Anne Brorhilker, Kölner Oberstaatsanwältin und erfolgreichste Cum-Ex-Aufklärerin in Deutschland, möchte Ende Mai 2024 den Staatsdienst verlassen, um als Geschäftsführerin bei der „Bürgerbewegung Finanzwende“ aktiv zu werden. In einem Interview mit dem WDR begründete sie am 22. April ihre Entscheidung. Wegen der schwach aufgestellten Justiz sieht sie größte Defizite bei der Bekämpfung der Finanzkriminalität in Deutschland: Der Förderalismus führe etwa zu einer Zersplitterung der Zuständigkeiten, so dass eine Bündelung von Ermittlungen nicht möglich sei. Auch fehle eine europäische Koordination sowie Personal, um sich auf Augenhöhe mit den Kriminellen und ihren Anwälten bewegen zu können. Deshalb verliere die Allgemeinheit das Vertrauen in den Rechtsstaat (z. B. weil sich Verdächtige oft mit Deals aus den Verfahren herauskaufen würden). Es sei ungerecht, wenn Steuerhinterzieher in Deutschland deutlich besser wegkämen als Sozialhilfebetrüger, ganz nach dem Motto: „Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen“.
Die 50 Jahre alte Juristin engagiert sich seit 2013 gegen die Cum-Ex-Geschäfte und erwirkte 2019 das erste rechtskräftige Urteil. Zurzeit ermitteln nach Auskunft der Staatsanwaltschaft Köln über 30 Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in ihrer Abteilung gegen etwa 1.700 Beschuldigte in 135 Verfahrenskomplexen (vgl. Handelsblatt vom 22. April).
Auszüge aus Pressekommentaren
Handelsblatt (Online) vom 23. April 2024:
„Der 22. April 2024 war ein schwarzer Tag für den deutschen Rechtsstaat. Die Cum-Ex-Chefermittlerin Anne Brorhilker bat um ihre Entlassung. Der Abschied der Oberstaatsanwältin nährt erneut die Zweifel am politischen Willen zur Aufklärung dieses größten deutschen Steuerskandals. (…)
Vertreter aller Parteien beklagen mit scharfen Worten die Mängel der Aufklärung, wenn die politische Verantwortung gerade nicht in den eigenen Reihen liegt. Ihr Gedächtnis ist kurz.
In Nordrhein-Westfalen war es Thomas Kutschaty von der SPD, der sich als NRW-Justizminister bis 2017 praktisch gar nicht für die Arbeit von Brorhilker interessierte. Später nannte Kutschaty die schleppende Aufklärung ‚skandalös‘.
Sein Nachfolger Biesenbach von der CDU sagte einmal, er habe vor seinem Antritt kaum gewusst, was Cum-Ex eigentlich ist. Zwei Jahre gingen ins Land. Immerhin: Als Biesenbach den Milliardenskandal 2019 bemerkte, gewährte er Brorhilker mehr Stellen.
Der amtierende NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) versuchte dann 2023, das Cum-Ex-Rad wieder zurückzudrehen. Er unterstellte Brorhilker organisatorische Mängel, wollte die Hälfte ihrer Ermittlerstellen einem Mann ohne Vorwissen beim Thema Cum-Ex anvertrauen. Nur ein öffentlicher Aufschrei verhinderte das Schlimmste.
Wer in dieser Aufzählung die FDP vermisst, kann sich an Wolfgang Kubicki wenden. Auch der Anwalt und Finanzexperte der Liberalen sah 2013 einen Aufklärungsskandal, als er einen politischen Gegner betraf. Nur Monate später hatte Kubicki einen neuen Mandanten: Hanno Berger, den größten aller deutschen Steuerräuber. Mit einem Mal hielt Kubicki Cum-Ex öffentlich für eine ‚Gesetzeslücke‘. (…)
Warum ist der Staat so zögerlich? Warum wird nicht ein Heer von Steuerfahndern und spezialisierten Staatsanwälten gebildet? Es kann nicht an den Kosten liegen. Diese Art von Beamten finanziert ihre Stellen selbst und zehn andere dazu.
