachrichten-Webseite) vom 26. Januar 2021

https://www.businessinsider.de/wirtschaft/betrug-in-milliardenhoehe-chef-von-immobilienfirma-raeumt-erstmals-ein-anleger-getaeuscht-zu-haben-a/

Christian Bunke: „Renten verzockt“, junge Welt Online vom 13. März 2021

https://www.jungewelt.de/artikel/398351.finanzskandal-renten-verzockt.html

Volker Votsmeier: „Anlagebetrug-Ermittlungen: Neue Abgründe im Milliardenskandal mit Immobilien“, Handelsblatt vom 17. September 2020

https://www.handelsblatt.com/finanzen/immobilien/german-property-group-anlagebetrug-ermittlungen-neue-abgruende-im-milliardenskandal-mit-immobilien/26195012.html

 

Politik auf privatrechtlicher Grundlage: Unternehmen regieren in „Innovationszonen“

Der demokratische Gouverneur des US-Bundesstaats Nevada hat nach Presseberichten einen Gesetzentwurf ausarbeiten lassen, der Firmen aus Zukunftsbranchen (Robotik, künstliche Intelligenz, Biometrie) erlauben soll, ganze Städte in sogenannten Innovationszonen neu aufzubauen. Dort sollen anstelle der öffentlichen Verwaltungen und Bürgermeister die investierenden Unternehmen staatliche Hoheitsbefugnisse übernehmen. Diese könnten dann etwa Steuern erheben und wären für Justiz, Polizei, Schulen, Gerichtsbarkeit, Arbeitsämter und Kindergärten zuständig.

Voraussetzung für die Schaffung einer solche Innovationszone ist, dass die Unternehmen mindestens 200 Quadratkilometer von noch nicht erschlossenem und unbewohntem Land außerhalb bestehender Städte kaufen. Die Interessenten müssen außerdem mindestens 250 Millionen US-Dollar besitzen und sind verpflichtet, innerhalb von zehn Jahren eine Milliarde Dollar in das Projekt zu investieren. Die Staatsgewalt würde dann nach einer gewissen Zeit von der bestehenden Gebietskörperschaft (County) auf die Unternehmen übergehen. Im Bundestaat Nevada würden so kleine staatliche Enklaven ohne jede demokratische Legitimation entstehen.

Begründet wird das Vorhaben damit, dass die bisherigen kommunalen Verwaltungen und die üblichen Anreizsysteme aus Steuererleichterungen und Subventionen es nicht mehr schaffen würden, wichtige Zukunftstechnologien nach Nevada zu holen. Deshalb sollen „alternative Regierungsformen“ das traditionelle Modell der Kommunalverwaltung ersetzen. So kaufte der Chef des Konzerns Blockchains, Jeffrey Berns, bereits im Jahr 2028 eine 270 große unbewohnte Landfläche im Westen Nevadas. Dort soll eine unternehmenseigene „Smart City“ entstehen, die vollständig auf Blockchain-Datenspeichertechnologie basiert.

Der Berliner Tagesspiegel kommentiert dies Vorhaben wie folgt:

„Zur Idee, vielmehr Ideologie, der Smart City gehört die Verschmelzung des Bürgers mit dem Kunden und Nutzer ausgeklügelter Dienstleistungen. Der Bürger, wie man ihn hierzulande noch kennt, ist in der Hightech-Stadt von morgen, in Berns‘ privater Kommune, eine Figur von gestern. Wenn seine Umgebung sensorüberwacht ist, dann sind bloß noch des Bürgers Gedanken frei; denn seine Bewegungen, seine Tätigkeiten, die Benutzung seiner Waschmaschine und seiner Klimaanlage bedienen den gigantischen Datenhunger einer hochintelligenten Stadtmaschine, die alles optimiert: Verkehrsmittelnutzung, Energieversorgung, Müllentsorgung, die polizeiliche Bestreifung des öffentlich-privaten Raums.“ (Tagesspiegel vom 14. Februar 2021)

Die Berichte aus den USA erinnern an Pläne des US-Ökonomen Paul Romer, der schon vor Jahren „mit Retortenstädten die Entwicklungshilfe revolutionieren“ wollte (Handelsblatt vom 12. Mai 2010). Unbesiedelte Gebiete in Entwicklungsländern sollten in staatenlose Sonderzonen, sogenannten „Charter Cities“, umgewandelt werden. Für Rechtssicherheit und Verwaltung hätten westliche Partnerländer sorgen sollen. Nach Romer wären dies ausreichende Bedingungen, um Investoren und Menschen in die „Charter Cities“ zu locken und eine ungeahnte Wachstumsdynamik auszulösen. Für den Vorschlag, westliche Partnerstaaten in den Sonderzonen über Gesetze und Regeln wachen zu lassen, wurde der Ökonom von politischen Gegnern als Neokolonialist bezeichnet.

Thomas Wagner beschrieb im Jahr 2010 Romers Grundidee in der jungen Welt:

„Ein finanzschwacher Staat des Südens stellt westlichen Staaten aus freien Stücken eine nicht besiedelte Fläche seines Territoriums für die Neugründung einer Stadt zur Verfügung und tritt die Souveränitätsrechte an diesem Gebiet für eine vertraglich festgelegte Zeitdauer an diese Staaten ab. Diese steuern Gelder und administrative Leistungen bei. Eine Entwicklungsbehörde wird vereinbart, die für die Gesetzgebung und die Einhaltung der Ordnung zuständig ist. Sobald auf diese Weise für Rechtssicherheit und den Schutz des Eigentums gesorgt ist, können Privatleute in Handelsniederlassungen und industrielle Produktionsstätten investieren und Arbeiter aus den Armutsregionen des Gastgeberstaates in die neue Stadt zuwandern. Die dort tätigen westlichen Unternehmen profitieren von den Niedriglöhnen in der Region. Viele Bewohner von Charter Cities sollen dort ihren ersten regulären Job finden können. Worauf sie freilich verzichten müssen, sind elementare politische Rechte und Freiheiten. ‚Demokratisch soll es in den Reißbrettmetropolen nicht zugehen‘, berichtete die Zeitschrift Capital, freilich ohne sich allzu sehr daran zu stören: ‚Die Bewohner dürfen nur mit den Füßen abstimmen. Und die Lokalpolitiker vor Ort sollen einen ähnlichen Spielraum erhalten, wie etwa Notenbanker ihn genießen.‘“ (junge Welt vom 27. April 2010)

Paul Romer erhielt im Jahr 2018 für seine „Innovationsforschung“ den Wirtschaftsnobelpreis. Sebastian Gerhardt kommentierte die Auszeichnung damals mit folgenden Worten:

