Corona-Krise: Wetten auf den Kurs-Kollaps von Unternehmen

Nach Angaben der Nachrichtenagentur Bloomberg hat Bridgewater Associate, der weltweit größte Hedgefonds, insgesamt 14 Milliarden US-Dollar darauf gewettet, dass Aktien europäischer Konzerne infolge der Corona-Krise weiter fallen würden. Fondschef Ray Dalio soll auch gegen zwölf deutsche Unternehmen spekulieren. Allein vier Milliarden Dollar habe Bridgewater dafür investiert.

Das Instrument solcher Wetten sind sogenannte Leerverkäufe. Aktien, von denen ein Sinken des Kurses erwartet wird, werden dabei vom Besitzer gegen eine Gebühr ausgeliehen und an der Börse verkauft. Fällt danach der Kurs, erfolgt der Rückkauf der Aktien zu dem niedrigeren Preis und die Rückgabe an den eigentlichen Besitzer. Der Kursverlust bzw. die Differenz zwischen dem Verkaufspreis und dem geringeren neuen Preis (abzüglich der Leihgebühr) bildet dabei den Gewinn.

Das Risiko für Bridgewater, der 160 Milliarden Dollar an Vermögen unter anderen von Pensionskassen verwaltet, ist nicht gering: Steigen die Aktienkurse wider Erwarten, geht die Wette schief. Die Fondsgesellschaft steht aber offenbar unter starkem Druck, Profite zu erzielen. Denn seit Jahresbeginn belaufen sich die Verluste der verwalteten Fonds auf immerhin 20 Prozent.

Kritiker wie Gerhard Schick, Vorstand der Bürgerbewegung Finanzwende, fordern ein Verbot von sogenannten Leerverkäufen an den Börsen. Es bestehe die Gefahr von Krisengewinnen durch Händler, die mit Papieren, die ihnen nicht gehören, Druck aufbauen und Werte in den Keller treiben könnten. Während Belgien oder Spanien diese Transaktionen bereits verboten hätten, zögere die deutsche Finanzaufsicht noch.

 

Quellen:

Tobias Tscherrig: „Corona-Pandemie: Angriff der Spekulanten“, Online-Plattform Infosperber, 24. März 2020 (https://www.infosperber.ch/Artikel/Politik/Corona-Pandemie-Angriff-der-Spekulanten)

„‚Mangel an Solidarität war teuer‘: Finanzexperte Schick für Corona-Bonds“, taz-Interview vom 25. März 2020 (https://taz.de/Finanzexperte-Schick-fuer-Corona-Bonds/!5674215/)

Viktor Gojdka: „Leerverkäufe: Spekulanten wetten auf Kurskrach“, Süddeutsche Zeitung, 18. März 2020 (https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/leerverkaeufe-spekulanten-wetten-auf-kurskrach-1.4849591)

Digitalwirtschaft ‒ ein sozial-ökologisches Desaster

Google und Co. sind als Datenkraken weithin gefürchtet, die Internetkonzerne treiben in Ballungsgebieten die Gentrifizierung und zugleich prekäre Beschäftigungsmodelle voran soweit bekannt. Weit weniger ist vielen Menschen bewusst, dass die sich umweltfreundlich gebende Digitalwirtschaft auch eine erhebliche ökologische Destruktivkraft darstellt.

Sébastien Broca, Dozent für Informations- und Kommunikationswissenschaften, beschreibt in einem Artikel in der monatlich erscheinenden Zeitung Le Monde diplomatique, wie Konzeption und Anwendung der „Technologien, die dem digitalen Kapitalismus zugrunde liegen (…) ganz sicher keinem ökologischen Imperativ“ folgen.

So stellt der Autor vermehrt Kooperationen zwischen den Tech-Giganten und der Ölindustrie fest. Daten- und Ölgewinnung sind für ihn zwei Seiten derselben Medaille. Amazon rief zum Beispiel den Cloud-Computing-Service AWS Oil and Gas Solutions ins Leben, finanziert Konferenzen der Erdölbranche und stellte zahlreiche auf den Bereich Energie spezialisierte KI-Experten ein. Google schloss Verträge mit Total, Anadarko und Nine Energy Service und implementierte unter dem Dach von Google Cloud seine neue Abteilung Oil, Gas and Energy. Microsoft unterzeichnete Verträge mit Chevron, BP, Equinor und Exxon.