Der Abgang Brorhilkers offenbart auch ein politisches Problem. Deutsche Staatsanwaltschaften sind weisungsgebunden. Besonders forsche Ermittler können jederzeit aus dem Justizministerium zurückgepfiffen werden. Manche vermuten genau dieses Phänomen beim Cum-Ex-Fall von Bundeskanzler Olaf Scholz rund um die Hamburger Privatbank M.M. Warburg.
Der Europäische Gerichtshof hat seine Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit in Deutschland schon 2019 verschriftlicht. Das höchste EU-Gericht urteilte, deutsche Staatsanwaltschaften dürften keine Europäischen Haftbefehle mehr ausstellen. Grund sei, dass es ‚keine hinreichende Gewähr für eine Unabhängigkeit gegenüber der Exekutive‘ gebe.
Diese Durchlässigkeit der Gewaltenteilung ist untragbar. Schon der Anschein, dass ein Minister Einfluss auf die Arbeit einer Staatsanwaltschaft nimmt, ist schädlich. Vielleicht kann das Dienstende von Anne Brorhilker wenigstens dies bewirken: Das ministerielle Weisungsrecht gehört abgeschafft.“
Die Zeit vom 25. April 2024:
„Man kann nur hoffen, dass die beim Thema Cum-Ex oft mindestens tollpatschig agierende Politik ihr gut zuhört. Denn die große Frage hinter ihrem Rückzug lautet: Ist die deutsche Justiz strukturell überhaupt in der Lage, ein Jahrhundert-Wirtschaftsverbrechen wie Cum-Ex aufzuklären, bei dem weit mehr als tausend Täter sich hemmungslos vom Staat viele Milliarden an Steuern zurückerstatten ließen, die sie zuvor nie gezahlt hatten? Anne Brorhilker hält das nicht nur für eine Frage der Gerechtigkeit. Sondern auch für eine Frage des Selbstrespekts einer Demokratie. Für diese Ziele will sie weiter kämpfen.“
Wirtschaftswoche (Online) vom 22. April 2024:
„Anne Brorhilker hat sich für die große Bühne entschieden, um ihren Abgang zu verkünden: Deutschlands wichtigste Cum-ex-Ermittlerin hat dem Westdeutschen Rundfunk (WDR) ein 17-minütiges Interview gegeben, in dem sie erläutert, warum sie nicht länger als Staatsanwältin wirken mag.
Und in dem sie den Staat für dessen angeblich stümperhaften Umgang mit Finanzkriminalität abwatscht. Entsprechend groß ist die mediale Erregung, seitdem der WDR das Interview am Montagmittag veröffentlicht hat. Bloß: Brorhilkers Kritik ist zwar richtig, ihr Auftritt aber dennoch selbstgerecht. Die Vorzeige-Staatsanwältin aus Köln hätte sich die Watsche besser gespart – und stattdessen über ihre eigenen Fehlentscheidungen räsonieren sollen, die zur schleppenden Aufklärung des Cum-ex-Deals beigetragen haben. Die Republik hätte daraus eine Menge lernen können: für künftige Mega-Verfahren im Wirtschaftsstrafrecht. Dabei hat sich Brorhilker unstreitig bundesverdienstkreuzwürdige Verdienste in der Causa erworben. (…)
Zur Wahrheit gehört aber auch: Wenn Brorhilker nicht wiederholt Fehler begangen hätte, wären die Ermittlungen heute womöglich weiter. (…)
Nach immer neuen Aufstockungen durch die nordrhein-westfälische Landespolitik aber verfügt ihre Abteilung inzwischen über 40 Stellen – gemessen an den Maßstäben einer Staatsanwaltschaft ist das luxuriös. Schließlich leiten Staatsanwälte die Ermittlungen bloß, während Polizisten, Spezialisten von Landeskriminalämtern und Steuerfahnder die Detailarbeit erledigen. Zwar sind manche der 40 Stellen bis heute unbesetzt, aber das hat Brorhilker auch selbst zu verantworten.
