Schatzkammer von Kriminellen in der Schweiz offenbart

Nach Mitteilung der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ) wurden ihr vor etwa einem Jahr von einem anonymen Informanten geheime Unterlagen zu etwa 18.000 Konten der zweitgrößten Schweizer Bank „Credit Suisse“ (CS) mit einem Umfang von etwa 100 Milliarden Dollar zugespielt. Wie die Autoren der SZ nach erfolgter Sichtung schreiben, „konnte die Öffentlichkeit (noch nie) einen so tiefen Einblick in das Innerste der Schweizer Finanzwelt nehmen“. Die Auswertung des Datenleaks habe ergeben, dass sich unter den insgesamt 30.000 Konteninhabern kriminelle Personen befänden.

In der den Daten beigefügten und von der SZ nur auszugsweise dokumentierten Erklärung des oder der anonymen Lieferant*innen heißt es: „Ich glaube, dass das Schweizer Bankgeheimnis unmoralisch ist. Der Vorwand, die finanzielle Privatsphäre zu schützen, ist lediglich ein Feigenblatt, um die schändliche Rolle der Schweizer Banken als Kollaborateure von Steuerhinterziehern zu verschleiern. (…) Ich bin sicher, dass einige der Konten (…) aus legitimen Gründen existieren oder den Steuerbehörden im Einklang mit der relevanten Gesetzgebung angezeigt wurden. Dennoch ist es wahrscheinlich, dass eine signifikante Zahl dieser Konten mit der einzigen Absicht gegründet wurden, das Vermögen der Kontoinhaber vor Steuerbehörden zu verstecken und/oder Steuern auf Kapitalerträge zu vermeiden.“

Die SZ schreibt: „Zu den Kontoinhabern, die durch diese Recherche bestätigt werden konnten, zählen etliche ehemalige Staats- und Regierungschefs, zahlreiche Minister und andere hochrangige Politiker sowie deren nahe Verwandte, dazu Kardinäle, Menschenhändler, Oligarchen, wegen Korruption verurteilte Manager, prominente Superreiche, Sportstars und mehrere Monarchen. (…) Unter den Staats- und Regierungschefs, die in den Daten zu finden sind, sind der amtierende jordanische König Abdullah II., der 2021 gestorbene algerische Autokrat Abdelaziz Bouteflika sowie der armenische Ex-Präsident Armen Sarkissian. Eine von Abdullah II. beauftragte Anwaltskanzlei bestätigte die Existenz von Konten bei der Credit Suisse.“

In dem Artikel heißt es weiter: „Ein auf den Philippinen verurteilter Menschenhändler und ein ägyptischer Mörder finden sich ebenso in den Daten wie mutmaßlich in krumme Geschäfte verwickelte Kardinäle und der 2008 wegen Bestechung verurteilte frühere Siemens-Manager Eduard Seidel.“

Gemäß Mitteilung auf der Homepage www.finanzen.ch wies die CS in einer ersten Stellungnahme alle Vorwürfe über „angebliche Geschäftspraktiken der Bank entschieden zurück“. Die Sachverhalte würden auf veralteten, unvollständigen, selektiven und aus dem Zusammenhang gerissenen Informationen beruhen.

Die SZ hat nach eigenen Angaben die Credit-Suisse-Daten zusammen mit dem „Organized Crime and Corruption Reporting Project“ (OCCRP) sowie 46 Medienpartnern aus aller Welt ausgewertet. In der Schweiz registrierte Medien hatten gemäß www.finanzen.ch auf eine Teilnahme verzichtet. Nach der aktuellen Schweizer Gesetzeslage droht Journalist*innen eine Haftstrafe, wenn sie über geleakte Bankdaten berichten.

Quellen:

Johannen Korsch, Vinzent-Vitus Leitgeb und Carolin Lenk: „Suissse Secrets“, Stand vom 20. Februar 2022, 18.00 Uhr
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/suisse-secrets-podcast-leak-credit-suisse-1.5532656 

„‘CS-Leaks‘ belastet CS-Aktie: Credit Suisse soll Kriminelle als Kunden akzeptiert haben – Bank im Visier der Finma“, Stand vom 21. Februar 2022, 12.58 Uhr
https://www.finanzen.ch/nachrichten/aktien/cs-leaks-belastet-cs-aktie-credit-suisse-soll-kriminelle-als-kunden-akzeptiert-haben-bank-im-visier-der-finma-1031210733 

Konzerne, Pandemie, Profite

Über die Entwicklung des Reichtums in Zeiten des grassierenden Coronavirus berichtete BIG zuletzt am 25. Januar 2022 („Goldrausch für Superreiche“). Am 12. Februar stellte die junge Welt fest, dass die Pandemie auch „das Gewinnstreben der größten französischen Unternehmen im vergangenen Jahr erfolgreich angeheizt zu haben“ scheint.

Die Profite der 40 wichtigsten an der Pariser Börse notierten französischen Aktiengesellschaften bewegten sich Ende des letzten Jahres mit 137 Milliarden Euro auf Rekordniveau. Rund die Hälfte des Profits, so die junge Welt mit Bezug auf eine Pariser Wirtschaftsagentur, fließt als Dividenden an die jeweiligen Großaktionäre. Die andere Hälfte wird vor allem in Aktienrückkäufe investiert. Ermöglicht wird diese Unternehmensstrategie offensichtlich durch die Covid-Politik der Regierung Macron. Rund 80 Milliarden Euro pumpte diese laut junge Welt zur Finanzierung pandemiebedingter Teilzeitarbeit und Kreditsicherung in die Wirtschaft des Landes.

Hauptprofiteur war der Erdölgigant Total Energies. Dieser konnte im Jahr 2021 den Gewinn des Vorjahres von 7,3 auf 15 Milliarden Euro mehr als verdoppeln. Das Handelsblatt bestätigt, dass mit Ausnahme von Exxon Mobil und BP „alle Supermajors“ ihre Dividende deutlich erhöhen konnten. Seit einem Jahr stiegen die Kurse der Ölkonzerne kräftig. Fast alle Unternehmen hätten den massiven Kursabsturz bei Ausbruch der Coronapandemie mittlerweile kompensieren können. Der Grund läge vor allem „an der neu entdeckten Ausgabendisziplin“:

„2020 verbrachten die Unternehmen mit aggressiven Kostensenkungen, kündigten Zehntausende Entlassungen an und kürzten in einigen Fällen ihre Dividenden. Damit waren sie gut für 2021 gerüstet, als sich der Einbruch in eine bemerkenswerte Rallye verwandelte.“ (Handelsblatt vom 11. Februar 2022)

Nach Einschätzung des Chefs von Total Energies würden die Ölpreise hoch bleiben, wie das Handelblatt berichtet. Die Situation in Frankreich sei so angespannt, dass der Ölkonzern am 10. Februar ankündigte, Kunden einen Gutschein über je 100 Dollar auszuzahlen, um bei der Bewältigung hoher Energierechnungen zu helfen. Ein Kostenfaktor in Höhe von 50 Millionen Euro, „also mickrige 0,4 Prozent des Nettogewinns“, wie die junge Welt kommentierte.

Ein Zitat aus der jungen Welt zur Gewinnverteilung (die eine Hälfte des Profits wird als Dividenden an die Aktionäre ausgeschüttet, die andere in den Aktienkauf investiert):

„Bereits 2009 hatte der damalige, rechtskonservative Präsident Nicolas Sarkozy – heute einer der Berater Macrons und von französischen Medien zur ‚grauen Eminenz‘ hinter dem aktuellen Staatschef erklärt – eine andere Verteilung der Gewinne angemahnt: Seiner Meinung nach sollten sie ‚gedrittelt‘ werden – ein Drittel für das Unternehmen, eines für die Beschäftigten, eines für die Aktionäre. Jean-Luc Mélenchon, Führer der parlamentarischen Linken und Präsidentschaftskandidat für die Wahl am 10. April, sieht das pragmatischer: Auf Wahlkampfreise im westfranzösischen Tours kündigte er in der vergangenen Woche drastische Maßnahmen für den Fall seines Einzugs in den Élysée-Palast an: ‚Total hat die größten jemals von einem französischen Unternehmen gemachten Gewinne kassiert – wir brauchen sie ihnen nur wegzunehmen.‘

Mélenchons Generalangriff auf die Steuerpolitik Macrons, der den großen Konzernen zu Beginn seiner Regierungszeit als Unternehmenssteuer eine ‚Flat-Tax‘ von lediglich 30 Prozent gönnte, unterstützt auch der kommunistische Kandidat Fabien Roussel in einer Mitteilung: ‚Die Unternehmer müssen gezwungen werden, mit dem Geld Ausbildung und Weiterentwicklung zu fördern und auf umweltfreundliche Produktion umzustellen.‘“

Auch die größten börsennotierten Konzerne Deutschlands wollen laut Handelsblatt für den Rückkauf eigener Aktien so viel Geld ausgeben wie nie zuvor. Darunter auch solche, die bis vor kurzem noch Coronahilfen kassierten (vgl. Handelsblatt vom 14. Januar 2022). Zur Erklärung: Der Rückkauf von Aktien verknappt das Angebot und pusht deshalb den Kurs. Selbst das wirtschaftsliberale Handelsblatt kommentierte kritisch:

„Die Bundesagentur für Arbeit (BA) hat seit Ausbruch der Pandemie im Frühjahr 2020 insgesamt 52 Milliarden Euro für zusätzliche Leistungen infolge der Coronakrise ausgegeben. Allein für Kurzarbeit stellte sie 42 Milliarden Euro bereit, wie eine Auswertung der BA zum Jahreswechsel zeigt. Hohe Dividenden von Unternehmen, die Coronahilfen in Anspruch genommen haben, stoßen vielfach auf Kritik – erst recht gilt das für Aktienrückkäufe. Sie zeigen schließlich, dass ein Unternehmen zu viel Geld hat und nicht zu wenig. Rechtlich ist Adidas Wechselstrategie – Aktienrückkäufe, dann Staatshilfen, dann wieder Rückkäufe – aber nicht zu beanstanden. Gelder für Kurzarbeit sind keine Steuermittel, sondern fließen aus den BA-Kassen, in die das Unternehmen und die Mitarbeiter jeden Monat einzahlen.“ (Handelsblatt vom 14. Januar 2022)

Quellen:

Hansgeorg Hermann: „Konzerne im Profitrausch“, junge Welt vom 12. Februar 2022

https://www.jungewelt.de/artikel/420525.krisengewinnler-konzerne-im-profitrausch.html

Ulf Sommer: „Neuer Rekord: Dax-Konzerne kaufen für fast 18 Milliarden Euro eigene Aktien zurück“, Handelsblatt vom 14. Januar 2022

https://www.handelsblatt.com/unternehmen/management/adidas-sap-und-andere-neuer-rekord-dax-konzerne-kaufen-fuer-fast-18-milliarden-euro-eigene-aktien-zurueck/27968326.html

Kathrin Witsch: „Big Oil schreibt Milliardengewinne – eine schlechte Nachricht für Verbraucher“, Handelsblatt vom 11. Februar 2022

https://www.handelsblatt.com/unternehmen/energie/oel-und-gas-big-oil-schreibt-milliardengewinne-eine-schlechte-nachricht-fuer-verbraucher/28060918.html

 

Investigativ-Journalist Schröm zum Cum-Ex-Skandal

Seit 2013 klärt der Investigativ-Journalist Oliver Schröm die Öffentlichkeit über die kriminellen Cum-Ex-Geschäfte auf. Am 1. Februar 2022 sprach er im Rahmen eines Livestreams mit Daphne Weber von der Rosa-Luxemburg-Stiftung über das Thema. Einige seiner Aussagen sind im Folgenden zusammengefasst.

