Greenwashing in Ökonomie und Politik
Mit ihrem individuellen Schulstreik vor dem schwedischen Parlament ist es Greta Thunberg im Jahr 2018 gelungen, den globalen Klimawandel und die in diesem Zusammenhang eskalierenden ökologischen, sozialen und ökonomischen Krisen ins Zentrum des politischen Diskurses zu rücken.
Der anthropogene Klimawandel ist seit über 50 Jahren in der wissenschaftlichen Diskussion. Die „Grenzen des Wachstums“ – im Jahr 1972 als Weckruf des Club of Rome veröffentlicht – und die internationalen Klimakonferenzen seit Beginn der 1990er Jahre sind weitgehend ohne Konsequenz im operativen Tagesgeschäft der Politik geblieben.
Die weltweite Bewegung Fridays for Future, die durch den Schulstreik von Greta Thunberg initiiert worden ist, hat das Potential, die politischen Blockaden im Kampf gegen den Klimawandel und seine Folgen für das Leben auf der Erde zu brechen.
Bei uns in Deutschland gehört das Bekenntnis, den Klimawandel zu bekämpfen, inzwischen bei fast allen Parteien ins rhetorische Standardrepertoire für den Bundestagswahlkampf 2021. Manche – vielleicht sogar die Mehrzahl – der politischen Akteure steht allerdings im Verdacht, jetzt in der politischen Auseinandersetzung lediglich das nachzuholen, was kommerzielles Marketing im Bereich der Konsumentenwerbung seit gut dreißig Jahren professionell und erfolgreich praktiziert.
Bevor die deutlich komplexere Methode des politischen Greenwashing beleuchtet wird, lohnt ein Blick auf die inzwischen etablierten Methoden des kommerziellen Greenwashing.
Gablers Wirtschaftslexikon definiert:
Greenwashing bezeichnet den Versuch von Unternehmen, durch Marketing- und PR-Maßnahmen ein „grünes Image“ zu erlangen, ohne allerdings entsprechende Maßnahmen im Rahmen der Wertschöpfung zu implementieren. Bezog sich der Begriff ursprünglich auf eine suggerierte Umweltfreundlichkeit, findet dieser mittlerweile auch für suggerierte Unternehmensverantwortung Verwendung. (1)
Wie funktioniert Greenwashing – die Methoden
In ihrer Untersuchung „Concepts and forms of greenwashing: a systematic review“ (2) stellen Sebastião Vieira de Freitas Netto und andere 13 Konzepte des kommerziellen Greenwashing vor:
- Die Methode des versteckten Kompromisses: Eine Behauptung, die suggeriert, dass ein Produkt „grün“ ist, basierend auf einer engen Reihe von Attributen ohne Berücksichtigung anderer wichtiger Umweltaspekte. Papier zum Beispiel ist nicht zwangsläufig umweltfreundlicher, nur weil es aus einem nachhaltig bewirtschafteten Wald stammt. Andere wichtige Umweltaspekte im Papierherstellungsprozess, wie zum Beispiel Treibhausgasemissionen oder der Chlorverbrauch beim Bleichen können ebenso wichtig sein. Andere Beispiele sind Energie-, Versorgungs- und Benzinkonzerne, die mit den Vorteilen neuer Energiequellen werben, während sie in bisher unberührten Gebieten bohren, um Öl zu gewinnen. Damit zerstören sie natürliche Lebensräume und reduzieren die Artenvielfalt, verschleiern aber den mit ihrem Vorgehen verbundenen Schaden für die Umwelt.
- Die Methode des fehlenden Beweises: Eine Umweltaussage, die nicht durch leicht zugängliche unterstützende Informationen oder mit einer zuverlässigen Zertifizierung durch Dritte belegt werden kann. Gängige Beispiele sind Kosmetiktücher oder Toilettenpapierprodukte, bei denen verschiedene Prozentsätze an Post-Consumer-Recycling-Anteilen angegeben werden, ohne einen Nachweis zu erbringen. Kurz gesagt, wenn ein Unternehmen eine Behauptung aufstellt, die irgendeine Art von Prozentsatz oder statistische Informationen enthält, die nicht mit etwas verifiziert werden können, wie z. B. einem Kleingedruckten oder einer URL, die zu weiteren Informationen führt, ist die Behauptung nicht als Beweis zu betrachten.
