Im Mai 2020 hatten über 280 Bundestagsabgeordnete von CDU/CSU und FDP beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) einen Antrag auf abstrakte Normenkontrolle gegen das Berliner Mietendeckel-Gesetz eingereicht. Das BVerfG hat deshalb am 15. April 2021 den Mietendeckel für unvereinbar mit dem Grundgesetz und damit für nichtig erklärt, weil das Mietpreisrecht nur auf Bundesebene geregelt werden könne. Das „Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin“ (MietenWoG Bln) war am 23. Februar 2020 in Kraft getreten. Rückwirkend zum Juni 2019 waren damit Mieterhöhungen untersagt worden, bei Wiedervermietungen griffen Höchstwerte einer Mietentabelle. Ab November des vergangenen Jahres mussten deshalb überhöhte Mieten für etwa 340.000 Wohnungen abgesenkt werden. Unter anderem wird in dem Beschluss des Zweiten Senats des Gerichts darauf verwiesen, dass der Bund bereits im Jahr 2015 die sogenannte Mietpreisbremse beschlossen und damit „eine umfassende Abwägung aller berührten Belange“ mit dem Ziel „eines abschließenden Interessenausgleichs zwischen den Mietvertragsparteien“ vorgenommen habe. (Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts vom 15. April 2021)

Nach der Mietpreisbremse darf in Städten mit angespanntem Wohnungsmarkt bei einer Wiedervermietung die Miete höchstens zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen. Es gelten jedoch zahlreiche Ausnahmen. Tatsächlich stiegen in Berlin die Angebotsmieten zwischen 2015 und 2020 um nicht weniger als 44 Prozent – wie im Fünfjahreszeitraum davor. „Die Wirkung der Mietpreisbremse: null“, schlussfolgerte der Berliner Mieterverein. Das höchste deutsche Gericht ignorierte also völlig, dass die bundesweite Mietpreisbremse im Ergebnis den Mieter*innen keinerlei Schutz bietet. Sie „gehört aufgrund vieler Ausnahmen und mangelnder Kontrolle zu den wirkungslosesten Gesetzen dieses Landes. Geradezu zynisch mutet es da an, wenn das Gericht nun mit Hinweis auf diese Fehlleistung von einer abschließenden Regelung durch den Bund spricht“, kommentiert etwa die taz (Erik Peter in der taz vom 16. April 2021).

Die Berliner Zeitung stößt ins gleiche Horn:

„Die Mietpreisbremse (..) bleibt trotz mehrfacher Nachbesserungen noch immer eine Stotter-Bremse. Das liegt auch an fehlenden Sanktionen. Die größte Strafe, die Vermietern bei einem Gesetzesverstoß droht, ist, dass sie die zu Unrecht kassierten Mieten zurückzahlen müssen. Ein Witz. Jeder Schwarzfahrer in Bus und Bahn wird stärker bestraft, wenn er ohne Fahrschein angetroffen wird. Im schlimmsten Fall droht eine Freiheitsstrafe von einem Jahr. Hier stimmen die Verhältnisse nicht. Verstöße im Mietrecht müssen endlich strenger bestraft werden.“ (Berliner Zeitung vom 17. April 2021)

Unverantwortlich erscheint manchen kritischen Stimmen zudem, dass die Richter*innen das Gesetz nicht ab sofort, sondern auch rückwirkend für ungültig erklärt haben. Auf die betroffenen Mieter*innen warten deshalb zum Teil erhebliche Nachzahlungsforderungen der Vermieter. Jeder zehnte von ihnen, schätzt die Berliner Verwaltung, könnte nun bei der Rückzahlung auf einen Schlag in eine wirtschaftliche Notsituation oder Schuldenfalle geraten.