Zur Frage, welche Banken in Cum-Ex-Geschäften involviert waren:

Eigentlich sei jede Bank involviert gewesen, selbst „irgendwelche Sparkassen im Hinterland“. „Natürlich auch die großen Banken, die großen Investmentbanken, die amerikanischen Banken. Aber zum Beispiel auch die Commerzbank.“ Und es sei ziemlich makaber, dass Letztere nach der Finanzkrise Milliardenzuschüsse vom Bund bekommen und gleichzeitig Cum-Ex-Geschäfte betrieben habe. Sie habe sich quasi vom Staat zwei Mal Milliardenbeträge auszahlen lassen. Es sei eigentlich unfassbar, dass eine Landesbank den Bund ausraube.

Zur Frage, ob es sich um einzelne oder viele Täter handelt:

Allein in Köln sei eine Staatsanwaltschaft dabei,  gegen mittlerweile über tausend Personen zu ermitteln. Weitere Beschuldigte gäbe es in Frankfurt und München. Es handele sich dabei um die „Spitze des Eisbergs“. „Bislang wird eigentlich nur gegen die Möglichmacher von Cum-Ex ermittelt. Also gegen Banker, gegen Anwälte, gegen Broker. Wer bisher strafrechtlich außen vor ist, das sind die Investoren, also die Privatinvestoren, also die Carsten Maschmeyers. Der Grund ist ganz einfach: Es ist eine Frage der Kapazitäten. Man kann nicht von Einzelnen sprechen, es waren sehr, sehr viele.“

 

Zum Hamburger Untersuchungsausschuss zur Rolle der Hamburger Privatbank Warburg:

 

Der Untersuchungsausschuss sei vor über einem Jahr eingesetzt worden, habe aber bisher einen „Dornröschenschlaf“ geführt. Auch medial hätte der Ausschuss bisher wenig Aufmerksamkeit erregt. „Ein Skandal im Skandal ist: Als die Entscheidung gefällt wurde, dass man die Gelder nicht zurückhaben will*, hat diese Bank insgesamt 45.500 Euro an die SPD gespendet – und zwar an den Wahlkreis von Johannes Kahrs. Als das publik wurde jetzt im Ausschuss, ist herausgekommen, dass in dem Gremium, das über die Annahme des Geldes entschieden hat, just der Ausschuss-Vorsitzende saß wie auch der Obmann der SPD im Untersuchungsausschuss. Also die haben damals zugestimmt, diese Gelder entgegenzunehmen, und zwar im Jahr 2017, da wurde schon seit anderthalb Jahren gegen die Bank ermittelt. Wie man quasi Gelder entgegennehmen kann, Spenden von einer Bank, die wegen schwerster Steuerhinterziehung im Fokus der Staatsanwaltschaft steht, ist mir ein Rätsel. Und noch seltsamer ist, dass genau zwei Personen, die in dieser Entscheidung eingebunden waren, jetzt im Ausschuss sitzen und (…) sich quasi selber aufklären sollen.“

Zur Frage, ob noch weitere Enthüllungen im Cum-Ex-Zusammenhang zu erwarten sind:

Die Aufarbeitung von Cum-Ex habe erst so richtig Fahrt aufgenommen. „Es gab jetzt zwei Urteile letztes Jahr, und es wird schon in zwei Wochen ein weiteres Urteil in Köln geben. Und dann wird es Anklagen hageln. (…) Die Strafermittlungsbehörden machen ihren Job – und das finde ich auch ziemlich beeindruckend. Weil, die haben teilweise über zehn Jahre an diesen Fällen gearbeitet und jetzt zur Anklage gebracht. (…) Da geht es jetzt Schlag auf Schlag.“ Es sei jetzt auch wirklich Eile geboten, weil teilweise Verjährung drohe.

Zum Auftreten von Olaf Scholz (SPD) vor dem Hamburger Untersuchungsausschuss:

Der Auftritt von Scholz am 30. April 2021 sei peinlich gewesen. Schröm selbst habe eine Strichliste geführt. „Er hat über 40-mal geantwortet: ‚Ich kann mich nicht erinnern.‘ (…) Sein Auftritt war eine einzige Amnesie.“ Schröm bedauere es sehr, dass solche Anhörungen in Deutschland nicht wie in den USA live übertragen würden.

* Die Hamburger Finanzverwaltung verzichtete nach einem Gespräch zwischen dem damaligen Ersten Bürgermeister Scholz und dem Chef der Warburg-Bank auf eine Rückzahlung von Geldern, die die Bank sich zuvor durch illegale Cum-Ex-Geschäfte hatte erstatten lassen.

Quelle:

„Der Cum-Ex-Clan. Der Steuerraub der Reichen und die Politik“, Daphne Weber im Gespräch mit Oliver Schröm, Rosa-Luxemburg-Stiftung: Ausnahme&Zustand#39‚ 1. Februar 2022

Das Gespräch ist in der Mediathek der Rosa-Luxemburg-Stiftung zu finden:

https://www.rosalux.de/ausnahmeundzustand

Ka’apor-Indigene in Brasilien in Gefahr

Die Organisation POEMA e.V. berichtete kürzlich über die prekäre Lage der Ka’apor-Indigenen im brasilianischen Bundesstaat Maranhão. Diese würden derzeit massiv von Land- und Holzräubern bedroht. POEMA kooperiert seit 30 Jahren partnerschaftlich mit den Indigenen und unterstützt sie.

 Im Folgenden Auszüge eines Berichts der betroffenen Indigenen:

 „Am Samstagmorgen, dem 22. Januar 2022, umstellten illegale Holzfäller in der Gemeinde Santa Luzia do Parua im Bundesstaat Maranhão das Auto, in dem sich zwei Personen befanden. Unter ihnen war ein Anführer der Ka’apor (…). Die Holzfäller wollten sie angreifen, aber sie suchten Schutz in einem Restaurant und gingen dann zur Polizeiwache. Die Spannungen sind hoch und es kann in den nächsten Tagen zu gewalttätigen Konflikten kommen. (…)

Das indigene Reservat Alto Turiaçu ist nur ein Teil eines ausgedehnten Gebiets, das dem Volk der Ka’apor gehört. Es liegt an der Grenze zum Bundesstaat Pará im östlichen brasilianischen Amazonas. Es ist eines der letzten Gebiete des Amazonas-Regenwaldes im Bundesstaat Maranhão. Obwohl das Reservat offiziell anerkannt ist, leidet das Gebiet weiterhin unter illegalen Invasionen durch Holzfäller, Jäger, Landraub sowie unter dem Druck von Bergbauunternehmen.

Holzfäller schlagen illegal Holz im Reservat und zählen dabei auf die Untätigkeit der Landesregierung sowie der örtlichen und föderalen Polizei. Geduldet werden die illegalen Aktionen auch von Bundesbehörden wie der Umweltschutzbehörde Ibama und der Bundesbehörde Funai, die eigentlich für den Schutz indigener Völker zuständig sind.

Als ob das nicht genug wäre, erhalten die Aggressoren weiterhin die Unterstützung der Bolsonaro-Regierung, die versucht, die Zerstörung von Wäldern und den Bergbau auf indigenem Territorium zu legalisieren. Einige Bürgermeister in der Region, die derselben Partei angehören wie der Präsident der Republik, der Liberalen Partei (PL), haben bereits den Bergbau in einer Gemeinde genehmigt und unterstützen den illegalen Holzeinschlag.

Das aus indigenen Gebieten gewonnene Holz und Gold wird auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene vermarktet. Die Presse berichtete, dass der ehemalige Umweltminister Ricardo Salles den Export von kriminell aus dem Amazonas gewonnenem Holz ermöglichte und dass sogar der Vizepräsident der Republik, Hamilton Mourão, an Verhandlungen über den illegalen Holzeinschlag beteiligt war. (…)

Die Anspannung wächst mit der Untätigkeit der Regierung. Die zahlreichen Angriffe auf das Ka’apor-Territorium sowie auf andere indigene Gebiete und Quilombolas (Nachkommen entflohener Sklavengemeinschaften) sind dem Gouverneur von Maranhão, Flávio Dino bekannt. Er, sowie die zuständigen Stellen, tun so gut wie nichts gegen die Angriffe auf das Reservat.

Als eine Reaktion darauf erhöhten die Ka’apor die Zahl der Ureinwohner in der neu geschaffenen Schutzzone, während sie gleichzeitig erklärten, dass sie ihr Territorium weiterhin mit der Stärke verteidigen werden, die sie im Laufe ihrer Geschichte bei mehreren Gelegenheiten gezeigt haben.“

Wer auf den zuständigen Gouverneur des betreffenden Bundesstaates Einfluss nehmen möchte, kann eine vorformulierte Email verschicken und zeigen, dass die dortigen Vorgänge auch in Deutschland wahrgenommen werden.

Quelle:

„Aktueller Bericht zur Situation der Ka’apor-Indigenen im brasilianischen Bundesstaat Maranhao“

(mit Entwurf eines in portugiesische Sprache verfassten Anschreibens mit deutscher Übersetzung an den Gouverneur des Bundesstaates Maranhão), Januar 2022

http://www.poema-deutschland.de/files/kaapor_1_2022.pdf

DeutschlandfunkKultur berichtete im Januar über eine indigene Gemeinde in Brasiliens nördlichstem Bundestaat Roraima, die sich ebenfalls gegen die Politik von Präsident Bolsonaro wehrt:

Lisa Kuner: „Landraub in Brasilien. Bolsonaros Politik gegen Indigene“, Deutschlandfunk Kultur, 19. Januar 2022

https://www.deutschlandfunkkultur.de/landraub-in-brasilien-100.html

 

Justiz und Lobbyismus

Eine im Januar 2022 veröffentlichte Studie der Finanzwende Recherche (Tochtergesellschaft der Bürgerbewegung Finanzwende) analysiert die Einflussmöglichkeiten von finanzstarken Akteuren auf Justiz und Rechtswissenschaft – auch anhand „hochproblematischer Einzelfälle von Interessenkonflikten und Beeinflussung“.

Lobbyisten aus der Wirtschaft bieten Richter*innen lukrative Nebenjobs an oder attraktive Anschlussbeschäftigungen. Banken- oder Versicherungsunternehmen finanzieren Lehrstühle an Universitäten oder geben teure Gutachten in Auftrag, die Gerichtsentscheidungen beeinflussen können. Auch werden die „Drehtüreffekte“ (Justizbeschäftigte wechseln in die Privatwirtschaft) und die politische Einflussnahme auf die Justiz thematisiert.