„Die Ölindustrie setzt auf Big Data und KI, um Erdölvorkommen noch genauer zu lokalisieren und durch Automatisierung Kosten zu senken. Die Riesen der Digitalwirtschaft ihrerseits versprechen sich einen lukrativen Markt für ihre Speicher- und Datenverarbeitungsdienste sowie ihre Lösungen im Bereich Maschinelles Lernen.“ Ein von den Ölkonzernen gewünschter Nebeneffekt ist, dass die von Google und Co. bereitgestellten Tools auch eine panoptische Überwachung der Mitarbeiter*innen ermöglicht.

Broca widerspricht der Auffassung, dass dem „Datenkapitalismus“ Adjektive wie „immateriell“, „postindustriell“ oder „grün“ angehängt werden sollten. Der weltweite Energieverbrauch speise sich immer noch zu 80 Prozent aus fossilen Quellen. Die Digitalwirtschaft spiele in dem Kontext eine wichtige Rolle. Auf sie entfielen mehr als 4 Prozent des weltweiten Primärenergieverbrauchs. Die Produktion von Endgeräten und der Netzinfrastruktur schlage in dieser Bilanz am stärksten zu Buche, gefolgt vom Energieverbrauch der Geräte, Netzwerke und Rechenzentren. Amazon beispielsweise betreibe sein Rechenzentrum in Virginia lediglich zu 12 Prozent mit erneuerbaren Energien. Der Konzern nutze vor allem billigen Strom aus Kohle. Auch hätten die Unternehmen kein Interesse an einem umweltfreundlichen Verhalten ihrer Nutzer, „hängt doch ihr künftiger Profit davon ab, dass diese das Licht immer häufiger per Sprachbefehl einschalten, statt einen schnöden Schalter zu betätigen“.

Die Digitalwirtschaft stellt nach Broca eine „Weltwirtschaft“ dar, deren Beziehungen durch eine Unterteilung in Zentrum und Peripherie strukturiert würden. Die Wirtschaftszentren wälzten die ökologischen Kosten der Produktion auf die Peripherien ab. „23 Prozent der weltweiten Kobaltfördermenge und 19 Prozent der gewonnenen seltenen Erden fließen in die Computer und Smartphone-Produktion. Das Kobalt stammt größtenteils aus der Demokratischen Republik Kongo, wo es häufig von Kindern unter Missachtung von Menschenrechten und Umweltstandards abgebaut wird.“

Die digitale Weltwirtschaft – keine Spur von „nachhaltiger Ökobilanz“.

Quelle:

Sébastien Broca: „Saurer Regen aus der Cloud. Die Digitalwirtschaft gibt sich nachhaltig und umweltfreundlich – zu Unrecht“, Le Monde diplomatique, März 2020, Seite 9

Autoherstellern drohen Milliardenstrafe von EU

„Durch die von der EU-Kommission verabschiedeten CO2-Grenzwerte stehen viele Automobilhersteller vor großen Herausforderungen. Und dies nicht nur einmalig im Jahr 2020, denn über die kommenden Jahre werden die CO2-Grenzwerte kontinuierlich weiter gesenkt. Bis 2030 wird aktuell mit einer Senkung der Grenzwerte von 37,5 % gerechnet. Nach aktuellen Hochrechnungen verfehlen allerdings acht von 13 Herstellern bereits im Jahr 2020 die Zielwerte in Höhe von 95g CO2-Ausstoß pro Kilometer. Wenn Automobilunternehmen nicht zeitnah ihre Steuerung und Planung entsprechend anpassen, sind Strafzahlungen in Milliardenhöhe und Reputationsschäden in der Öffentlichkeit die potenziellen Folgen.“

Diese Einschätzung der Unternehmensberatung Deloitte aus dem vergangenen Jahr ergänzt das Informationsportal German Foreign Policy in einem aktuellen Online-Text. Danach würden insbesondere deutsche Kfz-Hersteller die CO2-Grenzwerte der EU nicht einhalten können. Volkswagen müsse laut aktuellen Studien mit Strafen von bis zu 4,5 Milliarden Euro rechnen, Daimler mit einer Milliarde Euro, BMW mit 750 Millionen Euro. Ursache sei nicht zuletzt, dass die Bundesregierung immer wieder zugunsten der deutschen Autokonzerne Einfluss auf die EU-Normgebung genommen und Auflagen gelockert hätte. Dies habe die Branche zwar von aufwendigen Innovationen befreit, sie aber gleichzeitig in technologischen Rückstand gegenüber Unternehmen aus den USA (Tesla) und Japan gebracht. Toyota etwa, Hauptkonkurrent von VW um die Position des Pkw-Weltmarktführers, müsse nur mit Strafzahlungen von 18 Millionen Euro rechnen. Dabei hätten vor allem die deutschen Hersteller sehr viel Zeit gehabt, sich auf die strikteren CO2-Schranken vorzubereiten. So würden die neuen Grenzwerte für jeden Hersteller angepasst, wobei schwere Autos, die besonders von deutschen Herstellern gebaut werden, mehr Treibhausgase ausstoßen dürften als die leichteren Modelle der europäischen Konkurrenz.