Ihr Führungsstil, den Insider als beinahe autoritär beschreiben, soll wiederholt erfahrene Staatsanwälte vergrätzt haben, die ihre Ermittlungsautonomie verletzt sahen, ist auf den Fluren der Kölner Staatsanwaltschaft zu hören. Mit der Folge, dass in Brorhilkers Abteilung immer wieder Berufsanfänger angeheuert haben sollen, die sich Top-Anwälten entgegenstellen müssen. Und mit der Konsequenz, dass Brorhilker zur Alleinherrscherin über die Ermittlungen geworden sein soll, die sich dadurch verzögert haben sollen. Mitunter soll auch Brorhilkers Organisation der Ermittlungen chaotisch angemutet haben, berichten Beteiligte. (…)
Zudem fächerte Brorhilker die Ermittlungen immer weiter auf, ließ die Zahl der Verdächtigen auf 1700 anschwellen – selbst für 40 Staatsanwälte eine schier wahnsinnige Aufgabenfülle. Brorhilker selbst gab sich in dem WDR-Interview zwar überzeugt, die Verdächtigen-Zahl müsse derart hoch liegen. Sie sei verpflichtet, Verfahren einzuleiten, wenn es einen Verdacht gebe.
Das stimmt auch. Aber natürlich haben Staatsanwaltschaften einen Spielraum dabei, ob sie einen sogenannten Anfangsverdacht erkennen, der Ermittlungen notwendig macht. Diesen Spielraum hätte Brorhilker besser nutzen müssen.
Auch hätte die Juristin Verfahren gegen Geldzahlungen einstellen müssen. Sie hält das für unfair, weil sie nicht will, dass Steuersünder davonkommen, die den Staat um viele Millionen geprellt haben. Und natürlich müssen die Drahtzieher der Cum-ex-Deals vor Gericht gestellt werden, das ist klar. Aber Einstellungen von Verfahren gegen Mitläufer, von denen manche die Details der hochkomplexen Börsengeschäfte weder verstanden noch gewusst haben dürften, hätten Brorhilker die Chance gegeben, sich auf die Haupttäter zu fokussieren.“
Der Stern (Online) vom 23. April 2024:
„Der Wechsel einer der prominentesten Staatsanwältinnen, deren Namen seit Jahren eng mit der Aufklärung des größten Steuerskandals der Republik verbunden ist, direkt an die Spitze einer NGO ist ein spektakulärer Schritt. Dass Ermittler in großen Wirtschaftsfällen im Laufe der Zeit abgezogen werden oder innerhalb des Justizapparats den Posten wechseln, kommt durchaus vor. (…)
Aber dass eine Oberstaatsanwältin nach elf Jahren Ermittlungsarbeit in einem Fall wie Cum Ex, in dem es um den größten Steuerraub in der deutschen Geschichte und um politische Verwicklungen bis hin zum heutigen Bundeskanzler geht, nicht erst um Versetzung bittet, sondern gleich den Staatsdienst verlässt, hat es wohl so noch nicht gegeben. (…)
Auch im Fall Cum Ex, das macht sie in dem WDR-Interview deutlich, vermisst Brorhilker den Rückhalt aus der Politik. Sie habe gemerkt, wie ‚schwer es ist, Unterstützung für die Cum-Ex-Ermittlungen zu bekommen‘, sagt sie – obwohl allen klar sei, dass das Thema angesichts des Milliardenschadens sehr wichtig sei. (…)
Als einen Grund dafür führt sie die Zersplitterung der Zuständigkeiten in der Justiz durch den Föderalismus an – wohl eine Andeutung dafür, dass sich Kollegen in den Justizbehörden anderer Länder eher bemühten, die Ermittlungen ihres Kölner Teams zu bremsen, als diese zu unterstützen. Etwa die in Hamburg, wo die Privatbank Warburg tief in die illegalen Cum-Ex-Deals verstrickt war, sich aber auf das Wohlwollen des Senats unter dem damaligen Bürgermeister Olaf Scholz verlassen konnte.