Ein Auszug aus der Studie zur Unabhängigkeit der Justiz:

„Es wäre naiv anzunehmen, dass das Gefälle zwischen verschiedenen Interessengruppen vor dem Justizsystem und der Entwicklung der rechtswissenschaftlichen Meinungen, die richterlichen Entscheidungen zugrunde liegen, Halt macht. Schließlich geht es bei gerichtlichen Grundsatzentscheidungen im Banken-, Versicherungs- oder Steuerrecht immer wieder um Milliardensummen. (…) Das deutsche Justizsystem insgesamt kann als fair und funktionstüchtig angesehen werden. Und doch gilt es, alles zu tun, um eine wirklich faire und unabhängige Justiz sicherzustellen und mögliche Einfallstore zu schließen. (…) Höchst bedenkliche Einzelbeispiele zeigen, dass Justiz und Wissenschaft, strukturell bedingt, Gelegenheiten für eine Einflussnahme durch Lobbyisten bieten und daraus Gefahr für den Rechtsstaat resultiert. Es ist deshalb wichtig, sich mit der Thematik des Finanzlobbyismus und der Interessenkonflikte im Bereich der Justiz zu beschäftigen.“ (Seite 3)

Ein Auszug aus der Studie zum Einfluss der Wirtschaft auf Richter*innen:

„Jenseits der finanziellen Komponente verschärft sich der Eindruck eines ungesunden Näheverhältnisses, wenn Richter*innen zusammen mit namhaften Vertretern aus der Wirtschaftslobby nach außen hin auftreten. Auffällig ist, dass in den Rechtsbereichen, in denen eine starke Lobbyvertretung existiert, also insbesondere im Finanz- und Kapitalmarktrecht sowie Versicherungsrecht auch häufig gemeinsame Publikationen von Richter*innen und Rechtsanwälten als Fachexperten aus der Wirtschaft erfolgen.“ (Seite 13)

Ein Auszug aus der Studie zur Rolle der Rechtswissenschaft beim Cum-Ex-Skandal:

„Die Beraterschaft vertrat insbesondere ab dem Jahr 2007 die Ansicht, CumEx-Geschäfte seien per se legal. Flankierend hatte Steueranwalt Dr. Berger seine Beratung zu CumEx-Geschäften durch Gutachten und Aufsätze von Steuerrechtsprofessoren untermauern lassen. Hierzu titelte das Handelsblatt am 2. August 2017: ‚In der größten Finanzaffäre der Republik spielen Wissenschaftler mit bezahlten Gutachten eine unrühmliche Rolle‘.“ (Seite 27)

Ein Auszug aus der Studie zum Problem der Nebentätigkeit von Juristen:

„Problematisch werden solche Nebentätigkeiten allerdings immer dann, wenn eine klare Trennung zwischen wissenschaftlicher (und in der Regel staatlich finanzierter) Arbeit einerseits und Tätigkeiten für Privatinteressen aus der Wirtschaft andererseits nicht mehr möglich ist. Dies ist immer dann der Fall, wenn öffentliche Äußerungen von Wissenschaftlern in Form von Fachaufsätzen oder Urteilskommentierungen auf privatwirtschaftliche Beauftragungen zurückgehen und dies nicht entsprechend gekennzeichnet wird.“ (Seite 29)

Ein Auszug aus der Studie zur politischen Einflussnahme auf die Justiz (am Beispiel der Beeinflussung von Richterkarrieren):

„Bis heute hält etwa die Kritik an der Berufung von Stephan Harbath zum Bundesverfassungsgericht an. Rechtsanwalt Dr. Stephan Harbarth war für die CDU im Bundestag und bis zu seinem Wechsel in das Bundesverfassungsgericht Vize-Fraktionsvorsitzender. Er war zugleich Partner der Mannheimer Kanzlei SZA Schilling Schutt Anschütz, die etwa Volkswagen in der Dieselaffäre vertrat. Die Höhe seiner neben seinem Bundestagsmandat erzielten Nebeneinkünfte und der damit im Zusammenhang stehende Zeiteinsatz sind hoch umstritten und bis heute nicht aufgeklärt.“ (Seite 40f.)

 

Quelle:

Finanzwende Recherche (Hg.): Lobbyismus in Justiz- und Rechtswissenschaft, Januar 2022 (58 Seiten)

https://www.finanzwende-recherche.de/wp-content/uploads/Report_Lobbyismus-in-Justiz-und-Rechtswissenschaft.pdf

siehe auch:

https://www.finanzwende-recherche.de/unsere-themen/finanzlobbyismus/lobbyismus-in-justiz-und-rechtswissenschaft/

https://www.finanzwende.de/themen/finanzlobbyismus/lobbyismus-im-rechtsbereich/forderungspapier-zum-lobbyismus-im-rechtsbereich/

System Saisonarbeit

Am 20. Januar 2022 stellte das Agrarbündnis e.V. sein Jahrbuch „Der Kritische Agrarbericht 2022“ vor. Darin enthalten ist auch ein Text über prekäre Beschäftigungsverhältnisse in der deutschen Landwirtschaft. Es folgt eine Zusammenfassung der wichtigsten Feststellungen und Forderungen.

Saisonarbeiter*innen aus Südost- und Osteuropa sind seit Jahrzehnten ein fester Bestandteil der Landwirtschaft in Deutschland. Seit Jahren lassen sich massive Probleme wie Lohnbetrug, überlange Arbeitszeiten und schlechte Unterkünfte in der Branche feststellen. Von rund 937.900 Beschäftigten in der Landwirtschaft waren im Jahr 2019 etwa 274.700 Saisonarbeiter*innen (rund ein Drittel).

Da der Anbau von Obst- und Gemüsekulturen arbeitsintensiv und der Anteil der Lohnkosten an den Produktionskosten sehr hoch ist, stehen die betroffenen Agrarbetriebe unter einem besonderen Preisdruck. Um kostengünstig produzieren zu können, findet eine starke Spezialisierung der Betriebe statt. Im Rahmen vergleichsweise kurzer Zeiträume werden viele Arbeitskräfte benötigt, beispielsweise für die Zeit der Spargelernte. Die Arbeitsspitzen werden bis zu 95 Prozent von Wander- oder Saisonarbeiter*innen übernommen. Diese kommen überwiegend aus Rumänien, Polen, Bulgarien, Kroatien und der Ukraine.

Folgende Probleme stehen seit Jahren im Fokus der Kritik (vgl. Jahrbuch, Seite 87):

  • Lohnbetrug und überhöhte Lohnabzüge
  • fehlende Sozial- und Krankenversicherung aufgrund von kurzfristiger Beschäftigung
  • intransparente Arbeitszeitaufzeichnungen und fehlende Arbeitsverträge
  • mangelhafte Unterkünfte
  • Verstöße gegen den Arbeits- und Gesundheitsschutz (inkl. Infektionsschutzmaßnahmen)
  • hohe Kosten durch private Vermittlungsagenturen

Zur ausbleibenden sozialen Absicherung schreibt der Bericht, dass Saisonarbeiter*innen während der kurzfristigen Beschäftigung gar nicht rentenversichert sind und dass ihnen dadurch Lücken im Rentenversicherungsverlauf entstehen. Das größte Problem stellt jedoch die häufig fehlende Krankenversicherung dar. Die Kosten für eine Behandlung müssen bei einer Erkrankung im Zweifelsfall aus eigener Tasche bezahlt werden. Im Kontext der Corona-Pandemie ist dies besonders verantwortungslos.

Wollen die mobilen Beschäftigten einen Betrieb wegen der schlechten Bedingungen verlassen, werden sie schnell obdachlos. Werden sie gekündigt oder kündigen selbst, müssen sie umgehend ihre Unterkunft räumen und stehen auf der Straße – ohne Ortskenntnis, ohne Lohn, teilweise ohne Pass. Fällt der gezahlte Lohn zu niedrig aus, stehen die Betroffenen vor dem Problem, die Differenz einzufordern. Um sie im Zweifelsfall gerichtlich geltend machen zu können, sind sie auf eine eigene Arbeitszeitdokumentation angewiesen und müssen sich länger in Deutschland aufhalten.

Offensichtlich finden viel zu wenige staatliche Betriebskontrollen statt, um arbeitsrechtliche Verstöße aufzudecken zu können. In den letzten Jahren führte beispielsweise der Zoll in Bayern im Spargelerntemonat April nur jeweils zwei bis vier Kontrollen durch. In Niedersachsen belief sich die Zahl der Kontrollen durch den Zoll im Jahr 2020 auf lediglich 105.

Der Bericht schließt mit folgenden Forderungen (vgl. längere Fassung auf Seite 89 des Jahrbuchs):

  • Saisonarbeiter*innen mit einer kurzfristigen Beschäftigung in der Landwirtschaft müssen in Deutschland vollumfänglich sozialversichert sein.
  • Eine deutliche Ausweitung konzertierter staatlicher Kontrollen ist notwendig.
  • Die verpflichtende Einführung eines manipulationssicheren, digitalen Zeiterfassungssystems ist notwendig.
  • Die Kosten für angemessene Unterkünfte müssen von Arbeitgeberseite übernommen werden.
  • Eine striktere Regulierung der Arbeitsvermittlung von Saisonarbeiter*innen als bislang ist erforderlich. Es müssen Mindeststandards für Vermittlungsakteure gelten und es dürfen für die Saisonarbeiter*innen keine Gebühren für eine Vermittlung anfallen.

Quellen:

Katharina Varelmann / Benjamin Luig „Das System Saisonarbeit. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse durch fehlende soziale Absicherung“, in: Der Kritische Agrarbericht 2022 (herausgegeben vom AgrarBündnis e.V.), Seite 86-90

https://www.kritischer-agrarbericht.de/fileadmin/Daten-KAB/KAB-2022/KAB_2022_86_90_VArelmann_Luig.pdf

vgl. auch:

https://igbau.de/Binaries/Binary16991/2021-InitiativeFaireLandarbeit-Saisonarbeitsbericht.pdf

Atomkraft und Uranabbau vor einem Comeback

Laut Wikipedia definiert die Taxonomie-Verordnung der EU vom Juni 2020 die Vorgaben für sogenannte nachhaltige Investitionen. Anhand von Kriterien lässt sich danach bestimmen, „ob eine Wirtschaftstätigkeit als ökologisch nachhaltig einzustufen ist, um damit den Grad der ökologischen Nachhaltigkeit einer Investition ermitteln zu können“. Durch die in der Verordnung rechtlich geregelte Förderung privater Investitionen in grüne und nachhaltige Projekte soll ein Beitrag zum „European Green Deal“ geleistet werden.

Ende 2021 legte die EU-Kommission einen Entwurf vor, der Atomkraft und Gas in die Taxonomie aufnehmen soll. Der Entwurf sieht vor, dass die neuen Regeln ab dem 1. Januar 2023 gelten. Die NGO „.ausgestrahlt e.V.“ kommentierte diesen Vorgang:

„Der veröffentlichte Vorschlag ist ein unglaubliches Greenwashing längst überholter und gefährlicher Technologien. Er untergräbt das ursprüngliche Ziel der Taxonomie, Investitionen für einen ökologischen Umbau der Gesellschaft – den Green Deal – bereitzustellen. Stattdessen erhält der Vorschlag die an der Realität längst gescheiterte Atomtechnologie weiter am Leben und verleitet dazu, zu lange auf fossiles Gas zu setzen. Jeder Euro, der aufgrund dieser Einstufung in Atom und Gas fließt, fehlt für echte Nachhaltigkeit und wirksamen Klimaschutz.“

Grundlage des EU-Vorschlags ist offensichtlich ein Deal zwischen den französischen Atominteressen und dem Wunsch Deutschlands, fossiles Gas einzubeziehen. Mit einem klaren Standpunkt hätten die deutschen Politiker*innen während der Taxonomie-Verhandlungen wohl erreichen können, so „.ausgestrahlt“, auf europäischer Ebene Mehrheiten gegen die Aufnahme von Atomenergie als auch fossilem Gas zu gewinnen. Stattdessen hätten die alte und die neue Bundesregierung dazu beigetragen, dass sich die auf Atomenergie setzenden Staaten mit den Ländern verbünden konnten, die weiter auf klimaschädliches Gas setzen wollen.

