Mindestlohnbetrug

Die Bundesregierung will zum 1. Oktober 2022 ein zentrales Wahlkampfversprechen der SPD umsetzen und den Mindestlohn auf 12 Euro anheben. Die gesetzliche Lohnuntergrenze beträgt derzeit noch 9,82 Euro brutto pro Stunde. Zunächst soll nach einem Beschluss der Mindestlohnkommission am 1. Juli 2022 die nächste Erhöhung auf 10,45 Euro erfolgen. Die vorgesehene Anhebung auf 12 Euro – drei Monate danach – entspricht einer Steigerung um 15 Prozent. Etwa 6,2 Millionen Beschäftigte mit einem geringeren Stundenlohn werden davon profitieren.

Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) droht damit, Verfassungsklage gegen die gesetzlich vorgesehene Anhebung einzulegen, sieht dadurch die Tarifautonomie verletzt. Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger sprach in diesem Zusammenhang von der Einführung von „Staatslöhnen“ (vgl. Handelsblatt vom 21. Januar 2022).

Robert Feiger, Chef der IG Bauen-Agrar-Umwelt, warnte Ende letzten Jahres vor einer „mangelnden Mindestlohn-Moral“ bei einigen Unternehmen und vor sogenannten Placebokontrollen zur Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen: „Ein 12-Euro-Mindestlohn ist nur so gut wie seine Einhaltung“. (Pressemitteilung vom 30. Dezember 2021) Nach Auffassung des Gewerkschafters müssen Unternehmen staatliche Kontrollen kaum fürchten. Die Kontrolldichte sei schon bisher viel zu niedrig; das Risiko für Firmen, bei illegalen Machenschaften vom Zoll erwischt zu werden, bleibe verschwindend gering.

Wegen unterschrittener, zu spät oder gar nicht gezahlter Mindestlöhne habe die zuständige Abteilung des Zolls, die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS), im Zeitraum der ersten elf Monate des vergangenen Jahres 3.083 Ermittlungsverfahren eingeleitet, davon 816 im Bauhaupt- und Baunebengewerbe. Hierbei wären Bußgelder in Höhe von 12.535.627 Euro verhängt worden, am Bau seien es 3.884.373 Euro gewesen. Hinzu komme ein hohes Level an krimineller Energie mit Blick auf Schwarzarbeit, illegale Beschäftigung und Steuerbetrug. Im Jahr 2020 habe die FKS in diesem Zusammenhang rund 100.000 Strafverfahren eingeleitet.

Wegen Verstößen gegen die Mindestlöhne seien theoretisch Bußgelder bis zu 500.000 Euro möglich. In der Praxis kämen Firmen aber oft deutlich günstiger davon. Zwar könnten auch höhere Bußgelder weiterhelfen; noch wichtiger aber seien regelmäßige, flächendeckende Kontrollen. Die FKS brauche deutlich mehr Personal, perspektivisch müsse es eine einheitliche staatliche Arbeitsinspektion geben. Feiger kritisiert das Zuständigkeitswirrwarr zwischen den Arbeitsschutzbehörden der Länder, die die Sicherheitsvorschriften und Standards bei Unterkünften ausländischer Beschäftigter im Blick hätten, und der Bundesbehörde Zoll, deren Aufgabe es sei, sich um Schwarzarbeit, Steuern und Löhne zu kümmern. Für die Einhaltung der Coronaregeln am Arbeitsplatz wären derzeit zusätzlich die lokalen Gesundheitsämter zuständig (junge Welt vom 17. Januar 2022).

Das Portal „mindestlohnbetrug.de“ nennt die gängigen Tricks, mit denen die gesetzliche Lohnuntergrenze umgangen wird:

– Unrealistische Leistungsvorgaben:
Unternehmer erwarten von ihren Beschäftigten Leistungen, die in der normalen Arbeitszeit nicht zu erfüllen sind. Beschäftigte sollen mit einem schlechten Gewissen „freiwillig“ länger arbeiten, um den vollen Lohn zu bekommen.

– Abzüge:
Abzüge vom Lohn erfolgen aufgrund von „schlechter Arbeit“, für die Bereitstellung von Werkzeugen, Arbeitskleidung oder Nahrungsmitteln (zum Beispiel Mittagessen).

– Arbeitszeiten:
Tatsächlich geleistete Zeiten werden oft nicht korrekt oder gar nicht erfasst, Wege zur Kundschaft, Wartezeiten oder Bereitschaftsdienste nicht angerechnet.

– Schwarzarbeit und Selbständigkeit:
Illegal arbeitende Beschäftigte, die unter einem besonderen Druck stehen, „akzeptieren“ häufig, dass ihr Lohn gedrückt wird. Selbstständig arbeitende Personen müssen sich selbst versichern, was den Mindestlohn oft unterläuft.

– Falsche Einstufung:
Fachkräfte werden als Hilfskräfte eingestellt.

– Wegfallende Ansprüche
Urlaubstage, Feiertage und Tage an denen wegen Krankheit nicht gearbeitet werden kann, werden nicht bezahlt.

Laut der „Initiative Mindestlohnbetrug“ geht das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in einer für den DGB erstellten Analyse von 2,4 Millionen Beschäftigen aus, die den gesetzlichen Mindestlohn nicht erhalten, obwohl er ihnen zusteht. Die ermittelten Betrugsfälle stellten nicht einmal die Spitze des Eisberges dar.

Quellen:

Frank Specht: „Mindestlohn soll ab Oktober auf zwölf Euro steigen“, Handelsblatt vom 21. Januar 2022
https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/entwurf-mindestlohn-soll-ab-oktober-auf-zwoelf-euro-steigen/27997728.html?ticket=ST-3382555-gnFBHDYNr4LdrdILe6Wk-ap4 

„IG BAU-Chef Robert Feiger warnt 2022 vor ‚Placebo-Kontrollen‘ beim 12-Euro-Mindestlohn“, Pressemitteilung der IG Bauen-Agrar-Umwelt vom 30. Dezember 2021
https://igbau.de/IG-BAU-Chef-Robert-Feiger-warnt-2022-vor-Placebo-Kontrollen-beim-12-Euro-Mindestlohn.html 

„‚Das Risiko für Firmen bleibt verschwindend gering‘: Ein Gespräch mit Robert Feiger“, junge Welt vom 17. Januar 2022
https://www.jungewelt.de/artikel/418617.betrug-bei-lohnuntergrenze-das-risiko-f%C3%BCr-firmen-bleibt-verschwindend-gering.html?sstr=feiger 

„Mindestlohnbetrug aufdecken!“, https://mindestlohnbetrug.de 

 

Neues zum Hamburger Cum-Ex-Untersuchungsausschuss

Seit etwa einem Jahr arbeitet der parlamentarische Untersuchungsausschuss der hamburgischen Bürgerschaft (PUA) zur „Klärung der Frage, warum der Hamburger Senat und die Hamburger Steuerverwaltung bereit waren, Steuern in Millionenhöhe mit Blick auf Cum-Ex-Geschäfte verjähren zu lassen und inwieweit es dabei zur Einflussnahme zugunsten der steuerpflichtigen Bank und zum Nachteil der Hamburgerinnen und Hamburger kam“. (1)

Konkret geht es dem PUA darum, die Hintergründe aufzudecken, warum die Hamburger Finanzverwaltung im November 2016 auf die Rückforderung von 47 Millionen Euro verzichtete, die die dort ansässige Warburg-Bank mit Cum-Ex-Geschäften kassiert hatte. Unter anderem ist die Frage von Bedeutung, ob der damalige Erste Bürgermeister und heutige Bundeskanzler, Olaf Scholz (SPD), auf die Entscheidung des Finanzamts Einfluss genommen hatte. 2016 vermittelte der ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des SPD-Bezirks Hamburg-Mitte, Johannes Kahrs, den Kontakt zwischen dem Mitinhaber der Warburg Bank, Christian Olearius, und Bürgermeister Scholz. Der einflussreiche Strippenzieher Kahrs hatte sich offenbar öfters mit Olearius getroffen – mit der Absicht sich für ihn und dessen Interessen einzusetzen.

Am 7. Januar 2022 wurde deshalb auch der ehemalige Chef der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin), Felix Hufeld, vom PUA zur möglichen Einflussnahme Kahrs auf die Behörde befragt. Hufeld bestätigte zwar, dass der Hamburger SPD-Politiker mehrfach bei ihm vorgesprochen hatte – als politische Einflussnahme sei das jedoch nicht zu werten: „Es gehöre zum normalen Geschäft, dass sich Leute mit gewissen Interessenlagen meldeten. ‚Als er sich über konkrete Maßnahmen erkundigen wollte, sagte ich mein Standardsprüchlein, dass wir einzelaufsichtliche Maßnahmen nicht kommentieren‘.“ (taz vom 7. Januar 2022)

Der Obmann der Partei Die Linke im PUA, Norbert Hackbusch, hatte jedoch bereits im Oktober 2021 in einem Interview mit der jungen Welt Kahrs’ Rolle anders dargestellt. „Als dieser einen Anruf von Olearius bekommen habe, sei Kahrs ‚sofort bei ihm vorbeigerauscht‘ und habe ‚nach seiner Pfeife getanzt‘ (…) Besonders brisant: 2017 nahm die SPD Hamburg von der Warburg-Bank und ihr verbundenen Unternehmen Spenden in Höhe von 45.500 Euro an. 38.000 Euro davon flossen an Kahrs’ SPD-Kreis Hamburg-Mitte. Gegen den Sozialdemokraten und weitere Personen laufen aktuell staatsanwaltschaftliche Ermittlungen wegen des Anfangsverdachts auf Begünstigung. Es liegt nahe, dass die Warburg-Bank mit ihrer Spende den Einsatz von Kahrs honorierte.“ (junge Welt vom 10. Januar 2022)

(1) https://www.hamburgische-buergerschaft.de/fachausschuesse/14545864/pua-cum-ex/

Quellen:

Gernot Knödler: „Finanzamt an der Nase herumgeführt“, taz vom 7. Januar 2022

https://taz.de/Hamburger-Cum-Ex-Untersuchungsausschuss/!5826936&s=cum+ex/

 Kristian Stemmler: „Alles für die Bank“, junge Welt vom 10. Januar 2022

https://www.jungewelt.de/artikel/418137.steuerbetrug-alles-f%C3%BCr-die-bank.html

 

Auf den Spuren des Faschismus im deutschen Arbeitsrecht

Hans-Carl Nipperdey war von 1925 bis 1954 Professor für Arbeitsrecht und Bürgerliches Recht in Köln, hatte in der NS-Zeit und auch noch nach 1945 als Präsident des Bundesarbeitsgerichts (von 1954 bis 1963) maßgeblichen Einfluss auf Theorie und Praxis des Arbeitsrechts. Er „hat das restriktive deutsche Arbeitsrecht bis heute geprägt: Politische Streiks sind verboten, Beschäftigte zur Treue verpflichtet und Whistleblower nahezu ungeschützt“. (1)

In der Weimarer Republik war Nipperdey zunächst nationalliberal orientiert, verfasste dann zusammen mit Alfred Hueck das „Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit“ (vom 20. Januar 1934) und war zugleich einer von dessen Hauptkommentatoren. In besagtem Gesetz wurde das „Führerprinzip“ eingeführt, wonach der Vorgesetzte als Betriebsführer die absolute Befehlsgewalt innehatte, die Untergebenen eine „Gefolgschaft“ (nicht etwa Belegschaft) bildeten und zu unbedingtem Gehorsam verpflichtet waren. Dieses Gesetz gilt als Basis für die Durchsetzung der „Produktionsschlacht“, welche dann letztlich Aufrüstung und Weltkrieg ermöglichte.