Die Konsequenzen der Tatsache, dass Staatsanwaltschaften in Deutschland der Politik unterstellt sind, musste Brorhilker zuletzt aber auch daheim in NRW feststellen. Im September 2023 sorgte Landesjustizminister Benjamin Limbach (Grüne) mit einem geplanten Eingriff bei der Kölner Staatsanwaltschaft für Schlagzeilen. Chefermittlerin Brorhilker sollte einen Kollegen an die Seite gestellt bekommen – angeblich, um die Ermittlungen gegen die bundesweit rund 1800 Beschuldigten zu beschleunigen. Doch von vielen wurden Limbachs Pläne als Entmachtung der Cum-Ex-Jägerin und politische Sabotage ihrer Ermittlungen interpretiert – durchaus auch von Brorhilker selbst.
(…)
Schon 2020 war die Ermittlerin einmal von Vorgesetzten zurückgepfiffen worden, als sie im politisch besonders brisanten Fall der Warburg Bank eine Razzia in Hamburg plante.
Was Brorhilkers Kündigung so bemerkenswert macht, ist, dass sie offenbar überzeugt ist, an der Spitze einer NGO jetzt mehr für den Kampf gegen Finanzkriminalität bewirken zu können als in ihrer Ermittlerrolle. (…)
Es könnte sein, dass Deutschlands mächtigste Staatsanwältin außer Dienst bald nicht nur in der Öffentlichkeit bisherigen Kolleginnen und Kollegen auf die Füße tritt, wenn diese aus ihrer Sicht zu rücksichtsvoll mit Finanzkriminellen umgehen – sondern sich auch mit den Bremsern in der Politik anlegt.“
Taz (Online) vom 23. April 2024:
„2023 konterte Brorhilker den Versuch des grünen NRW-Justizministers Benjamin Limbach, der ihre Abteilung teilen und eine Anzahl Verfahren in andere Hände legen wollte. Limbachs Motiv bestand wohl auch darin, die Ermittlungen zu beschleunigen. Brorhilker wehrte sich erfolgreich, Limbach ließ seinen Plan fallen und stockte die Stellen der Staatsanwaltschaft auf.
Vielleicht spürte Brorhilker trotzdem einen Mangel an langfristiger Unterstützung. Jetzt wechselt sie die Ebene der Auseinandersetzung. Im Einklang mit Gerhard Schick betonte sie, sich politisch, öffentlich und mit Kampagnen für die Stärkung des Rechtsstaates einsetzen zu wollen. Ein Ziel könnte darin bestehen, dass irgendwann eine Bundesanwaltschaft gegen Finanzkriminalität gegründet wird – ähnlich dem Generalbundesanwalt, der sich unter anderem um Terrorismus kümmert.“
Neues Deutschland (Online) vom 23. April 2024:
„Es ist ein vernichtendes Urteil für Justiz und Politik: Die oberste Cum-Ex-Ermittlerin Anne Brorhilker wechselt zur NGO Finanzwende – dort könne sie mehr ausrichten denn als Oberstaatsanwältin. Im Interview mit WDR-Investigativ betont Brorhilker zwar, die Kölner Staatsanwaltschaft sei auf dem richtigen Weg und gut aufgestellt, um die Cum-Ex-Ermittlungen weiter voranzutreiben. Ihr Frust über deren Ablauf blieb dennoch unverhohlen. Brorhilker sei ‚mit Leib und Seele‘ Staatsanwältin gewesen. Sie sei aber nicht damit zufrieden, wie Finanzkriminalität in Deutschland verfolgt wird. ‚Die Kleinen fängt man, die Großen lässt man laufen. Das ist einfach ungerecht‘, stellte sie fest. Damit kommt Brorhilker dem Vorwurf der Klassenjustiz wohl so nah, wie sie es in ihrer jetzigen Position kann. Auch die Beeinflussung der Politik durch die Finanzbranche sei systemisch, führte sie weiter aus. (…)
Jetzt will die Staatsanwältin die Justiz besser für den Kampf gegen Finanzkriminalität rüsten, die Finanzlobby zurückdrängen und für Gerechtigkeit vor Gericht sorgen. Das scheint sie sich als Geschäftsführung einer zivilgesellschaftlichen Organisation eher zuzutrauen.“