- Die Methode der Unbestimmheit: Eine Behauptung, die schlecht definiert oder zu weit gefasst ist, der es an Spezifizierung mangelt, so dass ihre tatsächliche Bedeutung vom Konsumenten missverstanden werden kann. „All-natural” ist ein Beispiel für diese Methode. Arsen, Uran, Quecksilber und Formaldehyd sind alle natürlich vorkommend und giftig. „Alles natürlich” ist also nicht unbedingt “grün“. Andere Beispiele sind “ungiftig”, weil alles in bestimmten Dosierungen giftig ist; “grün”, “umweltfreundlich”, “öko-freundlich” und “öko-bewusst” sind ebenfalls vage Behauptungen, die ohne nähere Ausführungen sinnlos sind.
- Die Methode der falschen Label: Ein Produkt, das durch ein täuschendes Logo oder ein zertifizierungsähnliches Bild den Verbraucher zu der Annahme verleitet, dass es einen legitimen grünen Zertifizierungsprozess durchlaufen hat. Ein Beispiel ist ein Papierhandtuch, dessen Verpackung ein Bild zeigt, das die Behauptung aufstellt, dass das Produkt “die globale Erwärmung bekämpft”. Andere Beispiele sind grüner Jargon wie “eco-safe” und “eco-preferred”.
- Die Methode der Irrelevanz: Eine Umweltaussage, die zwar der Wahrheit entspricht, aber für Verbraucher, die nach ökologisch vorteilhaften Produkten suchen, unwichtig oder nicht hilfreich ist. „FCKW-frei” ist beispielsweise eine nichtssagende Behauptung, da FCKW längst per Gesetz verboten ist.
- Die Methode des kleineren Übels: Eine Behauptung, die innerhalb der Produktkategorie wahr sein mag, aber den Verbraucher von den größeren Umweltauswirkungen der Kategorie als Ganzes ablenken kann. Bio-Zigaretten sind ein Beispiel für diese Methode, ebenso wie der „spritsparende SUV“.
- Die Methode des Flunkerns: Umweltaussagen, die schlichtweg falsch sind. Die häufigsten Beispiele waren Produkte, die fälschlicherweise behaupteten, Energy Star-zertifiziert oder -registriert zu sein
Besondere Beachtung verdient beim Greenwashing die Kommunikation der Öl-Gas-Industrie (OGI). Zum hydraulischen Fracking schlug sie neue Methoden vor, die mit der Konzeptualisierung von Greenwashing zusammenhängen.
- Die Methode der falschen Hoffnungen: Eine Behauptung, die eine falsche Hoffnung bestärkt. Die Hydraulik-Fracking-Methode der Öl- und Gasindustrie hat enorme negative Auswirkungen auf die Umwelt. Kritiker argumentieren, dass eine ökologische Modernisierung nicht möglich ist und der Glaube an das Gegenteil schadet der Umwelt. Fracking wird im Interesse der ungehinderten Ressourcengewinnung und der Gewinne aus der Energieproduktion positiv dargestellt. Mehrere Themen tauchen in der Rhetorik der Öl- und Gasindustrie auf, beginnend mit der Schaffung von Vertrauen durch Aufklärung und der Behauptung von Transparenz und weiterführend mit Ideen, die Sicherheit und Verantwortung, wissenschaftlichen Fortschritt, wirtschaftliche Vorteile und Arbeitsplätze, Energiesicherheit, Umweltschutz und Nachhaltigkeit propagieren. Im Großen und Ganzen spiegelt diese Rhetorik ökologische Modernisierungsideen wider, die die Wahrnehmung von Risiken und deren Folgen verschieben und Fracking in einer Weise rahmen, welche die negativen Auswirkungen der Abhängigkeit von einer auf fossilen Brennstoffen basierenden Wirtschaft verschleiert.
- Die Methode der Angstmacherei: Es werden Behauptungen aufgestellt, die die Unsicherheit fördern. Zum Beispiel erklärt die Öl- und Gasindustrie, dass “die Instabilität und Unsicherheit, die aus den Kriegen in Afghanistan und im Irak, dem globalen Krieg gegen den Terror und den schwankenden Treibstoffkosten resultieren, die öffentliche Wahrnehmung von Risiken verändert.”
- Die Methode der gebrochenen Versprechen: Es wird versprochen, dass Fracking arme, ländliche Gemeinden mit Reichtum aus Schürfrechten und wirtschaftlicher Entwicklung beglücken wird. Wenn sich dann das Gegenteil herausstellt, werden die Gemeinden mit den irreversiblen Folgen alleingelassen.
- Die Methode der Ungerechtigkeit: Die Öl- und Gasindustrie spricht in ihrer Umweltkommunikation nicht direkt die vom Fracking betroffenen Gemeinden an, sondern konzentriert sich auf ein Segment der Bevölkerung, das vom Fracking profitiert, aber nicht dessen Folgen erleidet.
- Die Methode der gefährlichen Folgen: Greenwashing versteckt die Realität der Ungleichheit und lenkt die Öffentlichkeit von den Gefahren ab, die andere erleben.