Zur historischen Kontinuität hier ein längeres Zitat aus einem Beitrag des Deutschlandfunks:

 „Die Treuepflicht stammt ursprünglich aus dem germanischen Recht, das im 19. Jahrhundert unter Rechtswissenschaftlern eine Renaissance erlebte und dann im Nationalsozialismus eine radikale Auslegung erfuhr. Diese ‚Treuepflicht‘ des Dritten Reiches wandelte die bisherigen sachlichen Rechtsansprüche zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in ‚personenrechtliche‘ Ansprüche um und beherrschte das gesamte Arbeitsverhältnis. (…) So folgte zum Beispiel aus der Treuepflicht, dass ein Beschäftigter auch andere als im Arbeitsvertrag vereinbarte Leistungen erbringen musste. Die Beschäftigten hatten bei Bedarf auch Mehrarbeit, selbst über die regelmäßige gesetzliche Höchstarbeitszeit hinaus, zu leisten. (…) Diese Treuepflicht ist auch Teil der Rechtsordnung der Bundesrepublik geworden. Und zwar im Bürgerlichen Gesetzbuch. Professor Dr. Michael Kittner, Rechtswissenschaftler an der Universität Kassel und ehemaliger Justiziar der Gewerkschaft IG Metall: ‚Das ist ein sehr überkommener Begriff, der insbesondere aus der NS Zeit herrührt. Eine der wirklichen Kernangelegenheiten, wo das NS Recht substanziell in die Bundesrepublik noch hineintransportiert worden ist. (…) Und das, was früher unter dem Begriff Treuepflichten und Fürsorgepflichten subsumiert war, steht heute unter Nebenpflichten. (…) Zu den Nebenpflichten zählen: Die Anzeige- und Nachweispflicht im Krankheitsfall, Sorgfalts- und Schadensabwendungspflichten, das Wettbewerbsverbot, Verschwiegenheitspflicht, und das Schmiergeldverbot. (…) Zentral ist hier die Pflicht zur Verschwiegenheit, die bis zur Deckung von Straftaten reicht und auch das Privatleben betreffen kann. (…) Entsprechend legte das sogenannte ‚Maulkorburteil‘ des Bundesarbeitsgerichtes vom 24. August 1972 fest, dass die Meinungsfreiheit des Arbeitnehmers nicht die Interessen des Arbeitgebers beeinträchtigen dürfe. Am 4. Juli 1991 und am 3. Juli 2003 verkündet das BAG Urteile, die Strafanzeigen gegen den Arbeitgeber nur eingeschränkt ermöglichen.“ (1)

Nipperdey konnte besonders durch seine Position als Präsident des Bundesarbeitsgerichts die Idee, das Arbeitsverhältnis von einem Austausch- zu einem „Gemeinschaftsverhältnis“ umzubauen, als „herrschende Meinung“ in die Literatur und Rechtsprechung der Nachkriegszeit übertragen.(2) Damit verbunden war das Ziel, die Interessen des Arbeitnehmers denen des Arbeitgebers klar unterzuordnen (Verbot politischer Betätigung, fehlende Meinungsfreiheit am Arbeitsplatz, also auch Verbot von Whistleblowing). Die Folgen zeigen sich bis heute: Deutschland hat die Whistleblower-Richtlinie der EU noch immer nicht umgesetzt.

Auch bei der Abfassung von Gesetzen gelang es Nipperdey und seinen Gesinnungsgenossen, ihre Vorstellungen einfließen zu lassen. So wurde in das Betriebsverfassungsgesetz von 1952 die Idee einer „Betriebsgemeinschaft von Arbeitgeber und Belegschaft“ übernommen, welche zuvor im „Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit“ von 1934 als „Gemeinschaft von Betriebsführer und Gefolgschaft“ festgeschrieben war (inkl. „Friedenspflicht“, Arbeitskampfverbot, Verbot der politischen Betätigung, Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit). (3)

Passend dazu ein weiteres Zitat aus einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 28. Januar 1955 (Präsident:  Hans Carl Nipperdey): „Streiks sind im Allgemeinen unerwünscht, weil sie volkswirtschaftliche Schäden hervorrufen.“ Rolf Geffken kommentiert: „Da wurde eine rechte Stammtischparole Teil einer Grundsatzentscheidung eines höchsten Gerichts. Mit Juristerei hatte das NICHTS zu tun, es war nur pure Ideologie“. (4)

Nipperdey wird heute offensichtlich immer noch gefeiert. Viele Arbeitsrechtler*innen würden, so Rolf Geffken, heute noch immer eine zutiefst arbeitnehmerfeindliche Haltung vertreten. Denn „die meisten Spuren der faschistischen Ideologie der Betriebsgemeinschaft und angeblicher ‚Partnerschaft‘ von Arbeitgebern und Arbeitnehmern sind der heutigen Juristengeneration (…) tatsächlich in Fleisch und Blut übergegangen und werden nicht mehr in Frage gestellt“. (3) 

(1) Peter Kessen: „Den Unternehmern treu ergeben. Das paternalistische Arbeitsrecht des Hans Carl Nipperdey“, Das Feature, 14. Dezember 2021, 19:15 Uhr, Deutschlandfunk

https://www.hoerspielundfeature.de/das-paternalistische-arbeitsrecht-des-hans-carl-nipperdey-100.html

 (2) Rolf Geffken: „Der Professor und die Viererbande“, der Freitag vom 22. April 2021

https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/der-professor-und-die-viererbande

(3) Ders.: „Die vergessene Geschichte: Faschismus im Arbeitsrecht“, 12. April 2021

https://www.drgeffken.de/48_Die_vergessene_Geschichte_Faschismus_im_Arbeitsrecht.php

(4) Ders.: „BAG: Der Obernazi wurde ‚vergessen‘“, 28. Januar 2021

https://www.drgeffken.de/48_BAG_Der_Obernazi_wurde_vergessen.php

 

 

 

Korruptionsverdacht gegen Deutsche Bahn AG

Nach einem Bericht der Financial Times (FT) haben zwei interne Hinweisgeber die Compliance-Abteilung der Bahn offenbar erfolglos vor einem möglichen Betrug beim Megaprojekt „Stuttgart 21“ gewarnt. Die beiden ehemals am Projekt beteiligten Mitarbeiter behaupten, so die britische Tageszeitung, dass ein erheblicher Teil der Kostenexplosion des Projekts auf massives Missmanagement und mögliche Korruption zurückzuführen sei. Leitende Angestellte des Staatsunternehmens hätten unnötige Arbeiten in Auftrag gegeben, wobei Mehrkosten in Höhe von 600 Millionen Euro entstanden seien. Die Whistleblower vermuteten laut FT, dass die hochrangigen Manager dafür auch Gegenleistungen erhielten.

„Als Beispiel hätten sie ein elektrisches Umspannwerk genannt, das nicht Teil der ursprünglichen Planungen gewesen sei“, schreibt das Manager Magazin. „Einer der Ingenieure sei von seinen Vorgesetzten dazu gedrängt worden, den Auftrag im Wert von rund 2,5 Millionen Euro zu vergeben, obwohl eine Alternativlösung für nur 30.000 Euro verfügbar war. In diesem Fall habe sich der Mitarbeiter erfolgreich gegen das Ansinnen gewehrt. In anderen Fällen hätten hochrangige Manager aber die Hinweise auf unnötige Kosten ignoriert – etwa als es um die Verlegung einer U-Bahn-Haltestelle ging, deren Kosten normalerweise mit der Kommune geteilt worden wären.“

Die Deutsche Bahn wies die Vorwürfe gegenüber der FT zurück und erklärte, dass eine mehr als einjährige Untersuchung der vermeintlichen Unregelmäßigkeiten kein Fehlverhalten zutage gebracht habe. Der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann (Bündnis 90/Die Grünen) hat die Deutsche Bahn dennoch aufgefordert, die Vorwürfe schnell aufzuklären. Das Land leiste schließlich den erheblichen finanziellen Beitrag von fast zwei Milliarden Euro für das Projekt und für die Neubaustrecke Stuttgart-Ulm.

Das Handelsblatt bemerkt grundsätzlich dazu:

„Stuttgart 21, die Verlegung des Bahnhofs und der umliegenden Gleise unter die Erde, ist eines der umstrittensten Bauvorhaben der Deutschen Bahn. Es gab und gibt nach wie vor heftige Bürgerproteste. Einst mit Baukosten von 2,5 Milliarden Euro beziffert, wird der Neubau wohl mindestens 8,2 Milliarden Euro kosten, vielleicht sogar zehn Milliarden Euro. Auch wird der neue Hauptbahnhof deutlich später eröffnet als geplant, statt im Jahr 2019 nun erst 2025. (…) Projekte dieser Größenordnung sind chronisch anfällig für Korruption und Betrug. So gab es in der mittlerweile langen Geschichte von Stuttgart 21 Strafanzeigen von zwei Rechtsanwälten gegen den damaligen Bahnchef Rüdiger Grube und seinen Vorstandskollegen Volker Kefer sowie den aktuellen Infrastrukturvorstand Roland Pofalla, allerdings bislang ohne weitere Folgen. Der Vorwurf: Die Top-Manager würden dem Bahnkonzern Schaden zufügen, weil sie das unwirtschaftliche Projekt fortführen.“

Anmerkung:

Die Deutsche Bahn ist seit ihrer Gründung im Jahr 1994 eine Aktiengesellschaft, die sich zu 100 Prozent im Eigentum des Bundes befindet.