Die Welt vom 24. April 2024:
„Dass eine Beamtin nach Jahrzehnten im Staatsdienst ihren Abschied einreicht, ist an sich schon ein ungewöhnlicher Vorgang. Dass der Westdeutsche Rundfunk ihr zu diesem Anlass ein ausführliches Interview einräumt, ist ein Signal fast schon zeitgeschichtlicher Relevanz. Anne Brorhilker nutzt diesen Anlass noch einmal für eine Art letzter Abrechnung. (…)
Nur ein Bruchteil der Verfahren ist bisher zur Anklage gekommen, die meisten von ihnen drehen sich um die Vorkommnisse bei der Hamburger Privatbank M.M. Warburg. (…)
Die von Brorhilker nun wieder beklagten fehlenden Ressourcen dürften nur eine Ursache dafür sein. In der Justiz hieß es schon vor Monaten, dass es auch interne Gründe dafür gebe, dass es nicht so richtig vorangehe. Brorhilker werde nicht nur ausgebremst , sondern bremse mit ihrer Detailversessenheit womöglich auch selbst. Überlegungen, wenigstens relevante Fälle zügig abzuarbeiten und womöglich in größerem Stil gegen Geldbußen einzustellen, soll sie wenig zugeneigt gewesen sein.“
Süddeutsche Zeitung vom 23. April 2024:
„Bei der 50-jährigen Kölner Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker müssen Ärger und Enttäuschung riesengroß gewesen sein. (…)
Jetzt wechselt sie zur Bürgerbewegung Finanzwende. Ihre Begründung ist eine Ohrfeige für die deutsche Politik: ‚Ich war immer mit Leib und Seele Staatsanwältin, aber ich bin überhaupt nicht zufrieden damit, wie in Deutschland Finanzkriminalität verfolgt wird.‘ Bundesregierungen aller Couleur haben Deutschland in den vergangenen 20 Jahren zu einem Geldumschlagplatz für Kriminelle und Demokratiegegner verkommen lassen. Mafiabanden, Menschenhändler und Drogenkartelle erwirtschaften kriminelle Vermögen, deren Herkunft, Aufbewahrung und Einsatz im internationalen, westlich dominierten Finanzsystem verschleiert werden. (…)
Es ist vieles falsch gelaufen bei der Bekämpfung der Finanzkriminalität. Das hat auch bei anderen Beamten, die kriminelle Vermögen und verdächtige Zahlungsströme jagen wollten und dabei politisch ausgebremst wurden, zu Frustration und Enttäuschung geführt. Es gibt viele ‚Brorhilkers‘ in Deutschland. Ihr öffentlichkeitswirksamer Abgang als Oberstaatsanwältin zeigt: Es braucht mehr Druck auf Politiker. Was zu tun ist, steht in mit Erfahrungen aus dem Ausland angereicherten Berichten der Fachleute. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat sie alle vorliegen, seit über zwei Jahren.“
Süddeutsche Zeitung vom 26. April 2024:
„Anne Brorhilker hat auch nicht die Seiten gewechselt, sie geht also nicht in eine Steuergroßkanzlei, um dort das große Geld, das x-Fache des Gehalts zu verdienen, das sie als Oberstaatsanwältin verdient hat. Sie wird nun Co-Geschäftsführerin eines Vereins namens ‚Finanzwende‘ (…); sie will ihre bisherige juristische Arbeit in diesem Verein politisch weiterführen. (…)
Der Verein, der gegen solche Räubereien anrennt, versteht sich als zivilgesellschaftliches und überparteiliches Gegengewicht zur Finanzlobby; er will das tun, was die Ampelkoalition in ihrem Koalitionsvertrag versprochen hat, aber partout nicht tut: ‚Deutschland wird‘, so heißt es da, ‚beim Kampf gegen Steuerhinterziehung und aggressive Steuervermeidung eine Vorreiterrolle einnehmen.‘ Anne Brorhilker hat erlebt und erfahren, wie das in der Realität aussieht. (…)
