BIG berichtete am 19. Dezember 2022, dass die Hamburgische Bürgerschaft im Monat zuvor beschlossen hatte, den Arbeitsauftrag des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Cum-Ex-Affäre zu erweitern. Neben den illegalen Geschäften der Warburg-Bank sollten nun auch die Aktivitäten der früheren landeseigenen HSH Nordbank ab 2008 untersucht werden. Die HSH wurde 2018 an eine Investorengruppe um den US-Hedgefonds Cerberus verkauft und firmiert heute als Hamburg Commercial Bank. Jetzt endlich, fast ein Jahr nach dem Beschluss der Bürgerschaft, soll die Aufklärungsarbeit über die HSH im November dieses Jahres tatsächlich beginnen.
BIG erwähnte auch eine große internationale Wirtschaftskanzlei, die bei der HSH bereits im Jahr 2013 Transaktionen festgestellt hatte, bei denen etwa 112 Millionen Euro an Kapitalertragsteuern zu Unrecht erstattet worden waren. Wie das Handelsblatt in seiner Ausgabe vom 26. August 2023 berichtet, liegt dem Untersuchungsausschuss dieses Geheimgutachten („Saturn“-Bericht) der Kanzlei Clifford Chance vor, das die Details der gigantischen Steuerhinterziehung aufzeigt. Auch die Redaktion der Düsseldorfer Wirtschaftszeitung konnte die 450 Seiten starke Untersuchung mittlerweile einsehen.
Das Handelsblatt schreibt, dass die Staatsanwaltschaft Hamburg trotz des immensen Steuerschadens nie ermittelt habe, obwohl sie nach dem Legalitätsprinzip bei Kenntnis einer möglichen Straftat dazu verpflichtet sei: „Die Staatsanwaltschaft gibt keine Auskunft dazu, warum das nicht geschah und wann sie so entschied.“
Nach dem Bericht von Clifford Chance habe die HSH Nordbank im Jahr 2008 insgesamt 17 Handelsgeschäfte abgewickelt und sich 35,4 Millionen Euro beim Finanzamt erstatten lassen. 2009 seien bei sechs Cum-Ex-Geschäften 19,9 Millionen Euro Steuern rückerstattet worden, 2010 bei zwei Deals weitere 23,2 Millionen Euro, 2011 folgten fünf Geschäfte mit 33,1 Millionen Euro an Erstattungszahlungen.
„Die Verantwortlichen der HSH Nordbank“, so das Handelsblatt, „dürften sich damit im hochkriminellen Bereich bewegt haben. Die Schwelle zur ‚schweren Steuerhinterziehung‘ ist laut Bundesgerichtshof bereits bei einem Schaden von 50.000 Euro überschritten, ab einer Million Euro sind Haftstrafen üblich. Eine Selbstanzeige kann Betroffene nur bei Beträgen unter 25.000 Euro vor einer Strafe schützen.‘“
Es hätte nicht an der Bank gelegen, dass die Fahnder und Staatsanwälte die Steuerhinterziehung nicht verfolgt und geahndet hätten. Die Zeitung zitiert auf Nachfrage eine Sprecherin der Nachfolgerin der HSH-Nordbank (Hamburg Commercial Bank): „Die seinerzeitige HSH hat das Finanzamt und die Staatsanwaltschaft ab 2013 fortlaufend über die Erkenntnisse aus der internen Untersuchung informiert“. Warum keine Ermittlungen folgten, könne die Bank nicht sagen.
Erst lange nachdem das Bundesfinanzministerium im Mai 2009 alle Banken darüber informiert hatte, dass Cum-Ex-Geschäfte illegal waren, erteilten die HSH-Verantwortlichen im Januar 2013 der Kanzlei Clifford Chance den Auftrag, die Risiken der jahrelang durchgeführten Cum-Ex-Geschäfte einzuschätzen. Nachdem die Anwälte Ende 2013 einen Zwischenbericht vorgelegt hatten, beschloss der Vorstand der HSH, vorsorglich 127 Millionen Euro zurückzustellen und eine Rückzahlung zu veranlassen (112 Millionen Euro illegal kassierte Erstattungen plus 15 Millionen Euro für die aufgelaufenen Zinsen). Nach eigener Auffassung hatte die HSH Nordbank damit einen sauberen Strich gezogen. Zu strafrechtlichen Konsequenzen kam es jedoch nie.