 

Quellen:

„Bahn-Mitarbeiter warnten vor Korruption bei Stuttgart 21“, Manager Magazin (Online) vom 25. November 2021

https://www.manager-magazin.de/unternehmen/industrie/stuttgart-21-kostenexplosion-bahn-mitarbeiter-warnten-vor-korruption-laut-ft-bahn-widerspricht-a-b563dbd4-9069-485d-b629-18a68401f84e

Simon Zeise: „Korruptionsvorwürfe gegen Bahn AG“, junge Welt (Online) vom 25. November 2021

https://www.jungewelt.de/artikel/415366.milliardengrab-korruptionsvorw%C3%BCrfe-gegen-bahn-ag.html

Jens Koenen: „Bahn wehrt sich gegen Korruptionsvorwürfe bei Stuttgart 21“, Handelsblatt (Online) vom 25. November 2021

https://www.handelsblatt.com/unternehmen/handel-konsumgueter/grossprojekt-in-stuttgart-bahn-wehrt-sich-gegen-korruptionsvorwuerfe-bei-stuttgart-21/27833970.html

„Korruptionsvorwürfe bei Stuttgart 21: Hermann für Aufklärung“, Süddeutsche Zeitung (Online) vom 26. November 2021

https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/verkehr-stuttgart-korruptionsvorwuerfe-bei-stuttgart-21-hermann-fuer-aufklaerung-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-211126-99-153070

 

Ausbau des betrugsanfälligen Minijobsektors

Beschäftigte in etwa 8,6 Millionen Arbeitsverhältnissen verdienen aktuell weniger als 12 Euro brutto pro Stunde, stellte Ende Oktober 2021 die Hans Böckler Stiftung fest. Vor diesem Hintergrund kommentierte jüngst das Neue Deutschland Ankündigungen des Koalitionsvertrages: „Einerseits soll der Mindestlohn auf zwölf Euro steigen. Andererseits wollen SPD, Grüne und FDP die Minijobgrenze erhöhen. Faktisch sichern sie Unternehmen damit eine Option, den höheren Mindestlohn zu umgehen.“ Ob die Erhöhung des Mindestlohns überhaupt schnell erfolge, sei ungewiss. Denn, so die Autorin der linken Tageszeitung, im Sondierungspapier des Dreierbündnisses vom Oktober hätte es noch geheißen, dass der Mindestlohn „im ersten Jahr“ erhöht werde. Im Koalitionsvertrag fehle diese zeitliche Festlegung jedoch.

Ein Schlupfloch sei aber bereits beschlossen. Die Minijobgrenze wird laut Koalitionsvertrag mit Anhebung des Mindestlohns von 450 auf 520 Euro steigen. Minijobs bei einer Wochenarbeitszeit von zehn Stunden sollen damit möglich bleiben. Die FDP habe sich durchgesetzt und das Dreierbündnis die Empfehlung von zahlreichen Forschenden in den Wind geschlagen, die sich für eine Begrenzung dieser Beschäftigungsform aussprechen. Das IAQ (Institut Arbeit und Qualifikation) etwa plädiert dafür, dass Minijobs auf bestimmte Gruppen wie Studierende, Schülerinnen und Rentner beschränkt werden. Der Arbeitsmarktforscher Gerhard Bosch (IAQ), so das Neue Deutschland, halte das Vorhaben der Ampelparteien für einen großen Fehler. Denn die meisten Verstöße gegen den Mindestlohn gebe es bei Minijobs. Das sei bekannt. „So würden geringfügig Beschäftigte in der Regel nur bei Anwesenheit bezahlt. ‚Sie erhalten meist keinen bezahlten Urlaub und keine Lohnfortzahlung bei Krankheit, obwohl sie Anspruch darauf haben. Dies gilt vor allem bei kleinen und mittleren Unternehmen, wo die meisten tätig sind.‘ Finanziell sei dies eine erhebliche Einbuße, dadurch würden um die 35 Tage pro Jahr nicht bezahlt, die eigentlich vergütet werden müssten. Faktisch seien Minijobs damit für Unternehmen eine ‚Exitoption aus dem Mindestlohn‘. Und diese Möglichkeit soll nun ausgebaut werden.“

Nach einer aktuellen Studie des Forschungsinstituts der Bundesagentur für Arbeit (IAB) übten im Jahr 2019 insgesamt mehr als sieben Millionen Erwerbstätige Minijobs entweder als Haupt- oder Nebenbeschäftigung aus. In der Corona-Krise sank die Zahl auf rund sechs Millionen – immerhin noch etwa 13,5% aller Erwerbstätigen in Deutschland. Laut IAB-Studie verdrängen sie allein in kleinen Betrieben bis zu 500.000 sozialversicherungspflichtige Stellen.

Quellen:

Matthias Collischon/Kamila Cygan-Rehm/Regina T. Riphahn: „Minijobs in Kleinbetrieben: Sozialversicherungspflichtige Beschäftigung wird verdrängt“, IAB-Forum, 20. Oktober 2021
https://www.iab-forum.de/minijobs-in-kleinbetrieben-sozialversicherungspflichtige-beschaeftigung-wird-verdraengt/?pdf=23532

„Neue Studie des WSI: Rund 8,6 Millionen Beschäftigte verdienen aktuell weniger als 12 Euro in der Stunde – vor allem in Jobs ohne Tarifvertrag“, Pressemitteilung der Hans Böckler Stiftung vom 28. Oktober 2021

Eva Roth: „Rauf mit dem Mindestlohn, raus aus dem Mindestlohn“, Neues Deutschland (Online) vom 27. November 2021
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1159019.minijobs-rauf-mit-dem-mindestlohn-raus-aus-dem-mindestlohn.html

 

 

 

 

 

Wirecard-Prüfer unter Kritik

Der Zusammenbruch des Milliardenkonzerns Wirecard AG gilt als einer der größten Finanzskandale der Neuzeit. Das Unternehmen meldete im Juni 2020 Insolvenz an, weil angeblich in Ostasien geparkte Vermögenswerte in Höhe von 1,9 Milliarden Euro unauffindbar waren. Bis heute ist ungeklärt, ob die Gelder in dubiosen Kanälen versickerten oder ob sie niemals existiert hatten, nur zur Täuschung der Finanzmärkte erfunden waren. Dem ehemaligen Wirecard-Chef Markus Braun wird mittlerweile bandenmäßiger Betrug vorgeworfen.

In diesem Zusammenhang geriet auch das global agierende Wirtschaftsprüfungsunternehmen Ernst & Young (EY) ins Feuer der Kritik. Deren Prüfer hatten über Jahre hinweg die Abschlüsse von Wirecard testiert – auch noch, als sich Berichte über die dubiosen Geschäfte des Finanzriesen häuften. Inzwischen wurden umfängliche Schadensersatzklagen geschädigter Anlieger gegen EY eingereicht.

Ein Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages beauftragte Martin Wambach, den Vorsitzenden des Institutes der Wirtschaftsprüfer (IDW), mit einer Untersuchung des Vorgangs. Dessen Bericht listet zahlreiche Fehler und Versäumnisse der EY-Prüfer auf, wurde bis auf weiteres als geheim eingestuft und sollte unter Verschluss bleiben. Tatsächlich wurde der 168 Seiten umfassende sogenannte Wambach-Report kürzlich auf der Homepage des Handelsblattes veröffentlicht.

Es ist derzeit juristisch strittig, ob eine ungeschwärzte Veröffentlichung des Reports zulässig sei. Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte dies im August 2021 verneint. Gegen diese Entscheidung läuft allerdings eine Beschwerde, über die noch nicht entschieden ist.

Das Prüfunternehmen EY reagierte auf die Veröffentlichung mit einer Strafanzeige gegen unbekannt. Gemeint seien Personen, die den als geheim eingestuften Bericht an das Handelsblatt weitergegeben hätten. Wie die FAZ berichtete, sieht das Unternehmen die „persönlichen Schutzrechte seiner Mitarbeiter und Mandanten“ verletzt. Außerdem handele es sich bei der Weitergabe um eine „Umgehung des rechtsstaatlichen Verfahrens“.

Nach einem weiteren Bericht des Handelsblattes ermittelt die Abschlussprüferaufsichtsstelle (Apas) derzeit gegen sieben ehemalige oder aktuelle EY-Mitarbeiter wegen „mutmaßlicher berufsrechtlicher Pflichtverletzungen“. Bei einem dieser Mitarbeiter handele es sich um den ehemaligen Deutschlandchef Hubert Barth. Dieser habe bereits am 6. Februar 2019 von unbekannten Whistleblowern einen Brief mit Informationen über dubiose Geschäfte in der Wirecard-Zweigstelle in Singapur erhalten.

Quellen:

Bernd Müller: „Milliarden versickert?“, junge Welt vom 24. November 2021
https://www.jungewelt.de/artikel/415176.finanzskandal-milliarden-versickert.html?sstr=Wirecard

Mark Fehr und Marcus Jung: „Wirecard-Skandal: EY erstattet Anzeige wegen Wambach-Bericht“, FAZ vom 22. November 2021
https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/wirecard-skandal-ey-erstattet-anzeige-wegen-wambach-bericht-17647144.html

Bender, Fröndhoff, Holtermann, Iwersen, Votsmeier: „EY und der Wirecard-Skandal – Immer Prüfer geraten ins Visier der Aufsicht“, Handelsblatt vom 26. November 2021
https://www.handelsblatt.com/finanzen/auch-ex-deutschlandchef-betroffen-ey-und-der-wirecard-skandal-immer-mehr-pruefer-geraten-ins-visier-der-aufsicht/27828336.html

 

Weltweite Versklavung

„Wenn wir an Sklaverei denken, sehen wir in Ketten gelegte Menschen, die aus Afrika gewaltsam in alle Welt verschifft werden. Nur selten verbinden wir die Sklaverei mit den Arbeits- und Lebensbedingungen der Gegenwart. Tatsächlich ist die Sklaverei als rechtlich abgesichertes Arbeitssystem heute fast weltweit abgeschafft. (…) Doch die Annahme, es gäbe heutzutage keine Sklaverei mehr, geht an der Realität vorbei. Tatsächlich sind heute – in absoluten Zahlen – mehr Menschen versklavt als jemals zuvor in der Geschichte.“ 

So beginnt der von der Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) im November 2021 vorgelegte „Atlas der Versklavung“, der anhand von zahlreichen Daten und Fakten die vielen heutigen Gesichter der Zwangsarbeit und Ausbeutung aufzeigt. „Kriminelle, die mit Menschen handeln, beuten ihre Opfer auf vielfältige Weise aus und beeinflussen auch die globalisierte legale Wirtschaft. Sklaverei existiert in vielen Wirtschaftszweigen, sie wird genutzt bei der Produktion unserer Smartphones, des Palmöls in unseren Kosmetika und Shampoos, der Meeresfrüchte, die wir im Supermarkt kaufen; sie ist in unsere Kleidung eingewebt und in der globalen Sexindustrie sowie unter Haushaltshilfen verbreitet“, heißt es im Vorwort der Broschüre.

Der Atlas geht auf 50 Seiten unter anderem auf die Definitionsprobleme des Themas ein, beschreibt Zwangsarbeit in den globalen Lieferketten und untersucht weltweit einzelne Branchen (Fischerei, Baugewerbe, Landwirtschaft). Einzelne Länder und Regionen werden beispielhaft in den Fokus gerückt (zum Beispiel Mauretanien, Mali, Haiti, Brasilien, Nordkorea, aber auch Europa). Auch wird der vielfältige zivilgesellschaftliche Widerstand gegen die verschiedenen Formen der Sklaverei thematisiert.