Die FAZ lässt in einem Artikel vom 8. März 2020 Thomas Schiller, Branchenexperte von Deloitte, zu Wort kommen. Seiner Meinung nach seien die Gewinnmargen bei den großen SUVs hoch. Mit elektrifizierten SUVs könnten die Hersteller praktisch zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Aber die Konzerne hätten mit den CO2-Vorgaben noch Jahre zu kämpfen und die damit einhergehende Einbußen an Profitabilität seien nur bedingt abwendbar. Zitat Schiller: „Die Autohersteller haben heute die Wahl, ob sie hohe CO2-Strafen an die EU zahlen oder E-Autos zu Preisen verkaufen, bei denen sie wenig bis nichts verdienen. E-Autos werden noch in den nächsten Jahren ein Zuschussgeschäft sein.“

Quellen:

Deloitte Whitepaper, „Wie zukunftsfähig ist die Automobilindustrie? Steuerung und Planung eines CO2-konformen und gleichzeitig profitablen Produktportfolios“, Stand 7/2019

https://www2.deloitte.com/de/de/pages/consumer-industrial-products/articles/oem-co2-grenzwerte.html

German Foreign Policy, „Dicke Luft bei den deutschen Autobauern“

https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8212/

„Studie: Autoherstellern drohen 3,3 Milliarden Euro Strafe von EU“, FAZ vom 8. März.2020

 https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/auto-verkehr/co2-grenzwerte-autoherstellern-drohen-3-3-milliarden-euro-strafe-von-eu-16669219.html

 

 

Ein Unternehmenslobbyist an der Spitze des Bundesverfassungsgerichts

Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Andreas Voßkuhle scheidet im Mai 2020 nach 12-jähriger Amtszeit aus. Sein Nachfolger an der Spitze des höchsten deutschen Gerichts soll der ehemalige CDU-Spitzenpolitiker und Wirtschaftsanwalt Stephan Harbarth werden.

Während seiner Zeit als Bundestagsabgeordneter (2009 bis 2018) sollen seine „Nebeneinkünfte“ als Miteigentümer der Anwaltskanzlei Schilling Zutt & Anschütz (SZA) jährlich Millionen Euro betragen haben. Seit dem Jahre 2000 ist SZA die deutsche Niederlassung der US-Großkanzlei Shearman & Stirling. Über SZA beriet Shearman & Stirling unter anderem auch sogenannte Heuschrecken-Investoren.

Nach Angaben des Kölner Publizisten Werner Rügemer vertrat Harbarth in seiner Eigenschaft als Anwalt Konzerne wie Daimler, Allianz, die Pharmakonzerne Sanofi-Aventis und Merck, Südzucker, Springer Science, MVV Energie, Gruner & Jahr, Klett, Crop Energies sowie den Roboterhersteller Kuka. „Da ging es um Fusionen und Übernahmen, Verkauf von Unternehmensteilen, Joint Ventures und Platzierung von Anleihe-Paketen.“

Auf den Nachdenkseiten führt Rügemer sechs Gründe an, die gegen Harbarth als neuen „Hüter des Grundgesetzes“ sprechen:

  • Als CDU-Abgeordneter im Bundestag hat er nach aller Kenntnis gegen das Abgeordneten-Gesetz verstoßen. Es legt fest: Das Mandat ist die Haupttätigkeit. Doch Harbarth war hauptamtlich als Anwalt tätig mit jährlichen Millioneneinkommen.
  • In der Kanzlei Shearman & Stirling, in der Harbarth zunächst Anwalt und dann Miteigentümer war, wurde der größte Steuerbetrug der deutschen Geschichte, der Cum-Ex-Milliarden-Trick, zur juristischen Reife gebracht.
  • Shearman & Stirling ist führende Kanzlei bei den internationalen privaten Schiedsgerichten – keine Gewähr für den Schutz des deutschen Grundgesetzes.
  • Harbarth hat ab 2008 als Anwalt der Wirtschaftskanzlei SZA große Unternehmen vertreten, die Kanzlei vertritt bis heute die Abgas-Betrüger von VW. Im Bundestag verhinderte Harbarth eine Befassung mit VW.
  • Harbarths Kanzlei war und ist zugleich als Steuer-Berater für Unternehmen und für vermögende Privatpersonen tätig. Auch Harbarth war hier tätig.
  • Als Abgeordneter trat er für harte Sanktionen bei Arbeitslosen ein. Er verzögerte möglichst lange den gesetzlichen Mindestlohn – dessen millionenfache, straflose Nichtzahlung durch Unternehmer hat der Rechtskundige nie kritisiert.“