„Was Paul Romer alles dem kapitalistischen Fortschritt zu opfern bereit ist, das ist angesichts der aktuellen Würdigung kein Thema. Deshalb eine kleine Erinnerung. (…) Paul Romer, Professor der Wirtschaftswissenschaften in New York, hatte sich vor Jahren mit seinen Modellen zur Entstehung von Innovationen im Kapitalismus einen großen Namen gemacht. Der technische Fortschritt sollte nicht mehr ‚wie Manna vom Himmel‘ fallen, sondern sich aus Investitionen in Humankapital und dem freien Markt ergeben. So entwickeln sich die Ideen, die die Welt besser machen. Leider musste der Professor feststellen, dass die wirkliche Welt seinen fortschrittlichen Ideen nicht ganz entspricht. Weitverbreitete Armut führte ihn aber nicht dazu, den Glauben an seine Modelle und an den Markt aufzugeben. Sondern er stellte fest, dass leider in der Welt zu wenig von der Ordnung herrscht, in der sich der Wettbewerb gut entwickeln kann. So entwarf er einen neuen Gesellschaftsvertrag, ein Modell einer gänzlich frei und privat entwickelten Stadt: die Charter City (…). Vor allem für die Dritte Welt, in der noch immer Kriminalität und Korruption herrschen, sollten sich ungeahnte Möglichkeiten eröffnen. (…)

Wie die meisten Utopisten hatte auch Paul Romer ein großes Vorbild: die Stadt Hongkong. Aus ein paar Inseln mit Fischern wurde in den Jahren der britischen Herrschaft ein prosperierendes Zentrum, weil die Briten die richtige Verwaltung und gute Regeln eingeführt haben. Und auf die kommt es an, nicht auf die falschen Lehren von Selbstverwaltung und Demokratie. Sondern auf den Rechtsstaat, der alle gleich behandelt und ihnen damit ihre Chance gibt. Die Autorität des Rechts, die Achtung vor der Person und dem Eigentum des anderen, ist entscheidend. Investoren würden sich ansiedeln und Arbeitsplätze bieten, auf denen sich auch schlecht ausgebildete Personen in einfacher Arbeit bewähren, ihr Einkommen sichern und ihr Humankapital mehren können: Learning by doing. Und irgendwann, wenn sich alle eingewöhnt haben, darf auch gewählt werden.

Eine Eingewöhnungsphase ist aber nötig, immerhin soll die neue Idealstadt vor allem eines sein: neu. Ohne Rücksichten, ohne irgendwelche überkommenen Strukturen! Wie jede echte Utopie lebt auch die Charter City von der Illusion, man könnte einfach mal ganz von vorne anfangen und diesmal alles richtig machen. Nur eine Struktur soll selbstverständlich aus der Vergangenheit übernommen werden: das Eigentum. (…) Eine Arbeitslosenversicherung sieht der Professor nicht vor – in Anbetracht der guten Investitionsbedingungen sieht er hier wohl keine Schwierigkeiten. Wer trotz der tollen Möglichkeiten scheitert, hat ein privates Problem.“ (Sebastian Gerhardt, 9. Oktober 2018)

 

Quellen:

Daniel AJ Sokolov: „Nevada will lokale Regierungsmacht an Tech-Firmen abtreten – samt Gericht“, Heise Online, 8. Februar 2021 

https://www.heise.de/news/Nevada-will-lokale-Regierungsmacht-an-Tech-Firmen-abtreten-samt-Gericht-5048204.html

Claus Hulverscheidt: „Meine Firma, meine Stadt“, Süddeutsche Zeitung Online, 8. Februar 2021

https://www.sueddeutsche.de/politik/usa-technologie-libertarismus-1.5199920

Werner van Bebber: „Hätte die Blockchain-City ein Corona-Problem?“, Tagesspiegel Online, 14. Februar 2021 

https://www.tagesspiegel.de/politik/intelligente-staedte-haette-die-blockchain-city-ein-corona-problem/26914456.html

Johannes Pennekamp: „Der Stadtplaner als Welt-Retter“, Handelsblatt Online, 12. Mai 2010

https://www.handelsblatt.com/politik/konjunktur/oekonomie/nachrichten/entwicklungsoekonomie-der-stadtplaner-als-welt-retter/v_detail_tab_print/3434790.html

Thomas Wagner: „Dreiste Landnahme“, junge Welt Online, 27. April 2010

https://www.jungewelt.de/loginFailed.php?ref=/artikel/143514.dreiste-landnahme.html

Sebastian Gerhardt: „Nobelpreiswürdig? Mahagonny reloaded“, 9. Oktober 2018

https://planwirtschaft.works/2018/10/09/nobelpreiswurdig-mahagonny-reloaded/

Trotz Wirecard: Zahlungsdienstleister hoch im Kurs

Der insolvente Konzern Wirecard konnte über Jahre seine Investoren mit – zum Teil gefälschten – Erfolgszahlen beeindrucken. So legte der international aktive Zahlungsdienstleister im Jahr 2019 bei Umsatz und Gewinn rund 40 Prozent zu. In Spitzenzeiten war das Unternehmen fast 24 Milliarden Euro wert. 2018 ersetzte es die Commerzbank im DAX. Erst nach der Entlarvung des Managements als mutmaßliche Fälscherbande sahen sich Journalisten veranlasst, selbstkritische Fragen zu stellen: Warum wurde die unglaubliche Wachstumsgeschichte trotz vereinzelter kritischer Stimmen nicht frühzeitig hinterfragt? Hätten die vorgelegten Kennzahlen nicht mit Blick auf mögliche wirtschaftskriminelle Handlungen des Konzerns stutzig machen sollen?

Der Boom im milliardenschweren Online-Zahlungsverkehr geht trotz des Skandals um Wirecard munter weiter. Die Coronakrise beschleunigt dabei den Trend zu mehr bargeldlosen Zahlungen weltweit. Und potenzielle Investoren sind permanent auf der Suche nach lukrativen Anlagemöglichkeiten. So „pumpen“ die Investoren viele Millionen „in den nächsten Hoffnungsträger“, wie das Handelsblatt anmerkt (Handelsblatt Online, 8. September 2020) Wer sich aber die Erfolgszahlen der Marktführer in der hart umkämpften Payment-Branche etwas genauer anschaut, wird an die Wachstumsstory von Wirecard erinnert.

Zu den besonders schnell expandierenden Zahlungsdienstleistern gehört der weltweit agierende niederländische Konzern Adyen, gegründet 2006, seit Sommer 2018 an der Börse notiert. Seitdem scheint dessen Aktienkurs regelrecht zu explodieren. Der Börsenwert beträgt aktuell mehr als 65 Milliarden Euro und liegt damit höher als die Marktkapitalisierung mancher DAX-Werte. Das sogenannte Transaktionsvolumen stieg im vergangenen Jahr um fast 30 Prozent auf 300 Milliarden Euro. In den kommenden Jahren will der Konzern seinen Umsatz durchschnittlich um mindestens 25 Prozent steigern. (Handelsblatt Online vom 10. und 22. Februar 2021) Zahlen, die von den offiziellen Wirecard-Kennziffern nicht um Welten entfernt liegen.