Sklaverei könne nur dadurch beendet werden, dass die Wirtschaft reguliert, der Zugang zu sozialen Rechten verbessert und legale Formen der Migration ermöglicht würden, hieß es im Rahmen der Präsentation der Studie in Berlin. Nur etwa 0,2 Prozent der weltweiten Fälle von Sklaverei würden juristisch untersucht und strafrechtlich verfolgt. Nötig seien deshalb auch in Deutschland der Ausbau und die langfristige Finanzierung von Beratungsstellen für Betroffene von Arbeitsausbeutung sowie regelmäßige Kontrollen des Zolls.

Quellen:

„Atlas der Versklavung. Daten und Fakten über Zwangsarbeit und Ausbeutung“, Rosa-Luxemburg-Stiuftung (Hg.), November 2021

https://www.rosalux.de/publikation/id/45336/atlas-der-versklavung?cHash=2b22333b1bfd69112e0f017fe48d06bc

Haidy Damm: An unsichtbaren Ketten, Neues Deutschland vom 10. November 2021

https://www.nd-aktuell.de/artikel/1158489.moderne-sklaverei-an-unsichtbaren-ketten.html?sstr=versklavung

 

 

Eldorado für Geldwäsche

 „Deutschland hat ein gewaltiges Problem mit schmutzigem Geld“ – so lautet das Urteil des ARD-Magazins Plusminus. Dieses hat sich am 10. November 2021 in einem Beitrag mit dem Delikt der Geldwäsche als dem Herzstück organisierter Kriminalität auseinandergesetzt. Danach geht das Bundesfinanzministerium von 100 Milliarden Euro kriminellem Geld aus, welches hier pro Jahr gewaschen wird. Allerdings landen kaum Fälle vor Gericht; nur ein paar Hundert Urteile werden pro Jahr gesprochen. Das Problem ist, dass die sogenannten Vortaten, aus denen das schmutzige Geld stammt, oft nicht zu ermitteln sind. Diese strafbaren Handlungen müssen aber zumeist vor Gericht nachgewiesen werden, um Urteile wegen Geldwäsche zu erwirken. Ein anonym bleibender Ermittler wird mit den Worten zitiert: „Die Bereitschaft vieler Staatsanwaltschaften, ein Verfahren wegen Geldwäsche ohne bekanntes Grunddelikt zu führen, ist vielfach gleich Null.“

Allerdings ist eine generelle Pflicht zur Offenlegung der Vermögensherkunft bisher juristisch nicht möglich. Frank Buckenhofer von der Gewerkschaft der Polizei fordert deshalb eine neue Behörde mit ausreichenden Befugnissen. Gemeint ist eine Finanzpolizei, die präventive Finanzermittlungen aufnehmen kann. Personen oder Unternehmen, die als Dienstleister Geldwäsche für die organisierte Kriminalität betreiben, seien so abgeschottet, dass sie nie in eine Beziehung zu einer Vortat gesetzt werden könnten. „Und da hilft dann diese präventive Finanzermittlung, weil, wenn die dann trotzdem nicht erklären können, woher sie diese Mengen Geld haben, dann sage ich: Wenn du nicht erklärst, wo das Geld her ist, dann nehme ich es dir weg.“ (Zitat Frank Buckenhofer)

Quelle:

Sabina Wolf: „Unternehmen im Visier der Geldwäscher“, Plusminus (ARD) vom 10. November 2021

https://www.daserste.de/information/wirtschaft-boerse/plusminus/sendung/geldwaesche-unternehmen-100.html

Private Equity in der Pflegebranche

Eine gemeinsam von der NGO Finanzwende und der Heinrich-Böll-Stiftung herausgegebene aktuelle Studie untersucht das Agieren aggressiv auftretender Investoren im Pflegebereich. Welche Rolle haben Private-Equity-Firmen in den letzten Jahren für die Finanzialisierung des Pflegesektors gespielt? Anhand der drei Beispiele Deutschland, Frankreich und Großbritannien wird erläutert, wie und mit welchen Ergebnissen sich Finanzmarktakteure mit hohen Gewinnerwartungen auch in diesem sensiblen Bereich der Daseinsfürsorge ausbreiten, also Pflegheimgruppen aufkaufen und sie in kurzer Zeit gewinnbringend umgestalten.

„Der Pflegesektor scheint das perfekte Investitionsziel für Private-Equity-Firmen und die dahinterstehenden Investoren zu sein. Die Nachfrage nach Pflegedienstleistungen ist rasch gestiegen und wird angesichts einer alternden Bevölkerung weiter zunehmen. Der Sektor bietet verlässliche Einkommensströme durch Pflegeversicherungen, Steuergelder sowie die Eigenbeteiligungen von Patienten und Angehörigen. Zudem sind die Immobilien von Pflegeheimketten für Investorinnen ein attraktiver Vermögensgegenstand, der in Paketen an andere Investoren weiterverkauft werden kann.“ (Théo Bourgeron et al., Seite 3)

Die Studie zeigt, dass die verschiedenen Private-Equity-Firmen in ihrer Renditeorientierung ähnlich vorgehen. Erleichtert wird deren Agieren durch den geringen gewerkschaftlichen Organisationsgrad sowie unzureichende Qualitätskontrollen in diesem Sektor.

  • Die Finanzunternehmen setzen nur wenig Eigenkapital ein, nutzen dagegen zum einen das Geld anderer Investoren wie etwa Pensionsfonds und zum anderen hohe Schulden, um Investitionen durchzuführen. Ein großer Teil der Schulden wird dann auf die erworbenen Unternehmen übertragen, so dass die langfristige Existenz der Pflegeheimgruppen gefährdet ist.
  • Pflegeheimgruppen müssen oft „Gesellschafterdarlehen“ mit hohen Zinssätzen bedienen. In der Folge führte das zu einzelnen Insolvenzen.
  • Private-Equity-Firmen strukturieren den Immobilienbestand erworbener Pflegeheimgruppen um. Nahezu alle Immobilien wurden in den untersuchten Fällen verkauft und anschließend nach der Methode „Sale & Lease Back“ wieder angemietet. 
  • Die Gewinne der Pflegeheimgruppen wurden in allen Fällen an Muttergesellschaften in Schattenfinanzzentren wie Luxemburg oder Jersey transferiert (vgl. Théo Bourgeron et al., Seite 3f.).

 

Die kontinuierlichen Übernahmen im deutschen Pflegeheimsektor verweisen auf die Strategie, größere Ketten zu schaffen, die mit großen Gewinnspannen weiterverkauft werden können. „So kaufte das US-amerikanische Private-Equity-Unternehmen Carlyle 2013 die deutsche Pflegeheimgruppe Alloheim für 180 Milllionen Euro und verkaufte das Unternehmen vier Jahre später für 1,1 Milliarden Euro an den nächsten Finanzinvestor.“ (Théo Bourgeron et al., Seite 14)

Die Studie stellt mit Bezug auf eine britische Untersuchung fest, dass bei Private-Equity-Modellen mindestens zehn Prozent der jährlichen Gesamteinnahmen des Sektors in Großbritannien in den Taschen von Finanzinvestoren landen. Die Bürgerbewegung Finanzwende geht davon aus, dass in Deutschland ähnliche Summen nicht bei den Pflegebedürftigen ankommen, sondern dem ohnehin schlecht finanzierten Pflegesystem entzogen werden.

Die Autor*innen bezweifeln, dass Private-Equity-Firmen überhaupt im Pflegebereich aktiv sein sollten. Unterstützt werden sie dabei vom Ergebnis einer zusätzlich in Auftrag gegebenen Umfrage, nach der 60 Prozent der Bevölkerung den Aufkauf von Pflegeheimen durch private Investoren ablehnen.

Was ist eigentlich Private Equity?

Eine ausführliche Erklärung findet sich auf Seite 14 der angegebenen Studie.

Quellen:

„Private-Equity-Investoren in der Pflege“, Finanzwende Recherche, 14. Oktober 2021

https://www.finanzwende-recherche.de/unsere-themen/private-equity-investoren-in-der-pflege/

„Neue Studie: Schädlicher Einfluss von Private-Equity-Investoren im Pflegebereich“, Pressemitteilung von Finanzwende Recherche, 14. Oktober 2021

https://www.finanzwende-recherche.de/2021/10/14/neue-studie-schaedlicher-einfluss-von-private-equity-investoren-im-pflegebereich/

Théo Bourgeron/Caroline Metz/Marcus Wolf: Private-Equity-Investoren in der Pflege: Eine Studie über das Agieren von Private-Equity-Investoren im Pflegebereich in Europa, Finanzwende/Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin 2021

https://www.finanzwende-recherche.de/wp-content/uploads/2021/10/Finanzwende_BourgeronMetzWolf_2021_Private-Equity-Investoren-in-der-Pflege_20211013.pdf

Eine vom Journalistenteam Investigate Europe durchgeführte Recherche stellt ebenfalls fest:

„Ein stetig wachsender Teil der staatlichen Ausgaben für die Pflege fließt in die Kassen transnationaler Unternehmen, die damit eine wichtigen Teil der sozialen Infrastruktur in ihren Besitz bringen; die 20 größten Konzerne verwalten bereits mehr als 4.681 Heime für mehr als 400.000 Pflegebedürftige (…).

Anonyme Finanzinvestoren übernehmen immer größere Anteile am Pflegegeschäft und entziehen ihre mit öffentlichen Geldern erzielten Gewinne der Besteuerung, indem sie ihre Erlöse in Offshore-Zentren verschieben.

Die zunehmende Privatisierung geht in vielen EU-Ländern einher mit Einsparungen beim Personal und Mängeln bei der Pflegequalität, aber die Regierungen lassen den Prozess laufen und versagen vielerorts bei der Kontrolle.

Quelle:

Nico Schmidt/Harald Schumann: „Heime als Gewinnmaschinen für Konzerne und Investoren“, Der Tagesspiegel vom 16. Juli 2021

https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/das-milliardengeschaeft-altenpflege-heime-als-gewinnmaschinen-fuer-konzerne-und-investoren/27424770.html

vgl. auch:

https://www.investigate-europe.eu/de/2021/heime-als-gewinnmaschinen-fuer-konzerne-und-investoren/

https://www.investigate-europe.eu/de/2021/millardengeschaeft-altenpflege-konzerne/

 

Steuerbetrug viel größer als bisher bekannt

„Solche Geschäfte sind gewissermaßen das perfekte Verbrechen. Kompliziert, abstrakt, weit weg von unserem Alltag. Auf den ersten Blick gibt es keine Opfer. Niemand scheint direkt betroffen.“

Dieses Zitat aus einem Bericht des Recherchezentrums Correctiv bezieht sich auf den immensen Steuerbetrug, bei dem es den Tätern nicht nur darum geht, Steuern zu vermeiden – sondern aktiv in die Staatskassen zu greifen und Milliardenbeträge zu stehlen.

