Die beiden Investigativ-Journalisten Sönke Iwersen und Volker Votsmeier beschreiben in einem ausführlichen Artikel des Handelsblatts, wie der Chef der Staatsanwaltschaft Köln sowie der Justizminister in NRW versuchen, das Ansehen der ehemaligen Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker, die zwischen 2013 und Mai 2024 im Justizskandal um Cum-Ex ermittelte, systematisch zu beschädigen. Brorhilker hatte im April 2024 um die Entlassung aus ihrem Dienstverhältnis gebeten. Als Grund führte sie in einem viel beachteten Interview mit dem WDR an, sie sei überhaupt nicht damit zufrieden, wie in Deutschland Finanzkriminalität verfolgt werde.
Zitat Handelsblatt:
„Sie war die Staatsanwältin, die Steuerhinterzieher aus der Finanzindustrie am meisten fürchteten. Dann bat Anne Brorhilker plötzlich um ihre Entlassung. Nun tritt ihr Vorgesetzter nach. Eine Justizaffäre nimmt ihren Lauf. (…) Deutschlands bekannteste Staatsanwältin in Sachen Steuerhinterziehung war nach Einschätzung ihres Vorgesetzten offenbar eine ziemliche Niete. ‚Inhaltlich unzulänglich‘, nennt Stephan Neuheuser, Chef der Staatsanwaltschaft Köln, die Arbeit von Anne Brorhilker. Ihre Berichtsentwürfe seien ‚regelmäßig deutlich überarbeitungsbedürftig‘ gewesen. Schon Neuheusers Vorgänger habe mit Brorhilker sprechen müssen, weil sie ihr ‚obliegende zentrale Pflichten nicht erfüllte‘.
Neuheusers Worte stammen aus einer Antwort von Benjamin Limbach auf eine Anfrage an die nordrhein-westfälische Landesregierung. Die FDP-Fraktion legte dem NRW-Justizminister von den Grünen am 23. November 2023 einen 25-seitigen Fragenkatalog vor. Hintergrund war ‚das beherrschende rechtspolitische Thema in Nordrhein-Westfalen‘, schrieben die Abgeordneten Henning Höne, Marcel Hafke und Werner Pfeil: die Aufarbeitung der Steueraffäre Cum-Ex, in der Brorhilker federführend ermittelte.“
Der Staatsanwältin wurde schon zuvor das Leben schwer gemacht. Justizminister Benjamin Limbach (Bündnis 90/Die Grünen) hatte im September 2023 angekündigt, Brorhilkers Abteilung aufzuspalten. Die Hälfte ihrer Fälle sollte sie an einen Kollegen abgeben, dem allerdings die Expertise in Steuerstrafsachen fehlte. Nach öffentlichen Protesten revidierte der Minister seine Entscheidung.
Zitat Handelsblatt:
„Die Abgeordneten fragten nun, wie Limbach überhaupt auf die Idee kommen konnte, seine eigene Koryphäe in Sachen Cum-Ex zu demontieren. Denn alles schien doch auf bestem Weg. Brorhilker hatte Steueranwalt Hanno Berger hinter Gitter gebracht, einen der größten Strippenzieher in der Cum-Ex-Affäre. Mit seiner Revision scheiterte Berger vor dem Bundesgerichtshof. Auch gegen mehrere Manager der Privatbank M.M. Warburg hatte Brorhilker Schuldsprüche erreicht.