Besonders schlimm sei diese Einstufung, weil die Taxonomie Auswirkungen weit über den Finanzsektor im engeren Sinne hinaus haben könne, beispielweise staatliche Subventionen begünstigen. Eine direkte Förderung der Atomkraft, wie sie Frankreichs Präsident Macron zusammen mit mehreren osteuropäischen Regierungschefs gefordert habe, rücke damit einen Schritt näher.

Völlig ausgeblendet im Taxonomie-Kompromiss, so „.ausgestrahlt“ weiter, würden die dem Anspruch der Nachhaltigkeit zuwiderlaufenden ökologischen Folgen des Uranbergbaus. Da dieser außerhalb der EU stattfände, wäre er auch nicht von deren Vorschriften erfasst: „Uranbergbau findet statt und liefert den für die Kernspaltung nötigen Rohstoff. Wie ein Atomkraftwerk nachhaltig sein soll, wenn dessen Rohstoff es nicht ist – eine Erklärung hierfür bleibt die Kommission schuldig“. (Julian Bothe, 5. Januar 2022)

Passend dazu berichtete das Portal „Aktiencheck“ am 28. Januar über das zu erwartende „große Comeback von Uran“ im Börsenjahr 2022. Da die EU die Atomkraft als nachhaltige Übergangstechnologie einstufe, würde ein neuer „Uran-Super-Zyklus“ angefeuert. Die „Börsenstars Bill Gates und Warren Buffet“ wollten deshalb hunderte Atomkraftwerke bauen lassen. Unter anderem planten sie, ein „grünes Atomkraftwerk“ zu errichten. Gebaut werde es von Terrapower, einem von Bill Gates gegründeten Start-up, und Pacificorp, einem Energieunternehmen von Warren Buffett.

„Aktiencheck“ im Wortlaut:

„Urananalysten erwarten vor dem Hintergrund für die kommenden Jahre wieder dreistellige Uranpreise. Perspektivisch erscheint Urananalysten auch das Erreichen des Allzeithochs von 140 USD pro Pfund aus dem Jahre 2007 möglich. Für zusätzlichen Aufschwung beim Uranpreis sorgen die aktuellen Unruhen in Kasachstan. Kasachstan steht für 40% der weltweiten Jahresproduktion. Der globale Uran-Markt steht nach Einschätzung von Branchenanalysten vor einem massiven Angebots-Defizit. Der Uran-Preis dürfte daher in den kommenden Jahren erneut deutlich steigen. (…) An Atomstrom führt als Säule einer wirtschaftlichen, umweltverträglichen, wettbewerbsfähigen Energieversorgung kein Weg vorbei. Im vergangenen Jahr waren 442 Reaktoren in 33 Ländern rund um den Globus in Betrieb, die zusammen eine Leistung von 391 Gigawatt erbrachten. Aktuell befinden sich 53 weitere Atomkraftwerke in Bau, vorwiegend im asiatischen Raum, die dieser Bilanz weitere 56 Gigawatt hinzufügen werden. In Planung sind insgesamt 108 neue Kraftwerke. Allein China plant den Neubau von 44 Atommeilern. Branchenexperten erwarten daher schon jetzt ein massives Uran-Defizit.“

Quellen:

Julian Bothe: „EU-Taxonomie analysiert: Yellow Deal statt Klimaschutz“, 5. Januar 2022

https://www.ausgestrahlt.de/blog/2022/01/05/eu-taxonomie-analysiert-yellow-deal-statt-klimaschutz/

„Uran-Super-Zyklus startet – B. Gates und W. Buffet steigen ein. Uran Hot Stock mit sens. Übernahme – Massives Kaufsignal“, Aktiencheck, Bericht vom 28. Januar 2022

https://www.aktiencheck.de/exklusiv/Artikel-Uran_Super_Zyklus_startet_B_Gates_und_W_Buffet_steigen_Uran_Hot_Stock_sens_Uebernahme_Massives_Kaufsignal-14101163

 

„Goldrausch für Superreiche“

Wie dramatisch sich die Spaltung in Arm und Reich – innerhalb von Gesellschaften und zwischen diesen – in der Corona-Pandemie verschärft hat, belegt eine am 17. Januar 2022 vorgestellte Studie der Entwicklungsorganisation Oxfam. Danach ist sowohl der Reichtum von Milliardär*innen als auch die Geschwindigkeit, mit der sie seit März 2020 ihr Vermögen vergrößert haben, in der Geschichte der Menschheit beispiellos. Das Vermögen der aktuell 2.755 Milliardär*innen stieg seitdem um fünf Billionen US-Dollar, von 8,6 auf 13,8 Billionen. Sie vermehrten damit ihr Vermögen während der Pandemie noch stärker als in den gesamten vierzehn Jahren zuvor – die aber selbst schon einem „Goldrausch für Superreiche“ (Oxfam, Seite 3) glichen.

Bereits 2019, so Oxfam, lebte fast die Hälfte der Menschheit – 3,2 Milliarden Menschen – unterhalb der von der Weltbank definierten erweiterten Armutsgrenze von 5,50 Dollar pro Tag. Heute sind es aufgrund der Pandemie weltweit 163 Millionen Menschen zusätzlich. Währenddessen konnten während der Pandemie die weltweit zehn reichsten Milliardäre ihr Vermögen verdoppeln – auf insgesamt 1,5 Billionen US-Dollar.

Mit Bezug auf eine Untersuchung des Paritätischen Gesamtverbandes stellt Oxfam auch für Deutschland eine im Vergleich zu anderen EU-und OECD-Ländern sehr starke Konzentration der Vermögen fest. Die zehn reichsten Personen haben demnach ihr Vermögen seit Beginn der Pandemie um rund 78 Prozent gesteigert – von etwa 144 Milliarden auf etwa 256 Milliarden US-Dollar. Dieser Gewinn entspricht fast dem Gesamtvermögen der ärmsten 40 Prozent, also von 33 Millionen Deutschen. Die Armutsquote in Deutschland erreichte währenddessen mit 16,1 Prozent einen Höchststand; 13,4 Millionen Menschen leben hierzulande in Armut.

Oxfam nennt als Ursache für die wachsende soziale Ungleichheit die „Profitlogik unserer Wirtschaft“. Die daraus folgende „strukturelle wirtschaftliche Gewalt“ hätte zum Teil tödliche Konsequenzen: Jeden Tag würden mindestens 15.000 Menschen sterben, weil ihnen eine adäquate medizinische Versorgung verwehrt bliebe. Im Zentrum wirtschaftlicher Entscheidungen dürfe nicht länger nur der Profit, sondern müsse vor allem das Gemeinwohl stehen. Die NGO spricht sich deshalb für ein „gerechtes und demokratisches Wirtschaftssystem“ aus. Weltweit sollten die Regierungen Konzerne und Superreiche stärker besteuern, Impfstoffe müssten als öffentliches Gut behandelt und Unternehmen demokratisiert und gemeinwohlorientiert ausgerichtet werden. Von der Bundesregierung fordert Oxfam konkret, die Vermögensteuer in Deutschland wieder einzuführen und eine einmalige Abgabe auf Vermögen über einer Million Euro „zu prüfen“.

Quellen:

„Gewaltige Ungleichheit: Warum unser Wirtschaftssystem von struktureller Gewalt geprägt ist und wie wir es gerechter gestalten können“, hrsg. von Oxfam Deutschland e.V., Januar 2022
https://www.oxfam.de/system/files/documents/oxfam_factsheet_gewaltige_ungleichheit.pdf 

„10 reichste Männer verdoppeln ihr Vermögen – über 160 Millionen Menschen zusätzlich in Armut“, Nachricht von Oxfam vom 17. Januar 2022
https://www.oxfam.de/ueber-uns/aktuelles/corona-pandemie-ungleichheit-10-reichste-maenner-verdoppeln-vermoegen 

Mindestlohnbetrug

Die Bundesregierung will zum 1. Oktober 2022 ein zentrales Wahlkampfversprechen der SPD umsetzen und den Mindestlohn auf 12 Euro anheben. Die gesetzliche Lohnuntergrenze beträgt derzeit noch 9,82 Euro brutto pro Stunde. Zunächst soll nach einem Beschluss der Mindestlohnkommission am 1. Juli 2022 die nächste Erhöhung auf 10,45 Euro erfolgen. Die vorgesehene Anhebung auf 12 Euro – drei Monate danach – entspricht einer Steigerung um 15 Prozent. Etwa 6,2 Millionen Beschäftigte mit einem geringeren Stundenlohn werden davon profitieren.

Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) droht damit, Verfassungsklage gegen die gesetzlich vorgesehene Anhebung einzulegen, sieht dadurch die Tarifautonomie verletzt. Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger sprach in diesem Zusammenhang von der Einführung von „Staatslöhnen“ (vgl. Handelsblatt vom 21. Januar 2022).

Robert Feiger, Chef der IG Bauen-Agrar-Umwelt, warnte Ende letzten Jahres vor einer „mangelnden Mindestlohn-Moral“ bei einigen Unternehmen und vor sogenannten Placebokontrollen zur Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen: „Ein 12-Euro-Mindestlohn ist nur so gut wie seine Einhaltung“. (Pressemitteilung vom 30. Dezember 2021) Nach Auffassung des Gewerkschafters müssen Unternehmen staatliche Kontrollen kaum fürchten. Die Kontrolldichte sei schon bisher viel zu niedrig; das Risiko für Firmen, bei illegalen Machenschaften vom Zoll erwischt zu werden, bleibe verschwindend gering.

Wegen unterschrittener, zu spät oder gar nicht gezahlter Mindestlöhne habe die zuständige Abteilung des Zolls, die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS), im Zeitraum der ersten elf Monate des vergangenen Jahres 3.083 Ermittlungsverfahren eingeleitet, davon 816 im Bauhaupt- und Baunebengewerbe. Hierbei wären Bußgelder in Höhe von 12.535.627 Euro verhängt worden, am Bau seien es 3.884.373 Euro gewesen. Hinzu komme ein hohes Level an krimineller Energie mit Blick auf Schwarzarbeit, illegale Beschäftigung und Steuerbetrug. Im Jahr 2020 habe die FKS in diesem Zusammenhang rund 100.000 Strafverfahren eingeleitet.

Wegen Verstößen gegen die Mindestlöhne seien theoretisch Bußgelder bis zu 500.000 Euro möglich. In der Praxis kämen Firmen aber oft deutlich günstiger davon. Zwar könnten auch höhere Bußgelder weiterhelfen; noch wichtiger aber seien regelmäßige, flächendeckende Kontrollen. Die FKS brauche deutlich mehr Personal, perspektivisch müsse es eine einheitliche staatliche Arbeitsinspektion geben. Feiger kritisiert das Zuständigkeitswirrwarr zwischen den Arbeitsschutzbehörden der Länder, die die Sicherheitsvorschriften und Standards bei Unterkünften ausländischer Beschäftigter im Blick hätten, und der Bundesbehörde Zoll, deren Aufgabe es sei, sich um Schwarzarbeit, Steuern und Löhne zu kümmern. Für die Einhaltung der Coronaregeln am Arbeitsplatz wären derzeit zusätzlich die lokalen Gesundheitsämter zuständig (junge Welt vom 17. Januar 2022).