Eine aktuelle internationale Untersuchung, an der in Deutschland das NDR-Politmagazin Panorama und  Correctiv beteiligt waren, zeigt: Der entstandene Schaden aufgrund von Cum-Ex, Cum-Cum und anderer Steuertricksereien ist weit größer als bislang vermutet. Nach dieser Untersuchung belaufe sich die Summe europaweit auf rund 150 Milliarden Euro, davon knapp 36 Milliarden in Deutschland in den letzten 20 Jahren. Noch 2018 war man nur von rund 55 Milliarden Euro in Europa ausgegangen. Der deutsche Staatshaushalt habe tatsächlich allein mit Cum-Ex-Deals mehr als sieben Milliarden Euro verloren, mit Cum-Cum 28,5 Milliarden.

In Frankreich entstanden in den vergangenen beiden Jahrzehnten Steuerausfälle von etwa 33 Milliarden Euro, in den Niederlanden 27 Milliarden, in Spanien 19 Milliarden. Geringere Verluste verzeichneten Staaten wie etwa Großbritannien und auch die USA, in denen strengere Gesetze gelten und die Finanzmarktaufsicht schärfer vorgeht (vgl. Tagesspiegel).

Worum handelt es sich bei Cum-Ex- und Cum-Cum-Geschäften? Es geht bei beiden Varianten um Steuerrückzahlungen im Zusammenhang mit Dividendenzahlungen:

„Ähnlich wie auch bei Cum-ex profitieren die Akteure davon, dass der Staat Steuern zurückerstattet, obwohl diese gar keinen Anspruch darauf haben. Der Unterschied in der Bezeichnung liegt darin, dass die Aktien mal mit, also ‚cum‘, Dividende gehandelt werden und mal ohne, also ‚ex‘. Bei ‚Cum-cum‘-Geschäften geht es um Aktiengeschäfte, die vor dem Dividendenstichtag eingefädelt werden.

Zudem spielen ausländische Investoren eine besondere Rolle, denn die werden in vielen Ländern der Welt steuerrechtlich anders behandelt als inländische Institute, auch in Deutschland. Während sich inländische Investoren die einmal gezahlte Steuer zurückerstatten lassen können, ist dies ausländischen Unternehmen nur eingeschränkt möglich. In diesen Fällen liehen sich deutsche Banken, zum Beispiel die Commerzbank, für den Zeitraum der Auszahlung der Dividende die Aktien. Die deutschen Unternehmen ließen sich die Kapitalertragsteuer erstatten – und teilten dann die Zahlung mit dem ausländischen Geschäftspartner, dem die Aktien eigentlich gehörten.“ (FAZ)

Seit Juli dieses Jahres gelten Cum-Ex-Deals nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs als strafbar. Die Staatsanwaltschaft Köln, über die viele Ermittlungsverfahren laufen, geht mittlerweile auch gegen mehr als tausend Beschuldigte vor. Gerhard Schick vom Verein Finanzwende spricht jedoch von einer deutlichen Diskrepanz zwischen den Zahlen der aktuellen Studie und Angaben des Bundesfinanzministeriums. Dem vermuteten Schaden bei Cum-Cum-Deals in Höhe von über 28 Milliarden Euro stünden bisher nur Rückzahlungen in Höhe von 135 Millionen Euro gegenüber. Bund und Länder hätten jahrelang die Aufklärung blockiert (vgl. Tagesspiegel).

Auch Correctiv zeigt sich pessimistisch, was Aufklärung und Verfolgung dieser Art der Wirtschaftskriminalität betrifft, und verweist auf die internationale Dimension des Steuerbetrugs:

„Das Finanzministerium von Scholz scheint nicht die einzige Behörde zu sein, die im Kampf gegen steuergetriebene Deals versagt. Wir haben über das Informationsfreiheitsgesetz Einsicht in Akten beantragt und so einen Einblick bekommen, wie europäische Behörden hinter den Kulissen mit der Problematik der Cum-Ex-Geschäfte und anderer steuergetriebener Deals umgehen. Das Bild ist auch drei Jahre nach den Cum-Ex-Enthüllungen verheerend. Europäische Staaten scheitern bei der Bekämpfung des systematischen Steuerbetrugs.“

Quellen:

Corinna Budras: „140 Milliarden Euro Beute durch Steuertricksereien“, FAZ (Online) vom 21. Oktober 2021

https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/cum-cum-geschaefte-140-milliarden-euro-durch-steuerbetrug-17596283.html

Correctiv (Recherchezentrum): „Top Story: Die CumEx-Files 2.0“

https://correctiv.org/schwerpunkte/cum-ex-steuerbetrug/

„Cum-Ex: Steuerräuber ohne Schuldgefühl“, ARD-Magazin Panorama vom 21. Oktober 2021

https://daserste.ndr.de/panorama/archiv/2019/-,panorama17208.html

Albert Funk: „Betrug bei Dividenden richtet weltweit 150 Milliarden Euro Schaden an“, Tagesspiegel (Online) vom 21. Oktober 2021“

https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/cum-ex-deals-und-andere-geschaefte-betrug-bei-dividenden-richtet-weltweit-150-milliarden-euro-schaden-an/27725068.html

 

 

 

Betrugsvorwürfe gegen Immobilienkonzern Adler

Im Februar 2016 hatte der Leerverkäufer (engl. Shortseller) Fraser Perring einen aufsehenerregenden 100seitigen Bericht über Bilanzfälschungen von Wirecard veröffentlicht und damit den Niedergang des ehemaligen Dax-Hoffnungsträgers eingeleitet. Jetzt greift er die Adler Group an, eine der größten Vermieterfirmen Deutschlands. Sein Geschäftsmodell funktioniert wie folgt: Perring überprüft Unternehmensbilanzen nach Bilanzfälschungen und anderen Unstimmigkeiten, leiht sich dann Aktien der Konzerne und verkauft sie weiter. Anschließend veröffentlicht er seine kritischen Studien über das jeweilige Unternehmen und wartet bis zum Rückgabetermin auf sinkende Kurse. Die Kursdifferenz streicht er dann als Gewinn ein. 

Wie das Handelsblatt berichtet, setzte er diesmal einen nicht bekannten Betrag auf den Fall der Aktie der Adler Group S.A. Die Adler Group mit Firmensitz in Luxemburg ist im S-Dax gelistet und operiert von Berlin aus. Sie entstand im Jahr 2020 aus dem Zusammenschluss der ADO Properties, Adler Real Estate und des Berliner Projektentwicklers Consus Real Estate und vermietet rund 70.000 Wohnungen in deutschen Großstädten. Perrings Investmentfirma Viceroy wirft in einem aktuellen Bericht Adler vor, ein „hotbed of fraud, deception and financial misrepresentation“ zu sein („eine Brutstätte für Betrug, Täuschung und finanzieller Falschdarstellung“). Adler wies die Anschuldigungen auf Schärfste zurück – die Aktie stürzt dennoch vorübergehend ab.

Das Handelsblatt schreibt in seiner Ausgabe vom 7. Oktober 2021:

„Perring hat heute auf der Webseite Viceroyresearch.org einen 61 Seiten langen Report seines Rechercheinstituts ‚Viceroy Research‘ vorgelegt. Adler ist darin als undurchsichtiges Unternehmensgeflecht beschrieben. Der Konzern sei darauf ausgelegt, besser kapitalisierte Unternehmen zu übernehmen, sie mit Schulden zu belasten und über nicht offengelegte Transaktionen mit nahe stehenden Parteien auszuhöhlen. Zugleich kritisiert Perring stillstehende Baustellen, Bilanzierungstricks und eine angebliche Überbewertung der Immobilien. Als Profiteure dieser Machenschaften hat Perring eine Gruppe aus Gesellschaftern und Managern bei Adler und im Umfeld des Konzerns ausgemacht. Diese gehörten zu einem Netzwerk um den Unternehmer Cevdet Caner, der den Immobilienkonzern angeblich aus dem Hintergrund wie ein Schatten-CEO kontrolliere. Perring wirft dem Zirkel aus ‚Friends & Family‘ verdeckte Insidergeschäfte vor. Die Leidtragenden seien Aktionäre und Anleihegläubiger.“

Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) überprüft nach eigenen Angaben die in der Viceroy-Studie erhobenen Vorwürfe gegen Adler. Sollten sich daraus Verdachtsmomente für Straftaten ergeben, werde man diese bei der Staatsanwaltschaft anzeigen.

Quellen:

„Adler Group – Bond Villains“, Viceroy Research, 6. Oktober 2021

https://viceroyresearch.org/2021/10/06/adler-group-bond-villains/

René Bender/Felix Holtermann/Kerstin Leitel/Lars-Marten Nagel: „Wirecard-Jäger erhebt schwere Vorwürfe gegen Immobilienkonzern Adler“, Handelsblatt vom 7. Oktober 2021

https://www.handelsblatt.com/finanzen/immobilien/shortseller-fraser-perring-wirecard-jaeger-erhebt-schwere-vorwuerfe-gegen-immobilienkonzern-adler/27681396.htmlhttps://www.bing.com/?FORM=SLBRDF&PC=SL09&ticket=ST-1133880-G01uoJMBLOxSNPVNmkZ5-cas01.example.org

Jack Sidders/Laura Benitez/Luca Casiraghi: „ House of Caner: Adler sitzt auf 8 Mrd. Euro Schulden“, Capital vom 8. Oktober 2021

https://www.capital.de/wirtschaft-politik/house-of-caner-adler-sitzt-auf-8-mrd-euro-schulden

 

RWE und der verrückte Emissionshandel

Im Januar 2019 wurde in Deutschland beschlossen, bis spätestens 2038 aus der Kohleenergie auszusteigen. Auch einer der umsatzstärksten Stromversorger hierzulande, RWE, muss seine Kohlekraftwerke bis dahin schrittweise abwickeln. Das Handelsblatt beschrieb in seiner Ausgabe vom 19. September 2021, warum der Konzern jedoch weiterhin gut an dem klimaschädlichen Energieträger verdient.

Im ersten Halbjahr 2021 erzielte die Kohle- und Atomsparte von RWE danach 235 Millionen Euro mehr Gewinn als im Vorjahreszeitraum. Der Strompreis im Großhandel stieg zwar sprunghaft an, der Preis für CO2-Zertifikate, die insbesondere die Kohleverstromung verteuern sollen, aber ebenso. Im letzten Jahr kostete ein Zertifikat, das zum Ausstoß einer Tonne des Treibhausgases berechtigt, rund 25 Euro. Aktuell liegt der Preis bei etwa 60 Euro. RWE aber, so heißt es, könne den steigenden C02-Preisen gelassen entgegenblicken, da sich das Unternehmen schon vor Längerem zu äußerst günstigen Konditionen gegen das CO2-Preis-Risiko gewappnet habe – und zwar für das ganze Jahrzehnt. RWE hatte sich schlicht mit den Erlaubnisscheinen eingedeckt, als die Preise noch im Keller waren. Bis 2030 seien die finanziellen Auswirkungen steigender CO2-Preise vollständig abgesichert.