- Die Methode des Profits über Mensch und Umwelt: Profit über Mensch und Umwelt zu stellen, ist die potenziell bedeutendste Greenwashing-Methode von allen.
Wesentlich komplexer und deshalb schwerer zu erkennen ist das Greenwashing in der Politik.
Klimakrise als Menschheitskrise?
Paradoxerweise beginnt politisches Greenwashing schon mit der Wahrnehmung der Folgen des Klimawandels als „wahre Menschheitskrise“ (Entwurf des Wahlprogramms der GRÜNEN) oder existenzielle Bedrohung Europas und der Welt (EU-Kommission).
Die krude Wahrheit ist, dass die Folgen der Klimakrise über die verschiedenen Regionen der Welt und über die die sozialen Schichten der Gesellschaften sehr ungleich verteilt sind – und dies auch zukünftig sein werden. Der mit der Erderwärmung einhergehende Anstieg der Meeresspiegel bedroht unmittelbar zum Beispiel die dicht besiedelten Mündungsdeltas der großen Flüsse in Südostasien. Also die Bevölkerung von Ländern wie Bangladesch, Vietnam, Indonesien und Thailand sowie von Teilen Chinas und Indiens.
Die Temperaturerhöhung der Atmosphäre stellt für die hoch spezialisierten Gesellschaften der Innertropischen Konvergenzzone (20° um den Äquator) ganz andere Herausforderungen als an die in den gemäßigten Breiten ansässigen Gesellschaften. Erstere leben seit Jahrtausenden unter ausgesprochen konstanten Klimabedingungen ohne die in den gemäßigten Breiten bekannten jahreszeitlichen Temperaturänderungen.
Demgegenüber stehen Erwartungen, dass der Klimawandel die Nordostpassage ganzjährig eisfrei halten (Seeweg von der asiatischen Pazifikküste durch das Nordmeer nach Europa) und so den Handel zwischen Asien und Europa beleben wird. Diese Route verkürzt den Seeweg von Tokio nach Rotterdam im Vergleich zur Route durch den indischen Ozean und das Nadelöhr Suezkanal um ca. 6500 km. (3)
Diese Beispiele lassen leicht erkennen, dass hinter den Green „New“ Deals der EU und der USA nicht primär die Sorge um das Weltklima steht, sondern wesentlich die Sorge um den Erhalt des materiellen Wohlstands im globalen Norden.
So sucht die EU-Kommission eine neue Wachstumsstrategie für den Übergang zu einer modernen, ressourceneffizienten und wettbewerbsfähigen Wirtschaft. Wir wissen aus der jüngsten Vergangenheit, dass Effizienzgewinn in der kapitalistischen Wettbewerbswirtschaft nicht zur Schonung von Ressourcen geführt hat, sondern zu Ausweitung der materiellen Produktion. Ein passendes Paradigma liefert das Verhalten der Automobilindustrie. Während der Treibstoffverbrauch pro Pkw bei Verbrennungsmotoren seit Ende der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts kontinuierlich durch technische Innovationen abgenommen hat (beim Ottomotor auf weniger als die Hälfte, beim Diesel auf etwa 2/3 des Verbrauchs), hat die verbaute Motorleistung der Pkws seither überproportional zugenommen. In Deutschland führte das dazu, das die CO2-Emissionen des Straßenverkehrs seit Jahrzehnten nicht abgenommen haben.
Zur effektiven Bekämpfung des fortschreitendes Klimawandels bedarf es eines grundsätzlichen Umdenkens in den Wirtschaftswissenschaften und in der Wirtschaftspolitik. Wir brauchen eine umfassende Strategie zur Entschleunigung der Materialumsätze und beim Energieverbrauch. Produktzyklen (Nutzungsdauer) dürfen zukünftig nicht auf optimale Kapitalrenditen abgestimmt werden. Sie müssen entgegen der aktuell verfolgten ökonomischen „Logik“ auf maximale Gebrauchsdauer umgestellt werden. Die Dinge müssen wieder reparierbar werden – der eingesetzte Materialmix zur Herstellung ist auf die Wiederverwertbarkeit zu optimieren.
Schon aus dieser Skizze dessen, was effektiver Klimaschutz zu leisten hätte, wird klar, dass Klimaschutz nur gegen massive ökonomische Interessen durchgesetzt werden kann.
Anmerkungen:
(1) https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/greenwashing-51592/version-274753
(2) https://doi.org/10.1186/s12302-020-0300-3
(3) https://polarkreisportal.de/nordostpassage-die-eisige-alternative-zum-suezkanal
Hans Möller
ist Dipl.-Meteorologe und stellvertretender Vorsitzender von Business Crime Control e.V.