Anne Brorhilker, Kölner OberstaatsanwĂ€ltin und erfolgreichste Cum-Ex-AufklĂ€rerin in Deutschland, möchte Ende Mai 2024 den Staatsdienst verlassen, um als GeschĂ€ftsfĂŒhrerin bei der âBĂŒrgerbewegung Finanzwendeâ aktiv zu werden. In einem Interview mit dem WDR begrĂŒndete sie am 22. April ihre Entscheidung. Wegen der schwach aufgestellten Justiz sieht sie gröĂte Defizite bei der BekĂ€mpfung der FinanzkriminalitĂ€t in Deutschland: Der Förderalismus fĂŒhre etwa zu einer Zersplitterung der ZustĂ€ndigkeiten, so dass eine BĂŒndelung von Ermittlungen nicht möglich sei. Auch fehle eine europĂ€ische Koordination sowie Personal, um sich auf Augenhöhe mit den Kriminellen und ihren AnwĂ€lten bewegen zu können. Deshalb verliere die Allgemeinheit das Vertrauen in den Rechtsstaat (z. B. weil sich VerdĂ€chtige oft mit Deals aus den Verfahren herauskaufen wĂŒrden). Es sei ungerecht, wenn Steuerhinterzieher in Deutschland deutlich besser wegkĂ€men als SozialhilfebetrĂŒger, ganz nach dem Motto: âDie Kleinen hĂ€ngt man, die GroĂen lĂ€sst man laufenâ.
Die 50 Jahre alte Juristin engagiert sich seit 2013 gegen die Cum-Ex-GeschĂ€fte und erwirkte 2019 das erste rechtskrĂ€ftige Urteil. Zurzeit ermitteln nach Auskunft der Staatsanwaltschaft Köln ĂŒber 30 StaatsanwĂ€ltinnen und StaatsanwĂ€lte in ihrer Abteilung gegen etwa 1.700 Beschuldigte in 135 Verfahrenskomplexen (vgl. Handelsblatt vom 22. April).
AuszĂŒge aus Pressekommentaren
Handelsblatt (Online) vom 23. April 2024:
âDer 22. April 2024 war ein schwarzer Tag fĂŒr den deutschen Rechtsstaat. Die Cum-Ex-Chefermittlerin Anne Brorhilker bat um ihre Entlassung. Der Abschied der OberstaatsanwĂ€ltin nĂ€hrt erneut die Zweifel am politischen Willen zur AufklĂ€rung dieses gröĂten deutschen Steuerskandals. (âŠ)
Vertreter aller Parteien beklagen mit scharfen Worten die MÀngel der AufklÀrung, wenn die politische Verantwortung gerade nicht in den eigenen Reihen liegt. Ihr GedÀchtnis ist kurz.
In Nordrhein-Westfalen war es Thomas Kutschaty von der SPD, der sich als NRW-Justizminister bis 2017 praktisch gar nicht fĂŒr die Arbeit von Brorhilker interessierte. SpĂ€ter nannte Kutschaty die schleppende AufklĂ€rung âskandalösâ.
Sein Nachfolger Biesenbach von der CDU sagte einmal, er habe vor seinem Antritt kaum gewusst, was Cum-Ex eigentlich ist. Zwei Jahre gingen ins Land. Immerhin: Als Biesenbach den Milliardenskandal 2019 bemerkte, gewÀhrte er Brorhilker mehr Stellen.
Der amtierende NRW-Justizminister Benjamin Limbach (GrĂŒne) versuchte dann 2023, das Cum-Ex-Rad wieder zurĂŒckzudrehen. Er unterstellte Brorhilker organisatorische MĂ€ngel, wollte die HĂ€lfte ihrer Ermittlerstellen einem Mann ohne Vorwissen beim Thema Cum-Ex anvertrauen. Nur ein öffentlicher Aufschrei verhinderte das Schlimmste.