Jedoch steht RWE als Feindbild für die Klimaschützer massiv unter politischem und öffentlichem Druck, endlich die Energiewende umzusetzen. Das Handelsblatt schreibt über die Strategie des Konzerns: „Es wird sogar spekuliert, dass RWE in den kommenden Jahren vorrangig die CO2-Rechte am Markt verkaufen und die eigenen Kraftwerke wiederum mit teureren Rechten am Markt versorgen könnte. Die Tradingabteilung würde dann hohe Gewinne verbuchen, die Gewinne mit den Kohlekraftwerken würden dagegen nicht zu üppig ausfallen – was politisch opportun wäre.“

Der Nachrichtendienst heise online erinnert daran, was es mit dem Emissionshandel auf sich hat:

„Ein Preis auf den Ausstoß von CO₂ (Kohlendioxid), dem mit Abstand wichtigsten Treibhausgas, ist für viele Umweltökonomen das Mittel der Wahl, um die Wirtschaft umzubauen. Seit 2005 müssen in der EU die Betreiber von Kohlekraftwerken und in den folgenden Jahren auch diverse andere Industriebranchen, wie Stahl, Chemie, Papier und Zement, für jede emittierte Tonne CO₂ ein Zertifikat vorweisen oder eine Strafgebühr bezahlen.

Die Zertifikate werden entweder bei staatlichen Auktionen oder an der Börse erworben. In den ersten Jahren gab es sie sogar umsonst, was die deutschen Kraftwerksbetreiber nicht daran hinderte, ihren fiktiven Preis in die Stromrechnungen der Kunden einzurechnen. Mehrere Milliarden Euro Sondergewinne haben RWE & Co. seinerzeit auf diesem Wege gemacht.

Inzwischen müssen die Energieversorger und ein Teil der übrigen betroffenen Konzerne für neue Zertifikate zahlen. Das Problem: Die Zertifikate haben kein Verfallsdatum und sie wurden in der Vergangenheit sehr großzügig ausgegeben.“

Quellen:

Jürgen Flauger/Kathrin Witsch: „Milliardengeschäft Kohle: Warum RWE sogar an steigenden CO2-Preisen verdient“, Handelsblatt vom 19. September 2021

https://www.handelsblatt.com/technik/thespark/energiekonzern-milliardengeschaeft-kohle-warum-rwe-sogar-an-steigenden-co2-preisen-verdient/27617624.html?ticket=ST-7162300-Od5UrDkhRPixOBJnkXc5-ap2

Wolfgang Pomrehn: „RWE: Zusatzgewinne durch Emissionshandel“, heise online, 21. September 2021

https://www.heise.de/tp/news/RWE-Zusatzgewinne-durch-Emissionshandel-6197570.html

Gegen Mieterverdrängung durch Bayer-Konzern

Um seinen Unternehmensstandort im Berliner Bezirk Wedding auszubauen, will der Pharmakonzern Bayer Schering Pharma AG offenbar vier Wohngebäude abreißen lassen. Darüber berichtete bereits am 18. August 2021 der Blog der lokalen Initiative Moabitonline und im Anschluss daran auch der Berliner Tagesspiegel. Kündigungen für die betroffenen Mieter*innen in der Tegeler Straße 2-5 (mit etwa 50 Wohnungen) seien bereits erfolgt; für weitere Gebäude in derselben und einer angrenzenden Straße wird ebenfalls mit Abrissen und Kündigungen gerechnet. Nach Angaben des Tagesspiegel verbindet Bayer damit eine Investition in dreistelliger Millionenhöhe, die – so ein Unternehmenssprecher – mehr als 1.000 Arbeitsplätzen in Berlin langfristig gewährleisten soll. Insgesamt arbeiten am Berliner Standort von Bayer etwa 5.000 Mitarbeiter*innen.

Im August fand vor den Häusern der Tegeler Straße eine kämpferische Kundgebung unter dem Motto „Abriss geht gar nicht!“ statt. Unter anderem wurde ein Grußwort der Coordination gegen Bayer-Gefahren verlesen. Ein Auszug daraus:

„Die Coordination gibt es seit 1978. Wir haben als Bürgerinitiative begonnen und sind mittlerweile ein internationales Netzwerk. Wir sind jedes Jahr auf BAYER-Hauptversammlungen präsent und konfrontieren den Vorstand mit seinen Verbrechen. (…) Unsere Einladung, auf der jährlichen BAYER-Hauptversammlung zu sprechen, richtet sich hiermit ausdrücklich auch an Euch! Bezahlbarer Wohnraum wird in Berlin immer rarer, die Bevölkerung kann sich ihre eigene Stadt nicht mehr leisten. Dass nun 140 von den letzten bezahlbaren Altbau-Wohnungen, soziale Infrastruktur sowie KiTas, Kleingewerbe und Kunstateliers zerstört werden sollen, damit BAYER mit Immobilien Kohle scheffeln kann, ist ein Konzernverbrechen. Hier steht ganz klar das Profitinteresse eines Konzerns gegen das Recht von Menschen, gut und bezahlbar zu leben. Dieses Vorgehen hat nichts mit dem progressiven, sozialen, umweltfreundlichen Image zu tun, welches der Konzern versucht, von sich zu zeichnen. Dieses skandalöse Vorgehen muss daher konsequent ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt werden. Auf der Hauptversammlung hören alle Aktionär*innen zu. Die Öffentlichkeit schaut auf den Konzern. (…) Nutzt die Chance, auf der Hauptversammlung Eure Stimme zu erheben! Auch, dass der Werkschutz von BAYER stundenlang die Straße observiert und die Mieter*innen einschüchtert, ist ein Skandal, der unbedingt breit sichtbar gemacht werden muss. Der Konzern greift stets zu Verdunkelung und Repression, wenn sein Profit-Interesse angegriffen wird. (…) Die Profitmaximierungslogik des Kapitalismus ist in der Chemiebranche genauso zerstörerisch wie auf dem Wohnungsmarkt. Deshalb ist unsere Forderung auch genau die gleiche wie die der bekannten Berliner Kampagne ‚Deutsche Wohnen und Co. enteignen‘: BAYER muss vergesellschaftet werden!“ 

Quellen:

Thomas Lippold: „Bezirk will Abriss von Wohngebäuden durch Bayer verhindern“, Tagesspiegel vom 20. August 2021

https://www.tagesspiegel.de/berlin/millionen-investitionen-von-pharmakonzern-in-mitte-bezirk-will-abriss-von-wohngebaeuden-durch-bayer-verhindern/27536794.html

Susanne Torka: „Wohnraumvernichtung durch Bayer und Bezirksamt Mitte“, 18. August 2021, MoabitOnline

https://moabitonline.de/36730#comment-38471

Coordination gegen BAYER-Gefahren e.V.: „Grußwort BAYER-Mettmannkiez-Demo Berlin“

https://moabitonline.de/wp-content/uploads/2021/08/Rede-Mettmannkiez-Demo-210914.pdf

 

 

Unternehmensstrafrecht: In Zukunft schärfere Regelungen gegen Wirtschaftskriminalität?

„Wir wollen sicherstellen, dass Wirtschaftskriminalität wirksam verfolgt und angemessen geahndet wird“: Vor dem Hintergrund von Dieselaffäre, Fleischskandalen und Cum-Ex-Geschäften hatten sich die Regierungsfraktionen im aktuellen Koalitionsvertrag auf schärfere Sanktionen gegen Unternehmen festgelegt. Dann folgte allerdings ein langer Streit über die konkrete Ausgestaltung des Vorhabens. Im Juni des letzten Jahres beschloss die Bundesregierung schließlich den von der Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz vorgelegten Entwurf des „Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“. Ein Jahr nach Vorlage des Regierungsentwurfes folgte dann jedoch das endgültige Aus für das Gesetzesvorhaben. Massive Gegenwehr gegen höhere Strafen für kriminelle Unternehmen aus Kreisen der Wirtschaft und der Union hatten nun doch noch zum Scheitern der Regierungsvorlage geführt.

Einer der Kernpunkte dieser Vorlage bildete ein neues Sanktionsrecht. Für Gesetzesverstöße von Unternehmen wie Betrug, Korruption oder Umweltdelikte konnten und können bislang nur Geldbußen von maximal zehn Millionen Euro verhängt werden. Der Regierungsentwurf sah hingegen für Konzerne mit einem jährlichen Umsatz von mehr als 100 Millionen Euro Bußbescheide in Höhe von bis zu zehn Prozent ihres Jahresumsatzes vor. Künftig sollten zudem – bei einen Verdacht, dass aus dem Unternehmen heraus Straftaten begangen werden – Staatsanwaltschaften nach dem Legalitätsprinzip gegen Firmen ermitteln. Bisher liegt es hingegen im Ermessen der einzelnen Behörden, ob und wie gegen Delikte von Unternehmen vorgegangen wird.

Obwohl die geplanten Unternehmenssanktionen in dieser Legislatur nun nicht mehr kommen, hält es das Handelsblatt in seiner Ausgabe vom 16. August 2021 für sehr wahrscheinlich, dass sich Unternehmen in naher Zukunft auf schärfere Regelungen einstellen müssen. Zwar tauche ein neues Sanktionsrecht in den Wahlprogrammen von Union und SPD nicht mehr auf. Doch auf Nachfrage würden sich die beiden Parteien dafür grundsätzlich offen zeigen. Der rechtspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Johannes Fechner, sagte gegenüber der Zeitung, dass die Betrügereien von Unternehmen mit Coronatests gerade erst gezeigt hätten, wie sinnvoll solche Regelungen wären.

Nach Angaben des rechtspolitischen Sprechers der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Jan-Marco Luczak, will die Union Rechtsverstöße in der Wirtschaft „gezielt bekämpfen“, nicht aber Unternehmen „generell kriminalisieren“. „Wir wollen einen Regelungsrahmen“, so Luczak, „der Anreize für Unternehmen schafft, sich rechtstreu zu verhalten und mit den Strafverfolgungsbehörden zu kooperieren“. Dafür sei die Fraktion auch in Zukunft offen und gesprächsbereit.

Die Grünen hingegen halten – wie Bundesgeschäftsführer Michael Kellner dem Handelsblatt mitteilte – ein Gesetz zu Unternehmenssanktionen weiterhin für erforderlich und wollen Unternehmen bei Rechtsverstößen künftig wirksamer zur Rechenschaft ziehen.

Im Wahlprogramm der FDP tauchen Unternehmenssanktionen dagegen laut Handelsblatt mit keinem Wort auf. Die größte Abschreckungswirkung, Straftaten zu begehen, habe nach Auffassung der Liberalen immer noch die individuelle Haftung. „Gerade vor dem Hintergrund der sehr hohen Belastungen der deutschen Wirtschaft durch die Politik der Großen Koalition und durch Corona sind zusätzliche Belastungen durch ein Unternehmensstrafrecht der falsche Weg“, zitiert das Blatt das Wahlprogramm der FDP.