Das Portal „mindestlohnbetrug.de“ nennt die gängigen Tricks, mit denen die gesetzliche Lohnuntergrenze umgangen wird:

– Unrealistische Leistungsvorgaben:
Unternehmer erwarten von ihren Beschäftigten Leistungen, die in der normalen Arbeitszeit nicht zu erfüllen sind. Beschäftigte sollen mit einem schlechten Gewissen „freiwillig“ länger arbeiten, um den vollen Lohn zu bekommen.

– Abzüge:
Abzüge vom Lohn erfolgen aufgrund von „schlechter Arbeit“, für die Bereitstellung von Werkzeugen, Arbeitskleidung oder Nahrungsmitteln (zum Beispiel Mittagessen).

– Arbeitszeiten:
Tatsächlich geleistete Zeiten werden oft nicht korrekt oder gar nicht erfasst, Wege zur Kundschaft, Wartezeiten oder Bereitschaftsdienste nicht angerechnet.

– Schwarzarbeit und Selbständigkeit:
Illegal arbeitende Beschäftigte, die unter einem besonderen Druck stehen, „akzeptieren“ häufig, dass ihr Lohn gedrückt wird. Selbstständig arbeitende Personen müssen sich selbst versichern, was den Mindestlohn oft unterläuft.

– Falsche Einstufung:
Fachkräfte werden als Hilfskräfte eingestellt.

– Wegfallende Ansprüche
Urlaubstage, Feiertage und Tage an denen wegen Krankheit nicht gearbeitet werden kann, werden nicht bezahlt.

Laut der „Initiative Mindestlohnbetrug“ geht das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in einer für den DGB erstellten Analyse von 2,4 Millionen Beschäftigen aus, die den gesetzlichen Mindestlohn nicht erhalten, obwohl er ihnen zusteht. Die ermittelten Betrugsfälle stellten nicht einmal die Spitze des Eisberges dar.

Quellen:

Frank Specht: „Mindestlohn soll ab Oktober auf zwölf Euro steigen“, Handelsblatt vom 21. Januar 2022
https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/entwurf-mindestlohn-soll-ab-oktober-auf-zwoelf-euro-steigen/27997728.html?ticket=ST-3382555-gnFBHDYNr4LdrdILe6Wk-ap4 

„IG BAU-Chef Robert Feiger warnt 2022 vor ‚Placebo-Kontrollen‘ beim 12-Euro-Mindestlohn“, Pressemitteilung der IG Bauen-Agrar-Umwelt vom 30. Dezember 2021
https://igbau.de/IG-BAU-Chef-Robert-Feiger-warnt-2022-vor-Placebo-Kontrollen-beim-12-Euro-Mindestlohn.html 

„‚Das Risiko für Firmen bleibt verschwindend gering‘: Ein Gespräch mit Robert Feiger“, junge Welt vom 17. Januar 2022
https://www.jungewelt.de/artikel/418617.betrug-bei-lohnuntergrenze-das-risiko-f%C3%BCr-firmen-bleibt-verschwindend-gering.html?sstr=feiger 

„Mindestlohnbetrug aufdecken!“, https://mindestlohnbetrug.de 

 

Neues zum Hamburger Cum-Ex-Untersuchungsausschuss

Seit etwa einem Jahr arbeitet der parlamentarische Untersuchungsausschuss der hamburgischen Bürgerschaft (PUA) zur „Klärung der Frage, warum der Hamburger Senat und die Hamburger Steuerverwaltung bereit waren, Steuern in Millionenhöhe mit Blick auf Cum-Ex-Geschäfte verjähren zu lassen und inwieweit es dabei zur Einflussnahme zugunsten der steuerpflichtigen Bank und zum Nachteil der Hamburgerinnen und Hamburger kam“. (1)

Konkret geht es dem PUA darum, die Hintergründe aufzudecken, warum die Hamburger Finanzverwaltung im November 2016 auf die Rückforderung von 47 Millionen Euro verzichtete, die die dort ansässige Warburg-Bank mit Cum-Ex-Geschäften kassiert hatte. Unter anderem ist die Frage von Bedeutung, ob der damalige Erste Bürgermeister und heutige Bundeskanzler, Olaf Scholz (SPD), auf die Entscheidung des Finanzamts Einfluss genommen hatte. 2016 vermittelte der ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des SPD-Bezirks Hamburg-Mitte, Johannes Kahrs, den Kontakt zwischen dem Mitinhaber der Warburg Bank, Christian Olearius, und Bürgermeister Scholz. Der einflussreiche Strippenzieher Kahrs hatte sich offenbar öfters mit Olearius getroffen – mit der Absicht sich für ihn und dessen Interessen einzusetzen.

Am 7. Januar 2022 wurde deshalb auch der ehemalige Chef der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin), Felix Hufeld, vom PUA zur möglichen Einflussnahme Kahrs auf die Behörde befragt. Hufeld bestätigte zwar, dass der Hamburger SPD-Politiker mehrfach bei ihm vorgesprochen hatte – als politische Einflussnahme sei das jedoch nicht zu werten: „Es gehöre zum normalen Geschäft, dass sich Leute mit gewissen Interessenlagen meldeten. ‚Als er sich über konkrete Maßnahmen erkundigen wollte, sagte ich mein Standardsprüchlein, dass wir einzelaufsichtliche Maßnahmen nicht kommentieren‘.“ (taz vom 7. Januar 2022)

Der Obmann der Partei Die Linke im PUA, Norbert Hackbusch, hatte jedoch bereits im Oktober 2021 in einem Interview mit der jungen Welt Kahrs’ Rolle anders dargestellt. „Als dieser einen Anruf von Olearius bekommen habe, sei Kahrs ‚sofort bei ihm vorbeigerauscht‘ und habe ‚nach seiner Pfeife getanzt‘ (…) Besonders brisant: 2017 nahm die SPD Hamburg von der Warburg-Bank und ihr verbundenen Unternehmen Spenden in Höhe von 45.500 Euro an. 38.000 Euro davon flossen an Kahrs’ SPD-Kreis Hamburg-Mitte. Gegen den Sozialdemokraten und weitere Personen laufen aktuell staatsanwaltschaftliche Ermittlungen wegen des Anfangsverdachts auf Begünstigung. Es liegt nahe, dass die Warburg-Bank mit ihrer Spende den Einsatz von Kahrs honorierte.“ (junge Welt vom 10. Januar 2022)

(1) https://www.hamburgische-buergerschaft.de/fachausschuesse/14545864/pua-cum-ex/

Quellen:

Gernot Knödler: „Finanzamt an der Nase herumgeführt“, taz vom 7. Januar 2022

https://taz.de/Hamburger-Cum-Ex-Untersuchungsausschuss/!5826936&s=cum+ex/

 Kristian Stemmler: „Alles für die Bank“, junge Welt vom 10. Januar 2022

https://www.jungewelt.de/artikel/418137.steuerbetrug-alles-f%C3%BCr-die-bank.html

 

Auf den Spuren des Faschismus im deutschen Arbeitsrecht

Hans-Carl Nipperdey war von 1925 bis 1954 Professor für Arbeitsrecht und Bürgerliches Recht in Köln, hatte in der NS-Zeit und auch noch nach 1945 als Präsident des Bundesarbeitsgerichts (von 1954 bis 1963) maßgeblichen Einfluss auf Theorie und Praxis des Arbeitsrechts. Er „hat das restriktive deutsche Arbeitsrecht bis heute geprägt: Politische Streiks sind verboten, Beschäftigte zur Treue verpflichtet und Whistleblower nahezu ungeschützt“. (1)

In der Weimarer Republik war Nipperdey zunächst nationalliberal orientiert, verfasste dann zusammen mit Alfred Hueck das „Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit“ (vom 20. Januar 1934) und war zugleich einer von dessen Hauptkommentatoren. In besagtem Gesetz wurde das „Führerprinzip“ eingeführt, wonach der Vorgesetzte als Betriebsführer die absolute Befehlsgewalt innehatte, die Untergebenen eine „Gefolgschaft“ (nicht etwa Belegschaft) bildeten und zu unbedingtem Gehorsam verpflichtet waren. Dieses Gesetz gilt als Basis für die Durchsetzung der „Produktionsschlacht“, welche dann letztlich Aufrüstung und Weltkrieg ermöglichte.

Zur historischen Kontinuität hier ein längeres Zitat aus einem Beitrag des Deutschlandfunks:

 „Die Treuepflicht stammt ursprünglich aus dem germanischen Recht, das im 19. Jahrhundert unter Rechtswissenschaftlern eine Renaissance erlebte und dann im Nationalsozialismus eine radikale Auslegung erfuhr. Diese ‚Treuepflicht‘ des Dritten Reiches wandelte die bisherigen sachlichen Rechtsansprüche zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in ‚personenrechtliche‘ Ansprüche um und beherrschte das gesamte Arbeitsverhältnis. (…) So folgte zum Beispiel aus der Treuepflicht, dass ein Beschäftigter auch andere als im Arbeitsvertrag vereinbarte Leistungen erbringen musste. Die Beschäftigten hatten bei Bedarf auch Mehrarbeit, selbst über die regelmäßige gesetzliche Höchstarbeitszeit hinaus, zu leisten. (…) Diese Treuepflicht ist auch Teil der Rechtsordnung der Bundesrepublik geworden. Und zwar im Bürgerlichen Gesetzbuch. Professor Dr. Michael Kittner, Rechtswissenschaftler an der Universität Kassel und ehemaliger Justiziar der Gewerkschaft IG Metall: ‚Das ist ein sehr überkommener Begriff, der insbesondere aus der NS Zeit herrührt. Eine der wirklichen Kernangelegenheiten, wo das NS Recht substanziell in die Bundesrepublik noch hineintransportiert worden ist. (…) Und das, was früher unter dem Begriff Treuepflichten und Fürsorgepflichten subsumiert war, steht heute unter Nebenpflichten. (…) Zu den Nebenpflichten zählen: Die Anzeige- und Nachweispflicht im Krankheitsfall, Sorgfalts- und Schadensabwendungspflichten, das Wettbewerbsverbot, Verschwiegenheitspflicht, und das Schmiergeldverbot. (…) Zentral ist hier die Pflicht zur Verschwiegenheit, die bis zur Deckung von Straftaten reicht und auch das Privatleben betreffen kann. (…) Entsprechend legte das sogenannte ‚Maulkorburteil‘ des Bundesarbeitsgerichtes vom 24. August 1972 fest, dass die Meinungsfreiheit des Arbeitnehmers nicht die Interessen des Arbeitgebers beeinträchtigen dürfe. Am 4. Juli 1991 und am 3. Juli 2003 verkündet das BAG Urteile, die Strafanzeigen gegen den Arbeitgeber nur eingeschränkt ermöglichen.“ (1)

Nipperdey konnte besonders durch seine Position als Präsident des Bundesarbeitsgerichts die Idee, das Arbeitsverhältnis von einem Austausch- zu einem „Gemeinschaftsverhältnis“ umzubauen, als „herrschende Meinung“ in die Literatur und Rechtsprechung der Nachkriegszeit übertragen.(2) Damit verbunden war das Ziel, die Interessen des Arbeitnehmers denen des Arbeitgebers klar unterzuordnen (Verbot politischer Betätigung, fehlende Meinungsfreiheit am Arbeitsplatz, also auch Verbot von Whistleblowing). Die Folgen zeigen sich bis heute: Deutschland hat die Whistleblower-Richtlinie der EU noch immer nicht umgesetzt.