Wer in dieser AufzĂ€hlung die FDP vermisst, kann sich an Wolfgang Kubicki wenden. Auch der Anwalt und Finanzexperte der Liberalen sah 2013 einen AufklĂ€rungsskandal, als er einen politischen Gegner betraf. Nur Monate spĂ€ter hatte Kubicki einen neuen Mandanten: Hanno Berger, den gröĂten aller deutschen SteuerrĂ€uber. Mit einem Mal hielt Kubicki Cum-Ex öffentlich fĂŒr eine âGesetzeslĂŒckeâ. (âŠ)
Warum ist der Staat so zögerlich? Warum wird nicht ein Heer von Steuerfahndern und spezialisierten StaatsanwÀlten gebildet? Es kann nicht an den Kosten liegen. Diese Art von Beamten finanziert ihre Stellen selbst und zehn andere dazu.
Der Abgang Brorhilkers offenbart auch ein politisches Problem. Deutsche Staatsanwaltschaften sind weisungsgebunden. Besonders forsche Ermittler können jederzeit aus dem Justizministerium zurĂŒckgepfiffen werden. Manche vermuten genau dieses PhĂ€nomen beim Cum-Ex-Fall von Bundeskanzler Olaf Scholz rund um die Hamburger Privatbank M.M. Warburg.
Der EuropĂ€ische Gerichtshof hat seine Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit in Deutschland schon 2019 verschriftlicht. Das höchste EU-Gericht urteilte, deutsche Staatsanwaltschaften dĂŒrften keine EuropĂ€ischen Haftbefehle mehr ausstellen. Grund sei, dass es âkeine hinreichende GewĂ€hr fĂŒr eine UnabhĂ€ngigkeit gegenĂŒber der Exekutiveâ gebe.
Diese DurchlĂ€ssigkeit der Gewaltenteilung ist untragbar. Schon der Anschein, dass ein Minister Einfluss auf die Arbeit einer Staatsanwaltschaft nimmt, ist schĂ€dlich. Vielleicht kann das Dienstende von Anne Brorhilker wenigstens dies bewirken: Das ministerielle Weisungsrecht gehört abgeschafft.â
Die Zeit vom 25. April 2024:
âMan kann nur hoffen, dass die beim Thema Cum-Ex oft mindestens tollpatschig agierende Politik ihr gut zuhört. Denn die groĂe Frage hinter ihrem RĂŒckzug lautet: Ist die deutsche Justiz strukturell ĂŒberhaupt in der Lage, ein Jahrhundert-Wirtschaftsverbrechen wie Cum-Ex aufzuklĂ€ren, bei dem weit mehr als tausend TĂ€ter sich hemmungslos vom Staat viele Milliarden an Steuern zurĂŒckerstatten lieĂen, die sie zuvor nie gezahlt hatten? Anne Brorhilker hĂ€lt das nicht nur fĂŒr eine Frage der Gerechtigkeit. Sondern auch fĂŒr eine Frage des Selbstrespekts einer Demokratie. FĂŒr diese Ziele will sie weiter kĂ€mpfen.â
Wirtschaftswoche (Online) vom 22. April 2024:
âAnne Brorhilker hat sich fĂŒr die groĂe BĂŒhne entschieden, um ihren Abgang zu verkĂŒnden: Deutschlands wichtigste Cum-ex-Ermittlerin hat dem Westdeutschen Rundfunk (WDR) ein 17-minĂŒtiges Interview gegeben, in dem sie erlĂ€utert, warum sie nicht lĂ€nger als StaatsanwĂ€ltin wirken mag.