Der Ökonom Heinz-J. Bontrup kritisierte bereits im letzten Jahr den damals noch aktuellen Regierungsentwurf. In einem Interview mit den „NachDenkSeiten“ sagte er unter anderem, dass in der Vergangenheit unternehmensseitig begangene kriminelle Wirtschaftsdelike eben nicht strafrechtlich verfolgt werden konnten. Diese Delikte unterlagen stattdessen dem Ordnungswidrigkeitengesetz, wo bei der Sanktion nur ein Bußgeld drohte. „Bußgelder schrecken aber kriminelle Unternehmen nicht ab. Im Gegenteil, sie können sich die Geldstrafen ex-ante berechnen und diese dann in ihren Produkten einpreisen, so dass am Ende, fliegen die Unternehmen auf, auch noch der ‚dumme‘ Nachfrager das Bußgeld für die Täterunternehmen bezahlt.“

Streng genommen, meinte Bontrup weiter, würde es auch mit dem neuen Gesetz kein „Unternehmensstrafrecht“ geben. „Strafrecht impliziert neben Geldstrafen immer auch die Möglichkeit einer Haftstrafe. Man kann aber ein Unternehmen, also eine juristische Person, nicht verhaften – allenfalls kann man das Unternehmen zerschlagen oder enteignen, was übrigens im GWB* bei schweren Verstößen gegen den Wettbewerb, mit Ausnahme einer Enteignung, durchaus vorgesehen ist, bis heute realiter aber noch nicht einmal umgesetzt wurde. Und jetzt wird es interessant und entscheidend: Eine Zerschlagung oder Enteignung sieht das neue ‚Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft‘ nicht vor, sondern, wie im GWB, nur eine monetäre Sanktionierung über Bußgelder, die hier dem GWB angelehnt wurden. (…) Glauben Sie mir: Wenn der Gesetzgeber den Unternehmenseigentümern, und um die geht es bei Unternehmen letztlich, mit einer konkreten Zerschlagung oder in ganz schweren Fällen mit einer Wegnahme ihrer Unternehmen (Enteignung ohne Entschädigung) bedrohen würde, dann gäbe es auch keine kriminellen Handlungen mehr. Ein dazu notwendiges, wirkliches Unternehmensstrafgesetz zu verabschieden, traut sich aber die herrschende Politik nicht. Insofern muss man von einem Staatsversagen sprechen (…).“

* Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)

 

Quellen:

Heike Anger: „Betrug, Korruption oder Umweltdelikte: Unternehmenssanktionen werden kommen“, Handelsblatt (Online) vom 16. August 2021

https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/wirtschaftskriminalitaet-betrug-korruption-oder-umweltdelikte-unternehmenssanktionen-werden-kommen/27521226.html

Corinna Budras: „Gesetzesentwurf gekippt: Skandale ohne Folgen“, FAZ (Online) vom 9. Juni 2021

https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/koalition-beerdigt-gesetz-zu-unternehmenssanktionen-17381080.html

„Ein wirkliches Unternehmensstrafgesetz zu verabschieden, traut sich die herrschende Politik nicht“, Interview der „NachDenkSeiten: Die kritische Website“ mit Heinz-J. Bontrup vom 3. August 2020

https://www.nachdenkseiten.de/?p=63536

 

Cyberattacken nehmen stark zu

Bereits am 5. August 2021 stellten der Vizepräsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Sinan Selen, und der Präsident von Bitkom*, Achim Berg, bei der Bundespressekonferenz die repräsentative Studie „Wirtschaftsschutz und Cybercrime“ vor.

Die Schäden durch analoge und digitale Angriffe wie Diebstahl, Industriespionage und Sabotage sind demnach aktuell auf 223,5 Milliarden Euro gestiegen. Im Jahr 2019 hatte die Schadenssumme noch bei 102,9 Milliarden Euro gelegen. Bitkom hatte über tausend Unternehmen quer durch alle Branchen im Zeitraum vom 11. Januar bis 9. März 2021 jeweils nach Schäden in den vergangenen zwölf Monaten befragt. Etwa 90 Prozent der Unternehmen gaben an, Opfer von Cyberkriminalität geworden zu sein.

„Der starke Anstieg krimineller Aktivitäten geht vor allem auf Cyberattacken zurück, von denen 86 Prozent der Unternehmen laut der Bitkom-Studie betroffen waren. ‚Kein anderes Angriffsszenario ist so stark gestiegen wie Digitalattacken‘, sagte Berg am Donnerstag bei der gemeinsamen Vorstellung der Ergebnisse mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz. Berg bezeichnete die Entwicklung als ‚schockierend‘. Hinter den meisten Angriffen steckten immer häufiger Profis, die ‚richtig hohe Schäden verursachen‘. Ein Grund für die massive Zunahme von Cyberattacken ist der Wechsel ins Homeoffice im Zuge der Corona-Pandemie. Die neue Welle der Heimarbeit habe dazu geführt, dass viele Kriminelle vor allem das ‚schwächste Glied der Sicherheitskette‘, den Faktor Mensch, bei ihren Attacken anvisierten, so die Studie. Dabei reicht es, dass ein Mitarbeiter sein Passwort telefonisch weitergibt oder einen infizierten Anhang einer E-Mail anklickt, um den Hackern das Tor zur Unternehmenswelt weit zu öffnen.“ (Handelsblatt vom 5. August 2021)

Nach Angaben der Studie erfolgen viele der Angriffe aus dem Ausland. Die befragten Unternehmen vermuteten mit rund 60 Prozent Osteuropa und Russland als die Region, aus der die meisten Hackerattacken kamen, gefolgt von Deutschland (43 Prozent) und China (30 Prozent). Laut Verfassungsschutz ist auch eine Zunahme von staatlichen Cyberangriffen festzustellen. 84 Prozent der befragten Unternehmen befürchten, dass Cyberattacken weiter zunehmen werden. Besonders bedroht sehen sich Betreiber der kritischen Infrastruktur wie Stromnetzbetreiber oder Telekommunikationsunternehmen.

Die netzpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Anke Domscheit-Berg, kritisierte gegenüber dem Neuen Deutschland, dass die Bundesregierung viel zu wenig tue, um die Risiken zu begrenzen. Sie verdeutlicht das am Beispiel des Landkreises Anhalt-Bitterfeld.

„Dort fand Anfang Juli ein Angriff auf die IT-Systeme der Verwaltung mit einer ‚Ransomeware‘ genannten Schadsoftware statt. Eine schlichte Erpressung. Die Angreifer verschlüsselten die Daten auf den Speichern der Verwaltung und verlangten Geld dafür, damit die Daten wieder entschlüsselt werden. Das Lösegeld wurde nicht gezahlt. Wenige Tage nach dem Angriff musste der Landkreis den Katastrophenfall ausrufen, weil die Verwaltung nicht mehr arbeitsfähig war und viele Dienstleistungen nicht mehr erbringen konnten, auf die Bürger*innen angewiesen sind. Wohngeld, BaföG, Eingliederungshilfen und viele weitere Antragsverfahren mussten neu organisiert und über eine Notinfrastruktur realisiert werden. Zuletzt vermeldete der Landkreis den kleinen Erfolg, dass auch die Zulassung von Kraftfahrzeugen nach mehr als drei Wochen wieder technisch möglich sei. Die Bundeswehr kam mit ihren Cyberabteilungen zum Einsatz, um die 900 Computer der Verwaltung wieder arbeitsfähig zu machen und Sicherheitsvorkehrungen zu treffen.“ (Neues Deutschland vom 5. August 2021)

Zur Angreifbarkeit der Systeme trage aber auch die Bundesregierung selbst bei. Denn trotz latenter Bedrohung wolle die Regierung weiterhin Sicherheitslücken geheim halten, um sie für Überwachung ausnutzen zu können. Faktisch sei jeder Staatstrojaner eine Schadsoftware, die auch genauso funktioniere und die gleichen Angriffswege nutze.

* Der 1999 gegründete Digitalverband Bitkom (Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e. V.) vertritt die deutsche Informations- und Telekommunikationsbranche und damit mehr als 2.000 Mitgliedsunternehmen.

Quellen:

„Wirtschaftsschutz 2021“, Studie der Bitkom vom 5. August 2021

https://www.bitkom.org/sites/default/files/2021-08/bitkom-slides-wirtschaftsschutz-cybercrime-05-08-2021.pdf

„Angriffsziel deutsche Wirtschaft: mehr als 220 Milliarden Euro Schaden pro Jahr“, Pressemitteilung Bitkom vom 5. August 2021

https://www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/Angriffsziel-deutsche-Wirtschaft-mehr-als-220-Milliarden-Euro-Schaden-pro-Jahr

Daniel Lücking: „Angriffsziel Heimarbeit“, Neues Deutschland vom 5. August 2021

https://www.nd-aktuell.de/artikel/1155312.cybersicherheit-angriffsziel-heimarbeit.html

Teresa Stiens: „Angriff auf die deutsche Wirtschaft: Cyberkriminalität kostet Unternehmen Milliarden“, Handelsblatt vom 5. August 2021

https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/bitkom-studie-angriff-auf-die-deutsche-wirtschaft-cyberkriminalitaet-kostet-unternehmen-milliarden/27483826.html

 

Exzessive Profite von Impfstoffherstellern

Nach einer aktuellen Studie der internationalen NGO The People’s Vaccine Alliance erzielen die großen mRNA-Impfstoffhersteller, darunter BioNTech (Mainz), riesige Profite aus der Covid-19-Pandemie. Die NGO kommt zu dem Schluss, dass die von BioNTech und Pfizer aus dem Verkauf ihres Vakzins gezogenen Einnahmen um rund 24 Milliarden US-Dollar über dem Herstellungspreis liegen.

„Demnach könnte eine Dosis des BioNTech/Pfizer-Vakzins für rund 1,18 US-Dollar produziert werden, eine Dosis des Moderna-Vakzins für 2,85 US-Dollar. Soweit die tatsächlich gezahlten Preise bekannt sind, liegen sie bei Moderna um das 4- bis 13-Fache über den von The People’s Vaccine Alliance geschätzten Produktionskosten, bei BioNTech/Pfizer sogar um das 6- bis 24-Fache. Der niedrigste bekannte Preis für eine Dosis des BioNTech/Pfizer-Vakzins wurde von der Afrikanischen Union (AU) gezahlt; er liegt mit 6,75 US-Dollar pro Dosis beim 6-Fachen der geschätzten Produktionskosten. Den höchsten Preis bezahlte Israel mit 28 US-Dollar pro Dosis. Moderna wiederum soll von Kolumbien 30 US-Dollar pro Impfdosis verlangt haben – das Doppelte dessen, was die US-Regierung zahlte. Südafrika hat sich gezwungen gesehen, ein Angebot von Moderna als unbezahlbar abzulehnen; Berichten zufolge verlangte der Konzern 42 US-Dollar pro Dosis.“ (german-foreign-policy.com vom 4. August 2021)

Nach Einschätzung von The People’s Vaccine Alliance hat dabei die EU die Preise „besonders schlecht verhandelt“ und damit den Impfstoffherstellern besonders hohe Profite beschert. Der Betrag, den die EU über den reinen Herstellungspreis hinaus ausgegeben habe, belaufe sich auf gut 31 Milliarden Euro, 19 Prozent des gesamten EU-Haushalts für das Jahr 2021. Berlin sichere die Profite der Impfstoffhersteller, indem es die zeitweise Aussetzung der Impfstoffpatente weiterhin blockiere. Schwellen- und Entwicklungsländer würden vor allem von China versorgt – mit inzwischen über 570 Millionen Impfdosen.