Es geht im Fall Brorhilker nicht einfach um interne Rangeleien, nicht nur um Animositäten innerhalb und außerhalb von Justiz, Justizverwaltung und der sie dirigierenden Politik. Es geht um viel mehr, nämlich um Grundfragen der Gerechtigkeit. (…)
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) verkündet die Wirtschaftswende und versteht darunter unter anderem scharfe Kürzungen des Bürgergelds bei Verfehlungen arbeitsloser Menschen; er fordert ein Moratorium, also einen Stopp bei den Sozialleistungen. Bei den sogenannten kleinen Leuten muss sich da das Gefühl aufdrängen, dass zwar bei ihnen sehr genau hingeschaut und abgerechnet wird – bei den Geldreichen aber nicht. Die Kündigung der Cum-Ex-Ermittlerin legt da den Finger in diese Wunde, in einen bösen Riss zwischen denen da oben und denen da unten. Sie provoziert die Frage, ob es bei uns gerecht zugeht. Es ist dies eine neuralgische Frage für die Demokratie.“
Quellen:
Exklusiv-Interview: Cum-Ex Chefermittlerin spricht über ihre Kündigung, WDR vom 22. April 2024
https://www.ardmediathek.de/video/Y3JpZDovL3dkci5kZS9CZWl0cmFnLTFiNDIzNDg5LTdjYjUtNGVkZS05ZGQ2LTg0OGI2ODdiMjA4Ng
Sönke Iwersen/Volker Votsmeier: „Cum-Ex-Chefermittlerin Brorhilker hat gekündigt“, Handelsblatt (Online) vom 22. April 2024
https://www.handelsblatt.com/finanzen/banken-versicherungen/cum-ex/steueraffaere-cum-ex-chefermittlerin-brorhilker-hat-gekuendigt/100034223.html
Volker Votsmeier: „Brorhilkers Abgang – Die Zermürbungstaktik der Täter geht auf“,
Handelsblatt (Online) vom 23. April 2024
https://www.handelsblatt.com/meinung/kommentare/kommentar-brorhilkers-abgang-die-zermuerbungstaktik-der-taeter-geht-auf/100034303.html
Marc Widmann: „Die Anklägerin“, Die Zeit vom 25. April 2024
Lukas Zdrzalek: „Die Cum-ex-Starermittlerin wählt den Heldinnen-Notausgang“, Wirtschaftswoche (Online) vom 22. April 2024
https://www.wiwo.de/my/unternehmen/dienstleister/anne-brorhilker-die-cum-ex-starermittlerin-waehlt-den-heldinnen-notausgang-/29766800.html
Thomas Steinmann: „So fädelte die Cum-Ex-Jägerin ihren Wechsel zu einer NGO ein“, Stern (Online) vom 23. April 2024 (Der Artikel ist eine Übernahme des Wirtschaftsmagazins Capital. Stern und Capital gehören zu RTL Deutschland)
https://www.stern.de/wirtschaft/anne-brorhilker–das-macht-die-cum-ex-jaegerin-jetzt-34653970.html
Hannes Koch: „Die Banklägerin“, taz (Online) vom 23. April 2024
https://taz.de/Cum-Ex-Staatsanwaeltin-Brorhilker/!6003474&s
Sarah Yolanda Koss: „Cum-Ex-Ermittlerin Anne Brorhilker: Frau Gleichheit“, Neues Deutschland (Online) vom 23. April 2024
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1181701.personalie-cum-ex-ermittlerin-anne-brorhilker-frau-gleichheit.html?
Cornelius Welp: „Abschied und Abrechnung“, Die Welt vom 24. April 2024
Markus Zydra: „Gefahr für die Demokratie“, Süddeutsche Zeitung vom 23. April 2024
Heribert Prantl: „Frustriert“, Süddeutsche Zeitung vom 26. April 2024
Vgl. auch BIG-Artikel vom 19. Juli 2022: „Systematische Ungerechtigkeit – Steuerhinterziehung und ‚Sozialbetrug‘ im Vergleich“
https://big.businesscrime.de/artikel/systematische-ungerechtigkeit-steuerhinterziehung-und-sozialbetrug-im-vergleich/