Und in dem sie den Staat fĂŒr dessen angeblich stĂŒmperhaften Umgang mit FinanzkriminalitĂ€t abwatscht. Entsprechend groĂ ist die mediale Erregung, seitdem der WDR das Interview am Montagmittag veröffentlicht hat. BloĂ: Brorhilkers Kritik ist zwar richtig, ihr Auftritt aber dennoch selbstgerecht. Die Vorzeige-StaatsanwĂ€ltin aus Köln hĂ€tte sich die Watsche besser gespart â und stattdessen ĂŒber ihre eigenen Fehlentscheidungen rĂ€sonieren sollen, die zur schleppenden AufklĂ€rung des Cum-ex-Deals beigetragen haben. Die Republik hĂ€tte daraus eine Menge lernen können: fĂŒr kĂŒnftige Mega-Verfahren im Wirtschaftsstrafrecht. Dabei hat sich Brorhilker unstreitig bundesverdienstkreuzwĂŒrdige Verdienste in der Causa erworben. (âŠ)
Zur Wahrheit gehört aber auch: Wenn Brorhilker nicht wiederholt Fehler begangen hĂ€tte, wĂ€ren die Ermittlungen heute womöglich weiter. (âŠ)
Nach immer neuen Aufstockungen durch die nordrhein-westfĂ€lische Landespolitik aber verfĂŒgt ihre Abteilung inzwischen ĂŒber 40 Stellen â gemessen an den MaĂstĂ€ben einer Staatsanwaltschaft ist das luxuriös. SchlieĂlich leiten StaatsanwĂ€lte die Ermittlungen bloĂ, wĂ€hrend Polizisten, Spezialisten von LandeskriminalĂ€mtern und Steuerfahnder die Detailarbeit erledigen. Zwar sind manche der 40 Stellen bis heute unbesetzt, aber das hat Brorhilker auch selbst zu verantworten.
Ihr FĂŒhrungsstil, den Insider als beinahe autoritĂ€r beschreiben, soll wiederholt erfahrene StaatsanwĂ€lte vergrĂ€tzt haben, die ihre Ermittlungsautonomie verletzt sahen, ist auf den Fluren der Kölner Staatsanwaltschaft zu hören. Mit der Folge, dass in Brorhilkers Abteilung immer wieder BerufsanfĂ€nger angeheuert haben sollen, die sich Top-AnwĂ€lten entgegenstellen mĂŒssen. Und mit der Konsequenz, dass Brorhilker zur Alleinherrscherin ĂŒber die Ermittlungen geworden sein soll, die sich dadurch verzögert haben sollen. Mitunter soll auch Brorhilkers Organisation der Ermittlungen chaotisch angemutet haben, berichten Beteiligte. (âŠ)
Zudem fĂ€cherte Brorhilker die Ermittlungen immer weiter auf, lieĂ die Zahl der VerdĂ€chtigen auf 1700 anschwellen â selbst fĂŒr 40 StaatsanwĂ€lte eine schier wahnsinnige AufgabenfĂŒlle. Brorhilker selbst gab sich in dem WDR-Interview zwar ĂŒberzeugt, die VerdĂ€chtigen-Zahl mĂŒsse derart hoch liegen. Sie sei verpflichtet, Verfahren einzuleiten, wenn es einen Verdacht gebe.
Das stimmt auch. Aber natĂŒrlich haben Staatsanwaltschaften einen Spielraum dabei, ob sie einen sogenannten Anfangsverdacht erkennen, der Ermittlungen notwendig macht. Diesen Spielraum hĂ€tte Brorhilker besser nutzen mĂŒssen.