Im Interview mit dem Handelsblatt verneint Adyen-Vorstandschef Pieter van der Does jedoch die Frage, ob seine Kunden wegen des Wirecard-Skandals vermehrt nachfragen, wie Adyen genau arbeitet. „Die meisten, die mit unserer Branche zu tun haben, betrachten es wie den Enron- oder den Parmalat-Skandal – als Problem, das alle zehn bis 15 Jahre in der Finanzwelt auftritt, aber nicht als systemisches Problem der Zahlungsdienstleister.“ (Handelsblatt vom 21. September 2020)

Die Betrugsmasche des deutschen Zahlungsdienstleisters führte tatsächlich zu keinem Dämpfer für das globale Geschäftsmodell der elektronischen Zahlungsabwicklung. Denn die Geschäftszahlen von Adyen und Co* belegen, dass sich das anlagesuchende Kapital nicht von einzelnen Bilanzskandalen und Firmenpleiten abschrecken lässt. Gespannt darf deshalb beobachtet werden, ob Investigativjournalisten oder auf fallende Kurse setzende Shortseller auch nach Wirecard den hart umkämpften Payment-Markt weiter unter die Lupe nehmen – und einen weiteren Skandal offenlegen.

*Andere derzeit aufstrebende Zahlungsdienstleiter sind Klarna (Schweden), Stripe (USA), Paypal (USA) oder Checkout (Großbritannien). Es handelt sich bei ihnen um Kandidaten für baldige Börsengänge. Teilweise wird eine rasante Steigerung der Marktkapitalisierungen erwartet. So wird laut Handelsblatt Stripe aktuell mit 36 Milliarden Dollar bewertet, könnte aber bald 100 Milliarden Dollar wert sein. (Handelsblatt vom 22. Februar 2021)

Quellen:

Elisabeth Atzler/Katharina Schneider: „Investoren stürzen sich auf Zahlungsdienstleister“, Handelsblatt Online vom 8. September 2020

https://www.handelsblatt.com/finanzen/banken-versicherungen/banken/finanz-start-ups-investoren-stuerzen-sich-auf-zahlungsdienstleister/26164590.html

Elisabeth Atzler/Felix Holtermann: „Adyen-Chef zur Pleite des Konkurrenten: ‚Der Wirecard-Untergang ist ein Desaster für die Branche‘“, Handelblatt Online vom 21. September 2019

https://www.handelsblatt.com/finanzen/banken-versicherungen/banken/pieter-van-der-does-im-interview-adyen-chef-zur-pleite-des-konkurrenten-der-wirecard-untergang-ist-ein-desaster-fuer-die-branche/26197882.html

Elisabeth Atzler: „Profiteur der Coronakrise: Hoher Gewinnsprung bei Adyen“, Handelsblatt Online vom 10. Februar 2021

https://www.handelsblatt.com/finanzen/banken-versicherungen/banken/zahlungsabwickler-profiteur-der-coronakrise-hoher-gewinnsprung-bei-adyen/26900752.html

dies., „Das Milliarden-Fintech Stripe heuert früheren britischen Notenbankchef an“, Handelsblatt Online vom 22. Februar 2021

https://www.handelsblatt.com/finanzen/banken-versicherungen/banken/finanz-start-up-das-milliarden-fintech-stripe-heuert-frueheren-britischen-notenbankchef-an/26939522.html

 

Entschärftes Lieferkettengesetz. Ein Medienbericht

Nach langen Auseinandersetzungen einigten sich am 12. Februar 2021 Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD), Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) auf einen Kompromiss zum Lieferkettengesetz. Danach sollen ab 2023 deutsche Unternehmen mit mehr als 3000 Mitarbeiter*innen zur Einhaltung von Menschenrechten bei ihren Lieferanten im Ausland verpflichtet werden. Ab 2024 gelten die Regelungen auch für Unternehmen mit mehr als 1000 Beschäftigten. Durch die Begrenzung soll laut Minister Heil die Wettbewerbsstellung der deutschen mittelständischen Wirtschaft geschützt werden. Geplant ist, den vorliegenden Entwurf bis Mitte März im Kabinett und als Gesetz noch in dieser Legislaturperiode im Bundestag zu beschließen.

Die Bundesregierung hatte sich bereits im Koalitionsvertrag von 2018 verpflichtet, ein Gesetz mit Sanktionen zu verabschieden, sofern nicht eine freiwillige Selbstverpflichtung der deutschen Großunternehmen zur Einhaltung entsprechender Regeln bis zum Jahr 2020 greifen würde. Im Oktober des vergangenen Jahres ergab der Abschlussbericht eines Monitoringprozesses, dass maximal 17 Prozent der befragten Unternehmen freiwillig die Anforderungen erfüllt hatten. Das von der Bundesregierung gesetzte Ziel von 50 Prozent wurde damit weit verfehlt und eine verpflichtende Regelung für die Unternehmen notwendig.

Einige Auszüge aus Pressekommentaren und Stellungnahmen von NGOs zum aktuellen Gesetzesentwurf:

Pepe Egger: „Minimalstandards? Zu teuer!“, der Freitag vom 25. Februar 2021:

„Denn als die Bundesregierung ihrer eigenen Vorgabe folgte und nach dem Scheitern der freiwilligen Selbstkontrolle ein Gesetz zur Sorgfaltspflicht beschließen wollte, begannen die Branchenlobbyisten zu kalkulieren. Die Wirtschaftsvereinigung Metalle will errechnet haben, dass derlei Pflichten jeden Mittelständler mit zusätzlich rund 60.000 Euro jährlich ‚belasten‘. Größere Firmen müssten mit Extrakosten von einer halben Million Euro kalkulieren. Pro Jahr! Man muss der Wirtschaftsvereinigung Metalle dankbar sein. So klar hätte man das selbst nicht sagen können: Absolute Mindeststandards in Lieferketten sind einfach zu teuer. Zusätzliche Kosten in der Höhe des Jahresgehalts sage und schreibe eines zusätzlichen Mitarbeiters sind für Mittelständler doch offensichtlich unzumutbar. Für DAX-Unternehmen wären es rund zehn Prozent des durchschnittlichen Vorstandsvorsitzenden-Gehalts. Eine quasi unmenschliche Belastung! (…) Müller und Heil hatten verlangt, dass Unternehmen auch dafür geradestehen, was in ihren Lieferketten passiert, sprich: zivilrechtlich dafür haften. Doch ‚die Wirtschaft‘ machte da nicht mit: Unternehmen sind nur für ihre direkten Zulieferer mitverantwortlich, haften müssen sie auch nicht. Stattdessen drohen nur mögliche Bußgelder, wenn sie ihrer Sorgfaltspflicht nicht nachkommen.“

https://www.freitag.de/autoren/pep/minimalstandards-zu-teuer

Thomas Seibert: „Lockdown hier und Elend dort – Textilproduktion, Corona und das Lieferkettengesetz“, express: Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, Nr. 2/2021:

„Politisch zählt, dass das Gesetz unumgänglich wurde, weil es gesellschaftlich mit Mehrheit gewollt wird – ein Erfolg zuletzt der globalen Kampagnen um die großen Fabrikkatastrophen der Jahre 2021/2013. Soll das zum Tragen kommen, sind jetzt zwei Sachen durchzukämpfen. Die erste erklärt sich aus der geschilderten Situation in Südasien, die im Grunde den ganzen globalen Süden trifft: kapitalistische Globalisierung im Anspruch unters Menschenrecht zu stellen, heißt heute, einen als partikularen (Arbeits-)Kampf historisch verlorenen Kampf perspektivisch zu einem universellen Kampf um Form und Sache selbst der Globalisierung zu machen. Seine Bewährung findet er mit seinen Subjekten, an deren Zustimmung er appelliert. Denn ein Menschenrechtskampf gegen kapitalistische Ausbeutung wäre nicht nur die Sache derer, die ihr unmittelbar unterliegen, es wäre mehr als ‚nur‘ ein Klassenkampf und schon gar kein Arbeitskampf mehr. Er wäre nicht nur in den Fabriken, sondern entlang der ganzen Herstellungs- und Lieferketten zu führen, von denen, die da beliefert werden, und denen, die das Ausgelieferte herstellen. Wer ihm beitritt, folgt keinem unmittelbaren ‚Klasseninteresse‘, sondern gibt eine politische Antwort auf die Frage, in welcher Welt wir alle morgen eigentlich leben wollen.“

https://express-afp.info/der-express-2-2021-ist-erschienen

Martin Ling: „Kein scharfes Schwert“, ND Online vom 12. Februar 2021:

„Mit dem Lieferkettengesetz werden erstmals überhaupt deutsche Unternehmen in Verantwortung genommen für das, was ihre Zulieferer im Ausland veranstalten. Bisher konnte es ihnen egal sein, wenn bei ihren Vertragspartnern soziale und ökologische Standards mit Füßen getreten wurden. Nun sollen vorerst nur die großen Unternehmen per Gesetz verpflichtet werden, auch bei ihren ausländischen Zulieferern auf die Einhaltung von menschenrechtlichen, sozialen und Umweltstandards zu achten. Das ist ein Fortschritt. Denn an freiwillige Selbstverpflichtungen haben sich die wenigsten Unternehmen gehalten – der Profit geht vor! Wirtschaftsminister Peter Altmaier hat für die Entschärfung hart gekämpft: Die Bundesregierung verzichtet auf eine zivilrechtliche Haftung. So haben direkt Geschädigte keine Möglichkeit, Firmen hierzulande gerichtlich zu belangen. Das scharfe Schwert wurde weggesteckt.“

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1148259.lieferkettengesetz-kein-scharfes-schwert.html?sstr=lieferkettengesetz

„Fauler Kompromiss bei Lieferkettengesetz“, junge Welt Online vom 13. Februar 2021:

„Beifall für die Novelle kam von der Kapitalseite: Auf den ersten Blick sei die regierungsinterne Einigung zum Lieferkettengesetz ein deutlicher Fortschritt im Vergleich zu den bisherigen, weltfremden Vorstellungen aus den Arbeits- und Entwicklungsministerien, so Gesamtmetall-Hauptgeschäftsführer Oliver Zander in einer Mitteilung am Freitag. Die Partei Die Linke dagegen äußerte sich kritisch. Der Kompromiss sei eine Absage an den wirksamen Schutz der Menschenrechte. Ohne eine Unternehmenshaftung sei das Gesetz ein zahnloser Tiger, erklärte Michel Brandt, Obmann für die Linksfraktion im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, in einem Pressestatement gleichentags. ‚Immer wieder sehen deutsche Unternehmen bei Menschenrechtsverstößen weg und profitieren sogar davon. Sie müssen deshalb von Betroffenen zur Rechenschaft gezogen werden können, sonst bleibt alles wie es ist‘, sagte Brandt weiter. Franziska Humbert von der Entwicklungsorganisation Oxfam bezeichnete den Kompromiss als ‚Lightversion‘ eines wirksamen Gesetzes. Sie beklagte: ‚Dass deutsche Wirtschaftsverbände außerdem durchgesetzt haben, dass die Regelungen nur für Unternehmen ab 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gelten, bedeutet, dass die Mehrzahl der deutschen Unternehmen einfach weitermachen kann wie bisher.‘“

https://www.jungewelt.de/artikel/396361.unternehmerlobby-fauler-kompromiss-bei-lieferkettengesetz.html?sstr=Lieferkettengesetz

Hannes Koch: „Menschenrechte achten“, Taz Online vom 12. Februar 2021:

„Laut Heil müssen hiesige Unternehmen künftig ihre Lieferkette untersuchen und dies in Risikoberichten dokumentieren. Dabei gibt es jedoch Abstufungen. Die höchsten Standards gelten im eigenen Betrieb. Dann folgen etwas abgeschwächt die direkten Zulieferer. Um die Zustände bei deren Vorlieferanten müssen sich die hiesigen Firmen nur kümmern, wenn es einen Anlass zur Sorge gibt. (…) Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) in Eschborn bei Frankfurt/Main, eine nachgeordnete Behörde des Wirtschaftsministeriums, wird die Dokumente der Firmen überprüfen und bei Bedarf Kontrollen im In- und Ausland durchführen. Halten Unternehmen die Regeln nicht ein, drohen ihnen ‚Zwangs- und Bußgelder‘, so Müller. Bei deutlichen Verstößen können Betriebe zur Strafe sogar für drei Jahre von öffentlichen Ausschreibungen in Deutschland ausgeschlossen werden.