In The People’s Vaccine Alliance haben sich etwa 70 internationale NGOs, darunter Oxfam und Amnesty International, zusammengeschlossen.

Quelle:

„Die Pandemieprofiteure“, Bericht des Online-Nachrichtenportals „Informationen zur Deutschen Außenpolitik“ (german-foreign-policy.com) vom 4. August 2021

https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8678/

Weitere Informationen:

„Vaccine monopolies make cost of vaccinating the world against COVID at least 5 times more expensive than it could be“, Presseinformation von Oxfam International vom 29. Juli 2021

https://www.oxfam.org/en/press-releases/vaccine-monopolies-make-cost-vaccinating-world-against-covid-least-5-times-more

 

 

 

Mindestfallzahlen in den Krankenhäusern: Kritik an Schließung von Frühchenstationen

Das Anfang 2020 gegründete „Bündnis Klinikrettung“ kämpft gegen den massenhaften und flächendeckenden Abbau von Krankenhäusern. In einem aktuellen Aufruf heißt es:

„In Deutschland schließen seit Jahren fast monatlich Krankenhäuser. Kommunale Kliniken machen dicht, weil ihnen das Geld ausgeht, private Kliniken werden geschlossen, weil sie aus Sicht der Eigentümer nicht genügend Rendite erbringen. Der Bund fördert solche Schließungen sogar mit 500 Millionen Euro jährlich! Diese Entwicklung muss umgehend gestoppt werden. Krankenhäuser retten Leben. Wir brauchen sie in Krisenzeiten und im Alltag.“

Medienberichte belegen die Relevanz dieser Forderung. Am 25. Mai 2021 informierte etwa der NDR darüber, dass die Versorgung von Frühgeborenen in Mecklenburg-Vorpommern von 2024 an eingeschränkt werden soll. Der Hintergrund: In sogenannten Perinatalzentren können kranke Babys und Frühchen unabhängig von Größe, Alter und Gewicht behandelt werden. Das höchste Beschlussgremium im deutschen Gesundheitswesen, der gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), entschied aber Ende des letzten Jahres, die Mindestanzahl für die Behandlung von Frühgeborenen unter 1.250 Gramm hochzusetzen: von 14 Fällen pro Jahr auf 25. Offensichtlich mit dramatischen Folgen für Mecklenburg-Vorpommern (MV). Denn die neue Mindestmenge von 25 Fällen, so der NDR, erreichten dort nur die Kliniken in Schwerin und Rostock, Greifswald und Neubrandenburg dagegen nicht.

Der Bundesverband „Das Frühgeborene Kind e.V.“ betont dagegen die positiven Effekte einer Mindestmenge. In einer Stellungnahme vom Dezember 2020 heißt es: „Es gibt Behandlungen, bei denen die Qualität des Ergebnisses von der Anzahl der Patienten pro Jahr und Krankenhaus abhängt. Im Bezug auf die stationäre Versorgung von Frühgeborenen mit einem Geburtsgewicht unter 1250 Gramm ist ein solcher Zusammenhang bereits seit Jahren nachweislich belegt. Ausreichende Erfahrung im Umgang mit derart unreifen Kindern wirkt sich existenziell auf die Wahrscheinlichkeit ihres Überlebens aus.“

Die Süddeutsche Zeitung erläuterte bereits Ende 2020 den Hintergrund des Konflikts – mit der gleichen Stoßrichtung. Die Versorgung von Neugeborenen mit einem Geburtsgewicht von weniger als 1250 Gramm sei in den vergangenen Jahren besonders umstritten gewesen. Für diese extrem unreifen Frühgeborenen hätte die Mindestmenge in Deutschland seit 2010 bei nur 14 Fällen pro Jahr und Klinik gelegen. Der G-BA habe den Wert zwar noch im selben Jahr auf 30 Fälle pro Klinik erhöht. Zahlreiche Studien hätten aber schon damals belegt, dass es in Kliniken mit mehr Erfahrung zu weniger Todesfällen und Behinderungen bei den Frühgeborenen gekommen sei. Doch hätten mehrere Kliniken gegen die Erhöhung der Mindestmenge geklagt.

„Das Bundessozialgericht gab den Klägern recht, allerdings mit einer gewagten Begründung: So sei der Grenzwert von 30 willkürlich, weil ebenso gut 25 oder 50 festgelegt werden könnte. Allerdings gelten solche Grenzen beispielsweise auch für Laborwerte in der Medizin, für die Schwelle zum Übergewicht und für jedes Tempolimit, ohne dass deren Sinn in Frage gestellt würde. Vor wenigen Wochen hatte eine große Analyse von mehr als 50.000 Geburten in Deutschland gezeigt, dass eine Klinik mindestens 50 bis 60 der absoluten Leichtgewichte jährlich behandeln sollte, damit die Aussichten für die Kinder optimal wären. Jedes Jahr würden sich 25 bis 40 Todesfälle unter den Frühchen auf diese Weise verhindern lassen.“

Dr. Sven Armbrust, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin in Neubrandenburg, hält im NDR-Beitrag vom  vergangenen Mai vehement dagegen und kritisiert die höhere Mindestmenge. „Stattdessen müssen wir sagen, welche Kriterien brauchen wir, um zu definieren, ob das eine gute oder eine schlechte Qualität ist. Und wenn man Kliniken hat, die schlechte Qualität liefern, dann müssen sie die verbessern oder es muss Konsequenzen haben.“ Stationen aber auf Basis von Mindestmengen zu schließen halte er für den falschen Weg.

Im Juni 2021 wurde schließlich das „Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung” im Bundestag beschlossen (gültig ab 20. Juli 2021) und damit die Mindestmengenregelungen im Krankenhaus juristisch festgezurrt. Ausnahmen sind jedoch – als Kompromisslösung – im Einvernehmen mit den Krankenkassen möglich. Werden solche Absprachen mit den Krankenkassen getroffen, können spezielle Versorgungsleistungen und Behandlungen in dünn besiedelten Regionen weiterhin angeboten werden, obwohl bundesweite Mindestzahlen nicht erfüllt werden. Der gesundheitspolitische Sprecher der Fraktion und Landesvorsitzender der Partei Die Linke in MV, Torsten Koplin, merkt aber an, dass die Entscheider in den Krankenkassen alle außerhalb des Bundeslandes sitzen. MV habe denen gegenüber kein Entscheidungs- oder Weisungsrecht (vgl. Nordkurier vom 17. Juni 2021).

Quellen:

Werner Bartens: „Mehr Erfahrung für die Kleinsten“, Süddeutsche Zeitung vom 19. Dezember 2020

https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/fruehgeborene-mindestmengen-krankenhaeuser-1.5152772

Bündnis Klinikrettung: „Gemeingut Krankenhaus retten: Worum geht es?“

https://www.gemeingut.org/krankenhausschliessungen/#1604497252438-cba0189f-848c

Louisa Maria Carius: „Frühchenstationen in Mecklenburg-Vorpommern vor dem Aus?“, NDR-Nordmagazin vom 26. Mai 2021

https://www.ndr.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern/Fruehchenstationen-in-MV-vor-dem-Aus,neonatologie102.html

„G-BA beschließt neue Mindestmenge für Frühgeborene unter 1250 Gramm“, Stellungnahme (vom 21. Dezember 2020) des Bundesverbands „Das frühgeborene Kind“ e.V. zum neuen Mindestmengen-Beschluss vom 17. Dezember 2020

https://www.fruehgeborene.de/news/stellungnahme-zum-neuen-mindestmengen-beschluss-vom-17122020

Christoph Schoenwiese: „Linke in MV begrüßt Kompromiss bei Frühchenstationen – mit einem Aber“, Nordkurier vom 17. Juni 2021

https://www.nordkurier.de/mecklenburg-vorpommern/linke-in-mv-begruesst-kompromiss-bei-fruehchenstationen-mit-einem-aber

 

Commerzbank kündigt Konto eines linken Verlags

Die Commerzbank hat das Geschäftskonto der Mediengruppe Neuer Weg GmbH, in deren Druckerei Publikationen verschiedener linker Gruppen und Initiativen gedruckt werden, gekündigt. Das berichtet der Verlag in einer Mitteilung vom 21. Juli 2021. Über den Grund der Kündigung äußerte sich die Bank offensichtlich nicht. „Die Geschäftsbeziehung des Verlag Neuer Weg mit der Commerzbank verlief über Jahrzehnte ohne jede Beanstandung. Die Kündigung des Kontos erfolgte lediglich mit Verweis auf ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen, wonach sie jederzeit die gesamte Geschäftsverbindung oder einzelne Geschäftsbeziehungen ohne Angabe von Gründen kündigen kann“, heißt es dazu vom Verlag.

Ebenso sei das Privatkonto des Geschäftsführers Uwe Pahsticker und das der „Internationalismusverantwortlichen“ der MLPD (Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands), Monika Gärtner-Engel, gekündigt worden. Wenige Wochen zuvor habe die Bank auch das Konto von Stefan Engel, Autor im Verlag Neuer Weg und ehemaliger Parteivorsitzender der MLPD, gekündigt.

Nach Auffassung des Verlags reihen sich diese Angriffe „in eine Rechtsentwicklung der Gesellschaft ein, siehe die Nichtzulassung der DKP zu den Bundestagswahlen, Einschränkungen beim Versammlungsrecht usw.“.* Es sei geradezu lächerlich, „wenn die Commerzbank auf ihrer Homepage ihr Logo jetzt in Regenbogenfarben erscheinen lässt und behauptet ‚Wir bekennen Farbe für Vielfalt‘. Die Vielfalt gilt offensichtlich nur für höchstprofitbringende Geschäftskunden und nicht für Marxisten-Leninisten“.

In der Vergangenheit wurden bereits Geschäfts- und Privatkonten der MLPD bzw. einzelner ihrer Mitglieder von Banken gekündigt, so im Jahr 2009 durch die Deutsche Bank – ebenfalls ohne Nennung von Gründen.

* Die Nichtzulassung der DKP zur Bundestagswahl ist inzwischen aufgehoben worden.

Quellen:

„Kündigung unseres Geschäftskontos durch die Commerzbank“, Mitteilung der Mediengruppe Neuer Weg GmbH vom 21. Juli 2021

https://www.rf-news.de/2021/kw30/210721-mnw_erklaerung-zu-kontenkuendigung-durch-commerzbank.pdf

Luise Strothmann: „Marxisten müssen neue Bank suchen“, taz vom 20.11.2009

https://taz.de/Deusche-Bank-kuendigt-Konto/!5152150/