Auch hĂ€tte die Juristin Verfahren gegen Geldzahlungen einstellen mĂŒssen. Sie hĂ€lt das fĂŒr unfair, weil sie nicht will, dass SteuersĂŒnder davonkommen, die den Staat um viele Millionen geprellt haben. Und natĂŒrlich mĂŒssen die Drahtzieher der Cum-ex-Deals vor Gericht gestellt werden, das ist klar. Aber Einstellungen von Verfahren gegen MitlĂ€ufer, von denen manche die Details der hochkomplexen BörsengeschĂ€fte weder verstanden noch gewusst haben dĂŒrften, hĂ€tten Brorhilker die Chance gegeben, sich auf die HaupttĂ€ter zu fokussieren.â
Der Stern (Online) vom 23. April 2024:
âDer Wechsel einer der prominentesten StaatsanwĂ€ltinnen, deren Namen seit Jahren eng mit der AufklĂ€rung des gröĂten Steuerskandals der Republik verbunden ist, direkt an die Spitze einer NGO ist ein spektakulĂ€rer Schritt. Dass Ermittler in groĂen WirtschaftsfĂ€llen im Laufe der Zeit abgezogen werden oder innerhalb des Justizapparats den Posten wechseln, kommt durchaus vor. (âŠ)
Aber dass eine OberstaatsanwĂ€ltin nach elf Jahren Ermittlungsarbeit in einem Fall wie Cum Ex, in dem es um den gröĂten Steuerraub in der deutschen Geschichte und um politische Verwicklungen bis hin zum heutigen Bundeskanzler geht, nicht erst um Versetzung bittet, sondern gleich den Staatsdienst verlĂ€sst, hat es wohl so noch nicht gegeben. (âŠ)
Auch im Fall Cum Ex, das macht sie in dem WDR-Interview deutlich, vermisst Brorhilker den RĂŒckhalt aus der Politik. Sie habe gemerkt, wie âschwer es ist, UnterstĂŒtzung fĂŒr die Cum-Ex-Ermittlungen zu bekommenâ, sagt sie â obwohl allen klar sei, dass das Thema angesichts des Milliardenschadens sehr wichtig sei. (âŠ)
Als einen Grund dafĂŒr fĂŒhrt sie die Zersplitterung der ZustĂ€ndigkeiten in der Justiz durch den Föderalismus an â wohl eine Andeutung dafĂŒr, dass sich Kollegen in den Justizbehörden anderer LĂ€nder eher bemĂŒhten, die Ermittlungen ihres Kölner Teams zu bremsen, als diese zu unterstĂŒtzen. Etwa die in Hamburg, wo die Privatbank Warburg tief in die illegalen Cum-Ex-Deals verstrickt war, sich aber auf das Wohlwollen des Senats unter dem damaligen BĂŒrgermeister Olaf Scholz verlassen konnte.
Die Konsequenzen der Tatsache, dass Staatsanwaltschaften in Deutschland der Politik unterstellt sind, musste Brorhilker zuletzt aber auch daheim in NRW feststellen. Im September 2023 sorgte Landesjustizminister Benjamin Limbach (GrĂŒne) mit einem geplanten Eingriff bei der Kölner Staatsanwaltschaft fĂŒr Schlagzeilen. Chefermittlerin Brorhilker sollte einen Kollegen an die Seite gestellt bekommen â angeblich, um die Ermittlungen gegen die bundesweit rund 1800 Beschuldigten zu beschleunigen. Doch von vielen wurden Limbachs PlĂ€ne als Entmachtung der Cum-Ex-JĂ€gerin und politische Sabotage ihrer Ermittlungen interpretiert â durchaus auch von Brorhilker selbst.
(âŠ)
Schon 2020 war die Ermittlerin einmal von Vorgesetzten zurĂŒckgepfiffen worden, als sie im politisch besonders brisanten Fall der Warburg Bank eine Razzia in Hamburg plante.
Was Brorhilkers KĂŒndigung so bemerkenswert macht, ist, dass sie offenbar ĂŒberzeugt ist, an der Spitze einer NGO jetzt mehr fĂŒr den Kampf gegen FinanzkriminalitĂ€t bewirken zu können als in ihrer Ermittlerrolle. (âŠ)
Es könnte sein, dass Deutschlands mĂ€chtigste StaatsanwĂ€ltin auĂer Dienst bald nicht nur in der Ăffentlichkeit bisherigen Kolleginnen und Kollegen auf die FĂŒĂe tritt, wenn diese aus ihrer Sicht zu rĂŒcksichtsvoll mit Finanzkriminellen umgehen â sondern sich auch mit den Bremsern in der Politik anlegt.â
Taz (Online) vom 23. April 2024:
â2023 konterte Brorhilker den Versuch des grĂŒnen NRW-Justizministers Benjamin Limbach, der ihre Abteilung teilen und eine Anzahl Verfahren in andere HĂ€nde legen wollte. Limbachs Motiv bestand wohl auch darin, die Ermittlungen zu beschleunigen. Brorhilker wehrte sich erfolgreich, Limbach lieĂ seinen Plan fallen und stockte die Stellen der Staatsanwaltschaft auf.