Während Müller und Heil den Arbeiter:innen der Zulieferfabriken ursprünglich den Gang zu deutschen Gerichten erleichtern wollten, hat Altmaier das verhindert. Eine verschärfte zivilrechtliche Haftung gibt es im Gesetzentwurf nicht. Allerdings sollen Gewerkschaften, Bürgerrechts- und Entwicklungsorganisationen künftig die Möglichkeit bekommen, im Namen von ausländischen Geschädigten vor hiesigen Gerichten zu klagen. Diese Drohung dürfte Firmen anspornen, das Gesetz einzuhalten.“

https://taz.de/Regierung-vereinbart-Lieferkettengesetz/!5748604/

„Koalition einigt sich auf Lieferkettengesetz“, Der Spiegel Online vom 12. Februar 2021:

„Unternehmen müssen künftig bei Verstößen gegen die Sorgfaltspflicht nur mit einem Bußgeld rechnen. Sie sollen dann auch bis zu drei Jahre von öffentlichen Ausschreibungen ausgeschlossen werden. Es soll jedoch keine zivilrechtliche Haftung der Unternehmen geben – das hatte Altmaier abgelehnt. Wirtschaftsverbände hatten argumentiert, eine zivilrechtliche Haftung von Unternehmen für unabhängige Geschäftspartner im Ausland, die dort eigenen gesetzlichen Regelungen unterliegen, sei realitätsfern. In diesem Falle drohe, dass sich deutsche Firmen wegen zu hoher Risiken aus vielen Ländern der Welt zurückziehen.“

https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/koalition-einigt-sich-auf-lieferkettengesetz-a-4312009c-0875-4d74-90ca-f26a51711916

„Bundesregierung einigt sich auf abgeschwächtes Lieferkettengesetz“, Pressestatement der „Initiative Lieferkettengesetz“ vom 12. Februar 2021:

„Ein wirkungsvolleres Gesetz wäre möglich gewesen. Doch offenbar sind der CDU ihre guten Beziehungen zu den Wirtschaftsverbänden wichtiger als der effektive Schutz von Menschenrechten und Umwelt. Nur so ist zu erklären, dass das Gesetz zunächst nur für so wenige Unternehmen gilt. Durch die fehlende zivilrechtliche Haftung wird Opfern von schweren Menschenrechtsverletzungen ein verbesserter Rechtsschutz vor deutschen Gerichten verwehrt. Und auch die Pflicht zur Einhaltung von Umweltstandards berücksichtigt das Gesetz nur marginal – hier gibt es dringenden Nachbesserungsbedarf.

Umso wichtiger ist es, dass in Zukunft eine Behörde prüfen wird, ob sich Unternehmen an ihre Sorgfaltspflichten halten. Verstößt ein Unternehmen gegen seine Pflichten, kann die Behörde Bußgelder verhängen und das Unternehmen von öffentlichen Aufträgen ausschließen. Das ist ein großer Fortschritt zu den bisherigen freiwilligen Ansätzen.

Die Bundestagsabgeordneten fordern wir nun dazu auf, sicherzustellen, dass die Sorgfaltspflichten von Unternehmen den UN-Leitprinzipien entsprechen. Ein Lieferkettengesetz muss auch Umweltstandards abdecken und eine zivilrechtliche Haftungsregelung enthalten, um die Schadensersatzansprüche von Betroffenen zu stärken.“

https://lieferkettengesetz.de/presse/

Lena Hollender (Greenpeace), „Ein Lieferkettengesetzchen“, 16. Februar 2021:

„In die Diskussion um ein deutsches Lieferkettengesetz ist Bewegung gekommen. (…) Die Politik feiert sich für den Erfolg. Dabei beinhaltet der Kompromiss keine zivilrechtliche Haftungsregelung, wenn Unternehmen gegen die Sorgfaltspflicht verstoßen. Auch wird nicht die gesamte Lieferkette abgedeckt. (…)

Sowohl Verletzungen von Menschenrechten und Arbeitsstandards, als auch Umweltschäden geschehen häufig in Produktionsländern außerhalb der EU. Damit finden sie überwiegend am Anfang von globalen Lieferketten statt. (…) ‚Ein Lieferkettengesetz ist deshalb nur dann wirksam, wenn es verbindliche Haftungsregeln für die ganze Länge der Wertschöpfungskette beinhaltet‘, sagt Viola Wohlgemuth, Expertin für Konsum und Ressourcenschutz bei Greenpeace. ‚Es muss schlicht gewährleisten: Wer Umweltschutz und Menschenrechte aus Profitgier missachtet, wird künftig zur Verantwortung gezogen, egal wo auf der Welt er sie begeht‘, mahnt sie. (…) Nun soll das Gesetz noch vor der Bundestagswahl in diesem Jahr verabschiedet werden. Nach einem monatelangen Streit hatte bis zuletzt vor allem der Wirtschaftsminister eine Einigung blockiert. Jetzt zetert der wirtschaftspolitische Flügel der CDU/CSU gegen das geplante Gesetz. (…)

Damit sich die deutsche Wirtschaft auf die Vorgaben einstellen kann, soll das Gesetz ab 2023 inkrafttreten. Betroffen sind zunächst allerdings nur Firmen mit mehr als 3000 Mitarbeitenden, erst ein Jahr später soll das Gesetz dann auch für Firmen gelten, für die mehr als 1000 Menschen arbeiten. Auch diese ‚Verschärfung‘ klammert jedoch den gesamten Mittelstand, die größte Gruppe von Firmen in Deutschland, aus.“

https://www.greenpeace.de/themen/umwelt-gesellschaft/wirtschaft/ein-lieferkettengesetzchen

Nicole Bastian/Dana Heide: „Joe Kaeser fordert gemeinsame europäische Antwort auf Chinas Wirtschaftsstrategie“, Interview mit dem ehemaligen Siemens-Chef Joe Kaeser, Handelsblatt Online vom 26. Februar 2021

Politische Aufgaben sollten der Politik überlassen werden. Da gehören sie hin. Wir als Unternehmen haben aber die Verpflichtung, dass in unserem Wirkungsbereich Menschenrechtsstandards, wie etwa das Verbot von Zwangs- oder Kinderarbeit, eingehalten werden. Ich begrüße daher auch ausdrücklich das Lieferkettengesetz. Ich finde es richtig, dass ein Unternehmen seine Lieferanten überprüft, das kann man von ihm verlangen – übrigens auch von kleineren. Das muss aber praktikabel bleiben und kann sich nur auf die unmittelbaren Zulieferer, mit denen wir als Kunde im direkten Kontakt stehen, beschränken. Bürokratie haben wir schon genug.“ (Joe Kaeser)

https://www.handelsblatt.com/politik/international/interview-joe-kaeser-fordert-gemeinsame-europaeische-antwort-auf-chinas-wirtschaftsstrategie-/26952212.html

Frank Specht: „Das Lieferkettengesetz wird die Erwartungen nicht erfüllen“, Handelsblatt Online vom 14. Februar 2021:

„Es sei ein Gesetz ‚mit Zähnen‘ geworden, lobt Arbeitsminister Heil. Man bringe die Menschenrechte voran, ohne die Wirtschaft zu sehr mit Bürokratie zu belasten, lobt sich Wirtschaftsminister Altmaier selbst. Beide irren. An der Situation der Teepflückerin im indischen Assam, die Entwicklungsminister Müller als Beispiel nannte, an den Zuständen in Kobaltminen im Kongo oder Textilfabriken in Bangladesch wird das Gesetz wenig ändern. Zu lang sind die Lieferketten bis hin zum Rohstoffproduzenten, zu undurchsichtig die Verästelungen der globalen Wirtschaft, als dass deutsche Unternehmen sie wirklich bis ins letzte Glied durchschauen könnten. Und die Klage des afrikanischen Kobaltschürfers vor deutschen Gerichten wird nur unwesentlich leichter dadurch, dass ihn jetzt NGOs dabei unterstützen dürfen. Statt Zähnen hat das Gesetz allenfalls Zähnchen. Und die Bürokratie? Die vom Gesetz betroffenen Konzerne werden mit neuen Berichtspflichten belegt, obwohl sie ihre direkten Zulieferer ohnehin im Blick haben. Schon weil Investoren Wert auf nachhaltige Investments legen und die Firmen es sich gar nicht leisten können, in den Ruch von Menschenrechtsverletzungen zu kommen. Trotzdem müssen sie ab 2023 viel Papier mit Texten bedrucken, die am Ende niemand liest.

Die Grundproblematik des Gesetzes bleibt: Wie sollen Unternehmen hinbekommen, was Staaten mit Menschenrechtspolitik, Sanktionen und Importregularien nicht schaffen? Während die Politik den Rückzug von Firmen aus kritischen Regionen wünscht, stützt sie mit Entwicklungshilfe korrupte Regime, die bei Menschenrechtsverletzungen beide Augen zudrücken oder sie selbst zu verantworten haben.“

https://www.handelsblatt.com/meinung/kommentare/kommentar-das-lieferkettengesetz-wird-die-erwartungen-nicht-erfuellen/26913630.html

Manfred Schäfers: „Eine Kette für den Handel“, FAZ Online vom 12, Februar 2021:

„Der Zeitpunkt ist denkbar ungünstig. Die deutsche Wirtschaft leidet enorm unter der Pandemie. Auch wenn die Industrie noch einigermaßen gut läuft, heißt das nicht, dass keine Gefahren existieren. In dieser Situation ein solches Gesetz auf den Weg zu bringen, bleibt riskant. Vom Jahr 2023 an sollen Unternehmen mit mehr als 3000 Mitarbeitern in Deutschland in die neue Pflicht genommen werden, ein Jahr später sinkt die Schwelle schon auf 1000.

Anzuerkennen (ist), dass die direkten Folgen für die Unternehmen im Vergleich zu den ursprünglichen Plänen von Müller und Heil etwas begrenzt wurden. Der Entwurf sieht keine neue privatrechtliche Haftung vor. Die neuen Pflichten betreffen nur Menschenrechte, nicht Umweltstandards. Konkrete Verantwortung erhalten die Unternehmen allein für ihre direkten Zulieferer, bei den mittelbaren müssen sie aber aktiv werden, wenn sie von Missständen erfahren.

Aus Sicht der Wirtschaft hätte es schlimmer kommen können. Aber was nicht ist, kann noch werden. Der Ausbau der Bürokratie ist schon sicher. Unklar ist, ob die neuen Normen den Menschen im Süden helfen. Die Armut in der Welt lässt sich nicht mit einem deutschen Gesetz abschaffen. Wer Entwicklung will, braucht Handel. Ob da das neue Gesetz hilft? Zweifel sind mehr als berechtigt.“

https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/sorgfaltspflichtengesetz-armut-abschaffen-in-corona-pandemie-17194695.html

Daniel Goffart: „Firmen haften nur für die erste Reihe der Lieferanten“, WirtschaftsWoche Online vom 15. Februar 2021:

„Wirtschaftsminister Altmaier hatte hingegen immer vor neuen Belastungen für die Unternehmen gewarnt, allerdings könne er jetzt mit dem Kompromiss leben, sagte der CDU-Politiker in Berlin. Eine zivile Haftung für die Wirtschaft gebe es nicht. Damit hat Altmaier einen aus seiner Sicht wichtigen Punkt umgesetzt, denn die Wirtschaftsverbände hatten immer wieder vor Wettbewerbsnachteilen auf globalen Märkten gewarnt. (…)

Dennoch regte sich Kritik in den Reihen der Unionsfraktion im Bundestag. Der wirtschaftspolitische Sprecher der CDU/CSU, Joachim Pfeiffer, sagte der WirtschaftsWoche, dass er ‚den Sinn des Vorhabens nicht erkennen‘ könne. ‚Deutsche Unternehmen achten wie kaum andere in der Welt auf die Einhaltung von Arbeitsschutz und menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten. Das ist weltweit bekannt und anerkannt. Sie sind deshalb in aller Welt gern gesehen und hochwillkommen‘, so der Wirtschaftsexperte. (…) Statt zu entlasten, schaffen wir neue Belastungen für die Unternehmen, die ganz sicher Zeit brauchen werden, sich von der aktuellen Coronakrise zu erholen‘, kritisierte Pfeiffer. (…)

Der Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbands der deutschen Textil- und Modeindustrie, Uwe Mazura, kündigte eine ‚kritische Begleitung‘ der Beratungen und Gesetzesarbeit an. ‚Bemerkenswert ist, wie viele Kapazitäten die Bundesregierung für ein neues Gesetz hat, während unsere Unternehmen seit Monaten auf Coronahilfe warten und ihre werthaltige Mode in den geschlossenen Geschäften nicht verkauft werden darf‘.

Gesamtmetall-Hauptgeschäftsführer Oliver Zander sagte, mit der Einigung sei ‚die Grenze des Machbaren für die Unternehmen absolut erreicht, vielleicht teilweise auch etwas überschritten‘. Allerdings habe es Wirtschaftsminister Altmaier geschafft, ‚weltfremde Vorstellungen‘ aus den anderen Ressorts weg zu verhandeln. Wichtig sei, dass Haftungsregeln verhindert wurden und dass die betroffenen Unternehmen nur für das erste Glied ihrer Lieferkette direkt verantwortlich seien. (…)

Skepsis und Kritik äußert auch die Gesellschafterin des Klebstoffspezialisten Delo, Sabine Herold: ‚Ich halte es weiter für grundfalsch, Unternehmen die Aufgabe aufzubürden, bei der die Politik gescheitert ist – Menschenrechte in Drittstaaten durchzusetzen‘, sagte sie der WirtschaftsWoche. Natürlich gäbe es Missstände in einigen Bereichen. Aber deshalb alle Unternehmen mit einer hochgradig bürokratischen Regelung zu überziehen anstatt ausschließlich problematische Felder zu regulieren, sei ‚weit über das Ziel geschossen und schadet unnötig am Ende allen Verbrauchern durch Mehrkosten ohne Zugewinn‘.“

https://www.wiwo.de/politik/deutschland/lieferkettengesetz-firmen-haften-nur-fuer-die-erste-reihe-der-lieferanten/26910770.html

Aktionärssubvention auf Staatskosten

Nach einer von der NGO Facing Finance geförderten aktuellen Studie ließen sich im Jahr 2020 viele börsennotierte Großunternehmen die Gehälter ihrer Mitarbeiter*innen vom Staat bezahlen, schütteten aber zugleich Milliardenbeträge in Form von Dividenden an ihre Aktionäre aus.