Auch bei der Abfassung von Gesetzen gelang es Nipperdey und seinen Gesinnungsgenossen, ihre Vorstellungen einfließen zu lassen. So wurde in das Betriebsverfassungsgesetz von 1952 die Idee einer „Betriebsgemeinschaft von Arbeitgeber und Belegschaft“ übernommen, welche zuvor im „Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit“ von 1934 als „Gemeinschaft von Betriebsführer und Gefolgschaft“ festgeschrieben war (inkl. „Friedenspflicht“, Arbeitskampfverbot, Verbot der politischen Betätigung, Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit). (3)

Passend dazu ein weiteres Zitat aus einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 28. Januar 1955 (Präsident:  Hans Carl Nipperdey): „Streiks sind im Allgemeinen unerwünscht, weil sie volkswirtschaftliche Schäden hervorrufen.“ Rolf Geffken kommentiert: „Da wurde eine rechte Stammtischparole Teil einer Grundsatzentscheidung eines höchsten Gerichts. Mit Juristerei hatte das NICHTS zu tun, es war nur pure Ideologie“. (4)

Nipperdey wird heute offensichtlich immer noch gefeiert. Viele Arbeitsrechtler*innen würden, so Rolf Geffken, heute noch immer eine zutiefst arbeitnehmerfeindliche Haltung vertreten. Denn „die meisten Spuren der faschistischen Ideologie der Betriebsgemeinschaft und angeblicher ‚Partnerschaft‘ von Arbeitgebern und Arbeitnehmern sind der heutigen Juristengeneration (…) tatsächlich in Fleisch und Blut übergegangen und werden nicht mehr in Frage gestellt“. (3) 

(1) Peter Kessen: „Den Unternehmern treu ergeben. Das paternalistische Arbeitsrecht des Hans Carl Nipperdey“, Das Feature, 14. Dezember 2021, 19:15 Uhr, Deutschlandfunk

https://www.hoerspielundfeature.de/das-paternalistische-arbeitsrecht-des-hans-carl-nipperdey-100.html

 (2) Rolf Geffken: „Der Professor und die Viererbande“, der Freitag vom 22. April 2021

https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/der-professor-und-die-viererbande

(3) Ders.: „Die vergessene Geschichte: Faschismus im Arbeitsrecht“, 12. April 2021

https://www.drgeffken.de/48_Die_vergessene_Geschichte_Faschismus_im_Arbeitsrecht.php

(4) Ders.: „BAG: Der Obernazi wurde ‚vergessen‘“, 28. Januar 2021

https://www.drgeffken.de/48_BAG_Der_Obernazi_wurde_vergessen.php

 

 

 

Korruptionsverdacht gegen Deutsche Bahn AG

Nach einem Bericht der Financial Times (FT) haben zwei interne Hinweisgeber die Compliance-Abteilung der Bahn offenbar erfolglos vor einem möglichen Betrug beim Megaprojekt „Stuttgart 21“ gewarnt. Die beiden ehemals am Projekt beteiligten Mitarbeiter behaupten, so die britische Tageszeitung, dass ein erheblicher Teil der Kostenexplosion des Projekts auf massives Missmanagement und mögliche Korruption zurückzuführen sei. Leitende Angestellte des Staatsunternehmens hätten unnötige Arbeiten in Auftrag gegeben, wobei Mehrkosten in Höhe von 600 Millionen Euro entstanden seien. Die Whistleblower vermuteten laut FT, dass die hochrangigen Manager dafür auch Gegenleistungen erhielten.

„Als Beispiel hätten sie ein elektrisches Umspannwerk genannt, das nicht Teil der ursprünglichen Planungen gewesen sei“, schreibt das Manager Magazin. „Einer der Ingenieure sei von seinen Vorgesetzten dazu gedrängt worden, den Auftrag im Wert von rund 2,5 Millionen Euro zu vergeben, obwohl eine Alternativlösung für nur 30.000 Euro verfügbar war. In diesem Fall habe sich der Mitarbeiter erfolgreich gegen das Ansinnen gewehrt. In anderen Fällen hätten hochrangige Manager aber die Hinweise auf unnötige Kosten ignoriert – etwa als es um die Verlegung einer U-Bahn-Haltestelle ging, deren Kosten normalerweise mit der Kommune geteilt worden wären.“

Die Deutsche Bahn wies die Vorwürfe gegenüber der FT zurück und erklärte, dass eine mehr als einjährige Untersuchung der vermeintlichen Unregelmäßigkeiten kein Fehlverhalten zutage gebracht habe. Der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann (Bündnis 90/Die Grünen) hat die Deutsche Bahn dennoch aufgefordert, die Vorwürfe schnell aufzuklären. Das Land leiste schließlich den erheblichen finanziellen Beitrag von fast zwei Milliarden Euro für das Projekt und für die Neubaustrecke Stuttgart-Ulm.

Das Handelsblatt bemerkt grundsätzlich dazu:

„Stuttgart 21, die Verlegung des Bahnhofs und der umliegenden Gleise unter die Erde, ist eines der umstrittensten Bauvorhaben der Deutschen Bahn. Es gab und gibt nach wie vor heftige Bürgerproteste. Einst mit Baukosten von 2,5 Milliarden Euro beziffert, wird der Neubau wohl mindestens 8,2 Milliarden Euro kosten, vielleicht sogar zehn Milliarden Euro. Auch wird der neue Hauptbahnhof deutlich später eröffnet als geplant, statt im Jahr 2019 nun erst 2025. (…) Projekte dieser Größenordnung sind chronisch anfällig für Korruption und Betrug. So gab es in der mittlerweile langen Geschichte von Stuttgart 21 Strafanzeigen von zwei Rechtsanwälten gegen den damaligen Bahnchef Rüdiger Grube und seinen Vorstandskollegen Volker Kefer sowie den aktuellen Infrastrukturvorstand Roland Pofalla, allerdings bislang ohne weitere Folgen. Der Vorwurf: Die Top-Manager würden dem Bahnkonzern Schaden zufügen, weil sie das unwirtschaftliche Projekt fortführen.“

Anmerkung:

Die Deutsche Bahn ist seit ihrer Gründung im Jahr 1994 eine Aktiengesellschaft, die sich zu 100 Prozent im Eigentum des Bundes befindet.

 

Quellen:

„Bahn-Mitarbeiter warnten vor Korruption bei Stuttgart 21“, Manager Magazin (Online) vom 25. November 2021

https://www.manager-magazin.de/unternehmen/industrie/stuttgart-21-kostenexplosion-bahn-mitarbeiter-warnten-vor-korruption-laut-ft-bahn-widerspricht-a-b563dbd4-9069-485d-b629-18a68401f84e

Simon Zeise: „Korruptionsvorwürfe gegen Bahn AG“, junge Welt (Online) vom 25. November 2021

https://www.jungewelt.de/artikel/415366.milliardengrab-korruptionsvorw%C3%BCrfe-gegen-bahn-ag.html

Jens Koenen: „Bahn wehrt sich gegen Korruptionsvorwürfe bei Stuttgart 21“, Handelsblatt (Online) vom 25. November 2021

https://www.handelsblatt.com/unternehmen/handel-konsumgueter/grossprojekt-in-stuttgart-bahn-wehrt-sich-gegen-korruptionsvorwuerfe-bei-stuttgart-21/27833970.html

„Korruptionsvorwürfe bei Stuttgart 21: Hermann für Aufklärung“, Süddeutsche Zeitung (Online) vom 26. November 2021

https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/verkehr-stuttgart-korruptionsvorwuerfe-bei-stuttgart-21-hermann-fuer-aufklaerung-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-211126-99-153070

 

Ausbau des betrugsanfälligen Minijobsektors

Beschäftigte in etwa 8,6 Millionen Arbeitsverhältnissen verdienen aktuell weniger als 12 Euro brutto pro Stunde, stellte Ende Oktober 2021 die Hans Böckler Stiftung fest. Vor diesem Hintergrund kommentierte jüngst das Neue Deutschland Ankündigungen des Koalitionsvertrages: „Einerseits soll der Mindestlohn auf zwölf Euro steigen. Andererseits wollen SPD, Grüne und FDP die Minijobgrenze erhöhen. Faktisch sichern sie Unternehmen damit eine Option, den höheren Mindestlohn zu umgehen.“ Ob die Erhöhung des Mindestlohns überhaupt schnell erfolge, sei ungewiss. Denn, so die Autorin der linken Tageszeitung, im Sondierungspapier des Dreierbündnisses vom Oktober hätte es noch geheißen, dass der Mindestlohn „im ersten Jahr“ erhöht werde. Im Koalitionsvertrag fehle diese zeitliche Festlegung jedoch.

Ein Schlupfloch sei aber bereits beschlossen. Die Minijobgrenze wird laut Koalitionsvertrag mit Anhebung des Mindestlohns von 450 auf 520 Euro steigen. Minijobs bei einer Wochenarbeitszeit von zehn Stunden sollen damit möglich bleiben. Die FDP habe sich durchgesetzt und das Dreierbündnis die Empfehlung von zahlreichen Forschenden in den Wind geschlagen, die sich für eine Begrenzung dieser Beschäftigungsform aussprechen. Das IAQ (Institut Arbeit und Qualifikation) etwa plädiert dafür, dass Minijobs auf bestimmte Gruppen wie Studierende, Schülerinnen und Rentner beschränkt werden. Der Arbeitsmarktforscher Gerhard Bosch (IAQ), so das Neue Deutschland, halte das Vorhaben der Ampelparteien für einen großen Fehler. Denn die meisten Verstöße gegen den Mindestlohn gebe es bei Minijobs. Das sei bekannt. „So würden geringfügig Beschäftigte in der Regel nur bei Anwesenheit bezahlt. ‚Sie erhalten meist keinen bezahlten Urlaub und keine Lohnfortzahlung bei Krankheit, obwohl sie Anspruch darauf haben. Dies gilt vor allem bei kleinen und mittleren Unternehmen, wo die meisten tätig sind.‘ Finanziell sei dies eine erhebliche Einbuße, dadurch würden um die 35 Tage pro Jahr nicht bezahlt, die eigentlich vergütet werden müssten. Faktisch seien Minijobs damit für Unternehmen eine ‚Exitoption aus dem Mindestlohn‘. Und diese Möglichkeit soll nun ausgebaut werden.“

Nach einer aktuellen Studie des Forschungsinstituts der Bundesagentur für Arbeit (IAB) übten im Jahr 2019 insgesamt mehr als sieben Millionen Erwerbstätige Minijobs entweder als Haupt- oder Nebenbeschäftigung aus. In der Corona-Krise sank die Zahl auf rund sechs Millionen – immerhin noch etwa 13,5% aller Erwerbstätigen in Deutschland. Laut IAB-Studie verdrängen sie allein in kleinen Betrieben bis zu 500.000 sozialversicherungspflichtige Stellen.

