David de Jong: Braunes Erbe. Die dunkle Geschichte der reichsten deutschen Unternehmerdynastien. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2022. 496 Seiten, 28 Euro.

Ela Maartens/Verena Nees auf der World Socialist Web Site:

 „Dieses Buch kommt zur richtigen Zeit. Landauf landab wird die Kriegstrommel gerührt und behauptet, die herrschenden Eliten Deutschlands setzten sich für Demokratie und Freiheit des ukrainischen Volkes ein. Wer die verlangten Opfer für die Rüstungsausgaben ablehnt – Inflation, Mietschulden, Armut und Arbeitslosigkeit –, wird als Unterstützer von russischer Tyrannei, wer Angst vor einem Atomschlag äußert, als Feigling bezeichnet.

In Braunes Erbe. Die dunkle Geschichte der reichsten deutschen Unternehmerdynastien, das Ende Mai 2022 erschienen ist, zeigt der niederländische Finanzjournalist David De Jong, was die wirkliche Haltung der deutschen herrschenden Klasse zur Demokratie war und heute noch ist. (…) Detailliert und gut recherchiert schildert er die engen Verstrickungen einiger der größten deutschen Unternehmerdynastien mit den Nationalsozialisten und zeigt auf, wie sie nach dem Krieg erneut ihren Reichtum vermehren und den Ton in Wirtschaft und Finanzwelt angeben, ja sogar erneut faschistische Gruppierungen finanzieren konnten.

Ins Zentrum seines Buchs rückt er fünf Oligarchenfamilien, deren Vergangenheit – anders als bei Krupp, Thyssen, Siemens, Deutsche oder Dresdner Bank – lange im Dunkeln geblieben war: Die Firmenimperien von Quandt, August Baron von Finck, Friedrich Flick, Dr. Oetker, der Porsche-Piëch-Clan. Am Ende geht De Jong auf die Albert Reimann Familie und deren im Kaffee- und Snack-Segment agierenden JAB Holding ein, deren Nazi-Vergangenheit erst in neuerer Zeit publik wurde.“

 

Hans-Jürgen Jakobs im Handelsblatt:

„Dramaturgisch konsequent konzentriert sich de Jong auf fünf Familienfälle, die er akribisch aufbereitet, stets um äußerste Faktengenauigkeit bemüht. Der nüchtern rapportierende Stil kontrastiert mit der Emotionalität des Themas, mit der deutschen Schuld, sechs Millionen Juden ermordet zu haben.

Vorgeführt werden Textilunternehmer Günther Quandt und Stahlbaron Friedrich Flick, die sich wie Raider der kapitalistischen Neuzeit immer mehr Firmen sicherten, ein Innovator wie Ferdinand Porsche, der Adolf Hitlers Wunsch nach einem ‚Volkswagen‘ aus ingenieurtechnischem Ehrgeiz und aus Erwerbsinteresse gerne nachkam, der knauserige Münchener Baron August von Finck, der Hitlers Lieblingsprojekt ‚Haus der Kunst‘ in München aufhalf, oder die Bielefelder Oetker-Familie mit dem eingeheirateten Stramm-Nazi Richard Kaselowsky als Oberhaupt. Das Mitglied im ‚Freundeskreis Reichsführer SS‘ breitete ganz in Führers Sinne den Stiefsohn Rudolf-August Oetker auf seine Chefrolle vor. Der ‚Puddingprinz‘ wurde früh in die Reiter-SA integriert, war SS-Offizier und half nach dem Krieg alten SS-Kameraden.

All diesen Wirtschaftslegenden war gemein, dass sie in kühler Kosten-Nutzen-Abrechnung vom NS-Zwangssystem opportunistisch profitierten, teilweise schon recht früh zur Finanzierung von Wahlkämpfen der NSDAP oder von SS und SA bereitstanden und selbst Teil der Kriegs- und Eroberungsmaschinerie wurden. Allesamt waren sie in der NSDAP, der SS oder in beiden Organisationen.“

 

Julia Hubernagel in der taz:

„‚Zukunft braucht Herkunft.‘ Diesen Satz ließ 2019 die Ferry-Porsche-Stiftung verlauten, als sie ihren Willen bekundete, Deutschlands erste Professur für Unternehmensgeschichte zu finanzieren. Dabei klingt aber noch eine andere Botschaft mit: Ohne Herkunft besteht in Deutschland nur bedingt Hoffnung auf wirtschaftlichen Erfolg.