Im letzten Jahr wurden insgesamt geschätzt 14,3 Milliarden Euro im Zusammenhang mit dem Kurzarbeitergeld ausgezahlt. Zwölf der 30 Dax-Konzerne nahmen im Jahr 2020 Kurzarbeit in Anspruch; elf von ihnen schütteten dennoch weiterhin Dividenden aus. 13,7 Milliarden Euro der von Dax-Konzernen ausgezahlten Dividenden fallen auf Unternehmen, die vom Staat Kurzarbeitergeld erhalten haben und weiterhin erhalten. Dabei handele es sich laut Studie aber nur um die „Spitze des Eisbergs“. Denn auch außerhalb des Dax gebe es zahlreiche weitere Fälle – in Deutschland seien im Jahr 2019 insgesamt 470 Unternehmen an der Börse notiert gewesen. Der tatsächlich entstandene Schaden wäre damit noch deutlich höher anzusetzen, als bei den genannten 13,7 Milliarden.

Die Studie fasst zusammen:

Die in dieser Publikation dargestellten Zusammenhänge machen eins deutlich: im Zuge der Corona-Pandemie haben als Aktiengesellschaften aufgestellte Großunternehmen staatliche Unterstützung in Finanzmarktrendite verwandelt. (…) Durch die Auszahlung der Dividenden von Unternehmen in Kurzarbeit wird der Sinn des Kurzarbeiter:innengeldes, die Unterstützung der Realwirtschaft, völlig ad absurdum geführt: das Geld des deutschen Staats fließt als Rendite direkt in die Finanzwirtschaft.“

Quellen:

Robin Jaspert: Dividenden und Kurzarbeit in Deutschland. Der Staat springt ein – Shareholder profitieren?, Februar 2021 (gefördert von: Facing Finance)

https://www.facing-finance.org/files/2021/02/Report_Dividenden_und_Kurzarbeit_in_Deutschland_202102.pdf

Steffen Stierle: „Asozial durch die Krise“, junge Welt vom 22. Februar 2021

https://www.jungewelt.de/artikel/396971.abzockerei-asozial-durch-die-krise.html

 

 

Flughafen BER braucht mehr Geld

Das Trauerspiel um den Bau des kürzlich eröffneten Großflughafen BER südlich von Berlin wurde in BIG Business Crime schon mehrfach thematisiert. Zuletzt prognostizierten wir die weitere Entwicklung wie folgt:

„… es ist nicht einmal klar, ob die Flughafengesellschaft angesichts des massiv eingebrochenen Luftverkehrs jemals so viel Gewinn einfahren wird, dass sie die aufgenommenen Kredite bedienen und schrittweise abbauen kann. Solange dies nicht der Fall ist, werden die Schulden der Gesellschaft weiter steigen. Und es muss befürchtet werden, dass zuletzt doch der Steuerzahler entweder vollständig oder teilweise für diesen Schuldenberges aufkommen muss.“

Diese Prognose scheint sich sehr schnell zu bewahrheiten. Wie der Tagesspiegel unter Berufung auf den Berliner Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) schrieb, könne der Betrieb der hochverschuldeten und durch die Corona-Krise zusätzlich angeschlagenen Flughafengesellschaft nur mittels einer „Patronatserklärung“ garantiert werden. Mittels einer solchen würden die Bundesrepublik Deutschland und die Bundesländer Berlin und Brandenburg als Eigner der Gesellschaft verbindlich festlegen, dass sie „mit Finanzspritzen den Weiterbetrieb des angeschlagenen Unternehmens garantieren.“ In welcher Höhe sich die staatliche Bezuschussung dann letztlich beläuft, ist offen.

Höhere Manager der Flughafengesellschaft sprachen sich laut Tagesspiegel für „eine nötige Teilentschuldung“ des Unternehmens aus. Die Schulden der Gesellschaft belaufen sich derzeit auf 4,5 Milliarden Euro.

Quellen:

Gerd Bedszent: „Milliardengrab BER – eine unvollständige Bilanz“, Beilage von BIG Business Crime zu Stichwort BAYER Nr. 1/2021

Thorsten Metzner: „Notruf der BER-Verantwortlichen. Staat soll für neuen Flughafen Finanzierungsgarantie abgeben“, Tagesspiegel vom 12. Februar 2021

https://www.tagesspiegel.de/berlin/notruf-der-ber-verantwortlichen-staat-soll-fuer-neuen-berliner-flughafen-finanzierungsgarantie-abgeben/26910418.html

 

Ölboom in Afrika und seine Folgen – ein juristischer Sieg

Die jahrzehntelangen Aktivitäten des britisch-niederländischen Konzerns Royal Dutch Shell in Afrika, die Verstrickung des Unternehmens in kriminelle Machenschaften sowie seine Kumpanei mit Diktatoren, putschenden Militärs, Warlords und Oligarchenclans sind längst bekannt. Bekannt ist auch, dass der Konzern mitverantwortlich für massive Umweltschäden im ölreichen Südosten des westafrikanischen Staates Nigeria ist. Undichte Förderanlagen und Ölpipelines sowie das Abfackeln von Erdgaslagern verursachen seit Jahrzehnten Gesundheitsschäden bei dort ansässigen Bevölkerungsgruppen. Ausführliche Beiträge zu dieser Thematik erschienen in Nr. 3/2015 und Nr. 1/2017 von BIG Business Crime.

Diverse Umweltschutzorganisationen versuchen seit Jahrzehnten, wenn auch mit mäßigem Erfolg, gegen die Machenschaften von Shell und anderen in der Region aktiven Ölfirmen vorzugehen. Überraschenderweise gab kürzlich ein niederländisches Gericht der Klage von vier nigerianischen Bauern und der sie unterstützenden Umweltorganisation „Milieudefensie“ statt. Die Bauern hatten wegen Kontaminierung ihrer Ländereien durch auslaufendes Erdöl auf Schadenersatz und Renaturierung des vergifteten Bodens geklagt.