Vielleicht spĂŒrte Brorhilker trotzdem einen Mangel an langfristiger UnterstĂŒtzung. Jetzt wechselt sie die Ebene der Auseinandersetzung. Im Einklang mit Gerhard Schick betonte sie, sich politisch, öffentlich und mit Kampagnen fĂŒr die StĂ€rkung des Rechtsstaates einsetzen zu wollen. Ein Ziel könnte darin bestehen, dass irgendwann eine Bundesanwaltschaft gegen FinanzkriminalitĂ€t gegrĂŒndet wird â Ă€hnlich dem Generalbundesanwalt, der sich unter anderem um Terrorismus kĂŒmmert.â
Neues Deutschland (Online) vom 23. April 2024:
âEs ist ein vernichtendes Urteil fĂŒr Justiz und Politik: Die oberste Cum-Ex-Ermittlerin Anne Brorhilker wechselt zur NGO Finanzwende â dort könne sie mehr ausrichten denn als OberstaatsanwĂ€ltin. Im Interview mit WDR-Investigativ betont Brorhilker zwar, die Kölner Staatsanwaltschaft sei auf dem richtigen Weg und gut aufgestellt, um die Cum-Ex-Ermittlungen weiter voranzutreiben. Ihr Frust ĂŒber deren Ablauf blieb dennoch unverhohlen. Brorhilker sei âmit Leib und Seeleâ StaatsanwĂ€ltin gewesen. Sie sei aber nicht damit zufrieden, wie FinanzkriminalitĂ€t in Deutschland verfolgt wird. âDie Kleinen fĂ€ngt man, die GroĂen lĂ€sst man laufen. Das ist einfach ungerechtâ, stellte sie fest. Damit kommt Brorhilker dem Vorwurf der Klassenjustiz wohl so nah, wie sie es in ihrer jetzigen Position kann. Auch die Beeinflussung der Politik durch die Finanzbranche sei systemisch, fĂŒhrte sie weiter aus. (âŠ)
Jetzt will die StaatsanwĂ€ltin die Justiz besser fĂŒr den Kampf gegen FinanzkriminalitĂ€t rĂŒsten, die Finanzlobby zurĂŒckdrĂ€ngen und fĂŒr Gerechtigkeit vor Gericht sorgen. Das scheint sie sich als GeschĂ€ftsfĂŒhrung einer zivilgesellschaftlichen Organisation eher zuzutrauen.â
Die Welt vom 24. April 2024:
âDass eine Beamtin nach Jahrzehnten im Staatsdienst ihren Abschied einreicht, ist an sich schon ein ungewöhnlicher Vorgang. Dass der Westdeutsche Rundfunk ihr zu diesem Anlass ein ausfĂŒhrliches Interview einrĂ€umt, ist ein Signal fast schon zeitgeschichtlicher Relevanz. Anne Brorhilker nutzt diesen Anlass noch einmal fĂŒr eine Art letzter Abrechnung. (âŠ)
Nur ein Bruchteil der Verfahren ist bisher zur Anklage gekommen, die meisten von ihnen drehen sich um die Vorkommnisse bei der Hamburger Privatbank M.M. Warburg. (âŠ)
Die von Brorhilker nun wieder beklagten fehlenden Ressourcen dĂŒrften nur eine Ursache dafĂŒr sein. In der Justiz hieĂ es schon vor Monaten, dass es auch interne GrĂŒnde dafĂŒr gebe, dass es nicht so richtig vorangehe. Brorhilker werde nicht nur ausgebremst , sondern bremse mit ihrer Detailversessenheit womöglich auch selbst. Ăberlegungen, wenigstens relevante FĂ€lle zĂŒgig abzuarbeiten und womöglich in gröĂerem Stil gegen GeldbuĂen einzustellen, soll sie wenig zugeneigt gewesen sein.â Â