Quellen:

Matthias Collischon/Kamila Cygan-Rehm/Regina T. Riphahn: „Minijobs in Kleinbetrieben: Sozialversicherungspflichtige Beschäftigung wird verdrängt“, IAB-Forum, 20. Oktober 2021
https://www.iab-forum.de/minijobs-in-kleinbetrieben-sozialversicherungspflichtige-beschaeftigung-wird-verdraengt/?pdf=23532

„Neue Studie des WSI: Rund 8,6 Millionen Beschäftigte verdienen aktuell weniger als 12 Euro in der Stunde – vor allem in Jobs ohne Tarifvertrag“, Pressemitteilung der Hans Böckler Stiftung vom 28. Oktober 2021

Eva Roth: „Rauf mit dem Mindestlohn, raus aus dem Mindestlohn“, Neues Deutschland (Online) vom 27. November 2021
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1159019.minijobs-rauf-mit-dem-mindestlohn-raus-aus-dem-mindestlohn.html

 

 

 

 

 

Wirecard-Prüfer unter Kritik

Der Zusammenbruch des Milliardenkonzerns Wirecard AG gilt als einer der größten Finanzskandale der Neuzeit. Das Unternehmen meldete im Juni 2020 Insolvenz an, weil angeblich in Ostasien geparkte Vermögenswerte in Höhe von 1,9 Milliarden Euro unauffindbar waren. Bis heute ist ungeklärt, ob die Gelder in dubiosen Kanälen versickerten oder ob sie niemals existiert hatten, nur zur Täuschung der Finanzmärkte erfunden waren. Dem ehemaligen Wirecard-Chef Markus Braun wird mittlerweile bandenmäßiger Betrug vorgeworfen.

In diesem Zusammenhang geriet auch das global agierende Wirtschaftsprüfungsunternehmen Ernst & Young (EY) ins Feuer der Kritik. Deren Prüfer hatten über Jahre hinweg die Abschlüsse von Wirecard testiert – auch noch, als sich Berichte über die dubiosen Geschäfte des Finanzriesen häuften. Inzwischen wurden umfängliche Schadensersatzklagen geschädigter Anlieger gegen EY eingereicht.

Ein Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages beauftragte Martin Wambach, den Vorsitzenden des Institutes der Wirtschaftsprüfer (IDW), mit einer Untersuchung des Vorgangs. Dessen Bericht listet zahlreiche Fehler und Versäumnisse der EY-Prüfer auf, wurde bis auf weiteres als geheim eingestuft und sollte unter Verschluss bleiben. Tatsächlich wurde der 168 Seiten umfassende sogenannte Wambach-Report kürzlich auf der Homepage des Handelsblattes veröffentlicht.

Es ist derzeit juristisch strittig, ob eine ungeschwärzte Veröffentlichung des Reports zulässig sei. Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte dies im August 2021 verneint. Gegen diese Entscheidung läuft allerdings eine Beschwerde, über die noch nicht entschieden ist.

Das Prüfunternehmen EY reagierte auf die Veröffentlichung mit einer Strafanzeige gegen unbekannt. Gemeint seien Personen, die den als geheim eingestuften Bericht an das Handelsblatt weitergegeben hätten. Wie die FAZ berichtete, sieht das Unternehmen die „persönlichen Schutzrechte seiner Mitarbeiter und Mandanten“ verletzt. Außerdem handele es sich bei der Weitergabe um eine „Umgehung des rechtsstaatlichen Verfahrens“.

Nach einem weiteren Bericht des Handelsblattes ermittelt die Abschlussprüferaufsichtsstelle (Apas) derzeit gegen sieben ehemalige oder aktuelle EY-Mitarbeiter wegen „mutmaßlicher berufsrechtlicher Pflichtverletzungen“. Bei einem dieser Mitarbeiter handele es sich um den ehemaligen Deutschlandchef Hubert Barth. Dieser habe bereits am 6. Februar 2019 von unbekannten Whistleblowern einen Brief mit Informationen über dubiose Geschäfte in der Wirecard-Zweigstelle in Singapur erhalten.

Quellen:

Bernd Müller: „Milliarden versickert?“, junge Welt vom 24. November 2021
https://www.jungewelt.de/artikel/415176.finanzskandal-milliarden-versickert.html?sstr=Wirecard

Mark Fehr und Marcus Jung: „Wirecard-Skandal: EY erstattet Anzeige wegen Wambach-Bericht“, FAZ vom 22. November 2021
https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/wirecard-skandal-ey-erstattet-anzeige-wegen-wambach-bericht-17647144.html

Bender, Fröndhoff, Holtermann, Iwersen, Votsmeier: „EY und der Wirecard-Skandal – Immer Prüfer geraten ins Visier der Aufsicht“, Handelsblatt vom 26. November 2021
https://www.handelsblatt.com/finanzen/auch-ex-deutschlandchef-betroffen-ey-und-der-wirecard-skandal-immer-mehr-pruefer-geraten-ins-visier-der-aufsicht/27828336.html

 

Weltweite Versklavung

„Wenn wir an Sklaverei denken, sehen wir in Ketten gelegte Menschen, die aus Afrika gewaltsam in alle Welt verschifft werden. Nur selten verbinden wir die Sklaverei mit den Arbeits- und Lebensbedingungen der Gegenwart. Tatsächlich ist die Sklaverei als rechtlich abgesichertes Arbeitssystem heute fast weltweit abgeschafft. (…) Doch die Annahme, es gäbe heutzutage keine Sklaverei mehr, geht an der Realität vorbei. Tatsächlich sind heute – in absoluten Zahlen – mehr Menschen versklavt als jemals zuvor in der Geschichte.“ 

So beginnt der von der Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) im November 2021 vorgelegte „Atlas der Versklavung“, der anhand von zahlreichen Daten und Fakten die vielen heutigen Gesichter der Zwangsarbeit und Ausbeutung aufzeigt. „Kriminelle, die mit Menschen handeln, beuten ihre Opfer auf vielfältige Weise aus und beeinflussen auch die globalisierte legale Wirtschaft. Sklaverei existiert in vielen Wirtschaftszweigen, sie wird genutzt bei der Produktion unserer Smartphones, des Palmöls in unseren Kosmetika und Shampoos, der Meeresfrüchte, die wir im Supermarkt kaufen; sie ist in unsere Kleidung eingewebt und in der globalen Sexindustrie sowie unter Haushaltshilfen verbreitet“, heißt es im Vorwort der Broschüre.

Der Atlas geht auf 50 Seiten unter anderem auf die Definitionsprobleme des Themas ein, beschreibt Zwangsarbeit in den globalen Lieferketten und untersucht weltweit einzelne Branchen (Fischerei, Baugewerbe, Landwirtschaft). Einzelne Länder und Regionen werden beispielhaft in den Fokus gerückt (zum Beispiel Mauretanien, Mali, Haiti, Brasilien, Nordkorea, aber auch Europa). Auch wird der vielfältige zivilgesellschaftliche Widerstand gegen die verschiedenen Formen der Sklaverei thematisiert.

Sklaverei könne nur dadurch beendet werden, dass die Wirtschaft reguliert, der Zugang zu sozialen Rechten verbessert und legale Formen der Migration ermöglicht würden, hieß es im Rahmen der Präsentation der Studie in Berlin. Nur etwa 0,2 Prozent der weltweiten Fälle von Sklaverei würden juristisch untersucht und strafrechtlich verfolgt. Nötig seien deshalb auch in Deutschland der Ausbau und die langfristige Finanzierung von Beratungsstellen für Betroffene von Arbeitsausbeutung sowie regelmäßige Kontrollen des Zolls.

Quellen:

„Atlas der Versklavung. Daten und Fakten über Zwangsarbeit und Ausbeutung“, Rosa-Luxemburg-Stiuftung (Hg.), November 2021

https://www.rosalux.de/publikation/id/45336/atlas-der-versklavung?cHash=2b22333b1bfd69112e0f017fe48d06bc

Haidy Damm: An unsichtbaren Ketten, Neues Deutschland vom 10. November 2021

https://www.nd-aktuell.de/artikel/1158489.moderne-sklaverei-an-unsichtbaren-ketten.html?sstr=versklavung

 

 

Eldorado für Geldwäsche

 „Deutschland hat ein gewaltiges Problem mit schmutzigem Geld“ – so lautet das Urteil des ARD-Magazins Plusminus. Dieses hat sich am 10. November 2021 in einem Beitrag mit dem Delikt der Geldwäsche als dem Herzstück organisierter Kriminalität auseinandergesetzt. Danach geht das Bundesfinanzministerium von 100 Milliarden Euro kriminellem Geld aus, welches hier pro Jahr gewaschen wird. Allerdings landen kaum Fälle vor Gericht; nur ein paar Hundert Urteile werden pro Jahr gesprochen. Das Problem ist, dass die sogenannten Vortaten, aus denen das schmutzige Geld stammt, oft nicht zu ermitteln sind. Diese strafbaren Handlungen müssen aber zumeist vor Gericht nachgewiesen werden, um Urteile wegen Geldwäsche zu erwirken. Ein anonym bleibender Ermittler wird mit den Worten zitiert: „Die Bereitschaft vieler Staatsanwaltschaften, ein Verfahren wegen Geldwäsche ohne bekanntes Grunddelikt zu führen, ist vielfach gleich Null.“

Allerdings ist eine generelle Pflicht zur Offenlegung der Vermögensherkunft bisher juristisch nicht möglich. Frank Buckenhofer von der Gewerkschaft der Polizei fordert deshalb eine neue Behörde mit ausreichenden Befugnissen. Gemeint ist eine Finanzpolizei, die präventive Finanzermittlungen aufnehmen kann. Personen oder Unternehmen, die als Dienstleister Geldwäsche für die organisierte Kriminalität betreiben, seien so abgeschottet, dass sie nie in eine Beziehung zu einer Vortat gesetzt werden könnten. „Und da hilft dann diese präventive Finanzermittlung, weil, wenn die dann trotzdem nicht erklären können, woher sie diese Mengen Geld haben, dann sage ich: Wenn du nicht erklärst, wo das Geld her ist, dann nehme ich es dir weg.“ (Zitat Frank Buckenhofer)

Quelle:

Sabina Wolf: „Unternehmen im Visier der Geldwäscher“, Plusminus (ARD) vom 10. November 2021

https://www.daserste.de/information/wirtschaft-boerse/plusminus/sendung/geldwaesche-unternehmen-100.html

Private Equity in der Pflegebranche

Eine gemeinsam von der NGO Finanzwende und der Heinrich-Böll-Stiftung herausgegebene aktuelle Studie untersucht das Agieren aggressiv auftretender Investoren im Pflegebereich. Welche Rolle haben Private-Equity-Firmen in den letzten Jahren für die Finanzialisierung des Pflegesektors gespielt? Anhand der drei Beispiele Deutschland, Frankreich und Großbritannien wird erläutert, wie und mit welchen Ergebnissen sich Finanzmarktakteure mit hohen Gewinnerwartungen auch in diesem sensiblen Bereich der Daseinsfürsorge ausbreiten, also Pflegheimgruppen aufkaufen und sie in kurzer Zeit gewinnbringend umgestalten.