Dass diese Herkunft meist in der dicken braunen Erde der NS-Zeit wurzelt, lässt sich noch heute an der Rangliste der reichsten Deutschen ablesen. Jenen Unternehmerdynastien, die besonders von der nationalsozialistischen Herrschaft profitiert haben, hat David de Jong in seinem Buch ‚Braunes Erbe‘ nachgespürt. Nur einige der Industriemagnaten waren dabei glühende Nationalsozialisten, befindet der niederländische Journalist. Die meisten waren einfach kühl kalkulierende, skrupellose Opportunisten.

Während Anton Piëch so etwa aus Überzeugung gleich zweimal in die NSDAP, zuerst in die österreichische Schwesterpartei, und die SS eintrat, hatten er und sein Schwiegervater Ferdinand Porsche kein Problem damit, ihr Automobilkonstruktionsbüro 1931 zusammen mit dem jüdischen Kaufmann Adolf Rosenberger zu gründen. Sieben Jahre später konnten sie ihn als ‚Nichtarier‘ allerdings günstig loswerden, um mit der Produktion des ‚Volkswagens‘ ihren Milliardenreichtum zu begründen.“

 

Ursula Weidenfeld im Deutschlandfunk Kultur:

„Der Finanzjournalist De Jong erzählt am Beispiel von fünf Unternehmerfamilien – Quandt, Porsche, Flick, von Finck und Oetker –, wie sich deren Chefs Hitler an den Hals geworfen haben. Und er berichtet, wie sich Unternehmenserben bis heute um die Geschichte ihres Erbes herumdrücken, dessen Dividenden sie doch zu gern genießen. Er schildert, wie atemberaubend naiv diese Erben gelegentlich sind, wie zögerlich oder intrigant andere ihre Verantwortung leugnen. (…)

De Jong zieht von den Großvätern, die die barbarischen Möglichkeiten der Nazi-Zeit – Zwangsarbeit, Arisierung, Kriegswirtschaft – nutzten, so etwas wie eine Charakter-Linie zu ihren Kindern, Enkeln und Urenkeln, die bis heute von diesen Vermögen profitieren. Für die Quandts, die Flicks, die Porsches, die Oetkers und die von Fincks hat De Jong recherchiert, wie sie zu Nationalsozialisten wurden, was sie davon hatten, und wie sie diesen Teil ihrer Biografie nach 1945 abwuschen.

Das taten sie so erfolgreich, dass der Quandt-Enkel Stefan in einem Interview sagen konnte, sein Großvater sei kein überzeugter Nationalsozialist gewesen. Den Erben bescheinigt De Jong eine ähnliche Mentalität: Der Geschichte ihrer Unternehmen stellten sie sich nur, wenn sie von der Öffentlichkeit dazu gezwungen würden.

Nicht alle Unternehmer waren von Anfang an glühende Nationalsozialisten, doch die fünf haben den Aufstieg Hitlers unterstützt und finanziert, und mehr als die meisten anderen haben die fünf Familien bis weit in die Nachkriegszeit davon profitiert. (…)

Es sind dieselben Charaktereigenschaften – Geschäftssinn, Opportunismus, Anpassungsfähigkeit – die ihnen den Neuanfang nach 1945 erleichtern. Die Unternehmer werden kurzzeitig interniert, sie werden entnazifiziert, nur einer von ihnen muss wegen Kriegsverbrechen ins Gefängnis.

Die anderen bekommen ihr Vermögen schnell zurück. Für den Kalten Krieg und das Wirtschaftswunder werden Unternehmer gebraucht, da wollen weder die Westalliierten noch die Politiker der jungen Bundesrepublik genau hinschauen – zumal sich einige der Unternehmensführer auch den neuen Parteien im neuen Land gegenüber wieder ausgesprochen großzügig zeigen.