Aktuell lief der Prozess gegen den Eigentümer Christian Olearius, dessen Nähe zum heutigen Bundeskanzler Olaf Scholz den Cum-Ex-Skandal bis ins Kanzleramt trug. Im Frühjahr 2024 folgten in Bonn weitere Schuldsprüche. Das Gericht verurteilte zwei Londoner Investmentbanker zu mehrjährigen Haftstrafen. Außerdem traf es Yasin Qureshi, geständiger Ex-Vorstand der Varengold Bank.“
Die Zahlen, führt das Handelsblatt aus, würden für sich sprechen. „Allein mit den Erkenntnissen aus ihren Ermittlungen und den Informationen der Whistleblower konnten Staatsanwaltschaft Köln und Steuerbehörden 2016 schon Steuern in dreistelliger Millionenhöhe zurückholen und weitere Auszahlungen durch das Bundeszentralamt für Steuern unterbinden. Brorhilkers Cum-Ex-Projekt ist keine Belastung für die Behörden. Es ist ein Profit-Center.“
Während der Ermittlungen Brorhilkers klagte die Staatsanwaltschaft Köln 16 Männer und eine Frau an. Alle Angeklagten wurden verurteilt, teils zu hohen Haftstrafen. „Kein Ermittler hat eine bessere oder auch nur vergleichbare Bilanz“, resümiert das Handelsblatt. Der frühere SPD-Bundesvorsitzende Norbert Walter-Borjans nannte Brorhilker gar einen „Leuchtturm in der Bekämpfung organisierter Steuerkriminalität“. Auch international wurde die Arbeit der Staatsanwältin bewundernd zur Kenntnis genommen. Andere Kenner ihrer Arbeit werten ihre nachträgliche Demontage schlicht als Unverschämtheit. Das sei üble Nachrede, eine Schmutzkampagne, sagte etwa der ehemalige NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU). Stefan Weismann, Präsident des Landgerichts Bonn, bestätigte, dass Brorhilker eine Top-Ermittlerin gewesen sei und ihre Arbeit in der Sache hervorragend. Sven Wolf (SPD), Mitglied des Rechtsausschusses im NRW-Landtag, hält den Abgang Brorhilkers für ein „ganz schlechtes Signal“, denn sie habe diese Behörde „zur Speerspitze im Kampf gegen Steuerkriminelle“ gemacht.
Erstaunlich erscheint deshalb, dass die Antworten des Justizministeriums auf die Anfrage der FDP im NRW-Landtag von einer auffälligen Geringschätzung Brorhilker seitens ihres Vorgesetzten zeugen. Denn zur Beantwortung der Fragen der Parlamentarier ließ sich Justizminister Limbach nach eigenen Angaben von dem Leiter der Staatsanwaltschaft Köln informieren. Der „zeichnete von Brorhilker das Bild einer Minderleisterin“.
Zitat Handelsblatt:
„Schriftsätze aus ihrer Abteilung seien ‚oft unvollständig und unklar‘ gewesen, berichtete Neuheuser an Limbach. Er habe ‚einen Verwaltungsvorgang eingesehen‘ und erfahren, ‚dass diese Schwächen bereits länger bestanden‘. Brorhilkers Berichte hätten ein Verständnis für die Besonderheit der Cum-Ex-Verfahren vermissen lassen. Sie sei ‚in dringenden Fällen‘ kurzfristig nicht erreichbar gewesen. Vielmals hätte Brorhilkers Vertreterin die Kastanien aus dem Feuer holen müssen.“
Nachforschungen in der Finanzbranche, der Politik und in der Justiz ergeben für die Redakteure des Handelsblatts „das Bild einer Schlangengrube“. Jahrelang sei Brorhilker von ihrer eigenen Behörde und dem übergeordneten Justizministerium behindert und angefeindet worden. „Ihre ärgsten Feinde“, zitiert das Blatt einen Insider, „waren selbst Staatsanwälte und Ministerialbeamte.“
Die FDP-Fraktion, so die Zeitung, werde das Thema in der nächsten Plenarsitzung des Landtags auf die Agenda setzen. Es bestehe die Idee, einen Untersuchungsausschuss zu beantragen, damit auch die zu Wort kommen könnten, die bisher weder im Plenum noch im Rechtsausschuss dazu die Gelegenheit gehabt hätten.
Brorhilker betont selbst immer wieder, dass für sie auch nach Ausscheiden aus dem Beamtenverhältnis das Dienstgeheimnis gelte. Sie könne weder jetzt noch in Zukunft über das sprechen, was sich in der Staatsanwaltschaft und dem Justizministerium zugetragen habe.
Quelle:
Sönke Iwersen/Volker Votsmeier: „Wie Politiker und Vorgesetzte Deutschlands erfolgreichste Staatsanwältin demontierten“, Handelsblatt (Online) vom 31. August 2024