Am 8. Juli 2022 stimmte der Bundesrat gegen den Antrag der Länder Bremen, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen auf die befristete Einführung einer Übergewinnsteuer. Dabei handelt es sich um eine Sondersteuer auf hohe Zusatzgewinne von Unternehmen durch den Ukraine-Krieg (Kriegsprofiteure, vor allem im Energiesektor). Diese Übergewinnsteuer sollte zur Finanzierung staatlicher Entlastungsmaßnahmen dienen. Die Bundesländer, in denen die CDU/CSU oder die FDP an der Regierung beteiligt sind, stimmten gegen den Entschließungsantrag. Damit muss die Bundesregierung keinen Vorschlag für die Erhebung der Steuer für das laufende Jahr vorlegen. In der Frage zeigt sich auch die Bundesregierung gespalten: SPD und Grüne unterstützen die Idee, die FDP und Finanzminister Christian Lindner positionieren sich klar gegen eine derartige Steuer.
„Der Bürgermeister der Hansestadt, Andreas Bovenschulte, sieht vor allem im Energiesektor Handlungsbedarf: ‚Allein im ersten Quartal dieses Jahres konnten die vier Ölriesen Shell, BP, Exxon und Total ihren Nettogewinn gegenüber dem Vorjahr von etwa 15 Milliarden auf rund 34 Milliarden US-Dollar mehr als verdoppeln‘, sagte der SPD-Politiker. ‚Nach Berechnungen der Internationalen Energieagentur dürften die gestiegenen Energiepreise den Konzernen in diesem Jahr 200 Milliarden Euro zusätzlich in die Kassen spülen.‘“ (tagesschau.de vom 10. Juni 2022)
Auch die EU-Kommission prüft mehrere Optionen zur Einführung einer Übergewinnsteuer. Die sogenannte „Windfall Profits Tax“, schreibt die taz am 7. Juli 2022, werde von der EU-Kommission auf ihre Machbarkeit geprüft. Es gehe um eine koordinierte Herangehensweise in den 27 EU-Staaten. Denn für die Steuerpolitik seien die Mitgliedsländer zuständig. Brüssel wolle laut EU-Kommissarin Věra Jourová verhindern, dass es zu nationalen Alleingängen oder Marktverzerrungen komme. Italien und Rumänien hätten die Übergewinnsteuer bereits eingeführt, bald werde Spanien folgen.
Nach Berechnungen der Entwicklungsorganisation Oxfam würde eine einmalige Sondersteuer von 90 Prozent auf Extraprofite allein bei den größten Unternehmen der G7-Länder über 430 Milliarden US-Dollar einbringen. „Das ist genug Geld,“ so Oxfam, „um die Finanzierungslücken aller humanitären Hilfsaufrufe der Vereinten Nationen zu schließen, einen 10-Jahres-Plan zur Beendigung des Hungers zu finanzieren und den ärmsten zehn Prozent der Bevölkerungen der G7-Staaten einen einmaligen Zuschuss von über 3.000 US-Dollar zu zahlen, um die steigenden Lebenshaltungskosten zu decken.“ Laut einer aktuellen von Oxfam beauftragten Umfrage sind drei Viertel der Bundesbürger:innen dafür, Extraprofite von Unternehmen stärker zu besteuern.
Auch Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel hält eine Übergewinnsteuer für machbar:
„Die EU empfiehlt sie. Etliche Länder in Europa trauen sie sich zu. In den USA ist sie von Renommierten der Wirtschaftswissenschaft durchdekliniert worden. Historische Erfahrungen mit ihr liegen in den USA und Großbritannien vor. Sie, das ist die zeitlich befristete Sondersteuer auf Übergewinne, zielgenauer auf Extraprofite vor allem in den Kassen der Mineralölkonzerne. Diese Steuer richtet sich gegen die missbrauchte Marktmacht von der Ölquelle über die Raffinerien und Transporte bis zur Tankstelle. (…) Die am Markt monopolistisch auftretenden Big Five-Mineralölkonzerne haben jüngst selbst gezeigt, wie sie ihre Übergewinne staatlich subventioniert steigern. Es handelt sich um die Tankrabatte, die großteils mit preispolitischen Tricks in die Konzernkassen gelenkt wurden. Auch das Ifo-Institut irrt mit seiner zweifelhaften Vergleichsstudie, die die nahezu komplette Weitergabe der Rabatte auf Kraftstoffe behauptet. (…) Deshalb ist klar: Da die CDU zusammen mit der FDP die Sondersteuer auf Extraprofite abgelehnt hat, sollten diese staatlichen Subventionen per missbrauchter Tankrabatte unverzüglich abgeschafft werden. Natürlich wäre es am besten, statt die Übergewinne zusätzlich zu besteuern, deren Ursachen zu beseitigen. Sie sind das Ergebnis monopolistisch eingesetzter Marktmacht durch die Konzerne.“ (taz vom 10. Juli 2022)
Das Handelsblatt versucht, der Initiative den Wind aus den Segeln zu nehmen:
„In Berlin“, kommentiert Redakteurin Kathrin Witsch, „diskutiert man jetzt öffentlich über die Zerschlagung der Ölmultis und die Besteuerung von Übergewinnen. Doch das scheint schon juristisch schwer durchsetzbar, schnelle Preissenkungen durch diese Initiativen gegen die international agierenden Milliardenkonzerne sind darum nicht zu erwarten. Vielmehr sollte sich die Politik darum darauf konzentrieren, weitere steuerliche Erleichterungen für diejenigen zu schaffen, die sie bei den hohen Spritpreisen wirklich brauchen – wie Pendler und Gewerbetreibende“.
Eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Thema bietet das Magazin für Wirtschaftpolitik Makroskop:
Gerd Grötzinger: „Übergewinnsteuer? Ja, bitte!“ vom 6. Juli 2022
https://makroskop.eu/spotlight/versailles-durch-die-hintertur/ubergewinnsteuer-ja-bitte/
Quellen:
Eric Bonse: „Brüssel für Steuer auf Extragewinne“, taz vom 7. Juli 2022
https://taz.de/Hohe-Profite-hohe-Energiepreise/!5862682/
„Bundesrat befasst sich mit Übergewinnsteuer“, Tagesschau vom 10. Juni 2022
https://www.tagesschau.de/inland/bundesrat-uebergewinnsteuer-101.html
Rudolf Hickel: „Subventionierte Extraprofite“, taz vom 10. Juli 2022
https://taz.de/Sondersteuer-auf-Uebergewinne/!5866498/
„Oxfam fordert Übergewinnsteuer, um Hunger- und Klimakrise zu bekämpfen“, Pressemitteilung von Oxfam vom 24. Juni 2022
https://www.oxfam.de/presse/pressemitteilungen/2022-06-24-oxfam-fordert-uebergewinnsteuer-um-hunger-klimakrise-bekaempfen
Kathrin Witsch: „Aktionismus zwecklos: Benzin und Diesel bleiben teurer“, Handelsblatt vom 14. Juni 2022
https://www.handelsblatt.com/meinung/kommentare/kommentar-aktionismus-zwecklos-benzin-und-diesel-bleiben-teurer/28423526.html