Die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer (Lahr/Schwarzwald), unter anderem mit einer Musterfeststellungsklage gegen VW aktiv, hatte am 28. November 2019 eine Beschwerde gegen die Ernennung des ehemaligen Bundesabgeordneten zum Bundesverfassungsrichter eingelegt – beim Bundesverfassungsgericht selbst. Die Begründung lautete, Harbarth könne aufgrund seiner früheren Tätigkeit als Anwalt für die Lobbyisten-Kanzlei Schilling, Zutt & Anschütz nicht objektiv Recht sprechen. Das Gericht stellte jedoch am 18. Februar 2020 mit Beschluss unanfechtbar fest, dass die Beschwerdeführer die Möglichkeit einer Verletzung ihrer Grundrechte nicht dargelegt hätten. Die Kanzlei prüft derzeit einen Gang zum Europäischen Gerichtshof.

 

Quellen:

 Werner Rügemer: „Unternehmens-Lobbyist als Hüter des Grundgesetzes?“, 9. März 2020

https://www.nachdenkseiten.de/?p=59130

„Verfassungsbeschwerde gegen Ernennung von Harbarth zum Bundesverfassungsrichter nicht angenommen. Kanzlei Dr. Stoll & Sauer prüft weitere Schritte auf europäischer Ebene“, 12. März 2020

https://www.vw-schaden.de/aktuelles/verfassungsbeschwerde-gegen-ernennung-von-harbarth-zum-bundesverfassungsrichter-nicht

 

Die italienische Modeindustrie und der Corona-Virus: Neuer Rassismus gegen Menschen chinesischer Herkunft?

„Hunderttausende Chinesen arbeiten in Italien. Dort wurden so viele Coronavirus-Infektionen festgestellt wie nirgends sonst in Europa. Drohen nun rassistische Übergriffe?“, fragt die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) in ihrer Ausgabe vom 10. März 2020. Nach Angaben der FAZ leben heute offiziell mehr als 320.000 Chinesen in Italien, tatsächlich jedoch deutlich mehr, wenn man die eingebürgerten Chinesen und diejenigen ohne Aufenthaltstitel hinzuaddiert.

Prato, nordwestlich von Florenz gelegen, gilt als Drehscheibe für die chinesische Migration nach Italien und bildet zugleich das italienische Zentrum chinesischer Billigmode. Zehntausende Chinesen arbeiten legal und vor allem illegal in Sweatshops ohne Versicherungsschutz und Gesundheitsversorgung. Oft sind die Besitzer der kleinen Fabriken und Werkstätten selbst Menschen chinesischer Herkunft, die als Kleinunternehmer im Auftrag großer italienischer Modemarken extrem billig produzieren, ihre Arbeitskräfte somit für einen Hungerlohn schuften lassen.

Seit der Häufung von Coronavirus-Ansteckungen in Norditalien ist dort die Suche nach einem Sündenbock in vollem Gange. In Online-Medien wird behauptet, es sei kein Zufall, dass die italienischen Coronafälle gerade in jenen Regionen auftreten, wo chinesische Zuwanderer oft unter üblen Bedingungen arbeiten und leben müssen. Die Epidemie nahm in China ihren Ausgang, für die besonders starke Ausbreitung des Virus in Italien werden nun chinesische Firmen und ihre Mitarbeiter*innen verantwortlich gemacht.

Dabei weiß niemand, wie viele der chinesischen Arbeiter*innen tatsächlich infiziert oder ernsthaft krank sind. Ein Zusammenhang zwischen Arbeitsmigrant*innen und allgemeinen Ansteckungsfällen ist wissenschaftlich schlicht nicht erkennbar.

Quellen:

„Corona und die italienische Modeindustrie. Wie die Ausbeutung chinesischer Arbeiter zur Ausbreitung des Virus beiträgt“,

https://zackzack.at/2020/02/26/corona-und-die-italienische-modeindustrie-wie-die-ausbeutung-chinesischer-arbeiter-zur-ausbreitung-des-virus-beitraegt/

Almut Siefert, „Chinesische Textilindustrie in Italien: Eine Suche nach dem Virensündenbock“, Die Presse vom 7. März 2020

https://www.diepresse.com/5781107/chinesische-textilindustrie-in-italien-eine-suche-nach-dem-virensundenbock

Matthias Rüb, „Einer von Hunderttausenden Chinesen“, FAZ vom 10. März 2020

https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/coronavirus-und-italien-drohen-nun-rassistische-uebergriffe-16671001.html