„Der Saturn-Bericht wurde nach Fertigstellung an das Hamburger Finanzamt für Großunternehmen geschickt – und an die Staatsanwaltschaft der Hansestadt. Eine Behördensprecherin wollte nicht sagen, wann genau das geschah. Es seien ‚seinerzeit Beobachtungsvorgänge angelegt‘ worden. Dabei blieb es. Eine strafrechtliche Aufarbeitung der HSH-Affäre begann erst, als Ermittler von der Staatsanwaltschaft Köln 2018 den Saturn-Bericht im Zuge anderer Ermittlungen fanden. Anders als ihre Hamburger Kollegen erkannten sie sofort eine mögliche Straftat. (…) Im Juli 2021 kamen die Kölner zu einer Razzia nach Hamburg. Nach Handelsblatt-Informationen sind etwa 15 Personen beschuldigt – darunter viele Führungskräfte, bis hinauf zum ehemaligen Kapitalmarkt-Vorstand Joachim Friedrich, der die Vorwürfe als unbegründet zurückweist. Es soll zudem Hinweise geben, dass der Clifford Chance-Bericht nicht das ganze Ausmaß der Steuerhinterziehung zeigt.“
Vor dem Hintergrund der Privatisierung der HSH im November 2018 wollte offenbar die Staatsanwaltschaft „die Kreise der Stadtregierung unter ihrem damaligen Finanzsenator Peter Tschentscher und Bürgermeister Olaf Scholz nicht stören“, wie der bekannte Hamburger Strafrechtsanwalt Gerhard Strate vom Handelsblatt zitiert wird. „Die Beachtung von Gesetz und Recht wäre wohl eine solche Störung gewesen.“ Strate meinte weiter: „Die gänzliche Tatenlosigkeit der Staatsanwaltschaft Hamburg in diesem Fall dürfte den Tatbestand der Strafvereitelung im Amt erfüllen.“ Auch deshalb, weil der „Saturn“-Bericht dem Hamburger Untersuchungsausschuss erst kürzlich vorgelegt wurde, die Staatsanwaltschaft aber die finale Version bereits kurz nach Fertigstellung im Dezember 2014 erhalten hatte.
„Die Geschäfte erfüllen ohne jeden Zweifel den objektiven und subjektiven Tatbestand der Steuerhinterziehung“, befand damals übrigens auch Wolfgang Kubicki, zu dieser Zeit Abgeordneter der FDP im Landtag von Schleswig-Holstein – und selbst Rechtsanwalt. Schon kurze Zeit später erhielt Kubicki ein Mandat von Cum-Ex-Strippenzieher Hanno Berger und änderte seine rechtliche Einschätzung grundlegend. Im März 2014 sagte er, es handele sich bei den Cum-Ex-Ermittlungen um „Gesinnungsstrafrecht“. Der Staat wolle damit nur sein eigenes Versagen verschleiern, diese Geschäfte zugelassen zu haben (Handelsblatt-Podcast vom 10. September).
Resümee: Die Kölner Staatsanwaltschaft ermittelt gegen die HSH Nordbank bzw. gegen einzelne Personen, während die Ermittlung der Staatsanwaltschaft Hamburg sich weiter im „Beobachtungsstatus“ befindet, die Behörde also untätig bleibt. Der bereits in der Affäre Warburg-Bank tätige Cum-Ex-Untersuchungsausschuss in Hamburg wird jetzt auch – auf Antrag der Fraktionen von CDU und Die Linke in der Bürgerschaft – die Geschäfte der HSH Nordbank untersuchen. Der Erste Bürgermeister Tschentscher (SPD) hält offensichtlich nur wenig davon.
Quellen:
Sönke Iwersen/Volker Votsmeier: „Hamburg als Paradies für Steuersünder“, Handelsblatt vom 26. August 2023
https://www.handelsblatt.com/finanzen/banken-versicherungen/cum-ex/cum-ex-skandal-hamburg-als-paradies-fuer-steuersuender/29343810.html
Lena Jesberg/Volker Votsmeier/Sönke Iwersen: „Hamburg: Paradies für Steuerhinterzieher“, Handelsblatt Crime (Podcast), 10. September 2023
https://www.handelsblatt.com/audio/crime/handelsblatt-crime-hamburg-paradies-fuer-steuerhinterzieher/29375644.html