Die Immobilienkonzerne dagegen ließen die Sektkorken knallen. Die Aktienkurse der im Dax notierten Unternehmen Vonovia und Deutsche Wohnen (42.000 bzw. 114.000 Wohnungen in Berlin) konnten nach Bekanntwerden der Entscheidung des BVerfG deutlich anziehen. Am 16. April kündigte Vonovia-Chef Rolf Buch den Aktionären auf der Hauptversammlung eine Steigerung der Dividende um acht Prozent an. „Karlsruhe garantiert die Profite“, merkte die Tageszeitung junge Welt sarkastisch an (junge Welt vom 17. April 2021).

Der Triumph der reinen Marktwirtschaft spiegelt sich auch in einem Kommentar des Spitzenverbands der Immobilienwirtschaft, des Zentralen Immobilien Ausschusses (ZIA), wider. Der konnte seinen Spott über die von überhöhten Mieten drangsalierten Menschen kaum verbergen. In einer Pressemitteilung des Lobbyverbands wird Stefanie Frensch, ehemals Chefin der landeseigenen Berliner Wohnungsbaugesellschaft Howoge (!) und Vorsitzende der Region Ost des ZIA, wie folgt zitiert:

„Die Bilanz des Mietendeckels ist negativ: Das Angebot an Mietwohnungen ist stark eingebrochen und es war selten so schwer, in Berlin eine Wohnung zu finden. Investoren sind verunsichert worden und Sanierungen wurden zulasten des Klimaschutzes und des Berliner Handwerks ausgesetzt. Besonders schlimm: Der Deckel hat nicht für günstige Mieten für einkommensschwache Mieterinnen und Mieter gesorgt. Gerade vermögende Mieter in guten Berliner Lagen mussten weniger zahlen. Für die anderen Fälle bedarf es jetzt einer Härtefallregelung. Auch wenn der Berliner Senat sehenden Auges dieses Problem geschaffen hat, bittet der ZIA seine Mitglieder soziale Lösungen zu finden und hat daher mit dem Deutschen Mieterbund eine Erweiterung des gemeinsamen Wohnungskodex vereinbart. Die Mieterinnen und Mieter dürfen nicht die Leidtragenden dieses verfassungswidrigen Gesetzes werden.“

 

Quellen:

„Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin (‚Berliner Mietendeckel‘) nichtig“, Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts Nr. 28/2021 vom 15. April 2021

https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2021/bvg21-028.html

Gareth Joswig: „Deckel-Kater in Berlin“, taz vom 16. April 2021

https://taz.de/Die-Abwicklung-des-Mietendeckels/!5763089/

Stephan Kaufmann: „Die Börse feiert“, Neues Deutschland vom 17. April 2021

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1150886.mietendeckel-die-boerse-feiert.html

Ulrich Paul/Marcus Pfeil: „Der Berliner Mietmarkt blutet wieder am offenen Herzen“, Berliner Zeitung vom 17. April 2021

https://www.berliner-zeitung.de/wochenende/der-berliner-mietmarkt-blutet-wieder-am-offenen-herzen-li.153096

Erik Peter: „Der Deckel ist weg“, taz vom 15. April 2021

https://taz.de/Mietendeckel-Gesetz-in-Berlin/!5766576/

ders.: „Klassenkampf von oben“, taz vom 16. April 2021

https://taz.de/Berliner-Mietendeckel-gekippt/!5763152&s=mietendeckel/

Jens Sethmann: „Null Wirkung“, MieterMagazin, September/2020, Seite 9

https://www.berliner-mieterverein.de/magazin/online/mm0920/bilanz-nach-fuenf-jahren-mietpreisbremse-zeigt-null-wirkung-092009b.htm

„Mietendeckel gekippt – Mieter dürfen nicht die Leidtragenden sein“, Pressemitteilung des Zentralen Immobilien Ausschuss e.V. (ZIA) vom 15. April 2021

https://www.zia-deutschland.de/presse-aktuelles/presse-detail/news-single-pfad/mietendeckel-gekippt-mieter-duerfen-nicht-die-leidtragenden-sein/