1970 sind die Herren Flick, von Finck, Quandt und Oetker die reichsten Geschäftsleute Deutschlands. So, als wäre nie etwas gewesen.“

 

Marcus Jung in der FAZ:

„Der Autor, dessen jüdische Familie von den Nazis verfolgt und teilweise ermordet wurde, klagt nicht die Deutschen allgemein an, im Mittelpunkt seiner Recherchen stehen die reichsten Unternehmerfamilien des Landes: die Quandts, die Flicks, die Oetkers, die Reimanns, die von Fincks sowie die Familien Porsche und Piëch. Das Buch beruht dabei auf zahlreichen Artikeln de Jongs für den Wirtschaftsdienst Bloomberg. Er will mehr Transparenz in bislang aus seiner Sicht nur unzureichend beleuchtete Kapitel ihrer Unternehmensgeschichte bringen. Tatsächlich haben sich noch nicht alle großen deutschen Unternehmen ihrer Geschichte im Dritten Reich gestellt, doch de Jongs Vorwurf ist zu pauschal. Viele deutsche Konzerne und Banken haben in den vergangenen Jahren ihre Archive geöffnet, um sich der Verantwortung zu stellen. Die Industriellenfamilie Quandt beauftragte etwa den namhaften Historiker Joachim Scholtyseck. Sein Gutachten gilt als wegweisend für die wissenschaftliche Aufarbeitung von Unternehmenshistorien während der NS-Zeit. Auch andere Unternehmen wie Adidas, Porsche, Oetker, Sartorius, Continental und Freudenberg gewährten namhaften Forschern Zugang, um sich der unbequemen Wahrheit zu stellen. Auch Bahlsen hat nach dem Fauxpas einen Wirtschaftshistoriker damit beauftragt, zu untersuchen, welche Rolle die Zwangsarbeit im Unternehmen gespielt hat. Dass es sich dabei nur um beschönigende Auftragsarbeiten handelt, wie de Jong suggeriert, kann nicht behauptet werden. Er aber setzt sich mit ihnen auf lediglich 40 Seiten auseinander. (…)

Lesenswert ist sein Buch dennoch: Die Protagonisten von ‚Braunes Erbe‘ sind bis auf wenige Ausnahmen schon während des Deutschen Kaiserreichs wohlhabend gewesen. Ihr kaufmännisches Gespür, gepaart mit ihrem extremen Opportunismus, traf auf die aufstrebende, anfangs chronisch vor der Pleite stehende Organisation der Nationalsozialisten. Erst dieses Zusammentreffen legte für die Industrie- und Finanzbarone die Basis für den Aufstieg in noch höhere Sphären. Ihre Familiengeschichte kann der Leser im Anhang durch Stammbäume bis zum heutigen Tag verfolgen.“

Quellen:

Ela Maartens/Verena Nees: „‚Braunes Erbe‘ von David de Jong: Wie Hitlers Geldgeber noch heute im Geschäft sind“, World Socialist Web Site, 15. Oktober 2022

https://www.wsws.org/de/articles/2022/10/14/brau-o14.html

Hans-Jürgen Jakobs: „Wie deutsche Unternehmen mit ihrer Nazi-Vergangenheit umgehen“, Handelsblatt (Online) vom 8.5.2022

https://www.handelsblatt.com/arts_und_style/literatur/rezension-wie-deutsche-unternehmen-mit-ihrer-nazi-vergangenheit-umgehen/28307660.html

Julia Hubernagel: „Braun bis ins Mark“, taz (Online) vom 10. August 2022

https://taz.de/Sachbuch-von-David-de-Jong/!5868518&

Ursula Weidenfeld: „Reich durch Puddingpulver und Zwangsarbeit“, Deutschlandfunk Kultur am 21. Mai 2022 (Sendung „Lesart“)

https://www.deutschlandfunkkultur.de/david-de-jong-braunes-erbe-kritik-100.html

Marcus Jung: „Opportunisten und Mitläufer“, FAZ (Online) vom 10. Juli 2022

https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftsbuecher-rezension-david-de-jong-braunes-erbe-18160145.html