SĂŒddeutsche Zeitung vom 23. April 2024:
âBei der 50-jĂ€hrigen Kölner OberstaatsanwĂ€ltin Anne Brorhilker mĂŒssen Ărger und EnttĂ€uschung riesengroĂ gewesen sein. (âŠ)
Jetzt wechselt sie zur BĂŒrgerbewegung Finanzwende. Ihre BegrĂŒndung ist eine Ohrfeige fĂŒr die deutsche Politik: âIch war immer mit Leib und Seele StaatsanwĂ€ltin, aber ich bin ĂŒberhaupt nicht zufrieden damit, wie in Deutschland FinanzkriminalitĂ€t verfolgt wird.â Bundesregierungen aller Couleur haben Deutschland in den vergangenen 20 Jahren zu einem Geldumschlagplatz fĂŒr Kriminelle und Demokratiegegner verkommen lassen. Mafiabanden, MenschenhĂ€ndler und Drogenkartelle erwirtschaften kriminelle Vermögen, deren Herkunft, Aufbewahrung und Einsatz im internationalen, westlich dominierten Finanzsystem verschleiert werden. (âŠ)
Es ist vieles falsch gelaufen bei der BekĂ€mpfung der FinanzkriminalitĂ€t. Das hat auch bei anderen Beamten, die kriminelle Vermögen und verdĂ€chtige Zahlungsströme jagen wollten und dabei politisch ausgebremst wurden, zu Frustration und EnttĂ€uschung gefĂŒhrt. Es gibt viele âBrorhilkersâ in Deutschland. Ihr öffentlichkeitswirksamer Abgang als OberstaatsanwĂ€ltin zeigt: Es braucht mehr Druck auf Politiker. Was zu tun ist, steht in mit Erfahrungen aus dem Ausland angereicherten Berichten der Fachleute. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat sie alle vorliegen, seit ĂŒber zwei Jahren.â
SĂŒddeutsche Zeitung vom 26. April 2024:
âAnne Brorhilker hat auch nicht die Seiten gewechselt, sie geht also nicht in eine SteuergroĂkanzlei, um dort das groĂe Geld, das x-Fache des Gehalts zu verdienen, das sie als OberstaatsanwĂ€ltin verdient hat. Sie wird nun Co-GeschĂ€ftsfĂŒhrerin eines Vereins namens âFinanzwendeâ (âŠ); sie will ihre bisherige juristische Arbeit in diesem Verein politisch weiterfĂŒhren. (âŠ)
Der Verein, der gegen solche RĂ€ubereien anrennt, versteht sich als zivilgesellschaftliches und ĂŒberparteiliches Gegengewicht zur Finanzlobby; er will das tun, was die Ampelkoalition in ihrem Koalitionsvertrag versprochen hat, aber partout nicht tut: âDeutschland wirdâ, so heiĂt es da, âbeim Kampf gegen Steuerhinterziehung und aggressive Steuervermeidung eine Vorreiterrolle einnehmen.â Anne Brorhilker hat erlebt und erfahren, wie das in der RealitĂ€t aussieht. (âŠ)
Es geht im Fall Brorhilker nicht einfach um interne Rangeleien, nicht nur um AnimositĂ€ten innerhalb und auĂerhalb von Justiz, Justizverwaltung und der sie dirigierenden Politik. Es geht um viel mehr, nĂ€mlich um Grundfragen der Gerechtigkeit. (âŠ)