„Der Pflegesektor scheint das perfekte Investitionsziel für Private-Equity-Firmen und die dahinterstehenden Investoren zu sein. Die Nachfrage nach Pflegedienstleistungen ist rasch gestiegen und wird angesichts einer alternden Bevölkerung weiter zunehmen. Der Sektor bietet verlässliche Einkommensströme durch Pflegeversicherungen, Steuergelder sowie die Eigenbeteiligungen von Patienten und Angehörigen. Zudem sind die Immobilien von Pflegeheimketten für Investorinnen ein attraktiver Vermögensgegenstand, der in Paketen an andere Investoren weiterverkauft werden kann.“ (Théo Bourgeron et al., Seite 3)

Die Studie zeigt, dass die verschiedenen Private-Equity-Firmen in ihrer Renditeorientierung ähnlich vorgehen. Erleichtert wird deren Agieren durch den geringen gewerkschaftlichen Organisationsgrad sowie unzureichende Qualitätskontrollen in diesem Sektor.

  • Die Finanzunternehmen setzen nur wenig Eigenkapital ein, nutzen dagegen zum einen das Geld anderer Investoren wie etwa Pensionsfonds und zum anderen hohe Schulden, um Investitionen durchzuführen. Ein großer Teil der Schulden wird dann auf die erworbenen Unternehmen übertragen, so dass die langfristige Existenz der Pflegeheimgruppen gefährdet ist.
  • Pflegeheimgruppen müssen oft „Gesellschafterdarlehen“ mit hohen Zinssätzen bedienen. In der Folge führte das zu einzelnen Insolvenzen.
  • Private-Equity-Firmen strukturieren den Immobilienbestand erworbener Pflegeheimgruppen um. Nahezu alle Immobilien wurden in den untersuchten Fällen verkauft und anschließend nach der Methode „Sale & Lease Back“ wieder angemietet. 
  • Die Gewinne der Pflegeheimgruppen wurden in allen Fällen an Muttergesellschaften in Schattenfinanzzentren wie Luxemburg oder Jersey transferiert (vgl. Théo Bourgeron et al., Seite 3f.).

 

Die kontinuierlichen Übernahmen im deutschen Pflegeheimsektor verweisen auf die Strategie, größere Ketten zu schaffen, die mit großen Gewinnspannen weiterverkauft werden können. „So kaufte das US-amerikanische Private-Equity-Unternehmen Carlyle 2013 die deutsche Pflegeheimgruppe Alloheim für 180 Milllionen Euro und verkaufte das Unternehmen vier Jahre später für 1,1 Milliarden Euro an den nächsten Finanzinvestor.“ (Théo Bourgeron et al., Seite 14)

Die Studie stellt mit Bezug auf eine britische Untersuchung fest, dass bei Private-Equity-Modellen mindestens zehn Prozent der jährlichen Gesamteinnahmen des Sektors in Großbritannien in den Taschen von Finanzinvestoren landen. Die Bürgerbewegung Finanzwende geht davon aus, dass in Deutschland ähnliche Summen nicht bei den Pflegebedürftigen ankommen, sondern dem ohnehin schlecht finanzierten Pflegesystem entzogen werden.

Die Autor*innen bezweifeln, dass Private-Equity-Firmen überhaupt im Pflegebereich aktiv sein sollten. Unterstützt werden sie dabei vom Ergebnis einer zusätzlich in Auftrag gegebenen Umfrage, nach der 60 Prozent der Bevölkerung den Aufkauf von Pflegeheimen durch private Investoren ablehnen.

Was ist eigentlich Private Equity?

Eine ausführliche Erklärung findet sich auf Seite 14 der angegebenen Studie.

Quellen:

„Private-Equity-Investoren in der Pflege“, Finanzwende Recherche, 14. Oktober 2021

https://www.finanzwende-recherche.de/unsere-themen/private-equity-investoren-in-der-pflege/

„Neue Studie: Schädlicher Einfluss von Private-Equity-Investoren im Pflegebereich“, Pressemitteilung von Finanzwende Recherche, 14. Oktober 2021

https://www.finanzwende-recherche.de/2021/10/14/neue-studie-schaedlicher-einfluss-von-private-equity-investoren-im-pflegebereich/

Théo Bourgeron/Caroline Metz/Marcus Wolf: Private-Equity-Investoren in der Pflege: Eine Studie über das Agieren von Private-Equity-Investoren im Pflegebereich in Europa, Finanzwende/Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin 2021

https://www.finanzwende-recherche.de/wp-content/uploads/2021/10/Finanzwende_BourgeronMetzWolf_2021_Private-Equity-Investoren-in-der-Pflege_20211013.pdf

Eine vom Journalistenteam Investigate Europe durchgeführte Recherche stellt ebenfalls fest:

„Ein stetig wachsender Teil der staatlichen Ausgaben für die Pflege fließt in die Kassen transnationaler Unternehmen, die damit eine wichtigen Teil der sozialen Infrastruktur in ihren Besitz bringen; die 20 größten Konzerne verwalten bereits mehr als 4.681 Heime für mehr als 400.000 Pflegebedürftige (…).

Anonyme Finanzinvestoren übernehmen immer größere Anteile am Pflegegeschäft und entziehen ihre mit öffentlichen Geldern erzielten Gewinne der Besteuerung, indem sie ihre Erlöse in Offshore-Zentren verschieben.

Die zunehmende Privatisierung geht in vielen EU-Ländern einher mit Einsparungen beim Personal und Mängeln bei der Pflegequalität, aber die Regierungen lassen den Prozess laufen und versagen vielerorts bei der Kontrolle.

Quelle:

Nico Schmidt/Harald Schumann: „Heime als Gewinnmaschinen für Konzerne und Investoren“, Der Tagesspiegel vom 16. Juli 2021

https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/das-milliardengeschaeft-altenpflege-heime-als-gewinnmaschinen-fuer-konzerne-und-investoren/27424770.html

vgl. auch:

https://www.investigate-europe.eu/de/2021/heime-als-gewinnmaschinen-fuer-konzerne-und-investoren/

https://www.investigate-europe.eu/de/2021/millardengeschaeft-altenpflege-konzerne/

 

Steuerbetrug viel größer als bisher bekannt

„Solche Geschäfte sind gewissermaßen das perfekte Verbrechen. Kompliziert, abstrakt, weit weg von unserem Alltag. Auf den ersten Blick gibt es keine Opfer. Niemand scheint direkt betroffen.“

Dieses Zitat aus einem Bericht des Recherchezentrums Correctiv bezieht sich auf den immensen Steuerbetrug, bei dem es den Tätern nicht nur darum geht, Steuern zu vermeiden – sondern aktiv in die Staatskassen zu greifen und Milliardenbeträge zu stehlen.

Eine aktuelle internationale Untersuchung, an der in Deutschland das NDR-Politmagazin Panorama und  Correctiv beteiligt waren, zeigt: Der entstandene Schaden aufgrund von Cum-Ex, Cum-Cum und anderer Steuertricksereien ist weit größer als bislang vermutet. Nach dieser Untersuchung belaufe sich die Summe europaweit auf rund 150 Milliarden Euro, davon knapp 36 Milliarden in Deutschland in den letzten 20 Jahren. Noch 2018 war man nur von rund 55 Milliarden Euro in Europa ausgegangen. Der deutsche Staatshaushalt habe tatsächlich allein mit Cum-Ex-Deals mehr als sieben Milliarden Euro verloren, mit Cum-Cum 28,5 Milliarden.

In Frankreich entstanden in den vergangenen beiden Jahrzehnten Steuerausfälle von etwa 33 Milliarden Euro, in den Niederlanden 27 Milliarden, in Spanien 19 Milliarden. Geringere Verluste verzeichneten Staaten wie etwa Großbritannien und auch die USA, in denen strengere Gesetze gelten und die Finanzmarktaufsicht schärfer vorgeht (vgl. Tagesspiegel).

Worum handelt es sich bei Cum-Ex- und Cum-Cum-Geschäften? Es geht bei beiden Varianten um Steuerrückzahlungen im Zusammenhang mit Dividendenzahlungen:

„Ähnlich wie auch bei Cum-ex profitieren die Akteure davon, dass der Staat Steuern zurückerstattet, obwohl diese gar keinen Anspruch darauf haben. Der Unterschied in der Bezeichnung liegt darin, dass die Aktien mal mit, also ‚cum‘, Dividende gehandelt werden und mal ohne, also ‚ex‘. Bei ‚Cum-cum‘-Geschäften geht es um Aktiengeschäfte, die vor dem Dividendenstichtag eingefädelt werden.

Zudem spielen ausländische Investoren eine besondere Rolle, denn die werden in vielen Ländern der Welt steuerrechtlich anders behandelt als inländische Institute, auch in Deutschland. Während sich inländische Investoren die einmal gezahlte Steuer zurückerstatten lassen können, ist dies ausländischen Unternehmen nur eingeschränkt möglich. In diesen Fällen liehen sich deutsche Banken, zum Beispiel die Commerzbank, für den Zeitraum der Auszahlung der Dividende die Aktien. Die deutschen Unternehmen ließen sich die Kapitalertragsteuer erstatten – und teilten dann die Zahlung mit dem ausländischen Geschäftspartner, dem die Aktien eigentlich gehörten.“ (FAZ)

Seit Juli dieses Jahres gelten Cum-Ex-Deals nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs als strafbar. Die Staatsanwaltschaft Köln, über die viele Ermittlungsverfahren laufen, geht mittlerweile auch gegen mehr als tausend Beschuldigte vor. Gerhard Schick vom Verein Finanzwende spricht jedoch von einer deutlichen Diskrepanz zwischen den Zahlen der aktuellen Studie und Angaben des Bundesfinanzministeriums. Dem vermuteten Schaden bei Cum-Cum-Deals in Höhe von über 28 Milliarden Euro stünden bisher nur Rückzahlungen in Höhe von 135 Millionen Euro gegenüber. Bund und Länder hätten jahrelang die Aufklärung blockiert (vgl. Tagesspiegel).

Auch Correctiv zeigt sich pessimistisch, was Aufklärung und Verfolgung dieser Art der Wirtschaftskriminalität betrifft, und verweist auf die internationale Dimension des Steuerbetrugs:

„Das Finanzministerium von Scholz scheint nicht die einzige Behörde zu sein, die im Kampf gegen steuergetriebene Deals versagt. Wir haben über das Informationsfreiheitsgesetz Einsicht in Akten beantragt und so einen Einblick bekommen, wie europäische Behörden hinter den Kulissen mit der Problematik der Cum-Ex-Geschäfte und anderer steuergetriebener Deals umgehen. Das Bild ist auch drei Jahre nach den Cum-Ex-Enthüllungen verheerend. Europäische Staaten scheitern bei der Bekämpfung des systematischen Steuerbetrugs.“

Quellen:

Corinna Budras: „140 Milliarden Euro Beute durch Steuertricksereien“, FAZ (Online) vom 21. Oktober 2021

https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/cum-cum-geschaefte-140-milliarden-euro-durch-steuerbetrug-17596283.html

Correctiv (Recherchezentrum): „Top Story: Die CumEx-Files 2.0“

https://correctiv.org/schwerpunkte/cum-ex-steuerbetrug/

„Cum-Ex: Steuerräuber ohne Schuldgefühl“, ARD-Magazin Panorama vom 21. Oktober 2021

https://daserste.ndr.de/panorama/archiv/2019/-,panorama17208.html

Albert Funk: „Betrug bei Dividenden richtet weltweit 150 Milliarden Euro Schaden an“, Tagesspiegel (Online) vom 21. Oktober 2021“

https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/cum-ex-deals-und-andere-geschaefte-betrug-bei-dividenden-richtet-weltweit-150-milliarden-euro-schaden-an/27725068.html