Die Süddeutsche Zeitung fasste in ihrer Ausgabe vom 29. Januar 2021 die eingereichte Klage wir folgt zusammen: „Wegen der schlechten Wartung der Infrastruktur verlieren Pipelines in Nigeria immer wieder Öl. (…) Durch unzureichende Sicherung der Installationen bohren zudem Kriminelle die Leitungen an, wo ebenfalls Öl austritt. Laut ‚Friends of the Earth‘, deren niederländischer Arm Milieudefensie darstellt, sind allein im Nigerdelta bisher mehr als elf Millionen Barrel Öl ausgeströmt und haben die Lebensgrundlage Tausender Menschen zerstört.“

Die Tageszeitung junge Welt erinnerte am 1. Februar 2021 daran, dass bereits 2008 dank einer Indiskretion bekannt wurde, dass der Konzern seine Ölpipelines in Nigeria 15 Jahre lang nicht mehr ausreichend instandsetzen ließ.

Der Konzern bestritt während des 13 Jahre andauernden Rechtsstreites den Sachverhalt massiver Umweltschäden zwar nicht, machte aber ausschließlich unbekannte Saboteure und Diebe für das auslaufende Öl verantwortlich. Auch sei nicht der Konzern selbst Akteur der Ölförderung, sondern ein örtliches Tochterunternehmen. Zudem zweifelte der Konzern die Zuständigkeit des niederländischen Gerichts für Umweltschäden in einem westafrikanischen Staat an.

Das Gericht sah das anders, verurteilte den Konzern entsprechend der Forderung der Kläger zu Schadenersatz und außerdem dazu, binnen eines Jahres die vorhandenen Ölleitungen mit Sensoren zur Entdeckung von Lecks auszurüsten. Die Höhe des konkret zu leistenden Schadensersatzes wurde noch nicht festgelegt. Die bisher von dem Konzern geleiteten Renaturierungsmaßnahmen befand das Gericht jedoch als ausreichend und wies die Forderung nach weiterer Sanierung des vergifteten Geländes ab.

Die Süddeutsche Zeitung zitierte in diesem Zusammenhang einen Experten für Wirtschaft und Menschenrechte von amnesty international: Das Urteil habe eine „große Relevanz“. Endlich könne sich der Konzern „seiner Verantwortung für alle Unternehmensaktivitäten auch in anderen Staaten nicht weiter entziehen.“

Wie die Tageszeitung junge Welt abschließend vermeldete, drohe Shell und auch anderen Ölkonzernen, die „in den infolge des Ölbooms chronisch korrumpierten Förderländern kaum juristisch belangt worden seien, nun weitere Verfahren an ihren Stammsitzen.“

Quellen:

Thomas Kirchner: „Shell muss Bauern in Nigeria entschädigen“, Süddeutsche Zeitung vom 29. Januar 2020
https://www.sueddeutsche.de/politik/umweltverschmutzung-nigeria-shell-urteil-1.5190052 

Christian Selz: „Zerstörte Lebensgrundlage“, junge Welt vom 1. Februar 2021

Bundesrechnungshof wirft Bund und Ländern Versagen beim Kampf gegen Geldwäsche vor

Rund 100 Milliarden Euro aus illegalen Transaktionen gelangen schätzungsweise jedes Jahr in der Bundesrepublik in den legalen Wirtschaftskreislauf, werden also „gewaschen“. Der Bundesrechnungshof, so schreibt das Handelsblatt, „kommt in einem als geheime Verschlusssache eingestuften Bericht zur Geldwäschebekämpfung, der dem Handelsblatt vorliegt, zu einem nahezu vernichtenden Urteil: Bund und Länder bekommen demnach das Problem überhaupt nicht in den Griff“. Da es nach Auffassung der Bundesbehörde keine wirksame Geldwäscheaufsicht gibt, fordert sie drastische Konsequenzen: Neben einer Neuorganisation dieser Aufsicht plädieren die Rechnungsprüfer auch für die Einführung einer Bargeldobergrenze.

Für die Kontrolle der Geldwäsche-Verdachtsfälle sind die Bundesländer zuständig. Dafür aber, so der Rechnungshof, setzten die Länder zu wenig Personal ein. Deshalb könne die hohe Zahl derjenigen, die einen Verdacht auf Geldwäsche melden müssen (wie Banken, Wirtschaftsprüfer und Immobilienmakler) kaum beaufsichtigt werden. Die Entdeckungsgefahr bei Verstößen sei gering, vorgesehene Bußgeldsanktionen seien wegen fehlender Kontrollen der Aufsichtsbehörden weitgehend wirkungslos.

Der Bundesrechnungshof fordert daneben eine Obergrenze für Barzahlungen von 5.000 Euro. Denn eine Bargeldhöchstgrenze könne ein wichtiger Baustein bei der Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung sein und auch die Steuerhinterziehung erschweren. In anderen EU-Staaten gäbe es solche Obergrenzen längst. Italien habe eine Höchstgrenze von 2999,99 Euro, Frankreich eine von 1.000 bis 10.000 Euro, je nachdem, ob ein In- oder Ausländer in bar zahle. In Deutschland aber sei bereits im Jahr 2016 die Idee gescheitert, eine Obergrenze von 2.000 bis 5.000 Euro einzuführen

Die Süddeutsche Zeitung berichtete in diesem Zusammenhang darüber, dass die EU-Kommission am 22. Januar 2021 aus gleichen Gründen über die Notwendigkeit einer einheitlichen Regelung zu den Bargeldobergrenzen in allen Mitgliedsstaaten diskutierte. Nach einem dort präsentierten Diskussionspapier, so die Zeitung, verzerrten die großen Unterschiede bei den Obergrenzen für Barzahlungen zwischen den Mitgliedstaaten zudem den Wettbewerb im Binnenmarkt. „Händler in Ländern mit hohen Limits könnten sich über zusätzliches Geschäft freuen, wenn Kriminelle Staaten mit niedrigen Obergrenzen meiden – zum Nachteil der dortigen Händler. So würden belgische Juweliere schätzen, dass ihnen 20 bis 30 Prozent Umsatz entgehe, weil Nachbarländer Barzahlungen laxer handhabten.“ (Süddeutsche Zeitung vom 22. Januar 2021)

Die Kommission favorisiert eine EU-weite Obergrenze für Bargeldzahlungen von 10.000 Euro, wobei Mitgliedsstaaten das Recht haben sollen, niedrigere Limits zu setzen. Bis März dieses Jahres will die Kommission neue Gesetzesvorschläge gegen Geldwäsche präsentieren

Quellen:

Martin Greive/Jan Hildebrand: „Geheimes Gutachten: Deutschland ist ein Paradies für Geldwäscher“, Handelsblatt Online vom 24. Januar 2021

https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/steuerkriminalitaet-geheimes-gutachten-deutschland-ist-ein-paradies-fuer-geldwaescher/26846022.html

Björn Finke: „EU diskutiert Limit für Barzahlungen“, Süddeutsche Zeitung vom 22. Januar 2021

https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/eu-bargeld-grenze-1.5183566