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) verkĂŒndet die Wirtschaftswende und versteht darunter unter anderem scharfe KĂŒrzungen des BĂŒrgergelds bei Verfehlungen arbeitsloser Menschen; er fordert ein Moratorium, also einen Stopp bei den Sozialleistungen. Bei den sogenannten kleinen Leuten muss sich da das GefĂŒhl aufdrĂ€ngen, dass zwar bei ihnen sehr genau hingeschaut und abgerechnet wird â bei den Geldreichen aber nicht. Die KĂŒndigung der Cum-Ex-Ermittlerin legt da den Finger in diese Wunde, in einen bösen Riss zwischen denen da oben und denen da unten. Sie provoziert die Frage, ob es bei uns gerecht zugeht. Es ist dies eine neuralgische Frage fĂŒr die Demokratie.â
Quellen:
Exklusiv-Interview: Cum-Ex Chefermittlerin spricht ĂŒber ihre KĂŒndigung, WDR vom 22. April 2024
https://www.ardmediathek.de/video/Y3JpZDovL3dkci5kZS9CZWl0cmFnLTFiNDIzNDg5LTdjYjUtNGVkZS05ZGQ2LTg0OGI2ODdiMjA4Ng
Sönke Iwersen/Volker Votsmeier: âCum-Ex-Chefermittlerin Brorhilker hat gekĂŒndigtâ, Handelsblatt (Online) vom 22. April 2024
https://www.handelsblatt.com/finanzen/banken-versicherungen/cum-ex/steueraffaere-cum-ex-chefermittlerin-brorhilker-hat-gekuendigt/100034223.html
Volker Votsmeier: âBrorhilkers Abgang â Die ZermĂŒrbungstaktik der TĂ€ter geht aufâ,
Handelsblatt (Online) vom 23. April 2024
https://www.handelsblatt.com/meinung/kommentare/kommentar-brorhilkers-abgang-die-zermuerbungstaktik-der-taeter-geht-auf/100034303.html
Marc Widmann: âDie AnklĂ€gerinâ, Die Zeit vom 25. April 2024
Lukas Zdrzalek: âDie Cum-ex-Starermittlerin wĂ€hlt den Heldinnen-Notausgangâ, Wirtschaftswoche (Online) vom 22. April 2024
https://www.wiwo.de/my/unternehmen/dienstleister/anne-brorhilker-die-cum-ex-starermittlerin-waehlt-den-heldinnen-notausgang-/29766800.html
Thomas Steinmann: âSo fĂ€delte die Cum-Ex-JĂ€gerin ihren Wechsel zu einer NGO einâ, Stern (Online) vom 23. April 2024 (Der Artikel ist eine Ăbernahme des Wirtschaftsmagazins Capital. Stern und Capital gehören zu RTL Deutschland)
https://www.stern.de/wirtschaft/anne-brorhilker–das-macht-die-cum-ex-jaegerin-jetzt-34653970.html
Hannes Koch: âDie BanklĂ€gerinâ, taz (Online) vom 23. April 2024
https://taz.de/Cum-Ex-Staatsanwaeltin-Brorhilker/!6003474&s
Sarah Yolanda Koss: âCum-Ex-Ermittlerin Anne Brorhilker: Frau Gleichheitâ, Neues Deutschland (Online) vom 23. April 2024
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1181701.personalie-cum-ex-ermittlerin-anne-brorhilker-frau-gleichheit.html?
Cornelius Welp: âAbschied und Abrechnungâ, Die Welt vom 24. April 2024
Markus Zydra: âGefahr fĂŒr die Demokratieâ, SĂŒddeutsche Zeitung vom 23. April 2024
Heribert Prantl: âFrustriertâ, SĂŒddeutsche Zeitung vom 26. April 2024
Vgl. auch BIG-Artikel vom 19. Juli 2022: âSystematische Ungerechtigkeit â Steuerhinterziehung und âSozialbetrugâ im Vergleichâ
https://big.businesscrime.de/artikel/systematische-ungerechtigkeit-steuerhinterziehung-und-sozialbetrug-im-vergleich/